Inschriftenkatalog: Mergentheim (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 54: Landkreis Mergentheim (2002)

Nr. 502 Bad Mergentheim, Kapuzinerkloster, Mariahilf-Kapelle 1650?

Beschreibung

Gemälde der Verkündigung Mariae mit Stifterinschrift des Weihbischofs Johann Melchior Söllner. An der Ostwand. Quadratisches Bild, Öl auf Leinwand. Kopie nach dem berühmten Verkündigungsbild in der Servitenkirche SS. Annunziata in Florenz: links der Erzengel mit vor der Brust gekreuzten Armen auf einer Wolke schwebend und von einem Strahlenkranz umgeben; rechts Maria auf einer Bank mit Seitenwange sitzend; oben in der Mitte die Taube des Hl. Geists, die Strahlen zu Maria entsendet; zwischen dem Engel und Maria auf einer Bank ein Kissen, auf dem ein aufgeschlagenes Buch mit beschrifteten Seiten (A) liegt; unter der Szene 4zeilige, mit schwarzer Farbe gemalte Stiftungsinschrift (B). Restauriert, zumindest stellenweise übermalt; die Stiftungsinschrift offenbar komplett übermalt, an einigen Stellen die frühere Fassung noch blaß erkennbar.

Textwiedergabe nach dem derzeitigen Befund.

Maße: H. 211, B. 211, Bu. 2,2–2,5 (A), 2,0 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/3]

  1. A

    ECCE / VIRGO / CONCI/PIET // ET PA/RIET / FILI/VMa)1)

  2. B

    DEO TER OPTIMO MAXIMO ET MAGNAE MATRI EIVS. VIRGINI MARIAE AVXILIATRICIb) HANC / MIRACVLOSAE IMAGINIS FLORENTINAE ESEFIGIEMc) DICAT VOVET OVEROEd) MELCHORe) / EP(ISCOP)VS DOMITIOPOLITANVS SVFFRAGANEVS HERBIP(OLENSIS) QVI HOC TEMPLVM ET ALTARE. / DEDICAVIT ET CONSECRAVIT. XXX IVNIJ A(NN)O MDCL ·

Übersetzung:

Siehe die Jungfrau, sie wird empfangen und einen Sohn zur Welt bringen. – Dem dreieinigen, besten und größten Gott und seiner großen Mutter, der hilfespendenden Jungfrau Maria, weiht und gelobt diese Kopie des florentinischen Gnadenbildes der (ehrwürdige Herr) Melchior, Bischof von Domitiopolis, Weihbischof von Würzburg, der dieses Gotteshaus geweiht und den Altar konsekriert hat am 30. Juni 1650.

Kommentar

Das Fresko in SS. Annunziata mit dem wundertätigen Verkündigungsbild ist um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden und im 15. Jahrhundert überarbeitet worden. Spätere Übermalungen des 16. und 17. Jahrhunderts wurden bei der letzten Restaurierung nach dem Zweiten Weltkrieg beseitigt2. Verstärkt seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden Kopien des Bilds angefertigt und von den Medici verschenkt. So fertigte Alessandro Allori getreue Kopien für Carlo Borromeo (1580, Mailänder Dom) und für König Philipp III. von Spanien (Escorial) an, Ferdinand I. de’ Medici ließ 1592 Medaillen mit dem Verkündigungsbild prägen. Gegen Ende des Jahrhunderts erfuhren die Kopien dann zeitgemäße stilistische Veränderungen. So schuf der 1609 in das Florentiner Servitenkloster eingetretene Donato (Fra Arsenio) Mascagni3 zwei Teilkopien der Brustbilder Marias und des Engels mit idealisierten Gesichtszügen4. Diese beiden Bilder Mascagnis weisen so weitgehende Übereinstimmungen mit dem nach Mergentheim gestifteten Bild auf, daß man für dieses als Vorlage eine (nicht erhaltene) Gesamtkopie des Gnadenbilds von der Hand Mascagnis vermuten möchte. Wichtigste Abweichungen gegenüber dem Florentiner Fresko des 14. Jahrhunderts sind das Fehlen Gottvaters im linken oberen Bildabschnitt, von dem der Lichtstrahl mit der Taube des Hl. Geists an Maria ausgeht, das Fehlen der von Maria ausgehenden, parallel zu dem Lichtstrahl in Spiegelschrift nach oben verlaufenden Inschrift ECCE ANCCILLA DOMINI5 sowie die Ausführung der Inschrift in dem geöffneten Buch in Kapitalis statt in gotischer Majuskel6. Die Abmessungen entsprechen dagegen weitgehend dem Original. Außer dem Mergentheimer Gemälde lassen sich nördlich der Alpen Kopien nachweisen in Innsbruck (Servitenkirche), Wien (Servitenkirche), Dettelbach/Unterfranken (Franziskanerkonvent), Bonn (Kreuzbergkirche)7, Köln (Dom; ehem. Servitenkirche St. Luciae) und Lembeck/Westfalen (Kapelle des Michaelsspitals)8.

Der Stifter des Mergentheimer Bildes, Dr. Johann Melchior Söllner, Kanoniker am Stift Neumünster in Würzburg, ab 1636 Generalvikar des Würzburger Fürstbischofs Hatzfeldt, wurde im Dezember 1648 Titularbischof von Domitiopolis und Würzburger Weihbischof († 1666)9. Er weihte die Mariahilf-Kapelle und den Altar im Sommer 1650, nachdem sich der 1641 begonnene Bau (vgl. nrr. 490†, 491) durch den Dreißigjährigen Krieg sowie durch notwendig gewordene Umbaumaßnahmen verzögert hatte. Denn Papst Urban VIII. hatte den Kapuzinern aufgrund ihres Armutsgelübdes nicht erlaubt, den Gottesdienst in der reich ausgestatteten Kapelle zu versehen, so daß die Kapelle von der Kapuzinerkirche räumlich getrennt und ein eigener Kapelleneingang angelegt werden mußte10.

Ob die Stiftung des Verkündigungsbildes und somit die Ausführung der Stiftungsinschrift noch in das Jahr 1650 zu datieren sind, läßt sich nicht entscheiden.

Textkritischer Apparat

  1. Darunter Kontraschleifenornament.
  2. So noch eindeutig blaß unter der neuen Fassung zu lesen. Befund nach Übermalung: AVXLIATRIXI.
  3. So statt EFFIGIEM; vermutlich Restaurierungsfehler.
  4. Bedeutung unklar, wohl kaum ursprünglicher Befund; vielleicht anstelle des abgekürzten Titels REVERENDVS DOMINVS?
  5. So statt MELCHIOR. Danach Ranke als Zeilenfüller.

Anmerkungen

  1. Is 7, 14.
  2. Vgl. zuletzt Eugenio Casalini, Una icona di famiglia. Nuovi contributi di storia e d’arte sulla SS. Annunziata di Firenze (Biblioteca della Provincia Toscana O. S. M. 10), Firenze 1998, 23f. Zum Folgenden ebd. 24–28.
  3. 1579–1636; vgl. Thieme-Becker 24 (1930) 198.
  4. Vgl. Walter u. Elisabeth Paatz, Die Kirchen von Florenz. Ein kunstgeschichtliches Handbuch (Frankfurter Wissenschaftliche Beiträge, Kulturwissenschaftl. Reihe 4), Bd. I, Frankfurt am Main 1940, 108. Abb. der beiden Kopien in Casalini (wie Anm. 2) auf dem Buchdeckel u. nach S. 127.
  5. Sic! – Lc 1, 38.
  6. Die gotische Majuskel auf dem Fresko ist freilich durch Überarbeitung verfälscht.
  7. DI 50 (Bonn) nr. 201.
  8. Vgl. Casalini (wie Anm. 2) 28f. Eine Liste weiterer, fast ausschließlich in Italien aufbewahrter Kopien bei Paatz (wie Anm. 4) 158f.
  9. Vgl. Egon Johannes Greipl, Art. „Söllner, Johann Melchior“, in: Gatz, Bischöfe 1648–1803, 468; Reininger, Weihbischöfe 233–245.
  10. Vgl. Demel, Der Dt. Orden u. d. Kapuziner 69.

Nachweise

  1. Rettich, Kirche u. Kloster d. Kapuziner 6 (Regest).

Zitierhinweis:
DI 54, Landkreis Mergentheim, Nr. 502 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di054h014k0050203.