Inschriftenkatalog: Stadt Mainz

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 1: Mainz (2011)

SN1, Nr. 37 Dom, Nordquerhaus, aus Liebfrauenkirche 1328

Beschreibung

Taufbecken aus Zinnguss. Das Becken wurde im Jahr 1328 im Auftrag des Mainzer Domkapitels gegossen und in der Mitte der Liebfrauenkirche, der damaligen Taufkirche des Domes, aufgestellt1), wo es bis 1700 stehen blieb und dann in die St. Ägidius-Kapelle versetzt wurde.2) Nach dem Abriss der Liebfrauenkirche im Jahr 1804 brachte man den Taufstein in den Ostchor des Domes. 1868 gelangte er an seinen heutigen Standort im nördlichen Querarm.

Die Form des Taufbeckens leitet sich aus einer Achtpassform ab, so dass sich das Gefäß aus acht nach außen gewölbten Partien zusammensetzt. Diese weisen figürliche Reliefs auf, die durch vertikal verlaufende Leisten voneinander getrennt sind. Eine horizontale Leiste schließt sie nach unten hin ab; darunter befindet sich weiteres Blendmaßwerk. Alle Figuren stehen unter Säulenarkaden zu je drei Bögen, deren Bogenfelder mit filigranem Blendmaßwerk gefüllt sind. Vier Hauptszenen (thronender Weltenrichter zwischen knienden Engeln, stehende Maria mit Kind zwischen knienden Engeln, zweimal heiliger Martin zu Pferd, der seinen Mantel mit einem Bettler teilt) wechseln sich mit jeweils einer Dreiergruppe von Aposteln ab; dort stehen vier Haupt(?)apostel, Petrus mit Schlüssel, Paulus mit Schwert, Johannes (? – Hand auf Brust, bärtig, daher zweifelhaft), Andreas mit lateinischem Kreuz, jeweils in der Mitte der Dreiergruppen. Die flankierenden Apostel sind wegen fehlender, verlorener oder undeutlicher Attribute nicht zweifelsfrei zu identifizieren. In der Leserichtung sind zu erkennen: ? (zerbrochener Kreuzstab oder Lanze), Bartholomäus mit Messer, Thomas (?) mit angebrochenem Winkel (?), ? (jung, bartlos, ohne Attribut)3), ? (jung, bartlos, Attribut abgebrochen), ? (Attribut abgebrochen), Simon mit Säge, Jakob d. Ä. mit Muschel (?). Die Hauptreliefs sind so angeordnet, dass sich Christus und Maria sowie die beiden Darstellungen des heiligen Martin genau gegenüber stehen. Den oberen Abschluss bildet eine mit einer Umschrift (A) versehene Leiste, die über dem Bild der Maiestas Domini beginnt, also auf der heutigen Südseite. Auf jeweils zwei Pässen steht ein Vers. Am Beginn des Textes wurde eine Fehlstelle von 25 cm Länge ausgebessert und als Text nachträglich das Wort DISCE eingesetzt.4) Der Deckel und der Fuß, der am oberen Rand eine weitere Inschrift (B) aufweist, sind Zutaten des 19. Jahrhunderts. Modern ist auch die heute abblätternde olivgrüne Farbfassung des oberen Beckenrandes. Als Worttrenner dienen Quadrangel, von denen einige gekippt, einige ausgerundet sind.

Maße: H. 106; D. 168; Bu. (A) 2,5–3; Bu. (B) 2 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel (A); moderne Kapitalis (B).

Thomas G.Tempel [1/14]

  1. A

    ▪ [DISCITE]a) ▪ MILLENIS TER/CENTENISQVEb) ▪ UIGENISc) ▪/▪ OCTONIS ▪ ANNIS ▪ MANVS / ▪ HOC ▪ UAS ▪ DOCTA ▪ IOHNNISd) /▪ FORMAT ▪ AD ▪ INPERIVMe) / DE ▪ SVM(M)O ▪ CANONICOR(VM) ▪ /▪ HVNC ▪ ANATHEMA ▪ FERIT / ▪ HOC ▪ VAS ▪ QVI ▪ LEDERE ▪ QVERI/Tf)

  2. B

    TRANSLATVM / AB ▪ ECCLES(IA) ▪ / B(EATAE) ▪ M(ARIAE) ▪ V(IRGINIS) ▪ AD ▪ GRA(DVS) / ▪ I ▪ DE(CEMBRIS) ▪ MDCCCIV ▪ / OCCUPANTE ▪ / SEDE(M) ▪ R(EVERENDISSI)MOg) ▪ / D(OMI)NO ▪ IOSEPHO / LUDOVICO ▪

Übersetzung:

(A) Lernt: Im Jahr 1328 formt(e) die erfahrene Hand des Johannes dieses Gefäß auf Befehl des Obersten der Domherren. Den trifft der Bannfluch, der dieses Gefäß verletzen will. (ähnlich FA) – (B) Übertragen von der Kirche der heiligen Jungfrau Maria zu den Stufen (Mariengreden) am 1. Dezember 1804, als der hochwürdigste Herr Joseph Ludwig (Colmar) den Mainzer Bischofssitz innehatte.

Versmaß: Vier Hexameter, leoninisch zweisilbig gereimt (A).

Kommentar

Wie aus der Inschrift hervorgeht, handelt es sich bei dem Künstler dieses Taufsteins um einen Gießer namens Johannes, der wahrscheinlich hauptsächlich als Glockengießer in Mainz5), Wiesbaden6), im Mittelrheintal7), im Rheingau8), in der Eifel9), in der Gegend um Koblenz10) und um Bad Kreuznach11), in der Wetterau12), im Taunus13) und in Seligenstadt14) tätig war. Die Inschriften auf den von ihm angefertigten Glocken verzichten alle auf die Angabe des Entstehungsjahres, nennen aber den Namen des Künstlers in deutscher oder lateinischer Sprache. So bezeichnet sich der Glockengießer entweder als MAGISTER JOHANNES DE MOGUNTIA15) oder als MEYSTER JOHAN VON MENCE.16) Die unterschiedliche Schreibweise des Namens führte zu der Annahme, dass es sich um zwei verschiedene Künstler handelte.17) Über das Leben des Glockengießers Johann ist wenig bekannt, jedoch wird vermutet, dass er seit 1310 in Mainz tätig war18) und in Mainz im Haus „Zum Glockengießer“ wohnte.19) Über den Auftraggeber heißt es in der Inschrift, dass es sich um den Obersten der Domherren handelte. Hiermit könnte entweder der damalige Dompropst Bertholin de Cannali (1322–1342/43) oder der Domdekan Johann Unterschopf (1325–1345) gemeint sein.

Die Buchstaben sind ausgehauen und entsprechen bis auf das erste Wort den zeitüblichen Majuskeln und weitgehend sogar den gegossenen Buchstaben der Glocken. Im ersten Wort wird das unziale E mit dem Abschlussstrich der Gotischen Majuskel zwar nachgebildet, jedoch zeigt die Gleichstrichigkeit der Buchstaben einen erheblichen zeitlichen Abstand zum Guss des Beckens an. Die Ergänzung ist keinesfalls mittelalterlich und korrigiert wohl nicht, wie oft gedacht, einen alten Gussfehler, sondern eher eine Beschädigung.

Mehrfach scheinen Buchstaben den oberen Rand der Leiste zu überschneiden, Teile von Buchstaben fehlen also. Dabei dürfte es sich nicht um eine Ungeschicklichkeit des Herstellers der Schrift handeln. Eher ist anzunehmen, dass im Zuge der Restaurierungen und vor allem bei der Anpassung des Deckels der beschädigte und unebene obere Rand geglättet wurde und so Teile der ungleich höheren Buchstaben verloren gingen, bevor man diesen Bereich des Objektes mit Farbe schützte.

Das Taufbecken sticht vor allem durch aufwändig gearbeitetes Blendmaßwerk hervor. Die Formen entsprechen dem zeitgenössischen Maßwerk der südlichen Seitenschiffsfenster der Katharinenkirche in Oppenheim20) und der Chorfenster der Oberweseler Liebfrauenkirche.21) So finden sich dort Verschmelzungen von Passformen, liegende genaste Spitzbögen sowie Bogendrei- und -vierecke wieder. Weniger qualitätsvoll zeigen sich dagegen die figürlichen Darstellungen, die unkörperlich und steif wirken.22) Stilistisch wurden Ähnlichkeiten zu den Figuren der Kurfürstenreliefs des ehemaligen Kaufhauses am Brand festgestellt.23) So ist dort besonders die Szene des heiligen Martin zu Pferd in nahezu identischer Weise abgebildet, wenn auch darauf hinzuweisen ist, dass die Kaufhaus-Reliefs erst in den vierziger Jahren entstanden sind.24) Die Abbildung des ersten Dompatrons mag gerechtfertigt sein, da das Becken für die Taufkirche des Domes geschaffen wurde. Ungewöhnlich ist, dass man ihn zweimal abbildete. In den Reliefs und der Inschrift fehlen Bezüge zur Taufe.

Textkritischer Apparat

  1. So gegen die moderne Reparatur DISCE, schon von Arens aus dem Versmaß als ursprüngliche Lesung vorgeschlagen. Die Buchstaben unterscheiden sich in geringerer Strichstärke, weiten Spatien und Morphologie deutlich von dem übrigen Text. In den vorhandenen Raum passen auch mehr als die fünf Buchstaben von DISCE, so dass im Original das DISCITE der Emendation vorauszusetzen ist.
  2. Vor QVE Spatium, aber kein Worttrenner sichtbar.
  3. Sic; prosodische Lizenz, die erste Silbe kurz gemessen.
  4. Sic statt IOHANNIS; das A wurde wohl schlichtweg vergessen, ein Kürzungszeichen existiert nicht.
  5. Sic.
  6. Der letzte Buchstabe in den Anstoß der Pässe geschrieben.
  7. Buchstabenbestand RMMO.

Anmerkungen

  1. Dieser Standort missfiel dem Stiftskapitel von Liebfrauen. Es beschwerte sich, das Taufbecken versperre den Weg, worauf im darauffolgenden Jahr Erzbischof Heinrich III. von Virneburg entschied, den Taufstein vor den Andreasaltar zu platzieren. Dazu kam es jedoch nicht, da man sich zwischenzeitlich an den Standpunkt in der Mitte der Liebfrauenkirche gewöhnt hatte; vgl. Otto, Regesten I/2 (1932–1935) Nr. 3854.
  2. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 220.
  3. Möglicherweise wurde Paulus unter das Wort DOCTA gestellt, Johannes unter den Gießernamen.
  4. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 221.
  5. St. Johannis, vgl. hierzu DI 2, Mainz (1958) Nr. 799.
  6. Wiesbaden-Schierstein, ev. Christophoruskirche; vgl. DI 51, Wiesbaden (2000) Nr. 16.
  7. Oberheimbach, kath. Pfarrkirche; Oberwesel, Liebfrauenkirche; vgl. DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004) Nr. 39.
  8. Hallgarten, kath. Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt, vgl. DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis (1997) Nr. 69; Eibingen, ehemalige Klosterkirche, vgl. DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis (1997) Nr. 68; Rüdesheim, kath. Pfarrkirche St. Jakob, vgl. DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis (1997) Nr. 72.
  9. Fleringen, kath. Pfarrkirche.
  10. Braubach, ev. Kirche; Wellmich, kath. Pfarrkirche.
  11. Norheim, kath. Pfarrkirche, vgl. DI 34, Landkreis Bad Kreuznach (1993) Nr. 38.
  12. Langenhain bei Obermörlen; Großendorf bei Büdingen; Friedberg, Stadtkirche.
  13. Altweilnau, Torturm, vgl. 800 Jahre Altweilnau (2008) 85f.
  14. Walter, Glockenkunde (1913) 786.
  15. Siehe Inschrift der verloren gegangenen Glocke aus Eibingen in DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis (1997) Nr. 68.
  16. Siehe Glockeninschrift der katholischen Pfarrkirche in Hallgarten in DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis (1997) Nr. 68.
  17. Fritzen, Glockengiesser (1949/50) 84.
  18. 800 Jahre Altweilnau, (2008) 86.
  19. Ein Haus „Zum Glockengießer“ ist in Mainz in der Leichhofstr. 10 und in der Schusterstr. 38 bekannt; vgl. hierzu Fritzen, Glockengiesser (1949/50) 84.
  20. Vgl. hierzu Binding, Masswerk (1989) 278, Abb. 315.
  21. Vgl. hierzu Binding, Masswerk (1989) 256, Abb. 289.
  22. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 221 bezeichnen die Arbeit als „sehr derb und roh“.
  23. Vgl. Kniffler, Grabdenkmäler (1978) 31 und Schälicke-Maurer, Das Alte Kaufhaus (1966) 349f.
  24. Puth, Visualizing (2007) 97.

Nachweise

  1. Würdtwein, Commentatio (ca. 1764) 54.
  2. Schunk, Kurzgefasste historische Nachricht (1809) 33.
  3. Moller, Denkmäler I (1821) Taf. 13 (n.e.).
  4. Brühl, Mainz (1829) 230.
  5. Wetter, Geschichte und Beschreibung (1835) 105.
  6. Werner, Dom zu Mainz I (1836) 278.
  7. Schaab, Stadt Mainz II (1844) 81.
  8. Lotz, Baudenkmäler (1880) 401 (erw.).
  9. Falk, Glocken- und Kunstgießer (1884–1885) Sp. 147.
  10. Walter, Glockenkunde (1913) 786, Anm. 1.
  11. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 221.
  12. Arens/Bauer, Einführung (1945) Nr. 15.
  13. DI 2, Mainz (1958) Nr. 36 mit Abb. und Nachzeichnung.
  14. Blänsdorf, Siste viator (2008) 21f., Nr. 4.
  15. Blänsdorf, Siste viator (2. Aufl. 2009) 22, Nr. 4.

Zitierhinweis:
DIO 1, Mainz, SN1, Nr. 37 (Rüdiger Fuchs, Britta Hedtke, Susanne Kern), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di002mz00k0003702.