Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)

Nr. 3† Hannover, Kestner-Museum 2. H. 12. Jh.

Beschreibung

Armreliquiar aus dem Schatz der „Goldenen Tafel“ des Michaelisklosters. Erhalten ist nur der hölzerne Kern, die Beschläge aus Edelmetall sind verloren. Lindenholz; vollplastisch gearbeitet. Auf einer rechteckigen Standfläche bilden vier im Mittelfeld etwas vertiefte, oben durch einen Rundbogen abgeschlossene Seitenteile einen Sockel, der den eigentlichen Arm trägt. Dieser zeigt unterhalb der Handwurzel mehrere parallele Falten eines Unterärmels. Der darüber liegende Oberärmel hat einen Schrägsaum und ebenfalls mehrere Schrägfalten. Die Finger sind in Höhe der Mittelhand eingebrochen.

Der Bogen am Sockel auf der Seite der Handinnenfläche, im folgenden als Schauseite bezeichnet, trägt in Tinte, 0,5 cm hoch, die Beschriftung: SCS VALERIV. Diese Buchstaben sind nicht, wie Stuttmann vermutet1), gleichzeitig mit dem Holzkern des Armes entstanden. Vielmehr müssen sie nach Entfernung der Metallbeschläge, die von noch vorhandenen kleinen Nägeln gehalten wurden, angebracht worden sein2). Das ergibt sich aus dem epigraphischen Befund, der keinerlei typische Kennzeichen einer mittelalterlichen Schrift zeigt. So ist etwa das A aus zwei keilförmigen, oben nicht aneinanderstoßenden und deshalb mit einem horizontal gelegten, schmalen Deckbalken geschlossenen Hasten gebildet. Beide besitzen am unteren Ende kleine angesetzte Füße, die beiderseits nur zum Buchstabeninneren zeigen. Die obere und die untere Horizontalhaste des E sind aus zwei Dreiecken gebildet, die mit jeweils einer Spitze aneinanderstoßen und mit einer ihrer Seiten eine gemeinsame Linie bilden, die den Abschluß der Haste darstellt. Das R hat eine überdimensional lange Cauda, im zweiten V schließen die Hasten einen sehr stumpfen Winkel ein. Vermutlich wurde die Beschriftung in Anlehnung an die ursprünglichen Inschriften des Reliquiars angebracht, wie sie durch die Inventarisierung Ludwig Albrecht Gebhardis bekannt sind3). Er hat nicht nur die Inschriften mitgeteilt, sondern auch zwei Zeichnungen hinterlassen, die ein Bild vom Originalzustand des Armes vermitteln4). Der gesamte Holzkern war mit Silberblech überzogen, die Fläche des Unterärmels vergoldet. In den Saum unterhalb der Handwurzel und in den Schrägsaum des Oberärmels waren Perlen, Steine und Glasflüsse eingelassen. Die vier Seitenteile des Sockels zeigten figürliche Darstellungen.

Auf der Schauseite erschien Christus auf dem Regenbogen in der Mandorla, zwischen seinen Füßen ein Omega5). Der Rundbogen enthielt die Inschrift (A). Auf der rechten Seite des Sockels war ein thronender Heiliger mit Buch dargestellt, vermutlich der Apostel Paulus6). Gegenüberliegend, auf der linken Seite, befand sich eine ähnlich gestaltete Figur mit Buch und Schlüssel, also der Apostel Petrus. Die Rückseite zeigte einen thronenden Heiligen mit Buch und Bischofsstab in der rechten Hand, durch die Inschrift (B) im Rundbogen gekennzeichnet.

Dieses Armreliquiar ist das – möglicherweise um ein weniges ältere – Gegenstück zu dem unter der folgenden Nummer behandelten Pankratius-Arm. Georg Swarzenski hat beide Reliquiare überzeugend in Zusammenhang gebracht mit dem Theodorus- und dem Innocentius-Arm des Welfenschatzes, die inschriftlich als Schenkungen Heinrichs des Löwen bezeugt sind, sowie mit dem CaesariusArm, der ebenfalls zum Welfenschatz gehört7). Diese fünf Stücke bilden eine typengeschichtliche Gruppe, die in eine „unmittelbare oder historisch wahrscheinliche Beziehung zu Heinrich dem Löwen“ tritt8). So wird die Annahme möglich, daß Valerius- und Pankratius-Arm als Stiftung dieses Herzogs an das Lüneburger Michaeliskloster kamen9).

Sie gehören zum ursprünglichen Bestand des Schatzes der „Goldenen Tafel“. Jeder von ihnen war zusammen mit einem der beiden Straußenei-Reliquiare (Nr. 24) in den zwei Fächern links der eigentlichen goldenen Tafel des Altarschreins aufgestellt10). 1792 wurden sie mit anderen erhaltenen Teilen des Schatzes in das Museum der Ritterakademie überführt und gelangten nach deren Auflösung an das 1862 eröffnete Welfenmuseum in Hannover11). Heute gehören sie zu den Beständen des Niedersächsischen Landesmuseums, befinden sich jedoch als Leihgaben im Kestner-Museum. Der Valerius-Arm trägt die Inventar-Nummer: WM. XXI a. 1.

Maße: H. des Holzkerns: 55,5 cm; Standfläche: B.: 8,1 cm, L.: 11,0 cm.

Schriftart(en): Frühgotische Majuskel.

Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover [1/2]

  1. A

    MAIESTAS D[OMI]NI

  2. B

    S[AN]C[TV]S VALERIV[S]

Kommentar

Gebhardis Zeichnung der Inschriften enthält keine Kürzungszeichen und Worttrennungen. Es ist aber zu vermuten, daß beides vorhanden war.

Anmerkungen

  1. Stuttmann, Reliquienschatz, S. 71.
  2. Nach Stuttmann (wie Anm. 1), S. 70, ging der Silberbeschlag 1792 verloren. Es ist denkbar, daß die Beschriftung durch L. A. Gebhardi vorgenommen wurde, um den Namen des Heiligen, dessen Reliquien der Arm enthielt, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
  3. Gebhardi, Verzeichnis 1766, S. 45.
  4. Zeichnung der Schauseite: Gebhardi, Coll. VI, 1772, S. 496; Rückseite: Coll. VI, 1772, S. 497. – Wieder abgebildet bei Stuttmann (wie Anm. 1), Taf. 28, 29. – Nach diesen Zeichnungen das Folgende sowie die Wiedergabe der Inschriften.
  5. Gebhardi (wie Anm. 3) überliefert auch das zugehörige Alpha. In der Zeichnung ist es dagegen nicht enthalten.
  6. So bereits Gebhardi (wie Anm. 3). Die Gegenüberstellung mit Petrus und die Parallelität zum Pankratius-Arm macht diese Identifizierung wahrscheinlich.
  7. Swarzenski, Kunstkreis, S. 316–324, bes. S. 318 f. (mit Abb. 264 b, 264 c, S. 319).
  8. Swarzenski (wie Anm. 7), S. 318.
  9. Irrig ist die Annahme bei Gebhardi (wie Anm. 3), der Arm scheine „vor achthundert Jahren vom Stifter Hertzog Herman [sc. Billung] hergegeben zu sein“.
  10. Nach der Inventarzeichnung des 15. Jahrhunderts, abgebildet bei Stuttmann (wie Anm. 1), Taf. 4/5. An dieser Stelle fand auch Gebhardi (wie Anm. 3) die Arme vor. – Zum Altar mit der „Goldenen Tafel“ vgl. Nr. 16.
  11. Welfenschatz, Schatz der Goldenen Tafel, Lüneburger Ratssilber, Hildesheimer Silberfund, S. 27.

Nachweise

  1. Gebhardi, Verzeichnis 1766, S. 45.
  2. Kdm, S. 55 (nur A).
  3. Stuttmann, Reliquienschatz, S. 70; dazu Abb. Taf. 28, 29 (nach Gebhardi), Taf. 63.

Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 3† (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0000307.