Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)

Nr. 44 St. Michaeliskirche 1492

Beschreibung

Glocke im Glockenstuhl des Turmes. Sie hängt als einzige im zweiten Rahmengestell von Süden1). Die Glocke zeigt eine umlaufende, einzeilige Schulterinschrift, ober- und unterhalb von je drei Stegen begrenzt, von denen die beiden äußeren größere Stärke besitzen als die inneren. Über dem obersten Steg verläuft ein Zierfries aus Blattornament. Die Inschrift beginnt auf der nach Westen zeigenden Glockenseite, die Buchstaben sind erhaben gegossen.

Maße: H.: 98,0 cm; Dm. unten: 139,0 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. + o · michael · milicie · celestis · signifer · in · adiutorium · nostrum · veni · princeps · ac · propugnator · noster · gherardus · de · wou · me · fecit · anno · domini · m · cccc · xcii

Übersetzung:

O Michael, Bannerträger der himmlischen Heerschar, komme uns zu Hilfe als unser Fürst und Vorkämpfer. – Gherardus de Wou hat mich geschaffen im Jahre des Herrn 1492.

Kommentar

Zur Worttrennung dienen Rosetten in gotischen Formen auf Zeilenmitte. Es ist wenig wahrscheinlich, daß der Inschrifttext ad hoc verfaßt wurde. Eine Vorlage hat sich indessen nicht ermitteln lassen. Zweifellos ist der Wortlaut durch die Liturgie des Michaelisfestes am 29. September beeinflußt. Bereits das Responsoriale von Compiègne aus dem 9. Jahrhundert enthält für die Vesper am Vorabend des Festes die Antiphon: Michael archangelus venit in adjutorium populo dei, in einem Responsorium für die Dritte Nokturn des Festtages selbst findet sich der Passus: Michael archangelus princeps vester2). Diese Formulierungen ihrerseits lassen die Abhängigkeit von der Niederschrift der Visionen Daniels erkennen3). Die Rolle Michaels als signifer der himmlischen Heerscharen ist vorgebildet durch die Schilderung des Drachenkampfes in der Apokalypse4). In der Aussage des Inschrifttextes verbinden sich diese biblisch bestimmten Motive mit der besonders seit dem Hochmittelalter weit verbreiteten Vorstellung des Erzengels als propugnator, der als Seelenwäger die Entscheidung des Jüngsten Gerichts zugunsten des Gläubigen zu beeinflussen vermag5).

Die Glocke wurde von Gherardus de Wou zusammen mit drei anderen für das Geläut der Klosterkirche geschaffen6).

Anmerkungen

  1. Zur Konstruktion des Glockenstuhls vgl. Nr. 43.
  2. Edition unter dem Titel „Liber Responsalis sive Antiphonarius“, in: PL 78, 1862, Sp. 725–850, hier Sp. 804 f.
  3. Vgl. Dan. 10, 13: „... et ecce Michael, unus de principibus primis, venit in adiutorium meum“; Dan. 12,1: „In tempore autem illo consurget Michael, princeps magnus, qui stat pro filiis populi tui; ...“.
  4. Vor allem Apc. 12,7 + 8: „Et factum est praelium magnum in caelo: Michael et angeli eius praeliabantur cum dracone, et draco pugnabat, et angeli eius: et non valuerunt neque locus inventus est eorum amplius in caelo.“
  5. Vgl. die Glockeninschrift unter Nr. 41 sowie Kretzenbacher, Seelenwaage, S. 64, 91.
  6. Vgl. Nr. 41, 42 und 43.

Nachweise

  1. Gebhardi, Coll. I, 1762, S. 369.
  2. Mithoff, S. 168.
  3. Wrede, Die Glocken der Stadt Lüneburg, S. 42.
  4. Walter, Glokkenkunde, S. 275.
  5. Wrede, Glocken, S. 593.

Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 44 (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0004408.