Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)
Nr. 40† St. Michaeliskirche (1472)
Beschreibung
Grabplatte des Caritators Johann von der Wense. Über Ausführung und Verbleib ist nichts bekannt, doch läßt sich der Standort der Platte sicher erschließen. In Rikemanns Manuskript steht die Inschrift für Johann von der Wense zwischen den Texten von der welfischen Familiengruft und der Grabplatte Ludolf von Heimbruchs1). Diese beiden Inschriftträger befanden sich westlich und südlich des Chores2). Da Rikemann in seinen Aufzeichnungen einem System folgte, das durch die örtlichen Gegebenheiten vorbestimmt war, ist zu vermuten, daß sich auch das Grab von der Wenses im Chorbereich befand. Der Lageplan von 1755 weist nur eine Sepultur nach, die unter dieser Voraussetzung in Betracht kommt: eine Grabstelle, die im dritten Joch von Osten des südlichen Seitenschiffes verzeichnet ist, unmittelbar an die Platte vom Grab Ludolf von Heimbruchs anschließend3). Ludwig Albrecht Gebhardi fand an derselben Stelle, „in der Kirche vor der mittelsten südlichen Thüre“, einen „ganz abgetretenen Leichstein“ vor4). In dem hier ausdrücklich erwähnten schlechten Erhaltungszustand der Platte liegt ganz offensichtlich begründet, daß das zugehörige Grab sowohl von Gebhardi als auch durch die Legende des Lageplans irrtümlich dem 1412 verstorbenen Prior Johann von Ilten zugewiesen wurde5). Diese Identifizierung beruht auf einer fehlerhaften Lesung der erhaltenen Inschriftteile und trifft nicht zu. Gebhardis Angaben zufolge ließ sich den noch zu erkennenden Buchstaben zwar der Name Johannes de Ilt .. entnehmen, doch demgegenüber sind die geringen Buchstabenreste, wie er sie als Zeichnung beifügt, nicht lesbar6). Sie erlaubten lediglich die Aussage, daß die Inschrift in gotischer Minuskel abgefaßt war. Daß Gebhardi selbst nicht restlos von seiner Zuweisung überzeugt war, ergibt sich daraus, daß er ohne genauere Angaben ein Manuskript Büttners erwähnt, in dem dieselbe Platte Johann von der Wense zugeschrieben wird7). Einer Diskussion der daraus resultierenden Unstimmigkeit weicht er aus. Der Hinweis auf Büttner und vor allem Rikemanns Überlieferung, der eine Platte für Johann von Ilten nicht übersehen hätte, machen Gebhardis Zuordnung hinfällig. Die Inschrift lautete8):
Anno Domini 14 .. ... obiit frater Johannes de Wensen, professus hui(us) monasterii et magister, cuius anima requiescat in pace ...
Übersetzung:
Im Jahre des Herrn 14 .. ... starb Bruder Johann von der Wense, Profeß dieses Klosters und Magister, dessen Seele ruhen möge in Frieden ...
Anmerkungen
- Fol. 57 r: welfische Familiengruft und Grabplatte Johann von der Wenses, fol. 57 v als erste Notiz die Inschrift von der Grabplatte Ludolf von Heimbruchs.
- Vgl. die Kommentare unter Nr. 27 und 13.
- Lageplan in: Gebhardi, Coll. VI, 1772, S. 381.
- Gebhardi, Coll. XV, 1798, S. 461.
- Johann von Ilten, ein Neffe des Wilkinus von Ilten (vgl. Nr. 12), urkundet noch am 19. November als Prior: Hodenberg, Lüneburger Urkundenbuch, 7. Abt., S. 593, Nr. 928. Am 24. Dezember des Jahres ist er nachweislich verstorben: ebd., S. 593–595, Nr. 929 (Bestätigung seines Testaments durch den Abt des Michaelisklosters).
- Wie Anm. 4.
- Gebhardi, Coll. XV, 1798, S. 536: „Nach Büttners Angabe soll der Nahme Wense auf einem ganz abgetretenen Leich-Steine neben dem Vornahmen Johann in der S. Michaelis-Kirche gelesen seyn. Aber andere lasen für Wense Ilten.“ Ebd., S. 461: „Büttner hat aber für Ilten Wense gelesen, vermöge einer Handschrift, die aber nichts weiter entziffert.“
- Rikemann, fol. 57 r.
- Hildebrand-Mieste (Bearb.), Der Hannöverische Adel, S. 17.
- Am bekanntesten wurde Georg von der Wense, der 1530 bis 1541 Hofmarschall der Herzöge und von 1547 bis 1562 Großvogt zu Celle war: Ohe, Zentral- und Hofverwaltung, S. 242 und 238.
- Hodenberg (wie Anm. 5), S. 661, Nr. 1086 (1440, Juli 1); S. 662, Nr. 1089 (1441, März 6); S. 693, Nr. 1162 (1465, April 21).
- Bei der Handschrift, die aus den Beständen der Bibliothek des Michaelisklosters an die Lüneburger Ritterakademie und von dort an die heutige Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen kam, handelt es sich um die Postillen des Nikolaus von Lyra über epistolas canonicas, actus apostolorum, epistolas Pauli. Der vollständige Schreibervermerk lautet: Explicit postilla mag. Nicolai de Lyra .. a. d. 1448 vigilia circumcisionis a. 45 incipiente sub expensis honorabilis domini Iohannis de Wensen karitatoris monasterii s. Michahelis in Luneborch: Verzeichnis der Handschriften im preußischen Staate, I, Hannover 2, Göttingen 2, S. 511 (Luneb. 28).
- Bodemann, Brüderschaften, S. 101 zu 1472: Johan van der Wense, en here van Sunte Michaele. Noch vor Johann von der Wense ist der Name des Bischofs von Verden Johann von Asel aufgeführt, der nach Aussage einer beigefügten Fußnote am 21. Juni 1472 verstarb. Daraus folgt, daß der Tod von der Wenses in die zweite Hälfte des Jahres fiel.
- Gebhardi, Coll. XV, 1798, S. 535 f. und S. 604. Danach das Folgende.
- Gebhardi, Coll. XV, 1798, S. 608.
- Gebhardi, Coll. XV, 1798, S. 535, S. 536.
- Wedekind, Noten, Bd. 1, S. 329.
Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 40† (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0004000.
Kommentar
In Rikemanns Überlieferung fehlt die vollständige Angabe des Todesdatums ebenso wie der Abschluß der Inschrift – ein Zeichen dafür, daß der Erhaltungszustand der Grabplatte bereits im 16. Jahrhundert nicht gut war. Grundsätzliche Zweifel an der Überlieferung bestehen indessen nicht: das gemeinhin übliche Formular bleibt trotz der Lücken deutlich zu erkennen. Daß von der Wense in der Inschrift nur als professus und nicht als Caritator bezeichnet ist, läßt sich darauf zurückführen, daß er seine Klosterämter gegen Ende seines Lebens aufgegeben hat. Der Wortlaut des Textes erlaubt auch Überlegungen darüber, wie es zu Gebhardis fehlerhafter Lesung des Namens gekommen sein könnte. Es zeigt sich, daß er die Worte Johannes de korrekt erfaßt hat, dann aber die drei folgenden Hasten des w, das offensichtlich nicht mehr deutlich lesbar war, als die drei Hasten der Buchstabengruppe ilt angesehen hat. Dieser Befund ist ein weiteres Argument für den Irrtum Gebhardis in der Zuweisung der Grabplatte.
Johann von der Wense entstammte einer lüneburgischen Adelsfamilie, die ihren Namen nach dem 55 km südwestlich Lüneburgs gelegenen Stammsitz führt. Seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts sind die Wenses urkundlich bezeugt9). Im 16. Jahrhundert stellten sie mehrfach hohe Verwaltungsbeamte in der Regierung des Landes10). Johann ist im Urkundenbuch des Michaelisklosters 1440 und 1441 als Konventual bezeugt, für 1465 als Caritator11). Dieses Amt versah er bereits 1445, wie sich aus einem Schreibervermerk in einer aus dem Kloster stammenden Handschrift ergibt. Es heißt dort, in diesem Jahre sei auf Veranlassung und Kosten Johannis de Wensen karitatoris mit der Niederschrift begonnen worden12). Für mindestens 20 Jahre also hat von der Wense die Amtsgeschäfte des Caritators wahrgenommen. Sein Todesjahr, 1472, ist durch das Totenregister des Kalands an St. Johannis zuverlässig bezeugt13), so daß die sichere zeitliche Einordnung der Inschrift möglich ist, obwohl Rikemann das Todesdatum nicht überliefert.
Gebhardi hat aus nicht mehr überprüfbaren Quellen eine relativ detaillierte Biographie Johann von der Wenses zusammengestellt14). Danach ist er bereits 1424 als Klosterschüler nachzuweisen, 1434 erstmals als Konventual. Vermutlich ist für die Zwischenzeit ein Studium anzunehmen, das er mit dem Erwerb des Magistergrades abschloß. Diese Annahme legt der Wortlaut der Inschrift nahe, in der dieser akademische Grad genannt ist. Ein Studium hat sich jedoch nicht nachweisen lassen, und auch Gebhardi erwähnt davon nichts. Es ist jedoch nicht zwingend, der Lesung Rikemanns deshalb zu mißtrauen. Zwischen 1442 und 1469 liegen mehrere Bezeugungen als Caritator. Nach 1469 hat von der Wense für kurze Zeit angeblich das Amt des Präbendarius übernommen15). In Personalunion scheint er auch die Aufgaben des Hospitalarius an St. Benedikti versehen zu haben; Gebhardi nennt entsprechende Belege für die Jahre 1450, 1459, 1465 und 1468. 1468 und 1469 soll von der Wense als Senior des Konvents fungiert haben. 1471 und 1472 tritt er ohne jede Amtsbezeichnung auf, scheint also alle Ämter niedergelegt zu haben. Wenn es zutrifft, daß er 1463 Pleban in Bergerwohlde (zu Bergen, 58 km südwestlich Lüneburg) und 1441 Vorsteher einer nicht näher bezeichneten Kapelle gewesen ist16), so dürfte er durch die Erträge der damit verbundenen Pfründen über ein gewisses Privatvermögen verfügt haben. Ob er daraus Stiftungen zugunsten des Klosters gebildet hat, ist nicht bekannt; die Einträge in das Nekrolog enden zur Mitte des 15. Jahrhunderts17).