Inschriftenkatalog: Stadt Mainz

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 1: Mainz (2011)

SN1, Nr. 19 Dom, Memorie A. 13. Jh.

Beschreibung

Memorienportal. An der Nordwand der Memorie befindet sich ein spätromanisches Stufenportal, das ursprünglich als Durchgang vom südlichen Seitenschiff zur Memorie diente. Diese Öffnung wurde Anfang des 15. Jahrhunderts vermauert und weiter östlich durch ein spätgotisches Portal, das von Madern Gerthener geschaffen wurde, ersetzt. Das Tympanon zeigt ein reliefiertes Brustbild eines Erzbischofs mit Mitra und Pallium, der in seiner rechten Hand ein Kirchenmodell des Mainzer Doms1) und in seiner linken ein geöffnetes Buch hält. Das Buch ist mit einer dreizeiligen Inschrift (C) über beide Seiten durchgehend beschrieben. Die den Rundbogen des Tympanons begleitende Inschrift (A) nennt mit dem hl. Martin den Patron des Domes. Der untere horizontale Abschluss des Bogenfeldes verewigt in einer weiteren Inschrift (B) den Namen des Stifters. Die farbige Fassung des Tympanons stammt aus dem 19. Jahrhundert.2) Als Worttrenner dienen halbkugelig vertiefte Punkte, die teilweise auf die Zeilenmitte und teilweise auf die Grundlinie gestellt sind.

Maße: H. 85; B. 172; Bu. 3–4 (A), 6 (B), 6,5 cm (C).

Schriftart(en): Spätromanische Majuskel.

Thomas G. Tempel [1/4]

  1. A

    + ▪ S(AN)C(TV)S ▪ MARTINVS

  2. B

    EMCHO ▪ ZAN ▪ FIERI ▪ ME ▪ FECIT

  3. C

    PAX ▪ HVIC ▪ D/OM(VI) ▪ ET ▪ O(MNIBVS) ▪ H(ABITANTIBVS) / ▪ I(N) ▪ EA ▪3)

Übersetzung:

(A) Der heilige Martin. – (B) Emcho Zan ließ mich machen. – (C) Friede diesem Haus und allen, die darin wohnen.

Kommentar

Die in der Inschrift (B) stehenden Buchstaben EMCHO ZAN werden unterschiedlich gedeutet. Mehrheitlich glaubt man den Vor- und Nachnamen eines Mannes zu erkennen, der einer Mainzer Patrizierfamilie namens „ad dentem“ mit Stammsitz in der Betzelgasse angehörte.4) Serarius fasste beide Wörter zu EMGNOZAN zusammen,5) was jedoch dem eindeutig gesetzten Worttrenner widerspricht. Eine Identifizierung des Stifters mit dem Dompropst Emicho von Leiningen, wie sie Werner vorschlug und somit die Entstehung des Portals ins 11. Jahrhundert verwies6), lässt sich sowohl baugeschichtlich als auch stilistisch nicht bestätigen.7) Kraus hielt es für möglich, dass die Inschrift retuschiert wurde, und schlug eine Auflösung des Namens mit EMO H(VIVS) E(CCLESIE) CAN(ONICVS) vor8), was jedoch von Kautzsch/Neeb abgelehnt wurde.9) Da der Name Emicho im 12. Jahrhundert besonders bei dem im Nahegau ansässigen Adelsgeschlecht der Wildgrafen verbreitet war, zog Schaab als Stifter auch Angehörige jener Familie in Betracht.10) ZAN wäre dann der Beiname.

Die kräftig profilierten Kämpfer sowie die Kapitelle des Portals, die in der Art rheinischer Kelchblockkapitelle gestaltet sind, erlauben eine Datierung in das frühe 13. Jahrhundert.11) Typologisch eng mit dem Mainzer Tympanonrelief verwandt sind ältere, nämlich das Relief des um 1160 entstandenen Nikolausportals des Wormser Doms und eine Supraporte in Trier St. Maximin.12) Dort werden Heilige als Halbfigur im bischöflichem Ornat ohne Nimbus dargestellt. Ebenso wie im Mainzer Tympanon hält auch der heilige Nikolaus in seiner linken Hand ein geöffnetes Buch, mit einer über zwei Seiten verlaufenden Inschrift. Zwar ist die Inschrift bisher nicht gedeutet worden, doch verweisen die Assistenzfiguren auf eine Einbindung in die Legende. Auch wenn sich die beiden Tympanonreliefs stilistisch unterscheiden, so dürfte das Wormser Portal dem Mainzer Bildhauer bekannt gewesen sein.13) Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass man in Mainz diesem Modell gefolgt wäre.

In der Literatur wird die Darstellung des Bischofs, vor allem wegen der begleitenden Inschrift, mit dem hl. Martin identifiziert. Als Patron der Bischofskirche und des Bistums ist sein Bild im Tympanonfeld des damals zum Kapitelsaal führenden Portals nichts Ungewöhnliches, finden sich doch im Dom und dem angrenzenden ehemaligen Stiftsbereich zahllose Darstellungen des Heiligen.14) Jedoch ergeben sich aus der Art und Weise der Darstellung auch einige Fragen. Auffallend ist zunächst, dass der Heilige ohne Nimbus, aber mit Pallium dargestellt ist. Dies ist zumindest ungewöhnlich, denn Heilige sind um 1200 generell mit einem Heiligenschein versehen und das Pallium war dem hl. Martin nicht verliehen worden. Daher trägt er zumeist, wenn er als Bischof dargestellt ist und nicht als Soldat zu Pferde, lediglich den bischöflichen Ornat, auch wenn es Ausnahmen gibt, wie auf dem Altarretabel aus der Michaelskapelle (Nr. 31). Beachtenswert sind darüber hinaus die Attribute, die ihm hier beigegeben sind: ein geöffnetes Buch und das Modell des Mainzer Domes. Beides sind Gegenstände, die sonst mit dem hl. Martin nicht in Verbindung zu bringen sind. Es stellt sich also die Frage, wen der Stifter Emcho auf dem Tympanonfeld dargestellt haben wollte: den hl. Martin, wie es die Inschrift auf dem Rundbogen nahelegt, oder doch jemand anderen? Denn bei dem Dargestellten ohne Nimbus, aber mit Pallium und dem Dommodell in der Hand könnte es sich auch um den fundator, den Erbauer des Domes, Erzbischof Willigis handeln. Dazu würde auch die Inschrift des Buches passen, das er in der linken Hand hält und dem Betrachter demonstrativ entgegenstreckt. Denn die Inschrift – in Anlehnung an Lukas 10,5 – bezieht sich auf den Hausfrieden und wurde als Segensspruch auch bei der Kirchweihe gesprochen. Nach dem dreimaligen Umzug um die Kirche öffnete man das Portal und es folgte der Eintritt des Bischofs und des ihn begleitenden Klerus. Dann bezeichnete der Bischof die Schwelle mit einem Kreuz und sprach den Segensspruch: PAX HVIC DOMVI, so wie er auf den Buchseiten zu lesen ist.15) Daher nennt die Namensinschrift des Bogens möglicherweise gar nicht den Dargestellten, sondern die Person, der das Modell, der Mainzer Dom, übergeben werden soll. Dies würde auch dem Denken der Entstehungszeit am Anfang des 13. Jahrhunderts entsprechen, da damals das eigentliche Bildthema nicht der Stifter als solcher, sondern die Dedikation der Stiftung, also die Übergabe des gestifteten Gegenstandes an den Heiligen, die Gottesmutter oder an Christus war. So könnte Emcho, der Stifter des Portals, Erzbischof Willigis, den Stifter des neuen Doms, dargestellt haben, wie dieser im Begriff ist, dem nur in der darüber stehenden Inschrift genannten hl. Martin sein Haus zu überreichen, zu dessen Weihe er den Segensspruch sprach. Die Darstellung des Fundators nach so langer Zeit erklärt sich wohl auch aus der in der Mitte des 12. Jahrhunderts betriebenen Heiligsprechung.16)

Mehrmals wurde darauf hingewiesen, dass das Relief der Tympanonfigur mit dem archaischen Gesichtsausdruck, dem wulstartigen Faltenwurf und den plump modellierten Händen weniger geschickt ausgeführt worden ist als die sorgfältig bearbeiteten Kelchblockkapitelle mit ihren an langen diamantierten Stielen herauswachsenden Akanthusblättern.17) Trotzdem muss davon ausgegangen werden, dass sowohl das Tympanonrelief als auch die Kapitelle von einem einzigen Künstler geschaffen worden sind. Zwar beherrschte der Künstler sehr gut die Darstellung pflanzlicher Motive, tat sich jedoch mit figürlicher Skulptur schwer. Ähnliche Qualitätsunterschiede lassen sich auch am Marktportal des Mainzer Doms beobachten.18)

Die Inschrift des Memorienportals weist ebenso wie das Tympanonrelief handwerkliche Mängel auf. So bewirken die unregelmäßig großen Buchstaben, das gemeinsame Auftreten von Unzialen und Kapitalen, die häufig von der Grundlinie abweichen, sowie die unregelmäßigen Buchstabenabstände ein unruhiges Erscheinungsbild. Trotzdem kann man die aus dem Stil der Bauplastik gewonnene Datierung mit der Buchstabenanalyse stützen. Zeitkonform sind spielerisch-unregelmäßige Proportion, Einmischung von unzialen und runden Buchstaben (E, H, M, T), Bogenschwellungen und zum Abschlussstrich verdichtete Sporen beim unzialen E sowie an Einzelformen trapezförmig-symmetrisches A, links geschlossenes unziales M, R mit auf die Cauda gesetzter Schwellung und sichelförmig rundes T. Wechselnde Strichstärke und -tiefe, also unregelmäßige Flächigkeit, sowie die wenigen Abschlussstriche verraten die Unsicherheit des Herstellers bei der Umsetzung gotisierender Merkmale.

Anmerkungen

  1. DI 2, Mainz (1958), Nr. 27; von Winterfeld, Kaiserdome (1993) 162; Schwoch, Locus memoriae (2008) 92.
  2. DI 2, Mainz (1958) Nr. 27.
  3. Mt 10, 12; Lk 10, 6.
  4. Schaab, Stadt Mainz II (1844) 53; Kraus, Christliche Inschriften II (1894) Nr. 236; DI 2, Mainz (1958) Nr. 27.
  5. Serarius, Moguntiacarum rerum (1604) 109. Ihm folgt Schunk, Kurzgefasste historische Nachricht (1809) 32.
  6. Werner, Dom von Mainz I (1836) 334.
  7. DI 2, Mainz (1958) Nr. 27.
  8. Kraus, Christliche Inschriften II (1894) Nr. 236.
  9. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 376.
  10. Emicho VI. (1076–1123); Emicho VII. (1103–1135), vgl. Schaab, Stadt Mainz II (1844) 53.
  11. Von Winterfeld, Kaiserdome (1993) 162.
  12. Schwoch, Bauzier (2010) 160f. zum Nikolausportal; ebd. 125–127 zu typologisch verwandten Tympanagestaltungen mit weiterer Literatur.
  13. Ebd. 161.
  14. Hierzu vgl. Arens, St. Martin (1982) 9–56.
  15. Vgl. Wünsche, Quomodo ecclesia debeat dedicari (2006) 120.
  16. Vgl. Hehl, Mainzer Kirche (2000) 256.
  17. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 377; DI 2, Mainz (1958) Nr. 27.
  18. Von Winterfeld, Kaiserdome (1993) 162.

Nachweise

  1. Serarius, Moguntiacarum rerum (1604) 109 (A–C).
  2. Fragmenta Gamans II (ca. 1660) fol. 78r (A–C).
  3. Bourdon, Epitaphia (1727) 146 (A–C).
  4. Werner, Dom von Mainz I (1836) 334 (A–C).
  5. Schaab, Stadt Mainz II (1844) 53 (C).
  6. Lotz, Kunst-Topographie II (1862/1863) 263 (C).
  7. Bockenheimer, Dom zu Mainz (1879) 41 (B, C) mit Nachzeichnung.
  8. Otte, Kunst-Archäologie I (1883) 425 (A).
  9. Kraus, Christliche Inschriften II (1894) Nr. 238 (A–C).
  10. Bauer, Mainzer Epigraphik (1926) 34 (A–C) mit Nachzeichnung Abb. 59.
  11. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 376 (A–C).
  12. DI 2, Mainz (1958) Nr. 27 (A–C) mit Nachzeichnung.
  13. Lenhard, Memorie (1962) 114 (A).
  14. Jung, Mainzer Dom (1975) 159 (B).
  15. Arens/Binding, Dom zu Mainz (1998) 60 (C).
  16. Blänsdorf, Siste viator (2008) 82, Nr. 70 (A–C).
  17. Blänsdorf, Siste viator, (2. Aufl. 2009) 82, Nr. 70 (A–C).
  18. Schwoch, Bauzier (2010) 125 (B), 145 (A, B), 146 (C) mit Abb. 85.

Zitierhinweis:
DIO 1, Mainz, SN1, Nr. 19 (Rüdiger Fuchs, Britta Hedtke, Susanne Kern), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di002mz00k0001906.