Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)

Nr. 31† St. Michaeliskirche 1444

Beschreibung

Grabplatte (?) des Geistlichen Johannes Steinberg. Über Standort, Ausführung und Verbleib ist nichts bekannt. Rikemann überliefert eine Inschrift folgenden Wortlauts1):

  1. Anno domini 1444. octava martii obiit magister Johan Steinberg, cuius anima requiescat in pace.

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1444, am achten des März, verstarb Magister Johannes Steinberg, dessen Seele ruhen möge in Frieden.

Datum: 1444, März 8.

Kommentar

Das für den Text verwendete Formular legt die Vermutung nahe, daß der Inschriftträger eine Grabplatte war. Wo deren Platz gewesen sein könnte, läßt sich nicht mehr feststellen. Auch der Lageplan von 1755 führt die Sepultur Steinbergs nicht auf; offensichtlich war die Platte zu dieser Zeit nicht mehr vorhanden oder die Schrift war nicht mehr lesbar und bot keine Handhabe für eine Identifizierung2). Daß aber Johannes Steinberg ein Grab im Kirchenschiff erhielt, kann angesichts seiner engen Beziehungen zum Kloster, vor allem zu den Äbten Ulrich von Barfelde und dessen Nachfolger Boldewin von Wenden als sicher gelten.

Steinberg war vermutlich aus Westfalen gebürtig: das Urkundenbuch des Klosters erwähnt ihn erstmals unter dem 12. Juli 1396, und hier wird er clericus Paderburnensis diocesis genannt3). Er beglaubigt an diesem Tage als Notar Verfügungen des Abtes Ulrich bezüglich verschiedener Güter, die zu einer Vikarie am Marienaltar in der Krypta der Klosterkirche gehören. Auf welche Weise die Verbindung zwischen Steinberg und dem Michaeliskloster hergestellt wurde, ist nicht zu ermitteln. Das Notariatsinstrument von 1396 markiert indessen den Beginn einer fast 50jährigen Tätigkeit im Dienste des Klosters, die Steinberg zum engen Vertrauten der Äbte Ulrich und Boldewin werden ließ. Seine akademischen Grade – er war magister artium und baccalaureus in decretis4) – lassen auf ein geistiges Niveau schließen, das für einen Weltgeistlichen zu Beginn des 15. Jahrhunderts nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Daß er Bildungsinteressen verfolgte, zeigt der Besitz einer privaten Bibliothek mit mindestens 35 Handschriften5), von denen sich einige bis heute erhalten haben6).

Seit seiner Nennung 1396 betätigte sich Steinberg in Lüneburg zunächst, ohne in besonderen Kontakt nur zum Michaeliskloster zu treten. Er nahm weitere Beglaubigungen als Notar vor7) und ließ Urkunden durch seine Zeugenschaft rechtskräftig werden8). Seine juristischen Kenntnisse kamen ihm zugute, als er zu einem der Testamentarier Volrad Lassans bestimmt wurde9), der zum Kloster möglicherweise in ähnlicher Beziehung gestanden hatte wie Steinberg in späteren Jahren selbst10). 1406 erhielt er eine vom Abt des Michaelisklosters zu vergebende Pfründe: am 22. August investierte der Archidiakon von Modestorp discretum virum dominum Johannem Stenberch presbyterum padeburnensis diocesis als Vikar am Altar der Kapelle auf dem Klosterhof in Grünhagen11). Die Vikarie war von Abt Ulrich eigens gestiftet worden – vermutlich als Anerkennung für bislang nicht näher zu erfassende Dienste Steinbergs. 1412 erhielt er im Kloster eine Unterkunft auf Lebenszeit zugesprochen12), scheint also dort bereits häufiger oder sogar überwiegend gewohnt zu haben. Als Ulrich von Barfelde im Jahre 1418 Prokuratoren bestimmte, die dem Papst das Abtsamt in seinem Auftrage resignieren sollten, beglaubigte Johannes Steinberg diese Verfügung als Zeuge13). Alle diese Anzeichen deuten darauf hin, daß er wichtige Funktionen wahrnahm, vermutlich in beratender Tätigkeit.

Noch bedeutendere Verantwortung übertrug ihm Ulrichs Nachfolger Boldewin von Wenden. Steinberg wurde einer seiner Kaplane14). Am 7. Januar 1431, im Begriff, eine Romreise anzutreten, erteilte ihm Boldewin eine Generalvollmacht, ihn in seiner Abwesenheit in allen Dingen zu vertreten, und händigte ihm sein Siegel aus15). 1435 – Boldewin amtierte seit einem halben Jahr zugleich als Erzbischof von Bremen16) – wurde dieses Mandat verlängert17). 1438 bestätigte Boldewin alle Handlungen, die Johannes Steinberg aufgrund dieser Vollmachten bis dahin vorgenommen hatte18). Nur wenige Tage nach seiner Bischofsweihe hatte ihm Boldewin auch die Verwaltung seiner Besitzungen inner- und außerhalb Lüneburgs übertragen19). Seine letzten Lebensjahre scheint Johannes Steinberg im Michaeliskloster verbracht zu haben. Das letzte Zeugnis über ihn, das das Urkundenbuch enthält, datiert vom 11. August 1439 und nennt ihn elemosinarius in monasterio Sancti Michaelis in Luneborg20). Vermutlich hatte er das ihm 1412 eingeräumte Wohnrecht nunmehr auf Dauer in Anspruch genommen. Reuter schließt aus der zitierten Bezeichnung, Steinberg habe als Elemosinar des Klosters amtiert, sei also für die Verteilung der Spenden vor allem aus Seelgerätstiftungen zuständig gewesen21). Gegen diese Annahme spricht, daß die im Text verwendete Formulierung in monasterio lautet, nicht etwa monasterii, und damit eher eine lokale Bestimmung gegeben wird, daß Steinberg nicht Konventual war und deshalb kaum ein Klosteramt versehen haben wird und daß vermutlich die Aufgaben eines Elemosinars vom Caritator wahrgenommen wurden22). Im übrigen kann als elemosinarius auch jemand bezeichnet werden, der selbst als Stifter hervorgetreten ist23). Daß das für Steinberg zutrifft, wird noch zu zeigen sein. Da außerdem in der Urkunde von 1439 Verfügungen für den Fall seines Todes getroffen werden, seit seinem ersten Auftreten 1396 mehr als vier Jahrzehnte vergangen waren und er deshalb in hohem Alter gestanden haben muß, erscheint es auch unter diesem Gesichtspunkt nicht wahrscheinlich, daß er noch ein Amt übernommen haben sollte. Steinbergs Position als enger Vertrauter des Abtes ließ es möglicherweise sogar als sinnvoll erscheinen, gerade nicht in nähere Beziehung zum Konvent des Klosters zu treten und sich die unabhängigere Position des Weltgeistlichen zu bewahren.

Ob ihm seine Bindungen an Lüneburg – er gehörte auch dem Kaland an der St. Johanniskirche an24) – weitere Kontakte zu seiner Heimatdiözese ermöglicht haben, ist nicht genau zu entscheiden. Möglicherweise ist er mit jenem Johannes Steinberg identisch, der 1427 eine Vikarie am Altar der Apostel Bartholomäus und Matthäus in der Kirche des Stifts Herford resignierte25). Sicher dürfte sein, daß er mehr Pfründen besaß als nur die Vikarie an der Kapelle zu Grünhagen, denn er verfügte über ein beträchtliches Vermögen. Bereits 1425 sah er sich zu der Erklärung genötigt, er habe seinen gesamten Besitz nicht ererbt, sondern durch eigenen Fleiß erworben26). Der Anlaß für diese Erklärung ist nicht bekannt, aber es ist zu vermuten, daß es lohnend gewesen sein muß, über Umfang und möglichen Erbgang seines Besitzes zu spekulieren. Steinberg hat dem Michaeliskloster große Zuwendungen aus seinem Kapitalvermögen überwiesen. Welche Bedeutung diesen Zuwendungen beigemessen wurde, geht aus dem einzigartigen Umstand hervor, daß in St. Michaelis dreimal jährlich seine Memorie gefeiert wurde. Das Nekrolog führt seine Donationen in auffälliger Ausführlichkeit an. Er hinterließ eine Seelgerätstiftung, gab zum Bau des Kirchturms und zur Vollendung des Kirchenbaus den Betrag von 100 Mark im Jahre 1430, förderte 1439 den Ausbau von Grünhagen27) mit 30 Mark und steuerte 1440 für eine Uhr 10 Mark bei28). Alle hier genannten, von Steinberg unterstützten Bauvorhaben waren durch den Abt Boldewin von Wenden in die Wege geleitet worden, dem sein Kaplan auch auf diese Weise von Nutzen war.

Zweifellos gehört Johannes Steinberg zu denjenigen Personen, die die Geschichte des Michaelisklosters in der Phase des Neubeginns innerhalb der Mauern Lüneburgs entscheidend bestimmt haben.

Anmerkungen

  1. Fol. 14 r.
  2. Lageplan in: Gebhardi, Coll. VI, 1772, S. 381. – Der Plan verzeichnet am Aufgang zum Chor, unmittelbar nördlich neben der Grabplatte Volrad Lassans (Nr. 11), die Sepultur „eines Unbekannten“. Ob hier Johannes Steinberg beigesetzt worden ist, läßt sich nicht sicher entscheiden.
  3. Hodenberg, Lüneburger Urkundenbuch, 7. Abt., S. 515 f., Nr. 806.
  4. Diese Titel führt er in einer durch ihn bezeugten Urkunde: Hodenberg (wie Anm. 3) Heft 3, Hannover 1870, S. 603 f., Nr. 969. – Sein Studienort hat sich nicht nachweisen lassen.
  5. Vgl. Hodenberg (wie Anm. 4), S. 657, Nr. 1076. In dieser Urkunde setzt Steinberg triginta quinque volumina sive libros dem Kloster als Pfand für eine Geldzahlung von 150 Mark.
  6. Nach Steinbergs Tod gingen die in Anm. 5 genannten Bücher offensichtlich an das Kloster über und wurden dessen Bibliothek einverleibt. Die Klosterbibliothek wurde 1655 Besitz der Ritterakademie. Die größte Zahl der Handschriften kam nach Auflösung der Ritterakademie an die Universitätsbibliothek Göttingen; vgl. Reinhardt, Art. Lüneburg, St. Michaelis, S. 341. Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen besitzt aus diesem Bestand vier Handschriften, die den Vermerk Magister Johannes Stenberch dedit tragen: Luneb. 7 (Sammelhandschrift vorwiegend philosophischen Inhalts), Luneb. 12 (Sammelhandschrift vorwiegend theologischen Inhalts), Luneb. 63 (Sammelhandschrift philosophischen Inhalts) und Luneb. 76 (Sammelhandschrift theologischen und philosophischen Inhalts): Verzeichnis der Handschriften im preußischen Staate, I, Hannover 2, Göttingen, Bd. 2, S. 501 f., 502 f., 523, 527 f.
  7. 1397, Oktober 17: Hodenberg (wie Anm. 3), S. 521 f., Nr. 812 a; 1398, März 8: ebd., S. 524, Nr. 815.
  8. 1406, August 14: Hodenberg (wie Anm. 4), S. 562–564, Nr. 865; 1409, August 27: ebd., S. 580–582, Nr. 900; 1410, August 12: ebd., S. 584–586, Nr. 909 u. ö.
  9. Hodenberg (wie Anm. 4), S. 548 f., Nr. 838 (1401, Dezember 8) und S. 639, Note 1 a zu Nr. 1042 (1431, Juni 14).
  10. Vgl. Nr. 11.
  11. Hodenberg (wie Anm. 4), S. 564 f., Nr. 866.
  12. Hodenberg (wie Anm. 4), S. 595, Nr. 930.
  13. Hodenberg (wie Anm. 4), S. 603 f., Nr. 969 (1418, September 25). Zu Einzelheiten dieses Vorgangs vgl. Reuter, Balduin von Wenden, S. 16 f.
  14. Urkunden-Buch der Stadt Lübeck, Bd. 7, S. 365–367, Nr. CCCXCI: Urkunde Boldewins vom 1. Mai 1430, presentibus ibidem honorabilibus viris, magistro Johanne Stenberch et domino Conrado Dreger, capellanis nostris, testibus ad premissa vocatis.
  15. Hodenberg (wie Anm. 4), S. 638, Nr. 1039.
  16. Der Amtsantritt fällt in den Monat März des Jahres 1435: Henrici Wolteri chronicon, S. 75.
  17. 1435, Oktober 17: Hodenberg (wie Anm. 4), S. 649, Nr. 1060.
  18. Hodenberg (wie Anm. 4), S. 655, Nr. 1072.
  19. 1435, April 14: Hodenberg (wie Anm. 4), S. 648 f., Nr. 1059.
  20. Wie Anm. 5.
  21. Reuter (wie Anm. 13), S. 55.
  22. Vgl. die Ausführungen über das Caritatoren-Amt im Kommentar zur Grabplatte Ludolfs von Heimbruch (Nr. 13).
  23. J. F. Niermeyer, Mediae latinitatis lexicon minus, S. 369, s. v. ‚eleemosynarius‘, 2): „donateur d’une église“.
  24. Eintragung im Totenregister des Kalands: Mester Johan Stenberch: Bodemann, Brüderschaften, S. 99.
  25. Repertorium Germanicum, Bd. 4, 3. Teil, bearb. von Fink, Sp. 2573 f. Ebd., Sp. 3325, ist unter dem 22. August 1427 ein Nachweis zu finden, der einen in diesem Jahr verstorbenen Johannes Steynborg nennt. Ob auf diesen auch der Eintrag über die Vikarie an der Herforder Stiftskirche zu beziehen ist, läßt sich nicht eindeutig klären. Sollte das der Fall sein, ist dieser Beleg für den Magister Johannes Steinberg in Lüneburg nicht heranzuziehen.
  26. Hodenberg (wie Anm. 4), S. 627, Nr. 1012.
  27. Grünhagen diente dem zurückgetretenen Abt Ulrich von Barfelde als Ruhesitz und wurde später schloßähnlich ausgebaut. Vgl. Gebhardi, Coll. XIV, 1796, S. 296 f. – Risse und Ansichten der Gebäude bei: Gebhardi, Coll. VI, 1772, S. 564.
  28. Die drei Nekrologeinträge verdienen wegen ihrer Ausführlichkeit besondere Beachtung. Sie lauten: 1. zum 8. März: O. Magister Jo. Stenberg sac. fr. nr. qui dedit VI marcas in bonis monasterii, de quibus domino abbati specialiter ultra suam porcionem solitam VIII ss., claustralibus IIII ss. sex commendatis in cripta cuilibet I ss. rectori magne scole II ss., rectori parve scole I ss., campanatori II., officianti magistri Wulradi I ss. dabuntur. 2. zum 20. März: Hic observabitur perpetuis temporibus memoria mgri. Johannis Steenberg, necnon fratrum, sororum parentum et benefactorum suorum; qui anno domini M. CCCC. XXX. in profesto Gregorii ppe. centum marcas Luneburgenses in prompto auro nobis ad turrim de novo exstruendam et ecclesie nostre continuandam obtulit et ob anime sue salutem liberaliter erogavit. 3. zum 7. November: Hic peragitur perpetua memoria magistri Johannis Steenberch, qui anno domini M.CCC.XXXIX infra octavas sancti Michaelis dedit ad structuram longe domus in Gronehagen ex oppositio secundarie porte versus Elmanow situate, XXX et sequenti anno infra octavas Pasche ad horologium nostrum X marcas Luneborgenses; cuius subsidia alias liberaliter monasterio nostro impensa, superius bina vice plenius exprimuntur; Nekrologium des Klosters S. Michaelis in Lüneburg, hg. von Wedekind, S. 19, 21 und 84. Die hier genannten Zuwendungen führt ohne Quellenangabe auf: Weyhe-Eimke, Aebte, S. 85 f. Den Nekrologeinträgen ist zu entnehmen, daß die Bauarbeiten am Kloster mit der 1418 vollzogenen Weihe der Kirche noch nicht abgeschlossen waren. Vgl. dazu Plath, Michaeliskloster, S. 15.

Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 31† (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0003101.