Die Inschriften des Lüneburger St. Michaelisklosters und des Klosters Lüne bis 1550

Vorwort

Die vorliegende Ausgabe von 67 Inschriften des Lüneburger St. Michaelisklosters und des Klosters Lüne bis zum Jahre 1550 entstand als Dissertation, die im Herbst 1982 von der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen angenommen wurde. Meinen Lehrern, Herrn Prof. Dr. Hans Patze und Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Karl Stackmann, bin ich für Anregung und Förderung von Beginn bis Abschluß der Arbeit zu Dank verpflichtet.

Die Inschriftenkommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hat beschlossen, die Abhandlung als ersten Band des Corpus der Lüneburger Inschriften erscheinen zu lassen. Dafür habe ich zu danken. Infolge dieses Beschlusses ist eine Publikation entstanden, die in Bezug auf Art und Umfang der Kommentierung vom bisher Üblichen abweicht. Eine Begründung für diese Abweichung ist im dritten Abschnitt der nachfolgenden Einleitung gegeben. – Das Manuskript wurde 1982 abgeschlossen. Aus Kostengründen mußten die Literaturangaben in den Anmerkungen radikal gekürzt werden.

Für mancherlei Hilfen und Hinweise danke ich Frau Dr. R. Neumüllers-Klauser, Heidelberg, und den Herren Prof. Dr. K. Alpers, Lüneburg/Hamburg, Dr. W. Arnold, Wolfenbüttel, Dr. D. Kötzsche, Berlin, Prof. Dr. F. Rädle, Göttingen, Prof. Dr. H. Reinitzer, Hamburg, und Prof. Dr. M. Thiel, Göttingen.

Bereitwillige Unterstützung gewährten mir das Kestner-Museum Hannover, die Klosterkammer Hannover und das Niedersächsische Landesmuseum Hannover. Den Mitarbeiterinnen der Inschriften-Arbeitsstelle bei der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen danke ich für die Unterstützung beim Lesen der Korrekturen, Druckerei und Verlag für eine reibungslose Zusammenarbeit. Besonderen Dank schulde ich der Hochwürdigen Frau Äbtissin und dem Konvent des Klosters Lüne sowie Herrn Museumsdirektor a. D. Dr. Gerhard Körner (†), Lüneburg.

Lüneburg, im Sommer 1984

E. M.

[Druckseite IX]

Einleitung

Lüneburg gilt als Salz- und Handelsstadt, deren Ansehen, Einfluß und Reichtum im 15. Jahrhundert den höchsten Stand erreichte. Wenn das häufig zitierte Diktum des 1466 verstorbenen Bürgermeisters Hinrik Lange1) , „Lüneburg” und „Saline” seien kongruente Begriffe, Selbstverständnis und Selbstbewußtsein der städtischen Oberschicht dieser Zeit widerspiegelt – woran kaum zu zweifeln ist –, so drückt sich darin auch ein bestimmtes historisches Verständnis dieser Zeit aus: die ersten Jahrhunderte der Geschichte Lüneburgs, die nach einer Formulierung Wilhelm Reineckes „unter fürstlicher Obhut” gestanden hatten2), empfand man als nunmehr zur Vergangenheit gehörig.

Dieser erste Abschnitt der Lüneburger Stadtgeschichte ist bereits im 13. Jahrhundert von einem ökonomischen und sozialen Wandlungsprozeß geprägt; er endete mit den einschneidenden Ereignissen des Jahres 1371: hatte die Bürgerschaft im Februar die welfische Burg auf dem Kalkberg gestürmt und zerstört, so erwehrte sie sich im Oktober, in der Ursulanacht, eines Gegenangriffs des Herzogs Magnus von Braunschweig und Lüneburg auf das energischste2). Diese Geschehnisse führten zu der Konsequenz, daß die Einflußnahme der lüneburgischen Fürsten auf die Stadt für lange Zeit weitgehend ausgeschaltet wurde. Die Befestigungsanlage auf dem Kalkberg wurde geschleift, die Entwicklung der wirtschaftlichen Blüte Lüneburgs nahm einen bedeutenden Aufschwung.

Die vorliegende Abhandlung befaßt sich indessen nicht mit dem auch kulturell reichen Lüneburg des späten Mittelalters, sondern mit zwei geistlichen Institutionen an der Peripherie der Stadt, die durch ihre Geschichte miteinander verbunden sind, mit dem Benediktinerinnenkloster Lüne östlich der Ilmenau, das stets außerhalb der Stadtmauern lag, und der Benediktinerabtei St. Michaelis, von den Ursprüngen her der herzoglichen Burg am westlichen Stadtrand zugeordnet, 1371 ebenfalls aufgelassen und erst seit dem 1376 an anderer Stelle begonnenen Wiederaufbau in die Stadtbefestigung einbezogen3).

1. Zur Geschichte des St. Michaelisklosters und des Klosters Lüne

Es mag durch die topographische Randlage beider Klöster begründet sein, daß sie in neuerer Forschung kaum berücksichtigt wurden. Für das Michaeliskloster fehlt eine befriedigende Darstellung der historischen und wirtschaftlichen Entwicklung3), die Situation für Kloster Lüne ist nur unwesentlich günstiger4).

Wie die Anfänge der Stadt Lüneburg untrennbar mit der fürstlichen Burg auf dem Kalkberg verbunden sind, stehen die Anfänge des Michaelisklosters ihrerseits in enger Verbindung mit der fürstlichen Burg. Im Traditionsverständnis der Klosterangehörigen galt Hermann Billung als Klostergründer5), doch ist die Frühgeschichte der Abtei nicht eindeutig zu erhellen. Vermutlich entstand im 10. Jahrhundert als Zubehör der Burg auf dem Kalkberg ein Kanonikerstift, dessen Kirche vor allem als Grablege der Gründerfamilie dienen sollte.

Dem Benediktinerorden wurde die Einrichtung erst zur Zeit Herzog Bernhards I. († 1011) übergeben6). St. Michael wurde Hauskloster der Herrscherfamilien, zunächst der Billunger, später der Welfen, so daß sich enge Verbindungen zu beiden Fürstenhäusern ergaben. Umfangreiche Zuwendungen von dieser Seite und Unterstützung durch die deutschen Könige und Kaiser geben Zeugnis von der [Druckseite X] Bedeutung des Klosters. Im 12. Jahrhundert traten die Äbte auch politisch hervor und stellten sich in die Dienste Kaiser Lothars III. und Herzog Heinrichs des Löwen. Dem Ansehen des Ordenshauses entsprechend, traten als Mönche überwiegend Angehörige des lüneburgischen Adels ein; der Abt von St. Michael galt als vornehmster Landstand des Fürstentums.

Mit diesen Gegebenheiten hängt zusammen, daß in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Einführung der Reformationsbestimmungen der Bursfelder Kongregation scheiterte. Offensichtlich ließen sich die reaktivierten monastischen Ideale und das Selbstverständnis der adeligen Konventualen nicht in Einklang bringen. 1532 wurde die lutherische Lehre angenommen. St. Michaelis bestand als evangelisches Männerkloster fort, das sich jedoch mehr und mehr zu einer Versorgungsanstalt für Angehörige des Adels wandelte. Der Abt Eberhard von Holle (1555–1586), zugleich Bischof von Lübeck (seit 1561) und Administrator des Stifts Verden (seit 1564)7), beschränkte den Konvent auf sechs adelige Mitglieder, die eine 16-stellige Ahnenprobe zu erbringen hatten. 1655 wurde das Kloster aufgehoben. Der Abt behielt Wappen und bisherige Rechte, verlor aber die Abtswürde und führte fortan den Titel „Landhofmeister”, seit 1674 „Landschaftsdirektor”. Zugleich wurde er Syndikus der lüneburgischen Landschaft. Das Vermögen des Klosters wurde dafür verwendet, eine Schule zur Erziehung junger Adeliger des Landes zu unterhalten, die 1656 vom Landesherren bestätigte Ritterakademie. Damit setzte sich in veränderter Form eine Tradition fort, die bis zu den Anfängen des Klosters zurückreicht: eine Schule bestand bereits im 11. Jahrhundert. Seit 1340 wurde eine zweite Schule betrieben, die Herzog Otto III. am Fuße des Kalkberges hatte errichten lassen und dem Kloster in diesem Jahr übertrug. Aus dieser Anstalt ging die spätere Partikularschule hervor, die auch neben der Akademie bis 1819 fortbestand. Die Ritterakademie wurde 1850 geschlossen. Außer seinen beiden Schulen unterhielt das Kloster ein Hospital, das im 12. Jahrhundert gegründet wurde und nach dem hl. Benedikt benannt war.

Über Anlage und Aussehen der älteren Klostergebäude ist nichts bekannt. Die Weihe einer Kirche ist für 1055 bezeugt, um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert wurden die Baulichkeiten vermutlich weitgehend neu aufgeführt8). Sichere Nachrichten liegen erst für den 1376 innerhalb der Stadtmauern begonnenen Neubau des Klosters vor9). 1425 sollen Kirche und Abtei vollendet gewesen sein. Jahrhunderte später machten die Erfordernisse des Schulbetriebes an der Ritterakademie eine umfangreiche Bautätigkeit notwendig. 1711 wurden die ehemaligen Klostergebäude abgebrochen und neu errichtet. Die einschneidendsten Veränderungen ergaben sich durch die Umgestaltung des Innenraums der Klosterkirche, die zwischen 1792 und 1794 auf Veranlassung des Landschaftsdirektors Friedrich Ernst von Bülow vorgenommen wurde10). Die mittelalterliche Ausstattung ging dabei verloren, so daß heute nur noch wenige Realien erhalten sind, die ein Bild von Charakter und Intensität mittelalterlichen monastischen Lebens zu vermitteln vermögen.

Sehr viel anders verhält es sich damit in Kloster Lüne, dessen historische Kontinuität weitgehend ungebrochen blieb. Noch heute besteht es als evangelisches Damenstift. Wie für das Michaeliskloster ist auch für Lüne das Jahr der Gründung nicht zu ermitteln. Es ist jedoch der Wortlaut einer jetzt verlorenen Urkunde aus dem Jahre 1172 bekannt, deren umfangreiche Narratio den Gründungsvorgang schildert10). Danach zog sich um 1140 ein Mönch des Michaelisklosters als Eremit in die Nähe des Platzes zurück, an dem sich heute das Kloster Lüne befindet. Nach einigen Jahren verließ er die Einsiedelei aus nicht genannten Gründen. Der Abt des Michaelisklosters ließ an der aufgelassenen Stelle eine Kapelle errichten, die 1157 geweiht wurde. 1172 war diese Anlage in der Weise ausgebaut, daß sie einem Frauenkonvent Unterkunft bot. Nolte vermutet, bei dieser Gemeinschaft habe es sich um die Angehörigen eines von Heinrich dem Löwen gegründeten Kanonissenstiftes gehandelt11). Wann im Kloster die Benediktinerregel angenommen wurde, der mutmaßliche Stiftscharakter also verlorenging, ist nicht bekannt. Für 1272 ist die Bezeichnung des Konvents als ordinis sancti Benedicti bezeugt12). Bis zum Jahre 1270 waren die Lüner Pröpste stets Geistliche aus dem St. Michaeliskloster. Um 1240 fielen die Klosterbaulichkeiten einem Brand zum Opfer. Ein zweiter Brand im Jahre 1372 wurde zum Anlaß genommen, das Kloster von seinem ursprünglichen, nicht bekannten Platz an die heutige Stelle zu verlegen.

Einen deutlichen Akzent in der Klostergeschichte setzte die Einführung der Reformbestimmungen der Bursfelder Kongregation im Jahre 1481. In den folgenden Jahrzehnten vollzog sich die monasti-[Druckseite XI]-sche Lebensführung konsequent nach den Idealen der benediktinischen Reform. Die spezifische Ausprägung der klösterlichen Frömmigkeit führte zu einer Blütezeit des Klosters, von der bis heute die erhaltenen Textilarbeiten12) und der spätmittelalterliche Charakter der meisten Baulichkeiten Zeugnis geben. Nach Einführung der lutherischen Lehre im Jahre 1529 wurde der Klosterbesitz durch den Landesherren eingezogen, Lüne blieb indessen als Kloster erhalten. 1711 wurde es evangelisches Damenstift.

Bekannt ist es für seine reichhaltigen Bestände vor allem spätmittelalterlicher Kunstgegenstände, die größtenteils im Kloster selbst entstanden. So sind die bau- und kunstgeschichtlichen Überreste aus Kloster Lüne ungleich zahlreicher als die aus dem Michaeliskloster. Dem entspricht, daß von den 33 Inschriften aus Lüne, die dem Zeitraum bis 1550 angehören, nur zwei verloren sind, während sich von den 34 Inschriften des Michaelisklosters 23 nicht erhalten haben.

Zitationshinweis:

DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Einleitung, 1. Zur Geschichte des St. Michaelisklosters und des Klosters Lüne (Eckhard Michael), in: inschriften.net,   urn:nbn:de:0238-di024g002e005.

  1. Vgl. den Abschnitt über Hinrik Lange bei: Reinecke, Geschichte, S. 243–260. »
  2. Vgl. dazu Reinecke (wie Anm. 1), S. 138–142, sowie Will, Ursula-Nacht. »
  3. Einen Überblick vermittelt der Artikel von Reinhardt, Lüneburg, St. Michaelis, mit Angaben älterer Literatur. Diesem Artikel sind die folgenden Angaben zur Klostergeschichte entnommen, wenn nicht anders vermerkt. »
  4. Die Klostergeschichte von den Anfängen bis zum Ende des 15. Jahrhunderts ist behandelt von Nolte. Nolte hat die spärliche ältere Literatur in seiner Darstellung verarbeitet. »
  5. So lautet der Eintrag im Nekrologium des Klosters zum 27. März: O. Hermannus primus dux Saxonie fundator huius cenobii: Nekrologium des Klosters S. Michaelis in Lüneburg, hg. von Wedekind, S. 23. »
  6. Näheres im Kommentar zu Nr. 1. »
  7. Vgl. dazu: Schäfer, Eberhard von Holle. »
  8. Näheres im Kommentar zu Nr. 9. »
  9. Zur Baugeschichte des Klosters: Plath (wie Anm. 4). »
  10. Druck: Nolte (wie Anm. 6), S. 124–126. »
  11. Nolte (wie Anm. 6), S. 60 f., 66. »