Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

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DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)

Nr. 1† St. Michaeliskirche (1011)

Beschreibung

Grabschriften auf Herzog Bernhard I. von Sachsen (A) und seinen Bruder, Graf Liudger (B), die beide im Februar 1011 verstarben1). Die Wiedergabe der Texte folgt der maßgeblichen Edition Karl Streckers von 19392).

  1. A

    Omne, quod haca) superab) vivumc) dinoscitur aura,Vivere dum properat, iam iam nichil esse laborat.Quod probat hic tumulus, qui claudit flebile funusEheu Bernhardi, quem planguntd) climmatae) mundi,Quorsum vertuntur, que nocte dieque moventur.Dum viguit vita, dux precluisf) extitit, ista,Ex atavis clarus, sed clarior actibus eius.Nunc cinis et pulvis, quo se caro deputat omnis.In quinisg) Februi persolvens debita mortiIdibus, unde venit, mox spiritus astra subivith).Psychen, Christe, suii) celi fac arce locari.

Übersetzung:

Alles, was in dieser oberirdischen Luft für lebend erkannt wird, ist, während es eilt zu leben, davon geplagt, im nächsten Augenblick nichts zu sein. Das erweist dieses Grab, welches einschließt die beweinenswerte Leiche, ach, Bernhards, den die Erdzonen betrauern, wohin auch immer sie sich wenden, die sie in der Nacht und am Tage bewegt werden. Solange dieses Leben blühte, war dies ein hervorragender Herzog, berühmt nach seiner Abstammung, doch berühmter noch durch seine Taten. Nun ist er Asche und Staub: dafür bestimmt sich alles Fleisch. An den fünften Iden des Februar löste er dem Tod seine Schuldigkeit ein. Bald erreichte sein Geist die Höhen, von wo er kam. Christus, laß geschehen, daß seine Seele in die Himmelsburg versetzt wird.

Datum: [1011] Februar 9.

  1. B

    Asspice, mortalis sumptus de pulvere pulvis: Quo sibik) principium revocetl) nos federe nostrum, Hoc locus iste notat, qui fratrum pigneram) servat, Qui tegitn) hos dominos sub parvo cespite clausos. Hic quoque Liudegeruso), nam cernis nomen alius, Gloria gentis erat, dum flatu et carnep) vigebatq) Fratris profectusr) virtutum calle secutus. Sed superesse viri populo solatias) tanti Mors breviter sivit, que nulli parcere novit. Dum Marst) bis binasu) renovasset sorte kalendas, Deposuit carnemv), cui presta, Christew), quietem.

Übersetzung:

Schau her, da du als sterblicher Mensch vom Staub genommen bist: nach welcher Vereinbarung uns unser Ursprung zu sich zurückruft, das macht dieser Ort hier kenntlich. Er bewahrt die Überreste von Brüdern. Er bedeckt diese Herren, eingeschlossen unter einer kleinen Grabplatte. Auch dieser Liudger – den Namen des anderen kannst du ja sehen – trug zum Ruhm seines Geschlechts bei, solange ihm Lebensatem und körperliche Gesundheit beschieden waren und er den Erfolgen seines Bruders auf dem Weg der Tugend folgte. Aber der Tod duldete nur kurze Zeit, daß dem Volk der Trost an einem solch großen Mann blieb, der Tod, der keinen zu verschonen versteht. Als der März durch das Schicksal zweimal je zwei Kalenden erneuerte, legte er seinen Körper nieder. Christus, gewähre ihm Ruhe!

Datum: [1011] Feburar 26.

Es ist ungewiß, ob diese Texte inschriftlich ausgeführt waren. Deshalb wurde zu ihrer Benennung der neutrale Begriff „Grabschrift“ gewählt. Im folgenden ist darzulegen, mit welcher Berechtigung sie dennoch in den Katalog der Inschriften aufgenommen worden sind. Dazu ist zunächst auf ihre Überlieferungsgeschichte, ihre formale und inhaltliche Gestalt sowie ihr Verhältnis zu Inschriften auf erhaltenen Grabdenkmälern aus der Zeit um die Jahrtausendwende einzugehen, um auf diese Weise Anhaltspunkte für ihre Datierung zu erhalten. In einem zweiten Schritt ist zu untersuchen, an welcher Stelle der Kirche die Sepulturen Bernhards und Liudgers gelegen waren und ob deren Ausgestaltung die Existenz geeigneter Inschriftträger vermuten läßt. Beide Grabschriften waren in einer aus dem Lüneburger Michaeliskloster stammenden Sammelhandschrift überliefert, die 1943 beim Brand des Staatsarchivs in Hannover vernichtet worden ist3). Eine Überprüfung der Texte am Original ist also nicht mehr möglich. Es liegen jedoch Beschreibungen der Handschrift durch den älteren Gebhardi4), Wedekind5) und Weiland6) vor, die sämtlich im Zusammenhang mit Editionen darin enthalten gewesener Texte entstanden sind. Strecker hat den Codex für seine 1939 erschienene Sammlung von Grabschriften aus ottonischer Zeit benutzt, untersucht ihn jedoch nicht näher, sondern gibt lediglich an, er habe Wedekinds Angaben geprüft7). Die Handschrift war im Staatsarchiv unter der Signatur Ms. I, 39 abgelegt und trug, offenbar als Relikt und Beweis erster Archivierungsmaßnahmen der Neuzeit, den Titel „Copialbuch N. 1“ sowie die Registraturbezeichnung „A IIb 1“8). Sie stammte überwiegend von einer Hand des beginnenden 13. Jahrhunderts. Nur das darin enthaltene Nekrologium wurde anschließend von verschiedenen Schreibern bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts weitergeführt. Ergänzungen an anderer Stelle sind nicht erfolgt, wenn man von einer unerheblichen Ausnahme absieht9). Der Codex erhielt seinen besonderen Charakter dadurch, daß der Hauptschreiber nur solche Texte aufgezeichnet hat, die teilweise bedeutend älteren Vorlagen entnommen wurden. Das gilt mit Gewißheit für die Personalliste billungischer Fürsten und der Äbte des Michaelisklosters, die zwischen 1071 und 1085 entstanden ist10). Auch das Nekrologium ist anscheinend in seiner ersten, wohl noch aus dem 10. Jahrhundert herrührenden Fassung in diese Sammelhandschrift übernommen worden11). Ebenfalls hier fand sich die im folgenden noch mehrfach zu nennende Chronik der sächsischen Herzöge, die bis auf die Zeit der Niederschrift fortgeführt war12). Weilands textkritische Untersuchungen zeigen indessen, daß auch hier eine Vorlage benutzt wurde, die aus dem 12. Jahrhundert stammte und nur um die Einträge über jüngst zurückliegende Ereignisse erweitert, also aktualisiert wurde13). So ist die Feststellung erlaubt, daß man es im Kloster zu Beginn des 13. Jahrhunderts unternahm, wichtige ältere Schriften, besonders solche kalendarischer und chronographischer Art, zu kopieren und in einer Sammelhandschrift zusammenzufassen. Dem trägt der Jahrhunderte später hinzugefügte Titel „Copialbuch“ in zutreffender Weise Rechnung. Fol. 99v dieses Codex nun bot die beiden Grabschriften auf Bernhard und Liudger, unmittelbar anschließend, auf fol. 100r, folgte ein aus 23 Hexametern bestehender lateinischer Text, den Weiland irreführend als Epitaph – also Grabschrift – für Hermann Billung bezeichnet14). Zwar enden diese Verse mit einer Fürbitte um Gnade für die Verstorbenen, auch wird Hermann Billung genannt, doch die originäre Intention des Textes zielt auf etwas anderes ab: in der Form eines Gedichtes wird die Frühgeschichte des Michaelisklosters dargestellt15). So wird berichtet, daß eine Mönchsgemeinde im Dienste des archiminister, also des Erzengels Michael, Gebete verrichtet und Hermann Billung zu dessen Ehren ein Kloster gegründet habe. Auch habe dieser die Absicht gehabt, für die Ordnung des monastischen Lebens in seiner Gründung die Benediktsregel einzuführen. Infolge seines Todes jedoch habe erst sein Sohn Bernhard diesen Plan vollenden können, indem er einen gewissen Ludericus als Abt des Michaelisklosters berief16). Hier wird also die gleichsam doppelte Gründung des Klosters erläutert: erstmals erfolgte sie durch Hermann Billung, der dem Erzengel Michael ein Kloster errichtete, das zweite Mal durch Bernhard, der den ersten benediktinischen Abt bestellte und damit den im Traditionsverständnis der Klosterangehörigen späterer Zeit sicherlich bedeutsameren Schritt vollzog. Außer Bernhard werden schließlich seine Gemahlin, ihrer beider Kinder sowie die Familie der Billunger schlechthin genannt. So greift die Bezeichnung ‚Grabschrift‘ oder ‚Epitaph‘ für diese Verse nicht weit genug. Statt dessen sollen sie im folgenden als Memorialgedicht bezeichnet werden. Damit wird man ihrer Eigenheit mit den Bezügen zum billungischen Haus und zur Frühgeschichte des Klosters am ehesten gerecht. Nur acht der 23 Hexameter sind einsilbig leoninisch gereimt17). Eine andere Gestaltung – unter formalen wie inhaltlichen Aspekten – zeigen die Grabschriften auf Bernhard und Liudger. Im Gegensatz zum Memorialgedicht sind sie jeweils nur einer Person gewidmet und bestehen beide aus elf einsilbig reimenden leoninischen Hexametern. Beide beginnen mit einem allgemeinen Memento mori, das sodann durch den Hinweis auf ein vorhandenes Grab (hic tumulus; locus iste) einen konkreten Bezug erhält. Dann folgt die Namensnennung des jeweils Verstorbenen sowie eine panegyrische Würdigung seines Lebens. Gegen Ende wird der Todestag angeführt, und beide Gedichte enden mit der Anrufung Christi um ewige Ruhe für die genannten Toten. Hier ist ohne jedes Bedenken der Begriff ‚Grabschrift‘ zu verwenden, und beide Texte sind nach Form und Inhalt in einem Maße verwandt, daß sie gleichzeitig entstanden sein müssen und deshalb sicherlich auch denselben Verfasser gehabt haben. Das Memorialgedicht dagegen hat eine andersartige inhaltliche Zielsetzung und ist formal weniger sorgfältig durchgebildet. Damit steht es für sich. Der Schreiber des 13. Jahrhunderts nun überliefert alle drei Stücke gemeinsam und stellt sie als Block in eine Abfolge von Texten, die keine Beziehung untereinander erkennen lassen. Zuvor stehen chronikalische Weihenotizen18), danach findet sich eine Verdener Bischofsliste19). Diese Form der Überlieferung gibt weder Hinweise auf das Alter der drei Gedichte noch auf die Gestalt der Vorlage, der der Schreiber gefolgt sein könnte. Daß er nämlich auf eine ältere Vorlage zurückgegriffen hat, dürfte wahrscheinlich sein. Denn was nachweisbar für das Nekrologium und die Personalliste gilt, müßte auch auf die Aufzeichnung der Gedichte zu übertragen sein. Dafür spricht im übrigen auch, daß nicht zusammengehörige Stücke – die beiden Grabschriften einerseits und andererseits das Memorialgedicht – kompiliert wurden20). Damit tritt die Frage nach der Beschaffenheit der Vorlage, zunächst aber die nach dem Alter der drei Gedichte in den Vordergrund. Die größte Aufmerksamkeit ist den beiden Grabschriften zuzuwenden. Der einsilbige leoninische Reim weist in das 11. Jahrhundert21). Vergleiche der formalen und inhaltlichen Merkmale mit dazu geeigneten zeitgenössischen Texten stützen diese Datierung. Mit Absicht sind hier als Beispiele solche Texte gewählt worden, die sich auf erhaltenen Grabmonumenten befinden. Zu nennen ist der Deckel vom Sarg des Ritters Ratger aus Utrecht (10. Jh.)22), die Marmorplatte mit der Grabschrift der Äbtissin Ruothildis von Pfalzel (nach 989, heute in Trier)23), der Stein mit der Inschrift auf einen Stephan im Museum zu Vienne (1012)24) oder die Grabschrift des Propstes Wignand zu St. Stephan in Mainz (1048)25). Alle auf diesen Denkmalen anzutreffenden Texte sind den Grabschriften auf Bernhard und Liudger formal und inhaltlich eng verwandt, so daß deren Enstehung für das 11. Jahrhundert und damit durchaus für die Zeit kurz nach 1011, ihrem Todesjahr, angenommen werden darf. Diese Annahme steht in Einklang mit der älteren Forschungsmeinung. Wedekind setzt die Abfassung der Verse „ins zweite Jahrzehend des elften Jahrhunderts“26). Diese Datierung überträgt er dann auch auf das Memorialgedicht, betrachtet also die drei Texte gemäß ihrer Überlieferung als Einheit. Daß gegen eine solche Klassifizierung formale und inhaltliche Gründe sprechen, wurde bereits deutlich. Daraus folgt jedoch nicht, daß das Memorialgedicht wesentlich später als die beiden Grabschriften entstanden sein muß; es kann durchaus ebenfalls für das 11. Jahrhundert in Anspruch genommen werden, hat aber, wie oben erwähnt, vermutlich einen anderen Verfasser gehabt. Vielleicht hat man zu einem heute nicht mehr bekannten Zeitpunkt die beiden Grabschriften aufgezeichnet und bei dieser Gelegenheit als Ergänzung die 23 Hexameter hinzugefügt, so daß auf diese Weise eine Vorlage entstanden sein könnte, auf die sich der Schreiber zu Anfang des 13. Jahrhunderts bezogen haben mag. Wedekind dagegen vermutet, die Grabschriften wie auch das Memorialgedicht seien von „alten Denkmälern abgeschrieben“ worden27). Auch Strecker scheint dieser Ansicht gewesen zu sein, äußert sich zu diesem Punkt indessen nicht eindeutig, sondern beschränkt sich darauf, Wedekinds Ausführungen unkommentiert wiederzugeben28). Hier wird also vorausgesetzt, daß in der Kirche Grabmonumente vorhanden waren, von denen die Texte abgenommen werden konnten. Diese Voraussetzung ist sorgfältig auf ihre Berechtigung zu untersuchen. Wenn nämlich Grabdenkmale des 11. Jahrhunderts für Bernhard und Liudger vorhanden waren, wird es möglich, von der Existenz potentieller Inschriftträger auszugehen. Damit wiederum wäre die wichtigste Prämisse für eine Entscheidung darüber gegeben, ob die beiden Grabschriften, deren Entstehung für das 11. Jahrhundert wahrscheinlich gemacht werden konnte, tatsächlich als Inschrift ausgeführt waren. Das Memorialgedicht wird für das Folgende außer acht gelassen, weil es aufgrund seiner Eigenheiten nicht als Inschrift auf einem Grabdenkmal erschienen sein kann. Deshalb ist das Interesse auf die Sepultur Herzog Bernhards und Liudgers zu konzentrieren. Einen ersten Hinweis liefert auch hier eine Angabe Wedekinds. Bevor er von den „alten Denkmälern“ spricht, nennt er den Standort, an dem sie anzutreffen gewesen sein sollen: „Diese Grab- und Denkschriften, welche noch nie richtig abgedruckt sind, haben sich in der herzoglichen Familiengruft, in der Unterkirche des alten Klosters auf dem Kalkberge befunden, was am 1. Februar 1371, während des sächsisch-lüneburgischen Erbfolgestreits, mit dem Schlosse zerstört ist“29). Zwei der hier direkt oder indirekt ausgesprochenen Behauptungen verdienen besondere Aufmerksamkeit: daß sich in der Krypta der Michaeliskirche die Familiengruft der Billunger befand und daß Bernhard und Liudger hier beigesetzt wurden. Beide Behauptungen lassen sich anhand schriftlicher Quellen überprüfen. Die Hildesheimer Annalen berichten zum Jahre 1011, König Heinrich II. sei am Aschermittwoch, also am 7. Februar, nach Corvey gekommen. Unmittelbar anschließend heißt es: Ibi Bernhardus pius dux 5. Id. Februarii obiit, et in Luniburg cenobio beati Michahelis magno exequiarum planctu sepultus, quod ipse a fundamento construxerat, et in qua [!] monachorum congregacionem adunaverat30). Diese Notiz ist von außerordentlicher Wichtigkeit. Zunächst bestätigt sie die Angabe des Todestages im Grabgedicht auf Bernhard. Weiterhin wird nicht nur der Sterbeort des Herzogs, nämlich Corvey, bekannt, sondern auch der Ort seiner Beisetzung: er wurde im Michaeliskloster zu Lüneburg bestattet. Die Nachricht, Bernhard habe das Kloster von Grund auf erbauen lassen und dort einen Mönchkonvent ansässig gemacht, deckt sich mit den dargelegten Aussagen des Memorialgedichtes. In diesem Punkt schildern also zwei voneinander unabhängige Quellen denselben Sachverhalt, so daß es berechtigt ist, in Bernhard den zweiten Gründer des Klosters zu sehen und ihm damit einen herausragenden Platz in der Geschichte der Abtei zuzuweisen. Die Bedeutung seines Vaters Hermann als Urheber der Klostergründung bleibt dadurch unberührt. Daß das Michaeliskloster unter diesen Umständen Familiengrablege der Billunger wurde, versteht sich fast von selbst. Die bereits genannte, im Kloster entstandene Chronik des sächsischen Herzogshauses31) verzeichnet folgerichtig die in der Michaeliskirche vorhandenen Sepulturen von Persönlichkeiten des billungischen und welfischen Hauses bis einschließlich Herzog Wilhelm († 1213). Danach erhielt Hermann Billung seine Bestattung medio monasterio, dieselbe Bezeichnung wird für die meisten anderen Fürstengräber verwendet32). Diese Standortbestimmung mit sinnentsprechenden Varianten wie etwa in medio basilicae monasterii oder in medio ecclesiae begegnet in mittelalterlichen Texten häufig und bezieht sich nicht nur auf Grablegen, sondern auch auf Altäre mit Hl.-Kreuz-Patrozinium, auf Kandelaber, Kronleuchter oder Heiligengräber33). Friedrich Oswald hat nachgewiesen, daß mit dieser Formel sehr verschiedene Stellen im Kirchenbau gemeint sein können. Gemeinsam aber ist allen auf diese Weise lokalisierten Objekten, daß sie sich stets auf der Längsachse der Kirchen befinden34). Hervorzuheben ist außerdem, daß alle von Oswald behandelten Objekte bis auf eine Ausnahme35) ihren Platz im Kirchenschiff haben: im Langhaus, in der Vierung oder im Chor. Wenn also zur Bezeichnung der Fürstengräber in Lüneburg der Ausdruck medio monasterio benutzt wird, so ergibt sich daraus mit Sicherheit nur, daß die Sepulturen auf der Mittelachse des Kirchenschiffes lagen. Dieser Befund reicht aus, um Wedekinds Behauptung, in der Krypta der Michaeliskirche habe eine herzogliche Familiengruft bestanden, entschieden in Zweifel zu ziehen. Gänzlich unglaubwürdig wird er, wenn man bedenkt, daß die Krypten bis in das 12. Jahrhundert von Bestattungen im allgemeinen freigehalten wurden und ihrem eigentlichen Zweck, der Aufnahme von Heiligenleibern, vorbehalten blieben36). Es wäre indessen unstatthaft, die Existenz einer fürstlichen Familiengrablege in Lüneburg grundsätzlich in Frage zu stellen. Wedekinds Lokalisierung ist sicherlich irrig, und wenn er von einer Gruft spricht, so hat er sich vermutlich von den noch heute bestehenden Verhältnissen in der seit 1376 neu errichteten Michaeliskirche leiten lassen, die nun in der Tat eine Gruft für die Bestattungen der herzoglichen Familie erhielt37), und auf eine Parallele in der aufgelassenen und zerstörten Kirche geschlossen. Eine tiefer ausgehobene und ausgemauerte Gruft für mehrfache Grablegungen wird es dort jedoch nicht gegeben haben. Bei der Kirchenbestattung herrschte gerade im hohen Mittelalter das einfache Begräbnis zur Erde vor, die Gräber wurden etwas über den Boden erhöht und mit einer Deckplatte verschlossen38). Ein anschauliches Beispiel dafür bietet die Grabstätte des Gegenkönigs Rudolf von Schwaben († 1081) im Merseburger Dom39). Eine ähnliche Gestaltung ist für die nachweislich vorhandenen billungischen Gräber in der Michaeliskirche anzunehmen. Auffällig ist, daß die Chronik die Standortbezeichnung der fürstlichen Sepulturen nicht stereotyp mit Hilfe der Wendung medio monasterio vornimmt, sondern durchaus Unterscheidungen trifft. Abweichend ist die Angabe über Bernhard und Liudger – darauf ist später einzugehen – wie auch für Bernhard II. († 1059). Dieser wurde vor dem Hl.-Kreuz-Altar beigesetzt40). Durch Oswalds Untersuchungen ist bekannt, daß Altäre mit diesem Patrozinium ihren Platz im allgemeinen im östlichen Teil des Mittelschiffs erhielten, und zwar auf der Mittelachse, also in medio ecclesiae oder medio monasterio41). Bestattungen vor Kreuzaltären waren sehr gesucht; Heinrich der Löwe wurde in St. Blasii zu Braunschweig in medio pavimento ante crucem quam erexerat begraben42), die Grabstelle liegt im vorletzten östlichen Joch des Langhauses43). Einen vergleichbaren Standort wird man für die Sepultur Bernhards II. vermuten dürfen. Wichtiger ist jedoch, daß die Chronik gemäß der zeitgenössischen Terminologie auch in diesem Fall die Wendung medio monasterio hätte gebrauchen können. Da das aber nicht der Fall ist, andererseits aber genaue Unterscheidungen der einzelnen Plätze getroffen werden und dennoch die meisten Gräber medio monasterio gelegen haben, ist der Schluß erlaubt, daß die beiden Worte einen bestimmten Bezirk im Kirchenschiff umschreiben sollen, der für die Bestattungen der fürstlichen Personen genutzt wurde. Dieser Bereich kann sich nicht vor dem Kreuzaltar befunden haben, weil diese Stelle mit einer anderen Formulierung benannt worden wäre, so, wie es im Falle Bernhards II. geschah. Er also wurde an einem gemeinhin häufig gewählten, aber anderen Platz beigesetzt als die meisten übrigen Angehörigen der fürstlichen Familie. Nun wäre aber ein weniger bevorzugter Teil der Kirche als der Bereich vor dem Kreuzaltar kaum als Ort der Grablege gerade auch des Klosterstifters Hermann Billung denkbar. Deshalb kann sich der den fürstlichen Sepulturen vorbehaltene Bezirk durchaus in der Vierung oder im Chor befunden haben. Otto I. († 973) wurde im Chor der Domkirche des von ihm gegründeten Erzbistums Magdeburg beigesetzt44). Im Dom zu Speyer lagen die Kaisergräber im Langhaus45). Man ist geneigt, gerade das Speyerer Beispiel auch auf Lüneburg anzuwenden: mehrere nebeneinanderliegende Einzelbestattungen zur Erde, möglicherweise in zwei hintereinanderliegenden Reihen. Auch wenn über die Baugeschichte der alten Michaeliskirche nichts bekannt ist46), kann diese Vermutung bestehen bleiben, ein Analogieschluß ist bei der hohen gesellschaftlichen Stellung der billungischen Herzöge durchaus erlaubt. Damit ist Wedekinds Behauptung von der Existenz einer Fürstengruft in der Krypta hinfällig. Er ist jedoch im Recht, wenn er die Krypta als den Ort nennt, in dem Herzog Bernhard I. und Graf Liudger bestattet wurden. Diese Feststellung scheint in Widerspruch zu dem bisher Ausgeführten zu stehen, gerade dann, wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, daß Begräbnisse in Krypten unüblich waren und die Kirche einen Bereich für Grablegen der Herzogsfamilie besessen haben muß. Es existieren indessen eindeutige schriftliche Zeugnisse, die sich durch weitergehende Überlegungen stützen lassen. Ausgangspunkt ist eine Notiz der Herzogschronik, auf deren Zuverlässigkeit in der Bezeichnung der fürstlichen Sepulturen die vorgetragene Argumentation zu großen Teilen beruht. Es heißt dort über Bernhard I.: sepultus est Luneburg, in cripta, iuxta fratrem suum Luderum comitem, ante altare sancte Marie semper virginis47). Von allen billungischen und welfischen Familienmitgliedern, die die Chronik nennt, haben also allein die Brüder Bernhard und Liudger ihr Grab in der Krypta erhalten. Es ist sogar möglich, mit Hilfe einer anderen, ebenfalls in der Handschrift des beginnenden 13. Jahrhunderts überlieferten Quelle eine genauere Lokalisierung zu treffen48). In einer Notiz über die Weihe der Krypta im Jahre 1048 werden Einzelheiten ihrer Ausstattung genannt. Danach besaß der Raum drei Altäre, die, wie es die Beschreibung anzunehmen nahelegt, vermutlich alle an der Ostwand, vielleicht in gestaffelten Altarnischen eines nach basilikalem Grundriß errichteten Gebäudes, gestanden haben; der mittlere Altar, also der Hauptaltar, war der Maria geweiht49). Angesichts der oben behandelten Nachricht der Hildesheimer Annalen, beim Tode Herzog Bernhards habe das Kloster in seinen Baulichkeiten bestanden (quod ipse a fundamento construxerat), überrascht das Weihedatum in der Mitte des 11. Jahrhunderts und gibt bezüglich der Baugeschichte Probleme auf, die hier allerdings vernachlässigt werden können. Denn es ist unbedenklich, die Hinweise auf Anordnung und Benennung der Altäre in der Krypta auf den bereits zu Anfang des Jahrhunderts herrschenden Zustand zu übertragen50). So ergibt sich mit einiger Sicherheit, daß Bernhard und Liudger inmitten der Krypta vor dem Hauptaltar beigesetzt wurden. An besonders hervorgehobener Stelle des Kirchenbaues also – außerhalb der präsumtiven Familiengrablege und an einem Ort, der gewöhnlich Heiligenleibern vorbehalten war – befand sich ein Doppelgrab, dessen Exklusivität stets gewahrt blieb. Denn wie sich aus der Überlieferung ergibt, wurden hier keine weiteren Angehörigen des Fürstenhauses oder andere Personen bestattet. Daß in so auffälliger Form vom Herkömmlichen abgewichen wurde, kann nur durch eine besondere Rolle und Wertschätzung der hier Beigesetzten erklärt werden. Es ist nicht ersichtlich, daß diese Grabstelle für eine andere Persönlichkeit als Herzog Bernhard I. vorgesehen gewesen wäre. Da es sich um ein Doppelgrab handelt, wäre zu erwarten, daß man an seiner Seite nicht seinen Bruder, Graf Liudger, sondern seine Gemahlin beigesetzt hätte. Daß es dazu nicht kam, hängt offenbar mit besonderen, zeitbedingten Gegebenheiten zusammen: Liudger starb nur wenige Tage nach seinem Bruder, die Grabschrift nennt als Todestag den 26. Februar. Dieses Datum wird durch eine Angabe der Quedlinburger Annalen bestätigt. Dort heißt es zum Jahr 1011: Bernhardus dux, a rege secundus, multigenis sapientiae scientiae pietatisque donis fecundus, invehitur coelos, sanctae ecclesiae multa tempora lugendus. Quem lamentatione dignum, 18. die moriens secutus est Liudgerus comes, frater suus51). Da Bernhards Todestag, der 9. Februar, aus den Hildesheimer Annalen bekannt ist, läßt sich für Liudger der 26. Februar errechnen. Damit ist an der durch die beiden Grabschriften überlieferten Angabe, daß die Brüder innerhalb eines Monats starben, nicht zu zweifeln. Einen Anhaltspunkt zur Erklärung dieses ungewöhnlich wirkenden Sachverhalts bieten ebenfalls die Quedlinburger Annalen. Unmittelbar auf die Nachricht vom Tod der beiden Billunger folgt eine längere Passage über eine grassierende Pestepidemie, die weite Landesteile ergriffen habe52). Ein ausdrücklicher Bezug zu dem vorhergehenden Eintrag wird zwar nicht hergestellt, ist aber zu vermuten. So wird es wahrscheinlich, daß die Grabstelle in der Krypta der Michaeliskirche ursprünglich nicht für Bernhard und Liudger, sondern für Bernhard und seine Gemahlin bestimmt gewesen ist und nur wegen unvorhersehbarer, aktueller Ereignisse nicht nach dem beabsichtigten Plan belegt werden konnte. Trifft diese Vermutung zu, so muß das Ehepaar eine herausragende Bedeutung für die Klostergeschichte gehabt haben. Denn nur damit ließe sich die Einrichtung seiner Sepultur in der Krypta rechtfertigen. Zur Bestätigung und Erläuterung ist hier auf die Tatsache zurückzukommen, daß Herzog Bernhard als zweiter Gründer der Abtei anzusehen ist. Die Übergabe des Klosters an den Benediktinerorden geht auf ihn zurück. So jedenfalls berichtet das Memorialgedicht, andere Quellen bestätigen diese Angaben. Diesem Bild fügt sich ein, daß die Quedlinburger Annalen zum Jahr 992 einen Luzo als Lüneburger Abt nennen53). In unmißverständlicher Klarheit äußert sich die Herzogschronik. Es heißt dort: Hic Bernhardus dux gloriosus monasterium, quod pater eius magna devocione inchoaverat, simili studio promovere cupiens, quendam virum reliosum [!] nomine Ludericum de monasterio sancti Pantaleonis, quod est Colonie, vocatum eidem monasterio prefecit abbatem, quem sub regula sancti Benedicti vivere constituit cum monachis ibidem collectis54). Damit steht fest, daß Herzog Bernhard – wie bereits die Hildesheimer Annalen berichten – der Gründer des Michaelisklosters als Benediktinerabtei war. Zugleich steht fest, daß der Gründungskonvent unter Leitung des Abtes Ludericus aus St. Pantaleon in Köln stammte, Lüneburg demnach der Trierer Gruppe der Gorzer Filiationen zuzurechnen ist55). Das Nekrologium des Klosters vermerkt den Namen eines Abtes Christian56). Es ist davon auszugehen, daß sich dieser Eintrag auf den ersten Abt von St. Pantaleon bezieht, der 1001 starb57). Auf diese Weise bewahrte man in Lüneburg das Gedächtnis an das Kölner Mutterkloster. Das Gedächtnis an den Gründer ließ sich vor allem dadurch bewahren, daß man ihm eine Grablege in der Krypta gewährte. Diese Feststellung gründet sich auf Überlegungen, zu denen die erhaltenen schriftlichen Quellen Anlaß gaben. Unumstößliche Beweise lassen sich nicht anführen. Eindeutig ist nur die Lokalisierung der Grabstätte Bernhards durch die Notiz der Herzogschronik, der zu mißtrauen kein Grund besteht. Im Zusammenhang mit der Behandlung der fürstlichen Grablege im Schiff der Michaeliskirche wurde als Beispiel die Anlage der Kaisergräber im Dom zu Speyer genannt. Im Zusammenhang mit der Sepultur Bernhards in der Krypta ist ein Beispiel in räumlicher und zeitlicher Nachbarschaft zu nennen, dem eine besondere Qualität zukommt. Im Jahre 1022 erhielt der Gründer des Benediktinerklosters St. Michael in Hildesheim, Bischof Bernward, sein Grab in der Westkrypta der Kirche vor dem der Maria geweihten Hauptaltar58). Das Hildesheimer Michaeliskloster aber war wie das Lüneburger eine Filiation von St. Pantaleon in Köln59). Zu Anfang des 11. Jahrhunderts müssen zwischen den beiden niedersächsischen Abteien enge Verbindungen bestanden haben, Bischof Bernward erscheint im Lüneburger Nekrologium60). So liegt der Gedanke nahe, die Parallelen zwischen beiden Ordenshäusern könnten sich auch auf den Begräbnisplatz ihrer Gründer erstreckt haben. Die Ausgestaltung der Sepultur für Bischof Bernward ist bekannt. Er erhielt einen mit Inschriften versehenen Sarkophag für eine Erdbestattung, das leicht erhöhte Grab wurde mit einer Platte verschlossen, die eine in zwei Distichen gefaßt Grabschrift trug. Beide Denkmäler sind erhalten61). Thangmars Bernwardbiographie berichtet von einer weiteren, ebenfalls poetischen Grabschrift, die in einer nicht näher erläuterten Form schriftlich ausgeführt und innerhalb der Krypta angebracht war62). Das Hildesheimer Beispiel führt zu der Ausgangsfrage zurück, ob es Grabmonumente für Herzog Bernhard in der Lüneburger Michaeliskirche gegeben hat, wie es Wedekind annimmt, und gibt eine Entscheidungshilfe. Denn nach allem bisher Ausgeführten ist davon auszugehen, daß Grabdenkmäler für den Billunger existiert haben. Selbst wenn deren Ausgestaltung weniger aufwendig als für Bischof Bernward gewesen ist, muß zumindest eine Grabplatte vorhanden gewesen sein. Und es kann behauptet werden, daß diese Grabplatte Inschriften getragen hat. Damit sind Wedekinds Angaben im Kern glaubwürdig, wenngleich nicht von einer Familiengruft in der Krypta der Michaeliskirche gesprochen werden kann. Hier befand sich lediglich die Grablege des (zweiten) Klostergründers Bernhard I. Als Ergebnis aller Überlegungen bleibt festzuhalten, daß Herzog Bernhard das von seinem Vater Hermann eingerichtete Michaeliskloster einem Benediktinerkonvent übergab und den ersten Abt bestellte, der aus dem Kloster St. Pantaleon in Köln stammte. Dadurch kam dem Herzog die Rolle eines zweiten Gründers zu, so daß für ihn der exponierte Begräbnisplatz in der Krypta der Kirche vor dem Hauptaltar bestimmt wurde. Sein Grab muß eine Ausgestaltung besessen haben, die inschriftlich ausgeführte Texte einbezog. Sein Bruder Liudger, der – vielleicht infolge einer Epidemie – nur kurze Zeit nach ihm verstarb, wurde an seiner Seite bestattet, obwohl dieser Platz ursprünglich für Bernhards Gemahlin vorgesehen gewesen sein wird. Liudgers Grab war vermutlich in ähnlicher Weise gestaltet wie dasjenige Bernhards und mit einer Inschrift versehen. Auf diesen Befund stützt sich der Entschluß, die zu Anfang des 13. Jahrhunderts aufgezeichneten Grabschriften für Bernhard und Liudger in den Katalog der Lüneburger Inschriften aufzunehmen. Dennoch ist darauf hinzuweisen, daß nicht sicher zu entscheiden ist, ob sie mit den Inschriften auf den Grabmonumenten identisch waren. Die oben erwähnten Beispiele von Texten auf erhaltenen Denkmalen zeigen zwar, daß eine solche Annahme naheliegt. Denkbar ist aber auch, daß die Grabschriften auf Bernhard und Liudger auf einem Inschriftträger gestanden haben, der in strengem Sinne nicht als Grabdenkmal zu bezeichnen wäre – wie etwa die Gedächtnistafel für die Äbtissin Ruothildis –, sondern lediglich in der Nähe der Grabstelle angebracht war. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Text der Ruothildis-Platte wenige Jahrzehnte nach dem Tod der Äbtissin in einer Handschrift aufgezeichnet wurde63). Ähnlich könnte man auch in Lüneburg vorgegangen sein und damit eine Vorlage geschaffen haben, die zu Anfang des 13. Jahrhunderts für die Niederschrift der Verse benutzt wurde. So ist es die Beziehung zu analogen Beispielen und das Abwägen von Wahr- scheinlichkeiten, die dazu Veranlassung gaben, die beiden Grabschriften an dieser Stelle zu behandeln und damit ihre Ausführung als Inschrift anzunehmen. Letzte Gewißheit besteht indessen nicht. Deshalb sei abschließend auf die wesentlichen Unsicherheiten hingewiesen. Zunächst ist in Rechnung zu stellen, daß der einsilbige leoninische Reim, der im 10. und 11. Jahrhundert eine umfangreiche hexametrische Literatur ergriffen hatte, über eine lange Zeitspanne normbildende Kraft ausübte64). Deshalb ist das Fehlen zweisilbiger Reime kein völlig sicheres Datierungsmerkmal. Daß aber die Grabschriften früher entstanden sein müssen als die Handschrift des beginnenden 13. Jahrhunderts, läßt sich allein daraus schließen, daß im Kloster um diese Zeit zweisilbig gereimte, in der ganzen Reimtechnik ohnehin komplizierter gestaltete Verse verfaßt wurden. Das ist an den unter Nr. 9 erwähnten Texten zu erkennen. Auch wenn man an der Datierung der Grabschriften in das 11. Jahrhundert festhält – schwerwiegende Gründe sprechen nicht dagegen –, ergibt sich ein Bedenken aus der Art der Überlieferung. Die Vorlage, die der Schreiber mutmaßlich benutzte, gab die beiden Gedichte in Gemeinschaft mit einem Memorialgedicht, das, wie gezeigt wurde, nicht als Inschrift ausgeführt gewesen sein kann. Zwar steht es in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu den beiden Grabschriften, ein mittelbarer Konnex ließe sich aber herstellen, wenn man annimmt, auch die Grabschriften seien – wie das Memorialgedicht – von der Intention her nur literarisches Produkt und damit nicht für die Ausführung als Inschrift bestimmt gewesen. Für solche ausschließlich literarischen Grabschriften gibt es Beispiele auch aus dem 10. und 11. Jahrhundert65), und unter der Gattungsbezeichnung „Epitaph“ begegnen solche poetischen Grabschriften bis weit in die Neuzeit hinein66). Es ist also nicht grundsätzlich auszuschließen, daß die Grabschriften auf Bernhard und Liudger in dieser literarischen Tradition stehen. Weitaus gewichtiger ist ein Bedenken, das sich auf eine offensichtlich erstmals vom jüngeren Gebhardi vorgebrachte Bemerkung gründet. Dieser äußert die Vermutung, die Grabschriften hätten sich auf Pergamentblättern befunden, die in der Nähe der Gräber aufgehängt waren67). Auf den ersten Blick erscheint diese Vermutung abwegig. Mit einer Grabschrift soll das Gedächtnis des Verstorbenen am Ort seiner Sepultur dauerhaft festgehalten werden. Unter diesem Aspekt ist eine Ausführung als monumentale Inschrift unabdingbar: ein mit Tinte auf Pergament geschriebener Text ist in kürzester Zeit der Vernichtung preisgegeben, wenn er nicht sorgfältig und sachgemäß verwahrt wird. Wollte man also Gebhardi folgen, so erschiene die Annahme einleuchtender, daß die Grabschriften deshalb handschriftlich auf Pergament verzeichnet wurden, weil sie von Anbeginn als nur literarisches Memento mori gedacht waren und eine konkrete Verbindung zur Grabstätte nicht hergestellt werden sollte. So müßte eine Anbringung in der Nähe der Sepultur ausscheiden, zumal, wie wahrscheinlich gemacht werden konnte, an der Grabanlage Inschriften vorhanden gewesen sein dürften. Dennoch ist Gebhardis Vermutung nicht ohne Grundlage. Zur Erläuterung ist noch einmal Thangmars Bernwardbiographie anzuführen, in der die Inschriften der Grabdenkmäler für den Bischof überliefert werden. Thangmar teilt die Texte auf Sarkophag und Grabplatte in korrekter, an den erhaltenen Monumenten nachzuprüfender Form mit und bedient sich in den zugehörigen Beschreibungen einer Terminologie, die eindeutig auf die epigraphische Ausführung der Texte hinweist. So heißt es über die Grabplatte: epytaphyum superscripserat68). Der Wortlaut der Sarkophaginschrift wird als titulus bezeichnet, den Bernward habe einhauen lassen (insculpsit)69). Im letzten Kapitel seiner Biographie nun verzeichnet Thangmar das aus vier Distichen bestehende Grabgedicht auf den Bischof, das den Grabgedichten auf Bernhard und Liudger im übrigen verwandt ist70). Auffällig ist, daß es zur näheren Erklärung heißt: Cernitur nichilominus ad dexteram partem sepulchri, super columpnarum, conscriptio talis71). Hier also fehlt jeder Hinweis auf eine Ausführung der Verse als Inschrift, deutlich ist aber, daß sie in Form einer conscriptio in der Nähe des Grabes zu lesen waren. Der Begriff conscriptio nun weist auf einen Bereich, der mit Inschriften, inscriptiones, nicht in Verbindung gebracht werden kann, nämlich auf die Diplomatik. Conscriptio wird bedeutungsgleich mit subscriptio gebraucht72), und die subscriptio ist Bestandteil des Urkundenformulars73). Damit könnte man die Herstellung einer conscriptio einem Skriptorium zuweisen, und Gebhardis Angabe, die Lüneburger Grabschriften hätten sich auf Pergament befunden, gewinnt an Wahrscheinlichkeit. Es scheint tatsächlich schriftlich aufgezeichnete Grabgedichte in der Umgebung von Grabstätten gegeben zu haben, die als Erzeugnisse der Skriptorien nicht Gegenstand der Epigraphik sein können. Das Hildesheimer Beispiel zeigt jedoch, daß solche conscriptiones inschriftlich ausgeführte Grabschriften – insbesondere auf Grabplatten – nicht ersetzten, sondern ergänzend und deshalb nicht obligatorisch hinzutraten. Wenn Gebhardi – vermutlich in Unkenntnis des hier umrissenen Sachverhaltes – die Grabschriften als conscriptiones begreift, so ist ihm grundsätzlich nicht zu widersprechen, weil eine solche Annahme mangels eindeutiger Hinweise im Bereich des Möglichen liegt. Mit derselben Berechtigung aber dürfen die Texte, wie es hier geschieht und begründet wurde, als inscriptiones begriffen, darf ihre Ausführung als monumentale Inschrift vermutet werden.

Textkritischer Apparat

  1. Halliday: hoc.
  2. Wedekind: supra.
  3. Halliday: vivam.
  4. Halliday: plangant.
  5. Halliday: climate.
  6. [Gebhardi], Halliday, Wedekind: perdius.
  7. Halliday: quivis.
  8. Halliday: subirit.
  9. sic!
  10. [Gebhardi], Halliday, Wedekind: quos ibi.
  11. Halliday: revectros.
  12. Halliday: pignora.
  13. Halliday: teget.
  14. [Gebhardi]: Luidegerus; Halliday: Luiderus; Wedekind:Liudgerus.
  15. [Gebhardi], Halliday, Wedekind: flatus carne.
  16. Halliday: urgebat.
  17. mit Wedekind und Strecker gegen [Gebhardi] und Halliday. Dort: prefectus.
  18. [Gebhardi], Halliday: solertia.
  19. Halliday: mors.
  20. [Gebhardi], Halliday: binos.
  21. Halliday: carmen.
  22. Halliday: Christi; Wedekind: quippe.

Anmerkungen

  1. Vgl. Magistri Adam Bremensis gesta, S. 106, lib. II, c. XLVI: Anno archiepiscopi XXII. Benno dux Saxonum obiit, et Liudgerus, frater eius. – Nekrologium des Klosters S. Michaelis, S. 11, Eintrag zum 9. Februar: Bernhardus dux; S. 15 zum 26. Februar: O. Liudger comes. – Über die genealogischen Zusammenhänge unterrichtet die Stammtafel bei: Freytag, Herrschaft.
  2. Strecker (Hg.), MGH. Poetae 5, S. 292f., Nr. 20, 21. – Vgl. Anm. 20.
  3. Haase und Deeters, Übersicht, S. 3.
  4. J. L. L. Gebhardi, Historisch-Genealogische Abhandlungen, 3. Teil, S. 1–6; Einleitung zu einer Teiledition des Nekrologs unter dem Titel „Todtenbuch des Klosters St. Michael in Lüneburg“ (S. 1–39).
  5. Wedekind, Über Nekrologien, S. 307–339, Note XXX. Darin Beschreibung der Handschrift S. 327–329 als § 12.
  6. Chronicon Sancti Michaelis Luneburgensis, hg. von Weiland. Handschriftenbeschreibung S. 391f.
  7. Strecker (wie Anm. 2), S. 292.
  8. Weiland (wie Anm. 6), S. 391. – Ihm folgend die weiteren hier aufgeführten Angaben zur Handschrift.
  9. Die Blätter 99v und 100 erhielten im 14. Jahrhundert als Marginalien Notizen über Reliquien, „die sich in den Armen eines Kreuzes, neben dem Taufstein, befunden“: Wedekind (wie Anm. 5), S. 328f.
  10. Maßgebliche Edition: Tabula gentis Billingorum et series abbatum S. Michaelis Luneburgensis, hg. von Holder-Egger.
  11. Vgl. Wedekind (wie Anm. 5), S. 329.
  12. Fol. 100v–103v; vgl. Anm. 6. – Die Chronik erwähnt als letztes Ereignis die Eroberung Jerusalems im Jahre 1229.
  13. Weiland (wie Anm. 6), S. 392.
  14. Weiland (wie Anm. 6), S. 391: „f. 99/. 100 Epitaphia rythmica Bernhardi I. ducis, Luderi comitis, Hermanni ducis.“
  15. Maßgebliche Edition durch Strecker (wie Anm. 2), S. 293, Nr. 22. – Vgl. Anm. 20.
  16. Der gesamte Text lautet nach Strecker (wie Anm. 15):

    Hic fratrum numero memorantur nomina sacro, Rite ferunt domino qui laudes et quoque grates,Prompti servitio desudant archiministro, Angelici proceres venerantur quem simul omnes.5Hoc Heriman templum cui vovit sedque locavitNotus ubique bonis dux pollens atque triumphis.Huic erat in voto, monachorum quo foret ordo Hic servans regule Benedicti scripta magistri, Sed raptus mundo complenda reliquerat almo10Bernhardo duci, claro virtute paterna,Haut secus ac iussus qui cuncta peregerat actu, Abbatem statuens Liudricum nomine dignum, Qui regeret monachos semper pietate magistra. Scribitur inprimis Bernhardi nobile nomen,15Coniugis inde pie natorum et indolis alte.Quique locum nobis meruerunt, namque sequuntur, Corpore quos mundus presentes denique servat. Ast memorandorum merito post scribitur ordo. Ipse pater primus precedit in ordine fratri20Dux Heriman, pariter transvexa familia celoEt quoscunque facit socialis gratia karos. Viventes pietate tua tu, Christe, guberna, Defunctis veniam clemens concede benignam.

  17. Die Verse 1: numero – sacro; 3: servitio – ministro; 4: proceres – omnes; 6: bonis – triumphis; 7: voto – ordo; 9:mundo – almo; 15: pie – alte; 23: veniam – benignam. – Ein System, das der Anordnung der gereimten Verse zugrunde liegen könnte, ist nicht erkennbar.
  18. Blatt 98v–99v. Edition: Tituli Luneburgenses, hg. von Weiland. – Zuvor veröffentlich durch Wedekind unter dem Titel: „1. Narratio de consecratione Monasterii S. Michaelis“ (Teil des Anhangs 3: Chronicon Monasterii S. Michaelis, S. 400–422, der bis S. 418 den oben unter Anm. 6 genannten Text bietet).
  19. Blatt 100. Maßgebliche Edition: Series episcoporum Verdensium, hg. von Holder-Egger.
  20. Diesen Gegebenheiten der Überlieferung entspricht, daß Editionen dieser Texte stets die drei Stücke gemeinsam bieten: N. N. [L. A. Gebhardi], Nachricht, hier S. 178–180. Daß es sich bei dem anonymen Verfasser um den jüngeren Gebhardi handelt, geht daraus hervor, daß im 9. Band der von ihm hinterlassenen Kollektaneen auf S. 957 bis 962 die etwas ausführlichere Konzeptfassung dieses Aufsatzes erhalten ist und sich dort auch ein Hinweis auf die Publikation in den Annalen findet. – Halliday, History, S. 374–376. – Wedekind, Grabschriften, Nr. X, hier S. 109–111. – Strecker (wie Anm. 2).
  21. Vgl. Eickermann, Grabschrift, bes. S. 55 und 59f.
  22. Strecker (wie Anm. 2), S. 294, Nr. 24. – Die Inschrift besteht aus vier leoninischen Distichen, der letzte Pentameter allerdings ist reimlos. Inhaltlich ist das Gedicht den hier zu behandelnden eng verwandt. Nach dem allgemeinen Memento mori (V. 1 und 2) folgt der Name des Verstorbenen und eine knappe Würdigung. Das dritte Distichon nennt den Tag seines Todes, und zum Schluß erfolgt die Anrufung Christi um sein Seelenheil.
  23. Kraus (Hg.), Inschriften, S. 203, Nr. 428; Strecker (wie Anm. 2), S. 314, Nr. 60. – Die Platte ist 0,70 m breit und 1,46 m hoch und war, bevor sie in das Trierer Museum gelangte, in eine Wand des Kreuzganges zu Pfalzel eingemauert, diente also nicht als Grabplatte. Auch die hier anzutreffende Inschrift besteht aus vier einsilbig gereimten leoninischen Distichen und gleicht im inhaltlichen Aufbau der vorigen. Allerdings fehlt das allgemeine Memento mori. Das letzte Distichon nennt wiederum den Todestag. – Sehr ähnlich ist die aus derselben Epoche stammende, ebenfalls erhaltene Inschrift für den Mönch Theodor von St. Matthias in Trier: Kraus, S. 177, Nr. 367; Strecker, S. 314, Nr. 61. Strecker stellt gegen Kraus richtig, daß der Stein mit der Grabschrift nicht verschollen ist.
  24. Strecker (wie Anm. 2), S. 333, Nr. 105. – Die Inschrift besteht aus fünf Hexametern und einem Nachsatz in Prosa, der das Todesjahr angibt. Die Verse zeigen untereinander formale Variationen; V. 4 und 5 sind Hexametri caudati, V. 1 bis 3 sind zweisilbig leoninisch gereimt. Die mehrfach genannten Konstituenten der inhaltlichen Gestaltung bleiben gewahrt, auch die Angabe des Todestages (V. 4).
  25. Kraus (wie Anm. 23), S. 122, Nr. 262 (mit Abb.). – Es handelt sich um eine 0,71 m hohe und 0,87 m breite Sandsteintafel, die im Kreuzgang eingemauert ist. Eine Umschrift am Rand nennt Todesjahr und -tag sowie Namen und Status des Verstorbenen. Das Mittelfeld enthält das aus fünf zweisilbig gereimten leoninischen Distichen bestehende Grabgedicht (V. 10 einsilbig). Hier ist dem allgemeinen Memento mori unter Anrede an den lector besonders breiter Raum gewidmet.
  26. Wedekind (wie Anm. 20), S. 108.
  27. Wie Anm. 26.
  28. Wie Anm. 7.
  29. Wie Anm. 26.
  30. Annales Hildesheimenses, hg. von Pertz (teilweise synoptischer Druck mit den Quedlinburger, Weissenburger und den Annalen Lamberts von Hersfeld), S. 93.
  31. Edition: wie Anm. 6. – Vgl. Anm. 18.
  32. Chronicon (wie Anm. 6), S. 394, Z. 21 f.: Eisdem etiam temporibus inclitus vir, dux Hermannus obiit et in medio monasterio, quod ipse construxit, sepultus est. – S. 396, Z. 5 f. über Herzog Magnus: ... sepultus est iuxta patrem et matrem in medio monasterio cum uxore sua predicta Sophia. Damit werden die Gräber der billungischen Herzöge Hermann († 973), Ordulf († 1071) und Magnus († 1106) sowie ihrer Gemahlinnen mit einer gleichlautenden Formulierung lokalisiert. – Nach einer weiteren Angabe der Chronik (S. 397, Z. 19) wurde der Welfe Wilhelm († 1213) ebenfalls medio monasterio bestattet.
  33. Oswald, In medio Ecclesiae, S. 313.
  34. Oswald (wie Anm. 33), S. 325.
  35. Es handelt sich um die Grablege König Heinrichs I. († 936) und seiner Gemahlin Mathilde († 968) in der Krypta der Quedlinburger Stiftskirche: Oswald (wie Anm. 33), S. 322 f.
  36. Zoepfl, Art. Bestattung, Sp. 344.
  37. Vgl. unten Nr. 27 (Denkmal der Fürstengruft).
  38. Zoepfl (wie Anm. 36), Sp. 350, 351 f.
  39. DI. XI (Merseburg), S. 3 f.
  40. Chronicon (wie Anm. 6), S. 395, Z. 20 f.: ... Luneburg apud Sanctam Crucem sepultus est.
  41. Oswald (wie Anm. 33), S. 319.
  42. Annales Stederburgenses auctore Gerhardo praeposito, hg. von Pertz, S. 231. – Es handelt sich nicht um eine Sepultur vor einem Kreuz-, sondern vor einem Marienaltar. Allerdings ist das Grab hier dennoch als Beispiel zu verwenden, weil durch die im Text genannte crux vergleichbare Umstände gegeben sind.
  43. Vgl. Schmidt, Grablege. – Die sorgfältig gearbeitete Untersuchung Schmidts ist geeignet, die Kontroverse um die Grablege Heinrichs des Löwen zu beenden.
  44. Zoepfl (wie Anm. 36), Sp. 341 f., mit dem Hinweis, daß bei Bestattungen in Kirchen der Chor gemeinhin zwar Stiftergräber aufnahm, im übrigen aber möglichst von Gräbern freigehalten werden sollte.
  45. Kubach/Haas, Dom, S. 923 ff.
  46. Vgl. Reinhardt, Art. Lüneburg, St. Michaelis, S. 342. – Ähnlich bereits [Gebhardi] (wie Anm. 20), S. 178, mit einer Deutung des Begriffes medio monasterio, die der hier vorgeschlagenen sehr nahekommt. Es heißt dort, dieser Ausdruck „deutet in andern alten Schriften den östlichsten Theil des Schiffes am Fuße des hohen Chors an“.
  47. Chronicon (wie Anm. 6), S. 394, Z. 42 f. – Diese Nachricht ist übernommen in die Sächsische Weltchronik: „In deme tegeden jare deses keiseres Heinrikes starf de hertoge Benne oder Bernard unde wart begrewen in der cluft to Luneborch bi sinen broder Ludere vor sente Marien altare“ (Sächsische Weltchronik, hg. von Weiland, S. 169). – Zu bemerken ist an dieser Stelle, daß der Verfasser der Braunschweigischen Reimchronik den Begräbnisort Bernhards I. nicht nennt, obwohl er in seinem Exkurs (V. 1163–1225) alle Grablegen der regierenden billungischen Herzöge erwähnt. So heißt es V. 1174–1177: „herzoge Herman wart in dhem toum / gegraben zo Sente Mychahele / zo Luneborch uph dhem castele, / und sin vrowe Hyldegart“ und über Herzog Magnus (V. 1219–1221): „sin vater und sin oldervater / und ir vrowen algater / zo Luneborch sin gegraben“ (Braunschweigische Reimchronik, hg. von Weiland). Es sind hier also alle Mitglieder der Familie genannt, die – wie oben ausgeführt – in der vermuteten fürstlichen Grablege medio monasterio oder vor dem Kreuzaltar, also im Kirchenschiff, bestattet worden sind. Vgl. Anm. 32.
  48. Tituli Luneburgenses (wie Anm. 18). – Die Angaben dieser Tituli wiederholt ein vergleichbarer, zu Anfang des 15. Jahrhunderts im Kloster verfaßter Bericht über Errichtung und Weihe der heute bestehenden Michaeliskirche. Der Bericht ist unter dem Titel „Narratio de fundatione et restauratione monasterii S. Michaelis in Luneburch“ ediert bei Leibniz, Scriptores, Bd. 2, S. 380–382, ebenso unter dem Titel „Bericht über die Stiftung und Herstellung des Michaelis-Klosters in Lüneburg 1418“ bei Wedekind, Noten, Bd. 3, S. 208–211, Nr. XL.
  49. Tituli (wie Anm. 18), S. 398, Nr. 2: Summum altare consecratum est in honorem sancte Marie semper virginis et omnium sanctorum apostolorum ac martirum Christi. ... Altare vero in australi parte consecratum est in honorem sanctorum confessorum, ... In aquilonari autem parte dedicatum est altare in honorem sanctarum virginum, ...
  50. Daß die damit unterstellte Kontinuität gegeben ist und über mehrere Jahrhunderte hinweg gewahrt blieb, wird aus der Anordnung und Benennung der Altäre in der Krypta des seit 1376 innerhalb der Stadtmauern errichteten Kirchenbaues deutlich. Die Narratio (wie Anm. 48), S. 382, berichtet nämlich: Ab illo tunc tempore, saepe dicti Domini Abbas & Conventus ad structuram Monasterii, in quo quantocius Divina celebrarent, frequentibus la- boribus processerunt, unde primo cryptam, quae est sub Choro, cum tribus Altaribus, quemadmodum in antiquo Mo- nasterio fuerat, construxerunt.
  51. Annales Quedlinburgenses, hg. von Pertz (teilweise synoptischer Druck mit den Hildesheimer, Weissemburger und den Annalen Lamberts von Hersfeld), S. 80. – Der sächsische Annalist fügt diese Angabe mit der oben behandelten Notiz der Hildesheimer Annalen (Anm. 30) zusammen, so daß sich bei ihm zum Jahre 1011 beide zitierte Stellen unter geringfügiger Veränderung des Wortlautes als Einheit finden: Annalista Saxo, hg. von Waitz, S. 661.
  52. Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 51), S. 80.
  53. Annales Quedlinburgenses (wie Anm. 51), S. 69. – Gemeinsam mit anderen hochgestellten geistlichen und weltlichen Persönlichkeiten, unter ihnen der Abt von Corvey, König Otto III. und Herzog Bernhard I., wohnte Luzo der Weihe des Domes zu Halberstadt bei. Zur hier auftretenden Namensform des Abtes vermerkt der Herausgeber unter Anm. 51: „i. e. Liudericus.“ – Der sächsische Annalist übernimmt die Nachricht sinngemäß, der Lüneburger Abt wird Liutzo genannt: Annalista Saxo (wie Anm. 51), S. 636.
  54. Chronicon (wie Anm. 6), S. 394, Z. 25–29.
  55. Vgl. Hallinger, Gorze-Kluny, S. 95 und 112.
  56. Nekrologium (wie Anm. 1), S. 22, Eintrag zum 21. März.
  57. Kracht, Geschichte, S. 200, Nr. 1. – Über die Beziehungen zum Lüneburger Michaeliskloster ebd., S. 69 f.
  58. Beseler/Roggenkamp, Michaeliskirche, S. 102 f.
  59. Kracht (wie Anm. 57), S. 70.
  60. Nekrologium (wie Anm. 1), S. 88, Eintrag zum 20. November.
  61. Beseler/Roggenkamp (wie Anm. 58), S. 102 f. mit Abb. 43 (Sarkophag) und Abb. 44 (Grabplatte). Zeller (Bearb.), Stadt Hildesheim, Kirchliche Bauten, S. 204 und Abb. S. 205 (Grabplatte), S. 205 und Abb. S. 206 (Sarkophag). – Berges, Hildesheimer Inschriften, Nr. 13 (Grabplatte), Nr. 14 (Sarkophag).
  62. Vita Bernwardi episcopi Hildesheimensis auctore Thangmaro, hg. von Pertz, S. 782, c. 57. Thangmar bietet folgenden, aus vier Distichen bestehenden Text:

    Hac tumuli fossa clauduntur praesulis ossaBernwardi, miri magnificique viri. Qui patriae stemma radians ut gemma serena, Acceptus Domino, complacuit populo. Nam fuit aecclesiae condignus episcopus ille; Quem Deus Emmanuel diligat et Michahel. Tandem bis senis undeno mense Kalendis Felix hanc vitam mutat in angelicam.

  63. Es handelt sich um chronikalische Notizen aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, die in einer Handschrift des 12. Jahrhunderts enthalten sind. Edition: De rebus Treverensibus saec. VIII–X. libellus, hg. von W[aitz]. Die Wiedergabe der Inschrift (S. 106, Nr. 18) wird mit folgendem Satz eingeleitet: Quod vero nominata hec supra Rothildis canonica fuerit, testatur epitaphium eius, quod est hoc modo: Dem schließt sich der Text des Gedichts (vgl. Anm. 23) an, es fehlen jedoch die Verse 7 und 8.
  64. Eickermann (wie Anm. 21), S. 60.
  65. Kraus (wie Anm. 23), S. 157, Nr. 322, erwähnt eine Grabschrift auf Bischof Theoderich I. von Metz († 984), die nicht zur Ausführung als Inschrift bestimmt war. – Ebd., S. 21–23, Nr. 44, werden elf von Ekkehart IV. von St. Gallen verfaßte Grabgedichte abgedruckt, deren inschriftliche Ausführung unwahrscheinlich ist.
  66. Besonders im Zusammenhang mit Lüneburg ist hier eine Anthologie zu nennen: Lossius, Epitaphia. Diese Sammlung enthält eine große Anzahl von Gedächtnisversen auf Personen verschiedener sozialer Stellung, die indessen alle in näherer oder entfernterer Beziehung zur Geschichte der Stadt standen. Die Gedichte führen stets die Bezeichnung epitaphium. Neben solchen, die epitaphia scripta genannt werden und als ausschließlich literarische Produkte anzusehen sind, finden sich epitaphia erecta, die nicht in jedem Fall den Charakter von Gedichten tragen und z. T. noch heute als Inschrift nachzuweisen sind. Daraus ergibt sich zumindest für das 16. Jahrhundert, daß der Begriff epitaphium nur insoweit eindeutig ist, daß er Texte zum Totengedächtnis bezeichnet. Die Übermittlungsform solcher Texte – nur „schriftlich“ oder „inschriftlich“ – und ihre formale Gestaltung war für seine Anwendung offenbar nicht erheblich. Die Probleme hinsichtlich Terminologie und Nomenklatur für den Bereich der Textüberlieferung von Inschriften sind nicht hinreichend verbalisiert und untersucht.
  67. N. N. [L. A. Gebhardi] (wie Anm. 20), S. 179: „Nach der Sitte damaliger Zeit war wohl diese Grabschrift nicht in Metall oder Stein gegraben, sondern nur auf Pergament geschrieben, und an einer Wand über dem Grabe aufgehängt worden.“ – Ahnlich Halliday (wie Anm. 20), S. 378: „These inscriptions [!] ... were most probably written only on parchment, and hung up near the grave.“
  68. Vita Bernwardi (wie Anm. 62), S. 781, c. 55, mit Wiedergabe des Inschrifttextes. – Berges, Hildesheimer Inschriften, Nr. 13, S. 90 ff.
  69. Vita Bernwardi (wie Anm. 62), S. 781, c. 56, mit Wiedergabe des Inschrifttextes. – Berges, Hildesheimer Inschriften, Nr. 14, S. 97 ff.
  70. Vgl. Anm. 62.
  71. Vita Bernwardi (wie Anm. 62), S. 782, c. 57.
  72. Du Cange, Bd. 2, Sp. 513.
  73. Bresslau, Handbuch, S. 48.

Nachweise

  1. N. N. [L. A. Gebhardi], Nachricht, S. 178 f.
  2. Halliday, History, S. 374–376.
  3. Wedekind, Grabschriften, Nr. X, S. 109 f.
  4. Strecker (Hg.), MGH. Poetae 5, S. 292 f., Nr. 20, 21.

Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 1† (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0000103.