Inschriftenkatalog: Mainz

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 1: Mainz (2011)

SN1, Nr. 16 Dom, Kreuzgang Mitte 12. Jh.

Beschreibung

Schenkungsurkunde aus St. Ignaz. Querrechteckige Steinplatte aus gelbem Sandstein mit einer neunzeiligen Inschrift. Bis 1891 in der Kirchhofmauer von St. Ignaz vermauert, dann am heutigen Standort im Westflügel des Kreuzgangs neben dem Memorienportal aufgehängt. Die Inschriftentafel weist vor allem im rechten oberen Bereich starke Verwitterungen auf, wodurch die Schrift teilweise unleserlich geworden ist. 1881 nahm Schneider eine Abschrift der Tafel vor, die damals offensichtlich besser erhalten war.1) Als Worttrenner dienen unregelmäßig gesetzte und nicht immer eindeutig identifizierbare halbkugelig vertiefte Punkte.

Maße: H. 48; B. 65; Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Romanische Kapitalis.

Thomas G. Tempel [1/1]

  1. NOTV(M) ▪ SIT ▪ O(MN)IBVS ▪ TA(M) ▪ P(RE)SENTIB(VS)a) Q(V)A(M)b) FVTVR[IS] / Q(VO)D EGO HELFRIC[VS ET VXOR] ▪ MEA CHR(IST)IN[A]c) / HVIC ▪ ECCL(ES)IEd) AREA(M) [DE] CLVN[..E.ME..]TE[..]e) / AD AVSTRALE(M) PARTE(M) PRO REMEDIO A(N)I(M)E ▪ / N(OST)REf) CONTRADIDIM(VS) Q(V)ATEN(VS)b) IN DIE AN/NIVERSARII N(OST)RI VIG(I)LIAd) DECANTETV(R) / MISSAQ(VE) ▪ P(RO) DEFVNCTIS OB MEMOR(I)A(M) ▪ N(OST)R(AM)f) / CV(M) C(OM)PVLSATIONE CELEBRET(VR)g) ▪ ID(IBVS) ▪ IAN(VARII) / O(BIIT) ▪ CHR(IST)INAh) ▪ XII ▪ K(A)L(ENDAS) MAR(TII)i) O(BIIT) HELFRIC[(VS)]

Übersetzung:

Bekannt sei allen Gegenwärtigen wie Zukünftigen, dass wir, ich Helferich (und) meine (Frau) Christina dieser Kirche ein Grundstück2) (…) an der Südseite (des Friedhofs?) zu unserem Seelenheil übergeben haben, damit am Tage unseres Jahresgedächtnisses die Vigil gesungen und die Totenmesse zu unserem Gedächtnis mit Glockenläuten gefeiert wird. An den Iden des Januar (13. Januar) starb Christina, am 12. Tage vor den Kalenden des März (18./19. Februar) starb Helferich. (nach JB)

Kommentar

Schenkungsinschriften, die als Stiftungen Grundstücke, Wiesen, Äcker, Weinberge oder Häuser nennen, lassen sich im deutschen Sprachraum bis etwa 1300 nachweisen. Danach kommen fast ausschließlich Dotationen in Form von Geld, Getreide oder Holz vor.3) Da Schenkungsinschriften mehrheitlich in oder an den bedachten Bauteilen von Kirchen vorkommen, die vorliegende Inschriftentafel jedoch an der Innenseite einer Friedhofsmauer verbaut worden war, bezweifelt Müller, dass dieser Ort mit dem ursprünglichen Herkunftsort identisch ist.4) Offen bleiben muss auch, um welches Grundstück es sich bei der Stiftung gehandelt hat. So lassen sich aufgrund der starken Verwitterung in der dritten Zeile nach AREA(M) kaum mehr Buchstaben entziffern. Ältere Ergänzungen zu CONTIGVAM CIMITERII oder zu CIMITERIO CONTIGVAM5), wurden akzeptiert6), weil dadurch auch der ungewöhnliche Standort der Tafel unter freiem Himmel zu erklären wäre. Da in der Inschrift die beschenkte Kirche nicht namentlich genannt wird, bleibt der Empfänger der Stiftung ungewiss. Eine urkundliche Vorlage für die Inschrift hat sich nicht erhalten.

Der Stifter Helferich könnte mit einem Ministerialen identisch sein, der 1135 im Adalbert- Privileg in der zweiten Zeugenliste als „Helpheric“ aufgeführt wird.7) Er stammte aus dem Mainzer Stadtteil Selenhofen und wurde 1155 von Erzbischof Arnold von Selenhofen, mit dem er verwandt war, zum Viztum (vicedominus) ernannt. Helferichs überregionaler Einfluss machte ihn zu einem der wichtigsten Helfer Arnolds.8) Nach dessen Tod im Jahr 1160 musste Helferich sein Amt an Embricho IV. abtreten.9) Da die Ignazkirche beim Sitz des Ministerialen Helferich von Selenhofen lag, könnte sie in der Tat die Empfängerin seiner Stiftung gewesen sein, zumal die einzige weitere private Urkundeninschrift10) ebenfalls dieser Kirche galt.

Die Inschrift entspricht in ihrer Form einer Notitia.11) Eingeleitet wird sie mit der Publicatio NOTVM SIT OMNIBVS... Die darauf folgende Dispositio beschreibt den eigentlichen rechtlichen Vorgang, die Schenkung eines Grundstücks an die Kirche und die damit verbundenen, detailliert beschriebenen Gegenleistungen anlässlich der Jahrgedächtnisse des Ehepaares. Die letzte Zeile mit den Todesdaten Helferichs und seiner Frau Christina könnte nachträglich hinzugefügt worden sein, da die Buchstaben häufig von der Grundlinie abweichen, was in den übrigen Zeilen nicht der Fall ist, und ein Wechsel in der Aussage von der ersten zur dritten Person stattfand. Daher vermutet man mehrheitlich, dass die Inschrift noch zu Lebzeiten des Ehepaares entstand und die Todesdaten zu einem späteren Zeitpunkt ergänzt wurden.12) Der Umstand, dass Buchstaben von der Grundlinie abweichen, ist dem Bemühen des Steinmetz geschuldet, in der zweiten Hälfte der Zeile Buchstaben durch kleinere Dimension von einer gefährdeten Kante fernzuhalten. Dies ist eindeutig bei dem sehr kleinen I im letzten Wort zu erkennen. Im übrigen ist der Abstand zur vorangehenden Zeile kleiner als der im übrigen Text und nimmt sogar an den bedrohten Stellen noch mehr ab. In welchem Abstand der Nachtrag vorgenommen wurde, weiß man nicht.13)

Vielfach wurden paläographische Ähnlichkeiten zur Inschrift des Adalbert-Privilegs (Nr. 12) am Marktportal hervorgehoben, wie z. B. die zahlreichen Buchstabenverbindungen, die Kürzungszeichen und die Verteilung der Buchstabentypen. Zudem strich Bauer heraus, dass überschriebene cc-a, wie sie in der Schenkungsurkunde vorkommen, bisher nur noch in der Inschrift des Marktportals nachzuweisen sind. Wenn auch die Inschrift aus St. Ignaz eine geringere Qualität aufweise als die des Adalbert-Privilegs, so habe letztere doch die Monumentalisierung der Schenkungsurkunde aus St. Ignaz veranlasst; das lege diese paläographische Übereinstimmung nahe.14) Dieses Argument greift zu kurz, weil die aus der Urkundenpraxis stammenden überschriebenen Minuskel-a nur für Urkundeninschriften benutzt wurden und folglich in solchen vorkommen könnten, die von einer Ausfertigung beeinflusst sind; dass diese Bauer und den Bearbeitern nicht greifbar waren, spielt keine Rolle. Im übrigen dürfte schon die wahrscheinliche Beteiligung Helferichs an der zweiten Beurkundung Adalberts als Anregung genügt haben, eine inschriftliche Fixierung der Schenkung vorzunehmen.

Für die Datierung der Inschrift zog Bauer die um 1156 entstandene Schwarzrheindorfer Weiheinschrift von St. Maria und St. Clemens15) heran, da sich hier besonders die Proportionen und Formen der Buchstaben A (kapital, symmetrisch, leicht trapezförmig), B (Bögen etwa gleich groß), R und S gleichen. Darüber hinaus sind viele Ligaturen in ganz ähnlicher Weise wie in der Schenkungsurkunde gebildet.16) Bei aller Ähnlichkeit kann man jedoch Unterschiede feststellen, nämlich die um weniges schlankere Proportion in Schwarzrheindorf, ihr Verzicht auf Unzialformen außer H, während in Mainz an unzialen und runden Formen benutzt sind: A, D, E, M, N; die Mainzer Inschrift verfügt weiterhin über eckiges C, Q mit eingestellter Cauda und variantenreichere R, über mehrfach leicht nach rechts geneigte S sowie eine stärkere Betonung der Schattenstriche, nicht jedoch über tironische ET. Insgesamt stellt sich die Mainzer Inschrift in einem unregelmäßigeren Duktus dar. Trotzdem ist Verwandtschaft zur Schwarzrheindorfer Inschrift, aber auch zur Mainzer Domtür zu erkennen, letzteres über die hochgestellten Minuskeln hinaus unter anderem in den Unzialvarianten, den Nexus, im eckigen C, im hochgebogenen Bogenende des geschlossenen unzialen D und in der eingestellten Cauda des Q. Die paläographische Datierung um bzw. kurz nach der Mitte des 12. Jahrhunderts wird durch eine Identifizierungshypothese für Helferich gestützt, der als Viztum17) des Erzbischofs Arnold von Selenhofen (1153–1160) wirkte und somit für die nahe beim Geburtsort seines Gönners liegende Ignazkirche gestiftet hätte.

Textkritischer Apparat

  1. In der Nachzeichnung gibt Arens E mit Kürzungsstrich statt P mit Kürzungsstrich wieder. Davor schreibt Arens um als QA für QVAM, in der Klarschrift jedoch TAM, so schon korrigiert im Nachtrag in DI 2, Mainz (1958) S. 707.
  2. Überschriebenes Minuskel-a, gebildet aus zwei c-Bögen.
  3. Der Text an der stark zerstörten Stelle nach HELFRIC teilweise ergänzt nach Kraus, dem Arens und andere folgen; Grundlage ist wohl die Lesung der letzten Zeile.
  4. I klein über L geschrieben.
  5. Nach AREA die meisten der Buchstaben bis auf DE auch in der Nachzeichnung bei Arens, von Schneider gedeutet als CONTIGVAM CIMITERII, von Kraus vorschlagsweise aufgelöst als CONTIGVAM SITAM. Arens lokalisiert von seinen letzten Buchstaben MTERI ausgehend das geschenkte Land bei einem Friedhof.
  6. Nexus von N und R.
  7. Nexus litterarum in falscher Buchstabenfolge TE gebildet.
  8. Buchstabenbestand: XPINA.
  9. In seiner Abschrift gibt Schneider das M als ein symmetrisches unziales M mit Abschlussstrich wieder, was von Bauer bezweifelt wird. Es handelt sich um ein der Datierung konformes links geschlossenes unziales M.

Anmerkungen

  1. Kraus II (1894) Nr. 256.
  2. Arens hält auch eine Übersetzung mit „Hofreite“ für möglich. Arens, Nachtrag in DI 2, Mainz (1958) 707.
  3. Müller, Urkundeninschriften (1975) 16.
  4. Müller, Urkundeninschriften (1975) 17, Anm. 25.
  5. Kraus vermisst jedoch mit Rücksicht auf die folgende vierte Zeile das syntaktisch wichtige Wort „SITAM“. Kraus II, Christliche Inschriften (1894) 256.
  6. DI 2, Mainz (1958) Nr. 17; Blänsdorf, Siste viator (2008) Nr. 127.
  7. Müller, Urkundeninschriften (1975) 66. Stimming, MUB I (1932) Nr. 600.
  8. Burkhardt, Stab und Schwert (2007) 308.
  9. Schöntag, Untersuchungen (1973) 173f.
  10. DI 2, Mainz (1958) Nr. 666.
  11. Müller, Urkundeninschriften (1975) 66.
  12. Bauer, Mainzer Epigraphik (1926) 32; DI 2, Mainz (1958) Nr. 17; Müller, Urkundeninschriften (1975) 66f.
  13. Kleiner dimensioniert sind nach der Reihenfolge im Text, soweit überhaupt erkennbar: K, L, M, O(BIIT), R, I, C.
  14. Bauer, Mainzer Epigraphik (1926) 3.
  15. Vgl. hierzu DI 50, Bonn (2000) Nr. 21 mit Abb. 30.
  16. Bauer, Mainzer Epigraphik (1926) 32.
  17. Stimming, MUB I (1932) Nr. 600.

Nachweise

  1. Schneider, Inschriften (1881) Nr. 228.
  2. Kraus, Christliche Inschriften II (1894) Nr. 256.
  3. Bergner, Kunstaltertümer (1905) 409.
  4. Kautzsch/Neeb, Dom zu Mainz (1919) 430.
  5. Klingelschmitt, Führer (1925) 27 (erw.).
  6. Bauer, Mainzer Epigraphik (1926) 32.
  7. DI 2, Mainz (1958) Nr. 17 und Nachtrag auf S. 707.
  8. Arens, Inschriften der St. Ignazkirche (1974) 266 (erw.).
  9. Müller, Urkundeninschriften (1975) 66f. (erw.).
  10. Koch, Inschriftenpaläographie (2007) 205.
  11. Blänsdorf, Siste viator (2008) 120, Nr. 127.
  12. Blänsdorf, Siste viator, (2. Aufl. 2009) 121, Nr. 127.

Zitierhinweis:
DIO 1, Mainz, SN1, Nr. 16 (Rüdiger Fuchs, Britta Hedtke, Susanne Kern), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di002mz00k0001600.