Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)

Nr. 12† St. Michaeliskirche 1401

Beschreibung

Grabplatte des Priors Wilkinus von Ilten. Die Platte lag bis 1791 unmittelbar vor dem Chor1), der bis dahin im Unterschied zur heutigen Gestaltung um ein weiteres Joch nach Westen reichte und in diesem Bereich auf gesamter Breite einstufig erhöht war. Die Grabstelle stieß an den nördlichen Teil dieser Chorstufe2), lag also in der Nähe des Pfeilers, an dem heute die Kanzel angebracht ist. L. A. Gebhardi hat eine knappe Beschreibung der Platte gegeben3). Sie bestand aus Kalkstein4), zeigte im Mittelfeld eine Darstellung des Verstorbenen und in den vier Ecken die Evangelistensymbole in kreisrunden Medaillons. Die Platte wurde 1584 umgearbeitet – erhielt also eine Zweitverwendung –, als der Ausreiter Caspar von Ilten an derselben Stelle beigesetzt wurde: man veränderte das Mittelfeld und die Eckmedaillons, ließ aber die mittelalterliche Umschrift unversehrt5). Sie war vermutlich in gotischer Minuskel ausgeführt und lautete nach Gebhardi6):

  1. Anno · D(omi)ni · M · CCCC · primoa) · in · die · St · Catharine · virg[inis]b) · obiit · d(omi)n(u)s · Wilkinus · de · Ilten · prior · hui(us) · ecclesiae · c[uius] · a(n)i(m)a · requiescat · in · pace ·

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1401, am Tage der heiligen Jungfrau Katharina, starb Herr Wilkinus von Ilten, Prior dieser Kirche, dessen Seele ruhen möge in Frieden.

Datum: 1401, November 25.

Kommentar

Wilkinus von Ilten gehörte einer zur Ritterschaft des Fürstentums Lüneburg zählenden Adelsfamilie an, die ihren Namen nach einer ca. 15 km ostwärts von Hannover gelegenen Ortschaft führt7). Bis in das 16. Jahrhundert sind Familienmitglieder als Konventuale des Michaelisklosters nachzuweisen8). Wilkinus erscheint im Urkundenbuch erstmals unter dem 17. November 1364: als dyaconus et monachus unterzeichnet und besiegelt er gemeinsam mit anderen Konventsangehörigen die an den Bischof von Verden gerichtete Mitteilung von der Wahl Daniel Holtnickers zum Abt9). Im Januar 1370 ist er als Custos bezeugt10), war also zwischenzeitlich in ein Klosteramt aufgerückt. Am 13. Mai 1375 erhielt er vom Abt die Erlaubnis, testamentarisch über seinen Nachlaß zu verfügen11), unter dem 18. Oktober desselben Jahres ist er nochmals als Custos genannt12). Am 4. April des folgenden Jahres tritt er nach den Angaben des Urkundenbuches erstmals als Prior entgegen13). Für mehr als 24 Jahre hatte er dieses Amt inne. Er legte es zwischen dem 15. Oktober und 5. November 1400 nieder14) und gehörte der Klostergemeinschaft bis zu seinem Tode nurmehr als Konventuale an.

In seine Amtszeit als Custos fällt der Abzug aus dem am Kalkberg gelegenen Michaeliskloster, wie er sich als Konsequenz aus der Zerstörung der herzoglichen Burg ergab15). Daß Wilkinus wenige Jahre später, noch vor der 1376 erfolgten Grundsteinlegung zum Neubau des Klosters innerhalb der Mauern Lüneburgs16), zum Prior gewählt wurde, ist ein Hinweis auf besondere Begabungen und Fähigkeiten. Denn in der Phase des Neubeginns war es unumgänglich, die wichtigste Führungsposition nach der Abtswürde einem qualifizierten Konventsmitglied zuzuweisen. Daß Wilkinus das Priorat während der gesamten Aufbauzeit bis zur Jahrhundertwende innehatte, läßt sich als Zeichen erfolgreicher Amtsführung unter den erschwerten Bedingungen der Konsolidierung werten.

Die notwendigen Bauarbeiten schritten nach Ausweis der erhaltenen Quellen zügig voran. Nachdem 1379 die Unterkirche geweiht worden war17), bedurfte es keines weiteren Jahrzehnts mehr, um die für ein regelmäßiges monastisches Leben erforderlichen Baulichkeiten zu errichten. Am 29. Juni 1388 konnte das neue Kloster bezogen werden18). Dieses Datum markiert ein wichtiges Ereignis in der neueren Klostergeschichte, und wenngleich zu dieser Zeit die gesamte Anlage noch nicht vollendet war19) – namentlich die Fertigstellung der Kirche verzögerte sich erheblich20) –, war die Zeit der Provisorien nach relativ kurzer Dauer beendet.

Der persönliche Anteil des Wilkinus von Ilten am Fortgang des Klosterneubaus tritt zwar nirgends sichtbar hervor, muß aber schon deshalb hoch eingeschätzt werden, weil ihm als Stellvertreter des Abtes ohne Zweifel eigene Verantwortung übertragen war. Welche Hindernisse zu überwinden waren, wird aus finanziellen Schwierigkeiten und Mißhelligkeiten mit dem Rat der Stadt Lüneburg deutlich, die vermutlich in größerem Umfang auftraten, als aus der Überlieferung nachzuweisen ist21). Ein mittelbares Zeugnis für die bedeutende Rolle des Priors beim Wiederaufbau des Klosters sind seine reichen Stiftungen, wenn man von diesen erheblichen materiellen Zuwendungen auf erhebliche ideelle Förderung im weitesten Sinne schließen will. Wilkinus stiftete eine Kommende am Trinitatis- und Marienaltar der Klosterkirche und setzte testamentarisch hohe Einkünfte für drei in der Kirche tätige Geistliche aus22).

Die Sepultur für Wilkinus von Ilten, der auch dem Kaland an der St. Johanniskirche angehörte23), war eine der ersten, die in dem während seiner Amtszeit begonnenen Kirchenbau eingerichtet wurden24).

Textkritischer Apparat

  1. Rikemann: 1401.
  2. Fehlt bei Rikemann.

Anmerkungen

  1. Gebhardi, Coll. XV, 1798, S. 458. – Die Platte ist wahrscheinlich den Umbauarbeiten unter dem Landschaftsdirektor von Bülow zum Opfer gefallen.
  2. Nach Ausweis des Lageplans der in der Michaeliskirche befindlichen Grabstellen, in: Gebhardi, Coll. VI, 1772, S. 381.
  3. Wie Anm. 1. – Danach das Folgende.
  4. Bei Gebhardi: „gothländischer Marmor“. Die Bezeichnung rührt offensichtlich vom Aussehen des auf der Insel Gotland anstehenden und von dort importierten Kalksteines her.
  5. Vgl. L. A. Gebhardi, Historische Nachricht, S. 26, über Caspar von Ilten: „Sein Leichstein ist in der Klosterkirche neben der Kanzel. Er hat ehedem einem Prior aus dem Iltischen Geschlechte gehöret, dessen Grabschrift gleichsam die Einfassung der Inschrift Caspers von Ilten ist. In die vier Ekken des Steins hat man die Wapen seiner vier nächsten Ahnen mit der Unterschrift ‚de van Ilten, de Fresen anders genant ..., de van Klenke, de van Klenke‘ und in der Mitte das Iltenische Wapen etwas grösser gehauen. Unter diesem Wapen ist die Grabschrift: Fidelis esto Deo qui non sinat vos tentari. Anno 1584 die Simonis et iudae obiit Casparus ab Ilten cum praefectus fuisset ruralibus huius monasterii proventibus annis octodecim.
  6. Wie Anm. 1.
  7. Vgl. Hildebrand-Mieste (Bearb.), Der Hannöverische Adel, S. 9.
  8. Ulrich von Ilten war Abt des Klosters von 1350 bis 1364: Reinhardt, Art. Lüneburg, St. Michaelis, S. 344. – Johannes von Ilten, ein Neffe des Wilkinus, war Prior von 1400 bis 1412: Hodenberg, Lüneburger Urkundenbuch, 7. Abt., S. 541, Nr. 831 f. (1400, November 5): Johannes prior; ebd., S. 593, Nr. 928 (1412, November 19): letztmals Johannes de ylten prior. Über Johann vgl. auch Gebhardi (wie Anm. 1), S. 459–461. – Der schon genannte Caspar von Ilten war Ausreiter des Klosters von 1566 bis 1584: Gebhardi (wie Anm. 1), S. 616 f. und ders. (wie Anm. 5), S. 25 f.
  9. Hodenberg, Lüneburger Urkundenbuch, 7. Abt., S. 369–372, Nr. 602.
  10. Hodenberg (wie Anm. 9), S. 395 f., Nr. 650 (1370, Januar 25): wilkinus de yltene noster confrater conventualis et custos monasterii nostri ...
  11. Hodenberg (wie Anm. 9), S. 412, Nr. 676 a (nach einem Transsumpt von 1401).
  12. Hodenberg (wie Anm. 9), S. 414, Nr. 679: her wilken van yltene coster.
  13. Hodenberg (wie Anm. 9), S. 416, Nr. 682. Sein Vorgänger in diesem Amt, Werner von Oedeme, ist im Urkundenbuch letztmals unter dem 18. Oktober 1375 genannt: Hodenberg (wie Anm. 9), S. 414, Nr. 679.
  14. Hodenberg (wie Anm. 9), S. 540 f., Nr. 831 e (1400, Oktober 15): Nos Wilkinus prior totusque conventus. Am 5. November desselben Jahres urkundet sein Neffe Johann von Ilten als Prior: s. Anm. 8.
  15. Reinhardt (wie Anm. 8), S. 328.
  16. Vgl. die Urkunde Bischof Heinrichs von Verden vom 14. Juli 1376: Hodenberg (wie Anm. 9), S. 416–419, Nr. 684.
  17. Narratio de fundatione, S. 382.
  18. Meyer (Hg.), Chronik, S. 31: „Petri et Pauli worden de heren van S. Michael ... int kloster in der stadt introducert ... und eten dar den ersten dach inne.“
  19. Zur Baugeschichte vgl. Plath, Michaeliskloster, hier S. 15.
  20. Die „Narratio“ (wie Anm. 17) nennt als Weihedatum für den letzten Bauabschnitt der Kirche und damit des gesamten Klosters das Jahr 1418, in die translationis S. Benedicti (Juli 11).
  21. Auf Zahlungsschwierigkeiten verweist Plath (wie Anm. 19), S. 15. – Strittig waren zwischen Kloster und Rat der Stadt vor allem Regelungen über Grenzziehung, Gerichtsbarkeit, Geschäftstätigkeit und Handel; vgl. Hodenberg (wie Anm. 9), S. 566–568, Nr. 868.
  22. Vgl. sein Testament: Hodenberg (wie Anm. 9), S. 555–557, Nr. 856. Unter anderem erhielten danach die beiden Priester am Altar, quod in honorem sancte et individue trinitatis et beate Marie perpetue virginis et omnium simul electorum dei ante chorum dicti monasterii situatum et consecratum existit, die jährlichen Zinsen eines Kapitals von 300 Mark. Der Altarist am Katharinenaltar erhielt Vogteirechte an Grundbesitz. Außerdem wurde ein Anniversar für den Erblasser gestiftet.
  23. Bodemann, Brüderschaften, S. 97, Eintrag in das Totenregister: Wilken, prior to Sunte Michele.
  24. Das Nekrologium verzeichnet Wilkinus unter dem 27. November: Anno domini M.CCCC. primo obiit Wilkinus de Yltene, prior sacerd. et mon. nre. congregationis fr. ...: Nekrologium des Klosters S. Michaelis in Lüneburg, hg. von Wedekind, S. 90. Gebhardi (wie Anm. 1) bemerkt – wohl zu Recht – dieses Datum bezeichne den Begräbnistag.

Nachweise

  1. Rikemann, fol. 14 r.
  2. Gebhardi, Coll. XV, 1798, S. 458.

Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 12† (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0001206.