Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)

Nr. 8† St. Michaeliskirche 1325

Beschreibung

Glocke. Ludwig Albrecht Gebhardi hat eine Beschreibung sowie eine Zeichnung der Inschriften hinterlassen1). Danach trug die Glocke die Umschrift (A), vermutlich als Schulterinschrift. Über einem Teil dieses Textes befand sich die Inschrift (B). Sie war so angeordnet, daß ihre Zeilenmitte ungefähr auf gleicher Höhe mit dem Einleitungskreuz von (A) lag. Am Mantel waren in etwa gleichmäßigen Abständen vier Reliefs angebracht. Sie zeigten eine Majestas Domini, die Heiligen Drei Könige, Maria2) und die Kreuzigung Christi mit Maria und Johannes als Assistenzfiguren. Als erhabene Strichzeichnungen erschienen darunter, ebenfalls in gleichmäßigen Abständen, ein bekreuztes Alpha und ein bekreuztes Omega sowie – unterhalb des Einleitungskreuzes – eine Darstellung des Heiligen Michael.

Die Glocke stammte aus der alten Michaeliskirche am Kalkberg, gegossen offenbar nach Vollendung der dort zur Zeit Herzog Ottos des Strengen vorgenommenen Bauarbeiten3). Nach Auflassung des Klosters wurde sie in die nach 1376 neu errichtete, heutige Kirche innerhalb der Stadt übernommen, 1791 aber wie die meisten anderen Glocken des Geläutes verkauft und eingeschmolzen4).

Maße: H.: 127,0 cm (52//); Dm.: 146,0 cm (60//); Bu.: ca. 5,0 cm (über 2//) bei A, ca. 1,2 cm (etwa1/2//) bei B.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover [1/1]

  1. A

    + DUM · TRAHOR · AVDITE · VOCO · UOS · AD · SACRA · VENITEa).

  2. B

    ANNO · D(OMI)NI · M̊ · CC̊C · XX̊V · V̊I · K(A)L(ENDAS) · AVG(VSTI) · OLRICVS · ME · FECIT ·

Übersetzung:

Während ich geläutet werde, hört zu: ich rufe euch zu den Gottesdiensten; kommt!

Im Jahre des Herrn 1325, an den 6. Kalenden des August, hat mich Olricus geschaffen.

Datum: 1325, Juli 27.

Kommentar

Die Inschrift (A) bildet einen zweisilbig gereimten leoninischen Hexameter und ist in dieser oder ähnlicher Form auf Glocken häufiger nachzuweisen5).

Gebhardis Zeichnung der Inschriften6), die detaillierter ist als seine Beschreibung der Glocke, vermittelt ein genaues Bild vom Charakter der Schrift. Es handelte sich um eine sorgfältig ausgeführte gotische Majuskel. Zur Worttrennung dienten einfache, kleine Punkte auf Zeilenmitte. Die Inschrift (A) besaß unziales M und N, ein unziales D (ad) und zwei pseudounziale A (trahor und zu Anfang in sacra). Auch die T in trahor und venite waren unzial ausgeführt. Das E in audite und die beiden C in voco und sacra waren rechts durch einen kräftigen Abschlußbogen geschlossen. Alle Buchstaben der Inschrift (A) besaßen Verzierungen aus Blattornament, teilweise als Abschluß der Hasten, teilweise auch zur Füllung von Innenflächen.

Gebhardis Beobachtung, daß diese Gestaltung der Buchstaben auf den Grabplatten für Herzog Otto und seine Gemahlin aus dem Jahre 1330 wiederkehrte7), verhilft dazu, auch diese Metallarbeiten dem in der Inschrift (B) genannten Gießer Olricus zuzuschreiben. Wrede hat darauf hingewiesen, daß die oben erwähnten, ebenfalls von Gebhardi in Zeichnungen festgehaltenen Reliefs auch bei der Anfertigung zweier Lüneburger Taufbecken verwendet wurden: das eine befand sich in der St. Michaeliskirche und wurde wie die Glocke 1791 eingeschmolzen, das andere ist heute in der St. Nikolaikirche aufgestellt8). So sind auch diese Gefäße als Werke des Olricus identifiziert. Er war in Lüneburg als Nachfolger des Glockengießers Hermann (Clocghetere) tätig, der 1291 die Bürgerrechte der Stadt erworben hatte9).

Textkritischer Apparat

  1. Danach folgt bei Hodenberg und Mithoff: hora.

Anmerkungen

  1. Zeichnung: Gebhardi, Coll. VI, 1772, S. 445; Beschreibung: Coll. I, 1762, S. 369. Danach das Folgende und die Wiedergabe der Inschriften.
  2. Eine genauere Spezifizierung fehlt. Vermutlich handelte es sich um eine Darstellung der Maria mit dem Kinde.
  3. Vgl. dazu Nr. 9.
  4. Wrede, Die Glocken der Stadt Lüneburg, S. 48.
  5. Walter, Glockenkunde, S. 205 f., Anm. 3, mit Beispielen aus der Zeit um 1310 aus dem Raum Sachsen-Anhalt, aus anderen Gebieten Deutschlands sowie aus Dänemark, Holland und Frankreich bis in das 19. Jahrhundert hinein. Walter vermutet, daß diese Inschrift für Dominikal- oder Sonntagsglocken reserviert war.
  6. Gebhardi, Coll. VI, 1772, S. 524; vgl. ebd. S. 445.
  7. Gebhardi, Coll. VI, 1763, S. 687: „Die Buchstaben des Grabes Ottonis Strenui, nemlich die zwei Platen, stimmen genau mit den Buchstaben der alten Glokke ... überein.“ – Vgl. Nr. 9.
  8. Wrede (wie Anm. 4).
  9. Walter (wie Anm. 5), S. 891 f., mit Nachweis weiterer Arbeiten des Olricus im Raum Lüneburg.

Nachweise

  1. Gebhardi, Coll. I, 1762, S. 369; Coll. VI, 1772, S. 445 (Zeichnung).
  2. Hodenberg, Lüneburger Urkundenbuch, 7. Abt., S. 212, Nr. 318 b.
  3. Mithoff, S. 168 (nach Gebhardi).
  4. Wrede, Die Glocken der Stadt Lüneburg, S. 46 (nach Gebhardi).
  5. Reinecke, Geschichte, S. 107.

Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 8† (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0000802.