Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)

Nr. 23 Kloster Lüne 1428

Beschreibung

Grabplatte Ludolfs (VI.) von Estorff, im Nordflügel des Kreuzgangs im vierten Joch von Osten an der Wand aufgerichtet. Kalkstein. Die Platte deckte die Sepultur Ludolfs vor dem Marienaltar in der nordöstlichen Ecke des Kreuzgangs1). Noch 1902/03 befand sie sich an dieser Stelle2).

Ihr Mittelfeld wird von einer Wappendarstellung mit Schild, Stechhelm, Helmzier und Helmdecken eingenommen. Die vier Ecken des Steins tragen die Evangelistensymbole in kreisrunden, im Durchmesser etwa 34,0 cm großen Medaillons, beginnend oben links und gegen den Uhrzeigersinn fortlaufend: Engel (Matthäus), Löwe (Markus), Stier (Lukas) und Adler (Johannes). Jedem der vier Symbole ist ein nicht ausgefülltes Schriftband beigegeben. Jede Seite der leicht abgetretenen Platte besitzt am Rand eine aus zwei parallel laufenden Stegen gebildete Schriftleiste, die durch die Eckmedaillons begrenzt ist. Die Zeilen enthalten in erhabenen Buchstaben, oben links beginnend, eine Umschrift.

Maße: H.: 248,0 cm; B.: 134,5 cm; Bu.: 8,7 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Kloster Lüne [1/3]

  1. A(n)no · d[omi]nia) · M̊ · cccc̊ · xx / viiı̊ · in · die · b(ea)ti · Martini · ep(iscop)i · obiit · ludolfus · de / estorpe · famulus / cuius · anima · requiescat · in · pace · amen ·

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1428, am Tage des heiligen Bischofs Martin, starb Ludolf von Estorff, Knappe, dessen Seele ruhen möge in Frieden. Amen.

Datum: 1428, November 11.

Wappen:
von Estorff (schrägrechts liegende, große Lilie; als Helmzier über einem Wulst korbartiger Trichter, der von vier langen Federn begleitet ist)3)

Kommentar

Zur Worttrennung dienen in unregelmäßigem Wechsel Rosetten und vierblätterige Kleeblätter. Am Ende der ersten und zweiten Zeile erscheinen große Rosetten zur Füllung des verbleibenden Schriftraumes. Dieselbe Funktion erfüllt in der vierten Zeile pflanzliches Ornament. Die Schrift ist sauber und aufwendig gestaltet. Die A-Versalie ist einem pseudounzialen A angeglichen und trägt einen doppelten schrägen Mittelbalken. Die M-Versalie besteht aus drei in gleichem Abstand stehenden Hasten, von denen die mittlere kürzer ist als die beiden außenstehenden. Vom oberen Ende dieser Mittelhaste führen zwei schräge Haarstriche beiderseits zu den Außenhasten, die oben einen ebenfalls schrägen, zu den Haarstrichen parallel verlaufenden Fortsatz zur Buchstabenmitte besitzen. Diese Formen sind durchaus als Ausdruck einer individuellen und auffälligen Schriftgestaltung zu werten. Die Buchstaben b und l zeigen gespaltene Oberlängen.

Ludolf (VI.) von Estorff, Sohn Manegolds (X.), gehörte einer seit dem 12. Jahrhundert nachweisbaren Ministerialenfamilie an4). Die Estorffs, eines Stammes mit der Adelsfamilie Schack5), sind ab 1259 als Burgmannen, seit 1281 auch als Vögte in Lüneburg, also als herzogliche Amtsträger, nachzuweisen6). Ludolf (VI.) kann als bedeutendster Vertreter der Familie im späten Mittelalter gelten. Eggert von Estorff datiert sein erstes Auftreten in das Jahr 13597), die gedruckten Quellen nennen ihn erstmals unter dem 18. Januar 1361, als er gemeinsam mit seinen Brüdern einen zum Estorff’schen Burglehen gehörenden Hof an den Rat der Stadt Lüneburg verkauft8). Am 7. April 1426 erscheint er offenbar zum letzten Mal in einer Urkunde9). Er dürfte ein Alter von annähernd 90 Jahren erreicht haben.

Es verwundert nicht, daß E. von Estorff 173 Quellenstücke ermittelt hat, die von Ludolfs Tätigkeiten als herzoglicher Ministerialer und als Privatmann Zeugnis ablegen. In den Auseinandersetzungen des Herzogs Magnus mit der Stadt Lüneburg verfiel er als dessen Anhänger 1371 der Reichsacht10). Nach dem mißglückten Angriff auf die Stadt im Oktober desselben Jahres, der von den Estorff’schen Burgmannenhöfen seinen Ausgang nahm, geriet er in Gefangenschaft der Stadt und kam erst im Jahre 1374 wieder frei11). In der Folgezeit hatte er mehrfach, zumeist gemeinsam mit seinem Bruder Manegold (XIII.) und anderen Adeligen, Schlösser der Landesherren in Pfandbesitz: Meinersen, Bleckede, Dannenberg und Warpke. Zum Teil handelte es sich um Weiterverpfändungen durch die Stadt Lüneburg12). Nach Abschluß der Sate 1392 gehörte er zu den 16 erwählten Sadesluden, die die Einhaltung der Bestimmungen überwachen sollten13). Seit dieser Zeit, auch nachdem er 1396 auf Betreiben der Herzöge als Vorsteher der Sate ausgeschieden war, trat er häufig als Vermittler und Schlichter in verschiedenen Streitigkeiten auf14). Dabei wurden seine Dienste auch außerhalb des welfischen Herrschaftsbereich in Anspruch genommen, wie etwa 1410 in Lübeck15). Auch als Kreditgeber für die Herzöge ist er nachzuweisen16).

Obwohl Ludolf in Fehden mit anderen Adeligen verwickelt war17), müssen sich die daraus resultierenden Schäden in Grenzen gehalten haben. Ein Verzeichnis seines Besitzes aus dem Jahre 1412 weist ihn als wohlhabenden Mann aus: unter anderem bezog er Einkünfte aus 115 Höfen, die überwiegend in Ortschaften im östlichen Teil des Fürstentums lagen18). Infolge der topographischen Verteilung des Besitzes nimmt E. von Estorff als Hauptwohnsitz Ludolfs Neetze (10 km ostwärts Lüneburg) an und sieht in ihm den Begründer der älteren, 1497 erloschenen Neetzer Linie der Familie19).

Mehrere Stiftungen für Kirchen, teilweise gemeinsam mit seinem Bruder Manegold (XIII.), sind für Ludolf von Estorff bezeugt20). Bezüglich des Klosters Lüne fehlen genauere Angaben. Es hat sich jedoch die Bestätigung einer Seelgerätstiftung durch Propst Heinrich Bodenstede, Priorissin Mechthild und den Konvent des Klosters erhalten, die eindeutige Rückschlüsse erlaubt21): um mannygherleye woldat willen, de uns und unsen stichte in langhen voriaren schen is, wird Ludolf gemeinsam mit seinen Söhnen Manegold (XIV.) und Ludolf (VII.) in die Gebetsbrüderschaft des Klosters aufgenommen. Außerdem erhalten sie einen Begräbnisplatz nach freier Wahl im Klosterbezirk zugesprochen. Nach ihrem Tode soll ihr Gedächtnis durch Vigilien und Seelenmessen begangen werden. Diesen Vereinbarungen zufolge erhielt Ludolf sein Grab an der oben bezeichneten Stelle22).

Textkritischer Apparat

  1. Ohne Kürzungszeichen. Estorff: dm.

Anmerkungen

  1. So lokalisiert durch Gebhardi, Coll. II, 1763, S. 396. Ebenso: Müller, Topographie, S. 610, mit Bezug auf die Klosterchronistik. Auf falscher Beobachtung beruht die Angabe, die Platte sei „ungeheuer, ohne alle Inschrift [!] und nur mit dem Estorffschen Wappen versehen“.
  2. Wendland, Kloster Lüne, S. 206. Ebenso bereits Mithoff, S. 126.
  3. Vgl. Ledebur, Wappen. Ledebur weist nach, daß sich die vier Federn aus vier in gleichmäßigen Abständen um den Korb angeordneten Stäben entwickelt haben, die ursprünglich nur als Bekrönung kleine Federbüsche trugen. Heute besteht die Helmzier aus neun Birkhahnfedern. – Die Stellung der Lilie im Schild ist gewissen Schwankungen unterworfen, im 15. Jahrhundert herrscht jedoch die auf der Grabplatte anzutreffende Form in schrägrechter Stellung vor (Ledebur, S. 78). Es ist jedoch ein Siegel Ludolfs (VI.) von 1390 nachzuweisen (Ledebur, S. 75, Abb. 10), das die Lilie in vertikaler Stellung im Schild zeigt.
  4. Stammtafel II (Anlage IV b.) zu: Estorff, Geschichte. Über Ludolf ebd., S. 43–50, außerdem bei: Estorff, Geschlecht, S. 42–49.
  5. Ledebur (wie Anm. 3), S. 74, Anm.*). – Estorff, Geschichte, S. 1.
  6. Estorff, Geschichte, S. 10.
  7. Estorff, Geschichte, S. 43.
  8. Sudendorf, Bd. 3, S. 81 f., Nr. 127. Der veräußerte Hof lag beim Stadtgraben außerhalb des Lindenberger Tores.
  9. Estorff, Beitrag, S. 429 f., Anm. 49: Abdruck einer Schuldverschreibung der Herzöge Bernhard, Otto und Wilhelm von Braunschweig und Lüneburg.
  10. Sudendorf, Bd. 4, S. 149–155, Nr. 219, hier S. 151, Zeile 27. Vgl. Estorff, Geschichte, S. 34.
  11. Urfehdeschwur der Gebrüder Ludolf und Manegold von Estorff: Volger, Urkundenbuch, Bd. 2, S. 192, Anm. 2. – Zu den Vorgängen vom Jahre 1371 vgl. Will, Ursula-Nacht, mit Erwähnung „des Hofes Estorp“ S. 12.
  12. 1380 Bleckede gemeinsam mit Hartmann von Spörcken: Volger (wie Anm. 11), S. 315–318, Nr. 950; Meyer (Hg.), Chronik, S. 26, zum Jahr 1380. Bis zum Jahre 1393 ist Ludolf häufiger als Besitzer des Schlosses nachzuweisen, zumeist gemeinsam mit seinem Bruder Manegold, so etwa 1392, September 20: Sudendorf, Bd. 7, S. 116–119, Nr. 104. 1393, Mai 15, wird Bleckede mit anderen Gütern der Herzogin Sophie, Gemahlin Herzog Heinrichs von Braunschweig und Lüneburg, als Leibzucht verschrieben: Sudendorf, Bd. 7, S. 190 f., Nr. 167. – 1387, Januar 13, wird Ludolf von Estorff vom Rat der Stadt Lüneburg als alleiniger Inhaber des Schlosses Warpke verpflichtet: Volger (wie Anm. 11), S. 425 f., Nr. 1053; Sudendorf, Bd. 6, S. 177, Nr. 164. – Zu den vorausgegangenen Vereinbarungen von 1387, Januar 11, s. Sudendorf, Bd. 6, S. 175 f., Nr. 162. – Vgl. Behr, Pfandschloßpolitik, über Ludolf von Estorff bes. S. 25, Anm. 25, und S. 26 sowie die Übersicht S. 228.
  13. Vgl. Behr (wie Anm. 12), S. 37. Die 16 Sateleute wurden paritätisch vom Adel sowie von den Städten des Landes entsandt. 1392, September 20, wurden Ludolf von Estorff und sein Bruder Manegold auf die Sate verpflichtet: Volger, Urkundenbuch, Bd. 3, S. 220, Nr. 1296; Sudendorf, Bd. 7, S. 116–119, Nr. 104.
  14. Nachweise etwa bei Grotefend, Urkundenbuch, S. 116 f., Nr. 116 (1402); S. 117 f., Nr. 117 (1403); S. 118 f., Nr. 118 (1404). – Volger (wie Anm. 11), S. 323 f., Nr. 1399 (1396); S. 358–368, Nr. 1419 (1397); S. 403, Nr. 1448 (1398). Überwiegend betreffen diese Zeugnisse Vereinbarungen zwischen den welfischen Herzögen und den Städten des Landes, teilweise sind jedoch auch andere Verhandlungspartner beteiligt, wie etwa die Städte Hamburg und Lübeck (1396, 1397) oder die Herzöge von Schleswig (1398).
  15. Urkundenbuch der Stadt Lübeck, Teil 5, S. 324–326, Nr. CCXCIV: Vergleich zwischen der Stadt Lübeck und den Herzögen von Lauenburg. Weitere Beziehungen Ludolfs zu Lübeck aus den Jahren 1399, 1409 und 1411 nachgewiesen bei Estorff, Geschichte, S. 47 f.
  16. 1399, März 9, Schuldverschreibung der Herzöge über 350 Mark: Estorff, Geschichte, S. 48. – 1426, April 7, Schuldverschreibung der Herzöge über 200 Mark lüb. sowie 800 Mark lüb., verzinst zu 5 % mit Einkünften aus dem Salzzoll zu Lüneburg: Estorff (wie Anm. 9), S. 429 f., Anm. 49. Die Angabe bei Estorff, Geschichte, S. 48, diese 800 Mark seien insgesamt Schuld vom Lüneburger Salzzoll, trifft in dieser Formulierung nicht zu.
  17. Estorff, Geschichte, S. 48.
  18. Druck: Estorff, Geschichte, S. 152–158, mit dem Titel: „Anno incarnatione domini millesimo CCCCXII hebbe ik, Ludelef van Estorppe de elder, myn landtgud laten bescriven, dat myn unde myner kinder Maneken unde Ludeleve mede hort“.
  19. Estorff, Geschichte, S. 49.
  20. Im Jahre 1400 stattete Ludolf gemeinsam mit seinem Bruder und seinen Söhnen die Kirche in Bleckede mit Grundbesitz aus, im Jahre 1406 gemeinsam mit seinem Bruder die Kirche in Embsen: Estorff, Geschichte, S. 49, mit Nachweisen aus ungedruckten Quellen.
  21. Teildruck: Estorff, Geschichte, S. 159 f., mit dem nicht begründeten Datum 1412. Die Abfassung dieser Urkunde fällt in die Zeit zwischen 1412 (Beginn der Amtszeit des Propstes Heinrich Bodenstede, vgl. Nr. 28) und 1415 (Tod der Priorissa Mechthild von Oedeme, vgl. Nr. 18). – Der auf das Begräbnis bezügliche Passus lautet: Vortmer gheve we na eren levende bigrafft wor ze levest ligghen willen in unsem clostere. und willet ze alle jar beghan laten myd villyen und myd zelmissen. Zur Gewährleistung dieser Totengedächtnisse sowie bestimmter damit verbundener Zahlungen an die Konventualinnen, Priester, Scholaren und den Küster sind von Ludolf 100 und 13 Mark gegeben worden. Das Entgegenkommen des Klosters ging so weit, daß es heißt: Wanne me uns bodeschop deyt, dat erer ienich bynnen landes ghestorven sy, den schulle we myd unsem eghenen waghene halen laten.
  22. Müller (wie Anm. 1) hält diesen Platz für das Erbbegräbnis der Familie von Estorff.

Nachweise

  1. Gebhardi, Coll. II, 1763, S. 396.
  2. Estorff, Geschichte, S. 50.
  3. Estorff, Geschlecht, S. 48 f.
  4. Abbildung: Estorff, Geschichte, Bild 5 neben S. 50.

Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 23 (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0002309.