Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)

Nr. 62 Kloster Lüne 1505

Beschreibung

Taufkessel im Chorraum der Klosterkirche. Bronze. Er steht nördlich des Altars auf einem nicht zugehörigen, achteckigen Podest aus Holz, das Ornament in Barockformen zeigt. Im 18. Jahrhundert befand sich die Taufe an einer nicht näher bekannten Stelle im Kirchenschiff, Mithoff fand sie bereits am heutigen Platz vor1). Der Kessel wird von vier freistehenden, gleichartig gestalteten Figuren getragen. An seinem oberen und unteren Rand bilden umlaufende Doppelstege als Begrenzung je eine Schriftzeile. In der Mitte zwischen diesen beiden Schriftzonen läuft ein einfacher Steg um die Wandung herum. Er trägt an einer Stelle ein Wappen, auf dessen Höhe der Text der Inschriften jeweils beginnt: (A) in der oberen, (B) in der unteren Zeile. Die Umschrift (B) wird an vier Stellen durch die in den Schriftraum hineinragenden Köpfe der Tragefiguren unterbrochen. Der gesamte Schriftgrund ist durch Schraffur aufgerauht, die Buchstaben sind erhaben gegossen und wie die Stege mit Goldfarbe belegt.

Maße: H. mit Tragefiguren: 73,0 cm; H. des Kessels: 35,0 cm; Dm.: 64,0 cm; Bu.: 3,2 cm (A), 1,8 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Kloster Lüne [1/3]

  1. A

    + den ersamen her claesa) schomeker doctor vnde pras to lunnenb) dede gietena) dit vat int iaer ons heren mcccccv

  2. B

    asperge(s)c) me do(mi)ned) mo(n)dabor / lavabise) me (et cetera)f)2) miserere mei devs / secvndvm magnam / misericordiam tuam3)

Übersetzung:

(B) Besprenge mich, Herr, und ich werde gereinigt. Wasche mich [, und ich werde weißer als Schnee sein]. Erbarme dich meiner, Gott, nach deiner großen Barmherzigkeit..

Wappen:
Nikolaus Schomaker (Schild schräggeteilt, oben Bärenkopf mit tiefer Nackenwunde)4)

Kommentar

Die Ausführung der Schrift zeigt auffallende gestalterische und technische Mängel. Alle s sind spiegelverkehrt aufgesetzt, viele Buchstaben stehen ungerade in der Zeile, die Spationierung der Buchstaben wie auch der Worte ist ungleichmäßig durchgeführt. Zeichen zur Worttrennung wurden nicht benutzt. Das Schriftbild wirkt unruhig und unsauber.

Allein deshalb scheidet die von Knauf vorgeschlagene Zuweisung des Gusses an Gherardus de Wou aus5). Dessen Schriftgestaltung zeichnet sich durch besondere Kalligraphie aus, außerdem sind die von ihm verwendeten Buchstabentypen mit denen am Lüner Taufbecken nicht verwandt6). Ein epigraphischer Vergleich läßt auch Noltes Annahme unwahrscheinlich werden, die Taufe sei ein Werk des Cord von der Heide7). Die Buchstaben auf der Lüner Glocke von 1505, die vermutlich von diesem Glockengießer geschaffen wurde8), zeigen einen anderen Charakter als die der hier zu behandelnden Inschriften. Am einleuchtendsten bleibt der Ansatz Mithoffs, der unter Hinweis auf die sprachliche Fassung des Textes (A) den Niederländer Dieric Rose, „der 1504 eine mit holländischer Inschrift versehene Glocke zu St. Dionys [8 km nördlich Lüneburg] goß“, für den Hersteller der Taufe hält9). Über Rose ist Näheres nicht bekannt; 1514 schuf er eine Glocke für die Kirche in Eschede bei Celle10).

Durch die Wappenbeigabe ist der Taufkessel als Stiftung des Propstes Nikolaus Schomaker ausgewiesen, der sich nachhaltig um den Ausbau und die Ausschmückung des Klosters bemühte11). Der in der Inschrift genannte akademische Grad eines Doktors ist aus anderen Quellen nicht bezeugt, auch der sehr ausführliche Text seiner Grabplatte (Nr. 63) führt ihn nicht auf. Die Lüner Taufe gehört zur Gruppe der Erztaufen vom Vierträgertypus, der als selbständig entstandene Form seit dem 13. Jahrhundert in Norddeutschland auftritt und in der Folgezeit allmähliche Verbreitung in dieser Region fand12). Die vier Tragefiguren symbolisieren die vier Paradiesflüsse, die mit dem Sakrament der Taufe in unmittelbarem Zusammenhang stehen: das Taufbecken wurde in der rituellen Handlung des Geistlichen mit der Paradiesquelle identifiziert, der Priester hatte während der Zeremonie seine Hand in das Wasser zu tauchen und es nach vier Richtungen auseinanderzusprengen13). So läßt sich das Taufbecken als Abbild der Paradiesquelle mit ihren vier Abflüssen begreifen, durch die Inschrift (B) in seiner Funktion unmißverständlich gekennzeichnet.

Textkritischer Apparat

  1. Das Wort steht ohne Trennung am vorhergehenden.
  2. Das l ist tiefer als die übrigen Buchstaben des Wortes aufgesetzt.
  3. Das Kürzungszeichen befindet sich über dem p.
  4. Gegeben in der Buchstabenfolge done mit einem durchgehenden Kürzungsstrich über on.
  5. Das la ist im Guß mißlungen. Der untere Teil der l-Haste fehlt, der obere geht in das nachfolgende a über.
  6. Gebildet aus der Buchstabenkombination ce mit einem darüber stehenden doppelten Kürzungsstrich.

Anmerkungen

  1. Zur Zeit Ludwig Albrecht Gebhardis verdeckte sie zum Teil die Grabplatte des Propstes Johannes Weygergang (Nr. 15), die ohne besondere Spezifizierung im Kirchenschiff lokalisiert wird: Gebhardi, Coll. II, 1763, S. 402. – Mithoff, S. 128.
  2. Ps. 50,9: „Asperges me hyssopo, et mundabor; lavabis me, et super nivem dealbabor“.
  3. Ps. 50,3.
  4. Wappenbeschreibung bei Büttner, s. p., zur Genealogie Schumacher; vgl. die tingierte Fassung des Wappens auf Gegenständen aus Kloster Lüne, etwa unter Nr. 58.
  5. Knauf, S. 26. Die Tragefiguren dagegen schreibt er Cord von der Heide zu (vgl. Anm. 7), geht also davon aus, daß zwei verschiedene Erzgießer mit der Anfertigung der Taufe befaßt waren.
  6. Als Vergleichsbeispiele dienten die Inschriften der Glocken aus der St. Michaeliskirche, Nr. 43 und 44.
  7. Nolte, Aus dem Kloster Lüne, S. 26.
  8. Vgl. Nr. 61.
  9. Mithoff, S. 128. – Die Glocke stammt ursprünglich aus der Lüneburger St. Nikolaikirche und wurde 1833 nach St. Dionys verkauft: Kdm, S. 137.
  10. Otte, Glockenkunde, S. 208. Danach Walter, Glockenkunde, S. 853.
  11. Über Schomaker vgl. Nr. 63.
  12. Mundt, Erztaufen, S. 14 f., S. 70.
  13. Vgl. Schlee, Paradiesesflüsse, S. 112–115, mit Nachweisen aus dem Gelasianum und dem Missale Romanum.

Nachweise

  1. Büttner, s. p., Anhang zur Genealogie Schumacher.
  2. Mithoff, S. 128.
  3. Nolte, Aus dem Kloster Lüne, S. 26 (nur A).
  4. Abbildung: Knauf, S. 57.

Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 62 (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0006206.