Inschriftenkatalog: Mergentheim (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 54: Landkreis Mergentheim (2002)

Nr. 67 Creglingen, ev. Stadtkirche 1485

Beschreibung

Stiftungsinschrift des Kaplans Nikolaus Seemann. Außen beim Südportal, an der Westseite des zweiten Strebepfeilers von Osten in Augenhöhe eingelassen. Querrechteckige Messingtafel, als beiderseits eingerolltes Schriftblatt gestaltet1. 7zeilig erhaben ausgehauene Inschrift; zwischen den Zeilen sind schmale Stege stehengelassen, in die die Spitzen der Ober- und Unterlängen hineinragen; Schriftgrund linksschräg schraffiert. Schriftoberfläche nicht geglättet. An den Rändern, vor allem oben, mit weißer Tünche beschmiert.

Maße: H. 27, B. 53,5, Bu. 2,2–2,4 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/2]

  1. Anno d(omi)ni M° · CCCC · lxxxv ist von herrna) Nicolaus See=/manb) capplan zu Reiglberg hie kauft vn(d) gestift das die +c) / gotshausmaister diser pfarkirche(n) alle kotemberd) am frey=/tag vntterm ambt der hailigen messe ein halb malttere) / korn verpacken lassen vnd das armen lewtenn vmb +c) / gottes willen geben sullen nach lawt vnd ynnhalltf) /eins briefs den sie darvber ynnhaben ·g)

Kommentar

Die gotische Minuskel ist äußerst regelmäßig gehauen. Bei mittellangen Buchstaben ist das obere Ende des linken Schafts, das sonst als Quadrangel ausgeführt ist, rechtsschräg geschnitten, wenn dem Buchstaben ein „Brückenbuchstabe“ vorangeht, der an der Oberlinie des Mittelbandes nach rechts ausgreift (e, f, g, r, t, x). Nach o steht Bogen-r, sonst ist stets die gerade Form gebraucht. Die Oberlängen sind sehr spitz ausgezogen, rechtsschräg geschnitten, und der Schnitt ist eingebogen, gelegentlich sogar leicht eingekerbt. Die Textura-Versalien werden nur für die Jahreszahl und die Namen in den ersten beiden Zeilen verwendet. Der Beginn der Inschrift ist durch eine vergrößerte Lombarde hervorgehoben. Sehr ähnliche Schriftformen und weitgehende Übereinstimmungen in der äußeren Gestaltung der Schrifttafel (eingerollte Seiten, Stege zwischen den Zeilen, schrägschraffierter Schriftgrund) zeigt ein Rothenburger Epitaph von 14922, das mit Sicherheit in derselben (Rothenburger) Werkstatt entstanden ist3.

Der Stifter Nikolaus Seemann war nach Aussage der Inschrift Kaplan an der 1338 gestifteten Burgkapelle auf der Reichelsburg4, die im 15. Jahrhundert aus weinsbergischem Besitz durch Kauf in die Hände des Bischofs von Würzburg überging. Welcher Art die Verbindungen Seemanns zur Creglinger Pfarrkirche waren, ist unbekannt. Die inschriftliche Abfassung der Kernbestimmungen von Seemanns Kornstiftung stellten eine zusätzliche – weil öffentliche – rechtliche Sicherung ihrer Ausführung dar. Auf die den eigentlichen Rechtsakt begründende Urkunde5 wird ausdrücklich hingewiesen. Die Armenspeisung sollte viermal im Jahr, jeweils am Freitag nach Invocavit, nach Pfingsten, nach Kreuzerhöhung (14. September) und nach Lucie (13. Dezember) stattfinden. Die damit beauftragten gotshausmaister waren die Mitglieder der Fabrica ecclesiae, die für die Instandhaltung der Kirchengebäude und für die Verwaltung der dafür bestimmten Kasse zuständig war. In Creglingen scheint dieses Gremium der Inschrift zufolge allgemein mit der kirchlichen Vermögensverwaltung betraut gewesen zu sein.

Textkritischer Apparat

  1. Über rn ein überflüssiger Kürzungsstrich.
  2. Hermann Georgius.
  3. Rautenkreuz als Zeilenfüller.
  4. So für quatember.
  5. Fahne des r in eine lange linksschräge Wellenlinie auslaufend (Zeilenfüller).
  6. Rechts am Balken des t als Zeilenfüller eine geschwungene Zierlinie angefügt.
  7. Nach dem abschließenden Quadrangel ein Kreuzflechtband als Zeilenfüller.

Anmerkungen

  1. Der von Schönhuth, Creglingen u. seine Umgebungen 27, erwähnte „Wappenschild mit einem Dreier“ gehört nicht zur vorliegenden Inschrift, sondern zu nr. 183.
  2. DI 15 (Rothenburg o. d. T.) nr. 123.
  3. Aus derselben Werkstatt jedenfalls noch DI 15 (Rothenburg o. d. T.) nrr. 87 (1470), 92 (1475), 134 (1496), 144 (E. 15. Jh.), 158 (1502), letzteres mit derselben A-Initiale wie die Creglinger Inschrift. Zu den Schrifteigentümlichkeiten dieser Werkgruppe vgl. ebd., Einl. XXXIIf.
  4. Reichelsberg, Gde. Aub, Lkr. Würzburg; vgl. HB d. hist. Stätten Bayern 613.
  5. Diese Urkunde war bereits im 18. Jahrhundert nicht mehr vorhanden, es existiert auch keine Kopie; vgl. Georgius, Uffenheimische Neben-Stunden II, 138.

Nachweise

  1. Georgius, Uffenheimische Neben-Stunden II, 138 (nach Abschrift d. Creglinger Pfarrers Artzberger).
  2. Schönhuth, Creglingen u. seine Umgebungen 27 (zu 1486).
  3. OAB Mergentheim 483.
  4. Nasse, Aus d. Vergangenheit 41 (Abb.).
  5. Schweikhardt, Aus längst vergangenen Tagen 35.
  6. Ders., Creglingen 62.
  7. Drös, Mittelalterl. u. frühneuzeitl. Inschriften 25.

Zitierhinweis:
DI 54, Landkreis Mergentheim, Nr. 67 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di054h014k0006709.