Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)

Nr. 18 Kloster Lüne (1415)

Beschreibung

Grabplatte einer Priorissa, höchstwahrscheinlich der Mechthild von Oedeme, im nördlichen Kreuzgangflügel im dritten Joch von Osten an der Wand zur Kirche aufgerichtet. Selenit.

Die Platte ist außerordentlich stark verwittert und abgetreten, vornehmlich in der unteren Hälfte. Im Mittelfeld ist als Ritzzeichnung eine weibliche Figur in langem, faltenreichem Gewand mit Kopfschleier zu erkennen, umgeben von einer bogenförmig abgeschlossenen Baldachinarchitektur. In grob ausgeführten erhabenen Buchstaben trägt der Rand die Umschrift, in der linken oberen Ecke beginnend. Die Eckfelder wurden offenbar nicht freigelassen oder ornamentiert, sondern waren, wie in der erhaltenen oberen linken Ecke, vollständig als Schriftraum genutzt. Ludwig Albrecht Gebhardi fand diese Platte 1763 vor dem Marienaltar in der nordöstlichen Ecke des Kreuzganges neben der Grabplatte für Ludolf von Estorff aus dem Jahre 1428 vor und fertigte eine Zeichnung der Inschrift an1). Bereits zu dieser Zeit war der Text kaum besser erhalten als heute, so daß sich Gebhardi zu einem – völlig irrigen – Rekonstruktionsversuch veranlaßt sah, der zur Zuweisung der Platte an die 1504 verstorbene Priorissa Sophia von Bodenteich führte2). Schon aus stilistischen Gründen scheidet diese Festlegung aus.

Dennoch verhilft Gebhardis Inventarisierung in Verbindung mit einer älteren Nachricht zu einer Entscheidung in der Frage, wem Platte und Inschrift gelten. In einer im 17. Jahrhundert entstandenen, jedoch auf früheren Quellen basierenden Chronik des Klosters3) heißt es: „Die ehrwürdige Priorissin von Oedeme liegt begraben im Gange vor dem Altar, neben unserm treuen Diener von Estorpp“4). An der hier bezeichneten Stelle nun stieß Gebhardi auf die von ihm beschriebene, hier zu behandelnde Grabplatte. Das bedeutet, daß es sich bei der dargestellten Priorissa um Mechthild von Oedeme gehandelt haben muß. Deshalb besteht kein Anlaß, den Literaturangaben zu mißtrauen, die – zuletzt 1902/03 – vor dem Marienaltar die Sepultur Mechthilds lokalisieren5). Daß die Inschrift nicht mitgeteilt wird, liegt in deren seit dem 18. Jahrhundert nur noch fragmentarischen Erhaltungszustand begründet. Die Zuweisung der Platte an Mechthild von Oedeme läßt sich also aufrechterhalten, wenngleich ihr Name im Text nicht mehr erhalten ist. Wann der Stein an den heutigen Platz verbracht wurde, ließ sich nicht ermitteln.

Maße: H.: 205,0 cm; B.: 87,0 cm; Bu.: 11,3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal.

Kloster Lüne [1/1]

  1. Anno d[omi]ni x[....]/[............]oa) a[d]b) fes[tu]c) [...........]/ [.......................]/[.........................]rij c(uius) a[n]i[m]a r[e]q[ui]escatd)

Kommentar

Soweit es die erhaltenen Schriftreste erkennen lassen, war der Text in dem für die Grabplatten dieser Zeit üblichen Formular mit Angabe von Todesjahr und -tag, Namen und Stellung der Verstorbenen und einer abschließenden Gebetsformel abgefaßt6). Die Buchstaben rij lassen sich ergänzen zu monasterij, dem vermutlich ein huius vorausging.

Mechthild von Oedeme entstammte einer noch im Mittelalter ausgestorbenen Niederadelsfamilie, die ihren Namen nach einem heute zum Stadtgebiet Lüneburgs gehörenden Ort erhielt. Die Oedeme unterhielten sowohl zum Michaeliskloster wie auch zum Kloster Lüne enge Verbindungen7). Zwischen 1341 und 1345 sind mehrere bedeutende Besitzübertragungen Huner von Oedemes an den Konvent in Lüne bezeugt8). In welches Jahr der Amtsantritt der Priorissa Mechthild von Oedeme fällt, ist umstritten. Gebhardi nennt 1395, Pfeffinger 13979). Nach den Angaben Noltes amtierte sie von 1396 bis 141510). Sollte diese Auffassung zutreffen, müßte es sich bei der 1394 nachzuweisenden Mechtildis priorissa um eine gleichnamige Vorgängerin handeln11). Daß Mechthild von Oedeme 1415 verstarb, ist unumstritten, so daß dieses Jahr für die Datierung der Inschrift übernommen wurde.

Textkritischer Apparat

  1. Vor dem o haben sich Reste dreier in etwa gleichem Abstand nebeneinanderstehender Hasten erhalten, die eine Lesung als m erlauben. Daran knüpft sich die Vermutung, daß die Jahreszahl gelautet haben könnte: ...xivco/ quinto decimo ...
  2. Die Stelle ist stark zerstört. Erhalten sind zwei Hasten in Fragmenten. Von der linken Haste stehen die beiden unteren Drittel, die unten nach rechts in einen gebrochen ausgeführten Bogen übergehen. Über der Zeile befindet sich eine Fehlstelle, die den schräggelegten Deckbalken eines d aufgenommen haben könnte. Der Befund erlaubte auch eine Lesung als o oder b, keinesfalls jedoch als n.
  3. Das tu nur in Teilen der Hasten erhalten.
  4. Das erste e fehlt, das Wort besitzt keine Kürzungszeichen.

Anmerkungen

  1. Gebhardi, Coll. II, 1763, S. 396: „Vor dem Altar ist ein beschädigter Leichstein, auf welchem eine bethende Nonne im Schleier eingehauen ist. Von der Umschrift ist nur dieses zu lesen: [folgt Zeichnung].“ – Zur Grabplatte Ludolf von Estorffs vgl. Nr. 23.
  2. Nach der Zeichnung bei Gebhardi (wie Anm. 1) war am Ende der unteren Schriftzeile die Buchstabengruppe poiss erhalten, zweifellos der Rest des Wortes „priorissa“. Das zu erwartende Abkürzungszeichen an der Haste des p ist von Gebhardi nicht nachgewiesen. Zwar war gegenüber dem heutigen Zustand die Inschrift im Mittelteil der rechten und im unteren Teil der linken Seite besser erhalten, doch intakt kann die Beschriftung kaum gewesen sein: Gebhardi bietet den Text nur in sehr undeutlichen Zeichen. Dennoch führt er schließlich aus: „Vielleicht soll es heißen: Anno dn. XVc IIII obiit domina Sophia de Bodendick priorissa reformata huius monasterii cuius anima requiescat.“
  3. Die Grundlage bilden zwei Chroniken aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die 1629 von Friedrich Leseberg, Pastor in Lüne, ausgeschrieben und zur Grundlage einer eigenen Darstellung gemacht wurden: Nolte, S. 32–34, S. 54 f. Mit diesen Bemerkungen Noltes sind die Angaben bei Meyer, Reformationsgeschichte, S. 162–164, über die Chronistik des 17. Jahrhunderts überholt.
  4. Zitat: Müller, Topographie, S. 610.
  5. Müller (wie Anm. 4), S. 610: „Der Leichenstein, worauf das Bild der Priorissa gehauen, findet sich noch jetzt (1793) dort nebst dem Altar und dem Estorffschen Begräbnisse.“ – Mithoff, S. 129. – Wendland, Kloster Lüne, S. 206.
  6. Vgl. etwa die aus dieser Zeit stammenden Grabplatteninschriften der Lüneburger Michaeliskirche, etwa Nr. 11, 12, 13 und 14.
  7. Das Nekrologium des Michaelisklosters führt mehrfach Angehörige der Familie auf. Vgl. Nekrologium des Klosters S. Michaelis in Lüneburg, hg. von Wedekind; etwa S. 11 (Februar 10): Heinrich von Oedeme; S. 22 (März 22): Gottfried von Oedeme; S. 36 (Mai 10): Gebhard von Oedeme; S. 55 (Juli 29): Adelheid von Oedeme; S. 68 (September 12): Oda von Oedeme; S. 71 (September 23): Beate und Hilmar von Oedeme; S. 72 (September 27): Huner von Oedeme; S. 78 (Oktober 20): Gebhard von Oedeme; S. 91 (November 30): Hildemar von Oedeme.
  8. Nolte, S. 78, 79, 85.
  9. Gebhardi, Coll. II, 1763, S. 410. – Pfeffinger, Historie, Bd. 2, S. 658.
  10. Nolte, S. 136.
  11. Hodenberg, Lüneburger Urkundenbuch, 7. Abt., Nr. 792 (1394, Juni 16): Johannes prepositus, Mechtildis priorissa totusque conventus monasterii sancti Bartholomei in Lune ordinis sancti Benedicti ... Eine Urkunde vom 30. April 1396 (ebd., Nr. 803) beginnt mit denselben Worten.

Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 18 (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0001808.