Inschriftenkatalog: Mainz

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 1: Mainz (2011)

SN1, Nr. 38 Dom, Langhaus ca. 1335–1337

Beschreibung

Tumbenplatte des Erzbischofs Matthias von Bucheck († 1328). Der ursprüngliche Aufstellungsort der Platte ist unbekannt. Bis zum Jahr 1743 befand sich das Denkmal am ersten südlichen Arkadenpfeiler von Osten, was dem heutigen Aufstellungsort der Tumbenplatte Siegfrieds III. von Eppstein (Nr. 23) entspricht.1) Heute ist der Stein am südöstlichen Pfeiler vor dem Ostchor aufgehängt.

Die Platte besteht aus rotem Sandstein und wird von einem profilierten Rahmen eingefasst.2) Dieser weist in der äußeren Schräge ein Weinrankenmotiv auf, das an den Ecken von Wappenschilden durchbrochen wird. Auf der inneren Leiste des Rahmenprofils verläuft ein Inschriftenband, dessen Text oben an der linken Längsseite beginnt und im Gegenuhrzeigersinn fortgeführt wird; es war also beim Umschreiten der Tumba bequem zu lesen. Als Verstrenner dienen Quadrangel. Die Gestalt des Erzbischofs steht unter einem krabbenbesetzten Kielbogen, der von zierlichen Säulchen mit Blattkapitellen getragen wird. Zwischen dem Inschriftenband und den Säulchen sind zu beiden Seiten übereinander je zwei Heiligenfiguren in tiefe Nischen eingestellt. Die unteren Figuren stehen auf Blattmaskenkonsolen. Alle Figuren werden von Baldachinen bekrönt, von denen die oberen in krabbenbesetzten Fialen aufstreben. Links unten befindet sich die heilige Katharina mit ihren Attributen Rad und Schwert, darüber der heilige Benedikt, erkennbar am Abtsstab und dem Regelbuch. Rechts unten ist die heilige Klara oder Barbara dargestellt, die in ihren Händen ein Gefäß hält, darüber der heilige Georg oder Mauritius in Ritterrüstung mit den Attributen Lanze, Schwert und Schild. Über dem Arkadenbogen schwenken zwei einander zugewandte Engel Weihrauchfässer.

Der Erzbischof ist im vollen Ornat in eine tiefe Nische eingestellt. Sein Kopf ruht auf einem Kissen, seine Füße stehen auf einem Löwen und einem Basilisken, dem Symbol der Überwindung des Bösen und des Todes.3) In seiner rechten Hand hält er ein geschlossenes Buch, in seiner Linken das Pedum, das in der Krümme den heiligen Martin zu Pferd zeigt.4)

Das Denkmal wurde im Jahr 1834 renoviert und neu gefasst.5)

Maße: H. 317; B. 153; Bu. 3,5–5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien der Majuskel.

Thomas G.Tempel [1/7]

  1. + Mille trecentenis annis octoq(ue) vicenis ▪Matias presul istic comes licet exul ▪De buochecga) natus tamen exilio bene gratus ▪Magnanimus iustus virtutum sole perustus ▪ /Ueraxb) vt nostis inuictus (et) hostib(us) hostis ▪Donis magnificus et amicis fulsit amicus ▪ /Se satis hic strauit dum religione notauit ▪Hinc sublimari meruit quia pontificari ▪Annos octo quidem non plene rexerat idem ▪Heu datus hic tarmis probitatis luxit in armis ▪ /Exequias fle(n)das p(er)agas decasexta kale(n)das ▪Octob(ri)s .c) iuncta sibi sint celi bona cu(n)cta ▪amen

Übersetzung:

Im Jahre 1328 ist dort der Erzbischof, Graf, wenn auch in der Fremde (beigesetzt), geboren aus (der Familie) Bucheck, doch der Fremde sehr willkommen. Hochherzig, gerecht, von der Sonne der Tugenden versengt, wahrheitsliebend, wie ihr wisst, unbesiegbar und den Feinden ein Feind, mit Geschenken großzügig, und leuchtete den Freunden als Freund. Er hat sich (in Demut) sehr zu Boden geworfen, als er sich durch seinen Glauben bekannt machte. Daher verdient er es, erhöht zu werden, weil er es verdiente, zum Bischof erhoben zu werden. Nicht ganz acht Jahre hatte er regiert. Weh, er, der hier den Würmern übergeben wurde, leuchtete in den Waffen der Rechtschaffenheit. Das beweinenswerte Totenfest sollst du für ihn am 16. Tag vor den Kalenden des Oktober (= 16. September 1328) feiern. Bei ihm sollen alle Güter des Himmels sein. (JB)

Versmaß: Zwölf Hexameter, leoninisch zweisilbig gereimt.

Wappen:
MainzMainz
BucheckBucheck

Kommentar

Matthias von Bucheck wurde vermutlich in den siebziger Jahren des 13. Jahrhunderts geboren. Er gehörte dem Westschweizer Geschlecht der Grafen von Bucheck (Buchegg) an, die ihren Besitz in der Nähe von Solothurn hatten. Matthias von Bucheck trat in das Benediktinerkloster Murbach im Elsaß ein, wo er 1303 als Kustos bezeugt ist.6) 1313 wurde ihm die Propstei Luzern übertragen.7) Am 4. September 1321 ernannte ihn Papst Johannes XXII. zum Erzbischof von Mainz.8) Diese Wahl geschah mit der Zielsetzung, die Machtstellung der Luxemburger und damit einhergehend die Herrschaft Ludwigs des Bayern zu schwächen und die des Habsburger Gegenkönigs Friedrich von Österreich zu stärken. Matthias von Bucheck verhielt sich relativ neutral und unterstützte Ludwig den Bayern nach seinem Sieg in der Schlacht bei Mühldorf im Jahr 1322. Dies führte zu Konflikten mit dem Papst, so dass der Erzbischof sich schließlich von Ludwig dem Bayern abwandte. Am 9./10. September 1328 starb Matthias von Bucheck in Miltenberg.9) Er wurde im Mainzer Dom beigesetzt, der genaue Begräbnisort ist jedoch unbekannt.

Besonders hervorzuheben ist bei diesem Denkmal die anspruchsvolle Gestaltung des architektonischen Rahmens mit den seitlichen, in Nischen stehenden Heiligenfiguren. Diese Rahmung sollte für die nachfolgenden Erzbischofsgrabmäler bis in das 17. Jahrhundert verbindlich bleiben.10) Der Aufbau des Rahmens erinnert an ein gotisches mit Gewändefiguren ausgestattetes Kirchenportal. Man könnte dieses Element als Würdeformel verstehen, ebenso wie die Weihrauchfässer schwingenden Engel oberhalb des Bogens.11) Bei den seitlich angeordneten Heiligen handelt es sich um die persönlichen Schutzheiligen des Erzbischofs. So verweist der heilige Benedikt auf seine ehemalige Zugehörigkeit zum Benediktinerorden, der heilige Georg bzw. Mauritius könnte auf seine adlige Abstammung anspielen.12)

Die Datierung sowie der Auftraggeber des Grabmals sind umstritten. In der frühen Literatur wurde dies nicht problematisiert, da man voraussetzte, dass die Tumbenplatte kurz nach dem Tod des Erzbischofs entstand. Aufgrund des aufwändig gestalteten Architekturrahmens und der Bearbeitung der Gesichter, die an Metallarbeiten erinnern, wurden als Vorbilder französisch-flämische Metallgrabplatten in Betracht gezogen.13) So vermutete man, dass um 1320 in Mainz eine Werkstatt tätig war, die beginnend mit der Gestaltung des Aspelt-Grabmals (Nr. 39) eine Reihe von Kunstwerken im Mainzer Raum schuf. Dazu zählen auch die Kurfürstenreliefs der Zinnen des Mainzer Kaufhauses am Brand und das 1328 gegossene Taufbecken (Nr. 37)14), dessen Hersteller aber als Glockengießer bekannt ist und daher allenfalls zeitgenössische Skulptur rezipiert haben kann. Wegen seines plötzlichen Todes, so wird oft vermutet, habe der Erzbischof sein Grabmal nicht selbst in Auftrag geben können; es muss dann von einem seiner Nachfolger gesetzt worden sein, obwohl man nicht wissen kann, ob Bucheck noch an der Konzeption beteiligt war. Ein Datierungsvorschlag um 1337 ging von stilistischen Ähnlichkeiten des Bucheck-Grabmals zu den Chorstuhlwangen der Trierer Kartause aus15) und folgerte daraus weiterhin, dass Balduin von Luxemburg noch vor dem Ende seiner Mainzer Administration um 133716) die Tumbenplatte für seinen Vorgänger in Auftrag gegeben habe.17) Auf den Trierer Chorstuhlwangen ließ Balduin sich selbst und seinen Bruder Kaiser Heinrich VII. darstellen. Ähnlich sind vor allem die Physiognomien der dargestellten Personen, die Lockenbildung der Haare, der bei allen dreien knapp unter der Mitra bzw. unter der Krone heraustretende Pony sowie die kleinen Augen und die Grübchen im Kinn. Besonders der milde Gesichtsausdruck aller drei Figuren wurde hervorgehoben. Auch in der Faltenbildung der Gewänder hat man eine gemeinsame Vorliebe für senkrechte Parallelfalten erkannt, wenn auch mit der Einschränkung, dass beim Grabmal des Matthias von Bucheck die Verwendung dieser Parallelfalten zurückhaltender geschah und mit Schüsselfalten kombiniert wurde.18) Die sich allein auf diese stilistische Beobachtung stützende Datierung wird jedoch nicht allgemein akzeptiert. So muss die unterschiedliche Bearbeitung der Gewandfalten durch die Hand eines einzigen Künstlers Bedenken hervorrufen.19)

Um sich der Datierung der Tumbenplatte auf einem anderen Weg zu nähern, wurde ein weiteres Denkmal herangezogen, nämlich die Grabplatte des Günther von Schwarzburg, die sich in St. Bartholomäus in Frankfurt befindet und im Jahr 1352 geschaffen wurde.20) Diese ist dem Bucheck-Grabmal besonders in der anspruchsvollen Rahmenarchitektur und der gesamten Disposition aufs engste verwandt21). Aufgrund dieser Feststellung versuchte man die Tumbenplatte des Matthias von Bucheck zeitlich näher an das Frankfurter Denkmal heranzurücken, was eine Datierung in die 40er Jahre nahe gelegt hätte.22) Die Manieriertheit der gotischen Figuren in Frankfurt erklärt sich jedoch leichter bei einem größeren zeitlichen Abstand.

Wäre das Grabmal noch früher, also nahe am Todesjahr, entstanden, so würde es sich um eine außergewöhnlich frühe Verwendung der Gotischen Minuskel am Rhein handeln23), die man nicht erklären kann. Eine Datierung nach 1337 hätte zur Folge, dass nicht Balduin von Trier, sondern Heinrich III. von Virneburg das Grabmal des Matthias von Bucheck in Auftrag gegeben hätte.24) Eine solche Differenzierung lassen weder Schrift noch Stil zu. Eine zeitliche Einordnung näher an der Inschrift für Peter von Aspelt (Nr. 39), für die es zusätzliche Indizien anhand einer politischen Einordnung des Denkmals zu geben scheint, ließe sich allerdings mit der Beobachtung vereinbaren, dass sich zumindest die beiden Inschriften in Minuskeln und die Majuskelversalien der Versanfänge soweit gleichen, dass sie einer einzigen Werkstatt zugeschrieben werden müssen. Die beiden Reliefarbeiten einer Hand zuzuweisen, hat freilich noch niemand gewagt; die Unterschiede der Komposition ergeben sich aus den unterschiedlichen Zielsetzungen der Darstellung, die hier ausschließlich auf die persönliche Memoria ausgerichtet ist, bei Peter von Aspelt jedoch eine zusätzliche politische Aussage beinhaltet.

Textkritischer Apparat

  1. o klein über u hochgestellt.
  2. Der Balken des x ist nicht ausgeführt, die Kerbe des U trogartig.
  3. Der Punkt auf der Grundlinie zeigt an, dass der Gedanke die Versgrenze überschreitet; diese Markierung kommt nur an dieser Stelle vor.

Anmerkungen

  1. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 239.
  2. Eine Zeichnung des Profils siehe bei Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 234, Abb. 87c.
  3. Ps 90, 11–13.
  4. Ob die Darstellung des heiligen Martin in der Krümme zum originalen Zustand gehört, wird von Kniffler bezweifelt, die auf eine Zeichnung Cöntgens hinweist, auf der in der Krümme nicht der hl. Martin, sondern eine Rosette abgebildet ist; vgl. Kniffler, Grabdenkmäler (1978) 27.
  5. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 239.
  6. Vogt, Regesten I/1 (1913) Nr. 2261.
  7. Vogt, Regesten I/1 (1913) Nr. 2263.
  8. Vogt, Regesten I/1 (1913) Nr. 2285.
  9. Vogt, Regesten I/1 (1913) Nr. 2961.
  10. Kessel, Memorialfunktionen (1994) 14.
  11. Heinz/Rothbrust/Schmid, Grabdenkmäler (2004) 157.
  12. DI 2, Mainz (1958) Nr. 37.
  13. Vgl. Kniffler, Grabdenkmäler (1978) 31f. So nennt Kniffler die Grabplatte der Agnes de Saint Amand in Rouen († 1296) und die der Marie Guerande de Mondidier in Evreux († 1317).
  14. Vgl. Kniffler, Grabdenkmäler (1978) 31f.
  15. Die Chorstuhlwangen lassen sich dank einer dendrochronologischen Untersuchung relativ exakt in die Mitte der 1330er Jahre datieren.
  16. Balduin von Luxemburg war von 1331 bis 1337 Administrator des Mainzer Erzbistums.
  17. Kessel, Sepulkralpolitik (1997) 18f.
  18. Kessel, Sepulkralpolitik (1997) 18f.
  19. Vgl. Puth, Visualizing (2007) 109f. Hier muss man Puth zustimmen; zudem wurde es bisher versäumt, auf die in einem sanften Schwung auslaufenden Staufalten zu Füßen des Erzbischofs hinzuweisen, die bei den Figuren der Trierer Chorstuhlwangen gänzlich fehlen, jedoch konstituierend für den Gesamteindruck des Bucheck- sowie des Aspelt-Grabmals sind.
  20. Das Datum der Errichtung der Grabplatte beruht auf Chronistenwissen; vgl. hierzu Bott in: Parler I (1978) 245.
  21. Kessel weist darauf hin, dass es sich sogar um die gleichen Heiligen handelt; vgl. hierzu Kessel, Memorialfunktionen (1994) 19.
  22. Puth, Visualizing (2007) 110.
  23. Puth, Visualizing (2007) 110.
  24. Diese Meinung vertrat auch Kessel, Memorialfunktionen (1994) 19, bis sie sich schließlich für Balduin von Trier als Auftraggeber entschied, Vgl. Kessel, Sepulkralpolitik (1997) 18f.

Nachweise

  1. Fragmenta Gamans II (ca. 1660) fol. 16r.
  2. Joannis, Rerum Moguntiacarum I (1722) 651.
  3. Bourdon, Epitaphia (1727) 35.
  4. Gudenus, Codex diplomaticus II (1747) 821.
  5. Werner, Dom von Mainz I (1836) 270.
  6. Vogt, Regesten I/1 (1913) Nr. 2961.
  7. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 239.
  8. Sartorius, Inschriften (ca. 1928) 2 (Übers.).
  9. DI 2, Mainz (1958) Nr. 37.
  10. Kerber, Denkmäler (1975) 400 (erw.).
  11. Kniffler, Grabdenkmäler (1978) 28.
  12. Arens/Binding, Dom zu Mainz (1998) 86f. (Übers.).
  13. Heinz/Rothbrust/Schmid, Grabdenkmäler (2004) 156 (erw.).
  14. Puth, Visualizing (2007) 110 (erw.).
  15. Blänsdorf, Siste viator (2008) 61f., Nr. 49.
  16. Blänsdorf, Siste viator (2. Aufl. 2009) 61f., Nr. 49.

Zitierhinweis:
DIO 1, Mainz, SN1, Nr. 38 (Rüdiger Fuchs, Britta Hedtke, Susanne Kern), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di002mz00k0003800.