Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)

Nr. 41† St. Michaeliskirche 1491

Beschreibung

Glocke. Beschreibung und Wiedergabe der Inschrift folgen den Hinweisen Ludwig Albrecht Gebhardis1). Die Glocke wurde 1791 verkauft und eingeschmolzen2). Sie trug eine vermutlich einzeilige Umschrift. Die Schriftzone wurde „durch 2 Reihen saubrer Zierathen, welche außen mit Lilien eingefasset sind, eingeschlossen“3). Am Mantel waren zwei Darstellungen angebracht, wahrscheinlich als Relief. Unterhalb der Jahreszahl befand sich eine Figur des heiligen Michael, gegenüberliegend eine solche des heiligen Benedikt mit Abtsstab und Buch.

Maße: H.: 139,0 cm (57//); Dm.: 180,0 cm (74//).

Schriftart(en): Vermutlich gotische Minuskel mit Versalien.

  1. + Qui · iubilum sanctus michael celo canis alto gratam me facias auribus in domini cumq(ue) tibi laudes resono sacer o Benedicte fac rogo tum veniant prospera terrigenis * Gherhardus de Wou de campis me fecit Anno d(omi)ni M.CCCC.XCI.

Übersetzung:

Der du, heiliger Michael, den Lobpreis im hohen Himmel singst: mache mich angenehm in den Ohren des Herrn. Und wenn ich dir Lobgesänge darbringe, o heiliger Benedikt, dann erwirke, so bitte ich dich, daß den Erdengeborenen Glück und Heil zuteil werden mögen. – Gherardus de Wou aus Campen schuf mich im Jahre des Herrn 1491.

Kommentar

Gebhardi hat nur nach dem ersten Wort des Textes einen Trennungspunkt verzeichnet. Es ist aber davon auszugehen, daß alle Worte durch ein ornamentales Zeichen voneinander getrennt waren. Die Inschrift besteht aus zwei Distichen (Qui ... alto / gratam ... domini; cumque ... Benedicte / fac ... terrigenis). Inhaltlich ist sie im eigentlichen Sinne die an zwei Heilige als Vermittler gerichtete Bitte eines Gläubigen um Gewährung des irdischen, aber auch himmlischen Heils. Für ihre grundsätzliche Aussage ist die Anbringung an der Glocke zunächst ohne Bedeutung. Daß der Erzengel Michael angerufen wird, zeigt die Wirksamkeit hochmittelalterlicher Vorstellungen vom Jüngsten Gericht, nach denen er als Seelenwäger die Entscheidung des letzten Richters vorbestimmt4). Der Text ist für sich als privat gesprochenes Gebet denkbar. Durch seine Verwendung als Glockeninschrift wird er aus dieser privaten Sphäre herausgelöst und in der Weise einer Personifizierung auf die Glocke übertragen. Denn als Subjekt zu resono und rogo ist nun nicht mehr der Gläubige zu betrachten, der das Gebet spricht, sondern durchaus die Glocke selbst. Bei jedem Läuten schwingt die Bitte an Michael und Benedikt um Fürsprache mit. Durch diese Form der Artikulation wird das Gebet um ein vielfaches eindringlicher als durch bloßes Sprechen. So erhält die Glocke durch die Inschrift eine Funktion als Zwischeninstanz im Verhältnis von Mensch und Mittler, weil ihre Ausdruckskraft stärker ist als die des Gläubigen. Die Grenze zwischen Frömmigkeit und Magie ist hier merklich verwischt. Im Zusammenhang mit ihrer hauptsächlichen Bestimmung stellt die Inschrift zugleich einen Bezug her zum Patron des Klosters, dem heiligen Michael, und zum Gründer des Ordens, dessen Angehörige es unterhielten, zum heiligen Benedikt. Diese Bezüge werden unterstrichen durch die beiden Darstellungen am Glockenmantel. Über den Glockengießer Gherhardus de Wou, der 1491 und 1492 vier Glocken für das Geläut der Klosterkirche herstellte, unterrichtet der Kommentar zu Nr. 43.

Anmerkungen

  1. Gebhardi, Coll. I, 1762, S. 369.
  2. Vgl. Wrede, Die Glocken der Stadt Lüneburg, S. 45.
  3. Wie Anm. 1.
  4. Vgl. Kretzenbacher, Seelenwaage, bes. S. 64, 69 und 91.

Nachweise

  1. Gebhardi, Coll. I, 1762, S. 369. Danach: Mithoff, S. 168.
  2. Wrede, Die Glocken der Stadt Lüneburg, S. 45.
  3. Walter, Glockenkunde, S. 275.

Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 41† (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0004107.