Inschriftenkatalog: Mergentheim (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 54: Landkreis Mergentheim (2002)

Nr. 82 Creglingen, ev. Stadtkirche um 1500

Beschreibung

Glocke aus einer unterfränkischen Gießhütte. Im Glockenstuhl. Schulterinschrift (A) zwischen Halbrundstegen über einem Fries aus verschränkten, mit Kleeblattbögen gefüllten Rundbögen, die in hängenden Lilien enden. Auf der Flanke in rechteckigem Rahmen Relief der Beweinung Christi: Christus im Schoß Mariens, rechts kniet Johannes Evang. und umfaßt die Knie des Heilands, im Hintergrund über der Figurengruppe das leere Kreuz mit Kreuztitulus (B) und zwei schwebende Engel1; auf dem Rahmen Umschrift (C), vom Kreuztitulus und vom Nimbus Christi unterbrochen. Inschrift (C) durch den undeutlichen Abdruck des Models in weiten Teilen kaum leserlich.

Maße: H. (o. Krone) 89, Dm. 115, H. (Flankenrelief) 19,8, B. 14,6, Bu. 2,5–2,7 (A), 0,5 (B), 0,7 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/9]

  1. A

    · ave · maria · gracia · plena · dominvs · tecvm · benedicta · tv · in · mvlieribvs · et · benedictvs · frvctvs · ventrisa) · tvi ·2)

  2. B

    · i · n · r · i ·

  3. C

    pater · ignosce · // · [cru]c̣ịf̣ige[ntibus] ṃ[e]3)· / hodie · mecu(m) · eris · in · paradiso4) · mvlier · ec̣c̣e · fili(us) · tvv(s)b) ·5) · ẹc̣c̣e · maṭẹṛ / [t]ṿa ·6) [pater · in ma]ṇụs · ṭuaṣ / · [co]mme(n)do · spị(ritu)mc) · meu(m)7) // · consvm(m)atvm · est8)

Übersetzung:

Gegrüßt seist du, Maria, Gnadenvolle, der Herr ist mit dir, du Gesegnete unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. – Vater, verzeih denen, die mich kreuzigen. – Heute wirst du mit mir im Paradies sein. – Sieh, Weib, dies ist dein Sohn. – Sieh, dies ist deine Mutter. – Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist. – Es ist vollbracht.

Kommentar

Als Worttrenner wechseln Glöckchen und Kännchen ab. Diese Form der Worttrenner und der verschränkte Rundbogenfries unter der Inschrift ermöglichen die Zuschreibung der Glocke in den unterfränkischen Raum. Die nähere Lokalisierung der Gießhütte (Schweinfurt?) ist bislang noch nicht gelungen9. Auffällig ist die konsequente Linkswendung des m, auch rundes s ist, von einer Ausnahme abgesehen, spiegelverkehrt, zweimal auch das i. Im Kreuztitulus (B) sind winzige Rosetten als Trennpunkte gesetzt, ebenso – vielleicht im Wechsel mit Rauten – in Inschrift (C). In der Umschrift des Flankenreliefs sind die Worte Christi am Kreuz nach dem Lukas- und dem Johannesevangelium oder – wahrscheinlicher – nach einem liturgischen Text10 zusammengestellt. Das Klagewort sitio (Io 19, 28) ist ebenso weggelassen wie die Verlassenheitsklage deus meus, quare me dereliquisti nach Mt 27, 46 bzw. Mc 15, 34.

Textkritischer Apparat

  1. ventus Glockenbeschlagnahme-Akten (!).
  2. Als Kürzungszeichen ein us-Haken; somit eigentlich ein u überzählig.
  3. Nach sp vier mittellange Schäfte, darüber Kürzungsstrich; als Lesung kommt wohl nur spim in Frage, die Abkürzung ist freilich ungewöhnlich.

Anmerkungen

  1. Beschreibung des Flankenreliefs in Dt. Glockenatlas Württ./Hohenzollern nr. 987 ungenau.
  2. Beginn des Ave Maria, vgl. Lc 1, 28.
  3. Hier dient nicht das Bibelzitat Lc 23, 34 (pater, dimitte illis non enim sciunt quid faciunt) als direkte Vorlage, es handelt sich vielmehr um ein wörtliches Zitat aus dem – fälschlich Beda zugeschriebenen – Gebet „Domine Jesu Christe Fili Dei vivi, qui septem verba ultimo vitae tuae in cruce pendens dixisti“ (Migne PL 94, Sp. 561f.), das ab 1380 in franziskanischen Handschriften und in Stundenbüchern Verbreitung fand; vgl. O. Schmucki, Art. „Worte Jesu am Kreuz“ in: LThK2 10 (1965), Sp. 1231f.
  4. Lc 23, 43.
  5. Io 19, 26.
  6. Io 19, 27.
  7. Lc 23, 46.
  8. Io 19, 30.
  9. Vgl. Dt. Glockenatlas Württ./Hohenzollern 52f.
  10. Vgl. Anm. 3.

Nachweise

  1. OAB Mergentheim 486 (nur A).
  2. Keppler 224 (nur verkürzter Wortlaut von A).
  3. Glockenbeschlagnahme 1917 OA Mergentheim (LKA, A 26, 1483,3) (nur A).
  4. Dt. Glockenatlas Württ./Hohenzollern nr. 987 (nur A).

Zitierhinweis:
DI 54, Landkreis Mergentheim, Nr. 82 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di054h014k0008206.