Inschriftenkatalog: Mainz

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 1: Mainz (2011)

SN1, Nr. 32 Dom, Memorie/Nikolauskapelle 1310

Beschreibung

Grabplatte oder Kenotaph des Dompropstes Jakob de Normannis. Die rote Sandsteinplatte, die man zusammen mit einer weiteren (Nr. 33) in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckt hat1), ist in Zweitverwendung in die doppelläufige Wendeltreppe zwischen Memorie und Nikolauskapelle verbaut, wo sie als Abdeckung der beiden Treppenläufe dient. Die Wendeltreppe ist im frühen 15. Jahrhundert2) zusammen mit dem Bau der Nikolauskapelle entstanden. Die eine Spindel ist von der Südwand der Memorie, die andere von der Nikolauskapelle aus zugänglich. Beide Treppenläufe führten zur ehemaligen Bibliothek, die sich im Obergeschoss des gotischen Kreuzganges befand.3) Der Stein ist im Ganzen erhalten, lässt sich jedoch nicht vollständig lesen, da die rechte obere und rechte untere Ecke durch den Einbau der Treppenspindel verdeckt werden. Die Platte wird von einer Umschrift zwischen Linien gerahmt, die links oben beginnt und im Uhrzeigersinn umläuft. Das Innenfeld enthält eine ganzfigurige Ritzzeichnung des Verstorbenen, dessen Gesicht von kinnlangem lockigem Haar gerahmt wird und der im Gewand eines Klerikers gekleidet ist. Auf seinem Kopf trägt der Verstorbene ein Birett (?) und über seinem linken Arm ein Manipel, der ihn als Kleriker ausweist. Die trogförmige Kerbe der Majuskeln ist noch teilweise mit einer farbigen organischen Masse gefüllt. Als Worttrenner dienen halbkugelig vertiefte Punkte.

Maße: H. ca. 220; B. 85; Bu. 7 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Thomas G.Tempel [1/4]

  1. + AN[NO – – – / – – –] JACOB(VS) ▪ P(RE)POSIT(VS) [– – – / – – – CLEMEN]TIS / CVIVS ▪ A(N)I(M)A ▪ REQ(VI)E[SCAT IN] ▪ PACE ▪ AMEN

Übersetzung:

Im Jahr (des Herrn … starb …) Jakob, Propst (...am Tag nach dem Fest des hl.) Clemens. Seine Seele ruhe in Frieden. Amen.

Kommentar

Mit der Schrift, einer entwickelten Gotischen Majuskel mit den üblichen Bogenschwellungen, keilförmigen Verbreiterungen der Schäfte und Abschlussstrichen, aber auch mit älter wirkenden Buchstaben wie trapezförmigem A, links geschlossenem unzialem M und kapitalem N mit dünnem Schrägbalken kann die Platte dem frühen 14. Jahrhundert zugewiesen und so der Verstorbene mit dem Dompropst Jakob de Normannis gestorben am 24. November 13104), identifiziert werden. Auch Arens versuchte den Verstorbenen mit Jakob de Normannis, zu identifizieren, jedoch gelang es ihm nicht, die Inschrift richtig aufzulösen.5) In der ersten Textlücke stand also die entsprechende Jahreszahl in lateinischen Zahlzeichen, in der zweiten möglicherweise eine Ergänzung zur Dignität wie HVIVS ECCLESIE und anschließend beim Todestag CRASTINO SANCTI, jeweils mit Kürzungen; aus diesen Ergänzungen ergibt sich der genannte Todestag, eben der Tag nach dem Fest des hl. Clemens (23. November).

Jakob de Normannis, vermutlich einer stadtrömischen Familie angehörend6), war Kaplan und Notar des Papstes Bonifatius VIII., von dem er am 17. März 1301 die Mainzer Dompropstei erhielt. Zusätzlich war er Erzdiakon in Narbonne sowie Kanoniker an verschiedenen Kirchen der Diözese Cambrai.7) Das Amt des Mainzer Dompropstes, bei dem es sich um ein besonderes Ehrenamt handelte, wurde im 14. Jahrhundert nahezu ausschließlich päpstlichen Günstlingen verliehen. Diese mussten, sehr zum Ärger des Domkapitels8), weder Kapitularkanoniker sein noch waren sie gezwungen, sich in Mainz aufzuhalten.9) Zu den wichtigsten Aufgaben des Dompropstes gehörte es, die Pfründeneinkünfte auszuzahlen bzw. zu verteilen. Da die vom Papst ernannten Dompröpste sich meist an der Kurie und nur selten in Mainz aufhielten, vernachlässigten sie diese Aufgabe, so dass man Prokuratoren einsetzte, um diesen Missstand zu beheben. Auch Dompropst Jakob de Normannis hielt sich so gut wie nie in Mainz auf, so dass er vom Mainzer Domherrn Emicho von Sponheim vertreten wurde.10) Am 24. November 1310 verstarb Jakob, jedoch ist weder bekannt, wo er verstarb noch wo er bestattet wurde. Sehr unwahrscheinlich ist es, dass Jakob de Normannis in Mainz starb und dort seine letzte Ruhestätte fand. Deswegen ist anzunehmen, dass es sich bei dem Inschriftenträger nicht um eine wirkliche Grabplatte, sondern um ein Kenotaph handelt. An diesem wurden wahrscheinlich nur für eine kurze Zeit die Seelenmessen für den verstorbenen Dompropst gefeiert. Da Jakob de Normannis als Landesfremder keine familiären Verbindungen und als päpstlicher Günstling keine kollegialen Verbindungen zum Kapitel besaß, gab es niemanden, der für die Fortführung des Totengedenkens gesorgt haben könnte. Es ist deshalb leicht nachzuvollziehen, dass die Steinplatte wie die benachbarte (Nr. 33) schon nach einer relativ kurzen Zeit von ihrem ursprünglichen Aufstellungsort entfernt und als Baumaterial benutzt wurde.

Anmerkungen

  1. DI 2, Mainz (1958) Nr. 64.
  2. Arens/Binding, Dom zu Mainz (1998) 138.
  3. Vgl. hierzu Arens/Binding, Dom zu Mainz (1998) 138f.
  4. Hollmann, Domkapitel (1990) 420.
  5. DI 2, Mainz (1958) Nr. 64.
  6. Hollmann, Domkapitel (1990) 420.
  7. Kisky, Domkapitel (1906) 140; Vogt, Regesten I/1 (1913) Nr. 687.
  8. Vgl. hierzu Vogt, Regesten I/1 (1913) Nr. 687.
  9. Vgl. hierzu Hollmann, Domkapitel (1990) 116 und Vogt, Regesten I/1 (1913) Nr. 687.
  10. Hollmann, Domkapitel (1990) 116, Anm. 482.

Nachweise

  1. DI 2, Mainz (1958) Nr. 64.
  2. Arens, Neue Forschungen (1975) 135.

Zitierhinweis:
DIO 1, Mainz, SN1, Nr. 32 (Rüdiger Fuchs, Britta Hedtke, Susanne Kern), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di002mz00k0003202.