Inschriftenkatalog: Lüneburger Klöster

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 76: Lüneburger Klöster (2009)

Nr. 27 Kloster Ebstorf um 1400, nach 1522?

Beschreibung

Glasmalereien.1) In den fünfzehn Fenstern des südlichen und westlichen Kreuzgangs Darstellungen des auf Christus bezogenen Teils des Speculum Humanae Salvationis. Die teilweise beschädigten Fenster wurden 1851 restauriert, dabei wurden einige verlorene Scheiben neu gefertigt. Zu den im unteren Teil der Fenster im 17. Jahrhundert eingesetzten Wappenscheiben vgl. Nr. 183. Die insgesamt fünfzehn Fenster sind jeweils aus sechs Teilen zusammengesetzt: in der Mitte oben ein von einem Dreipaßbogen abgeschlossenes Feld (A) mit der Darstellung des Antitypus aus dem Neuen Testament, darunter ein hochrechteckiges Feld (B), links (C) und rechts (D) davon je ein weiteres Feld mit Dreipaßbogen, in diesen drei Feldern jeweils die Darstellung einer typologischen Entsprechung aus dem Alten Testament, links (E) und rechts (F) oben je ein Zwickelfeld mit einem Propheten. Die Prophetendarstellungen sind heute teilweise typologisch falsch zugeordnet. Die Fenster XIV und XV weichen von dem Kompositionsprinzip der anderen Fenster ab, indem sich hier die auf Christus bezogene Darstellung in dem Rechteckfeld B befindet; auch die Inschriften dieser Fenster unterscheiden sich in der Anordnung von den Fenstern I bis XIII. Die Numerierung der Fenster folgt dem Lageplan bei Becksmann/Korn.2) Sie beginnt im Osten des südlichen Kreuzgangs (Fenster I–VIII) und setzt sich dann im westlichen Kreuzgang fort (Fenster IX–XV). Genauere Angaben zu den einzelnen Darstellungen finden sich hier nur dann, wenn sich die Inschriften erhalten haben, die im 19. Jahrhundert ergänzten Scheiben sind nicht berücksichtigt, die durch Restaurierung erneuerten Teile der Inschriften sind – ohne weiteren Hinweis – in eckige Klammern gesetzt; ebenfalls in eckigen Klammern stehen – jeweils durch eine Fußnote bezeichnet – nach Becksmann/Korn ergänzte Inschriften, die nur noch fragmentarisch erhalten und nicht mehr lesbar sind. Zu den Details der Darstellungen und zum Erhaltungszustand vgl. die ausführlichen Beschreibungen bei Becksmann/Korn.

Fenster I: A Verkündigung, der Engel mit Schriftband I A1, im Buch, das vor Maria auf dem Pult liegt, die Inschrift I A2; B Gideon mit dem betauten Flies; C Rebekka und Elieser.

Fenster IV: A Darbringung Christi im Tempel, auf den Sockelstreifen die Bildbeischrift IV A; B der Siebenarmige Leuchter; C die Darbringung Samuels im Tempel; D die Bundeslade.

Fenster V: A Taufe Christi, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift V A1, links Gottvater mit Schriftband V A2, rechts Johannes Baptista; B Naemans Reinigung im Jordan; C die Bundeslade wird durch das Rote Meer getragen, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift V C; D Ehernes Meer.

Fenster VI: A Verrat des Judas, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift VI A; B Joab tötet Amasa; C Kain erschlägt Abel, aus den Wolken die Hand Gottes mit Schriftband VI C; D Samson erschlägt tausend Philister, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift VI D.

Fenster VII: A Verspottung Christi, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift VII A; B Hur wird zu Tode gespien; C Apamene und Darius; D Samson wird geblendet; E Prophet Jesaia mit Schriftband VII E (eventuell ursprünglich zur Kreuztragung Fenster IX gehörend); F Prophet Jesaia mit Schriftband VII F.

Fenster VIII: A Geißelung Christi, auf der Leiste darunter die teilweise erneuerte Bildbeischrift VIII A; B Verspottung des Hiob durch seine Frau und Geißelung durch den Satan, auf der Leiste darunter die erneuerte Inschrift VIII B1, die Frau mit Schriftband VIII B2; C der an den Baum gebundene Achior; D Lamechs Mißhandlung, auf dem von den beiden Frauen gehaltenen Schriftband früher ebenfalls eine Inschrift; E König David mit Schriftband VIII E (gehörte ursprünglich zur Kreuztragung Fenster IX), die erste Hälfte der Inschrift beschädigt; F Prophet Jesaia mit Schriftband VIII F, von der Inschrift sind nur noch Reste erhalten.

Fenster IX: A Kreuztragung, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift IX A; B Gleichnis vom Weinberg, auf der Leiste darunter die teilweise erneuerte Bildbeischrift IX B; C die Kundschafter Josua und Kaleb mit der Traube, auf der Leiste darunter die erneuerte Bildbeischrift IX C; D Isaac trägt sein Opferholz, auf der Leiste darunter die erneuerte Bildbeischrift IX D; E König David mit Schriftband IX E (falsch zugeordnet, gehört zur Grablegung Fenster XI); F Prophet Jesaia mit Schriftband IX F, die Inschrift am Beginn beschädigt (eventuell falsche Zuordnung).

Fenster X: A Kreuzigung, am Kreuz der Titulus X A1, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift X A2, die in der Mitte durch den Kreuzesstamm unterbrochen wird; B Opfertod des Königs Kodros, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift X B, das letzte Wort erneuert; D Nebukadnezars Traum, auf der Leiste darunter die erneuerte Bildbeischrift X D; F König David mit Schriftband X F.

Fenster XI: A Grablegung und Klage Marias, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift XI A; B Joseph wird in den Brunnen geworfen, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift XI B; C Jonas wird vom Wal verschlungen, auf der Leiste darunter die erneuerte Bildbeischrift XI C; D Jakob sieht den Rock Josephs, auf der Leiste darunter die erneuerte Bildbeischrift XI D; E Prophet Jesaia mit Schriftband XI E (falsche Zuordnung, könnte zu Verrat des Judas Fenster VI gehört haben); F Prophet Jeremia mit Schriftband XI F (falsche Zuordnung, könnte nur zum Verrat des Judas in Fenster VI gehört haben, da die Felder der Fenster VII und VIII belegt sind).

Fenster XII: A Christus im Totenreich, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift XII A; B Daniel in der Löwengrube, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift XII B, das letzte Drittel der Inschrift erneuert; C Vogel Strauß befreit sein Junges; D drei Jünglinge im Feuerofen, auf der Leiste darunter die erneuerte Bildbeischrift XII D; E König David mit Schriftband XII E, der Beginn des Schriftbands erneuert und leer; F König David mit Schriftband XII F.

Fenster XIII: A Christus in der Vorhölle, auf der Leiste darunter die Bildbeischrift XIII A, das letzte Drittel der Inschrift erneuert; B Gottvater befreit Abraham aus Ur, auf der Leiste darunter die erneuerte Bildbeischrift XIII B; C Auszug aus Ägypten, auf der Leiste darunter die erneuerte Bildbeischrift XIII C; F Prophet mit Schriftband XIII F, die Inschrift erneuert.

Fenster XIV: A Jonas wird vom Wal ausgespuckt, oben aus den Wolken eine männliche Halbfigur mit Schriftband XIV A; B Auferstehung, auf der linken Rahmenleiste die Bildbeischrift XIV B1, im Nimbus Christi der Titulus XIV B2; C der verworfene Eckstein, auf der linken Rahmenleiste die Bildbeischrift XIV C; D Samson zerstört das Stadttor von Gaza, auf der linken Rahmenleiste die Bildbeischrift XIV D; E König David mit Schriftband XIV E.

Fenster XV: A Jakobs Traum von der Himmelsleiter, auf der linken Rahmenleiste die Bildbeischrift XV A; B Himmelfahrt, unten rechts auf der Rahmenleiste die Inschrift XV B; C Himmelfahrt des Elia, auf der linken Rahmenleiste die Bildbeischrift XV C; D Christus als Guter Hirte, auf der linken Rahmenleiste die Bildbeischrift XV D1, im Nimbus der Titulus XV D2.

Maße: Felder A H.: jeweils ca. 65 cm; B.: jeweils ca. 50 cm.Felder B H.: jeweils ca. 65 cm; B.: jeweils ca. 49 cm.Felder C u. D H.: jeweils ca. 66 cm; B.: jeweils ca. 49 cm.Felder E u. F H.: jeweils ca. 60 cm; B.: jeweils ca. 29 cm.Bu.: 3,5 cm (XIV B1), 1,5 cm (XIV B2), 3 cm (XIV C u. D), alle anderen 2–2,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Kloster Ebstorf [1/7]

  1. I A1

    · aue · maria · gr[acia] · plena · d(omi)n(u)s tecu(m) 3)

  2. I A2

    Ecce · an/cilla · do/mini · fi/at · mi/chi · sec//undum / verbum / tuum · in / pace · am/en 4)

  3. IV A

    · maria · offert · ihesum · in · templo ·

  4. V A1

    cristus · baptizatur · in · iordane

  5. V A2

    · hic · est · filius · meus · dil(e)c(tu)s · in · quo · mihi 5)

  6. V C

    · Judaei · transierunt · mare · cu(m) · archa · foeder(is) ·

  7. VI A

    · Jhesus · dolose · osculatur · traditur · et · ligatur ·

  8. VI C

    fratera) / quare · irat(us) · es · (et)b) cur co(n)cidit · facies 6)

  9. VI D

    · Sa(m)pson · prostravit · mille · viros · ma(n)d(ibul)a

  10. VII A

    · Jhesus · velatur · conspuitur · illuditur ·

  11. VII E

    · [Js]aias · non · es[t species · ei ·]c) neque · decor 7)

  12. VII F

    isa//ias · vidim(us) · e(um) · despectu(m) · et · etc(etera)d) 8)

  13. VIII A

    [ · Ihsus · li]gatur · ad · [columna(m)] · et fla[gellatur · ]

  14. VIII B1

    [ · Job · flagellatur · irrisione · uxoris · suoee) · ]

  15. VIII B2

    · bene dic · deum · et · moueref) · 9)

  16. VIII E

    [david · supra dorsum meum · fa]bricaverunt peccatores · c) 10)

  17. VIII F

    ysa//[ias · corpus] · me(um) · dedi · p(er)cut/[ient]ib(us) / [et genas / me(as)] c) 11)

  18. IX A

    · Jhesus · baiulatur · crucem · i(n) · q(ua)mg) · debet · occidi ·

  19. IX B

    · hom[o · quidam · · ] plantauit · vineam · (et)b) [sept(em)h) · circu(m)dedit · eam · ] 12)

  20. IX C

    [ · duo · viri · portant · botru(m) · de terra · promissionis · indi) · ]

  21. IX D

    [ · Jsaac · portat · ligna · in · quibus · immolari · debet · ]

  22. IX E

    · dauit · in pace · factus · est · locus · 13)

  23. IX F

    [J](sai)//asj) · ei(us) · liuore · sanati · / sum/us · 14)

  24. X A1

    i(esus) n(azarenus) r(ex) i(udaeorum) 15)

  25. X A2

    · ihesus · pendens · // in · cruce · tradidit · sp(iritu)m

  26. X B

    · Rex · codrus · exponit · se · mori · pro civitate · [ath(eniensi) · ]

  27. X D

    [ · Nabugodonosor · rex · videt · arborenik) · grandem · ]

  28. X F

    d(avi)d · // dinume·raver(un)t · ossa · mea 16)

  29. XI A

    · Jhesus sepelitur · (et)b) maria pla(n)xit · super · funus · filii · sui ·

  30. XI B

    Josep · mittitur · in cisternam · a fratribus ·

  31. XI C

    [ · Jonas · mittitur · in mare · et · deglutitur · a · ceto · ]

  32. XI D

    [ · Ja(cob) videns · tunicam · filii · sui · ]

  33. XI E

    · ysaia · Cum · iniquis · reputatus · est · 17)

  34. XI F

    Jer(emi)//asj) · dedit · p(er)cucie(n)tib(us) se · ma(xillam) 18)

  35. XII A

    · Jste · est · infernus · siue · limbus patrum · vel · sinus abrahe ·

  36. XII B

    · abacuk · portat · prandiu(m) · danieli · [in · lucuml) · leonum · ]

  37. XII D

    [ · angelus · d(omi)ni refrige(r)at · tres pueros · in fornace · ]

  38. XII E

    [.......] portas · ereas · (con)teramm) · et · vectes · ferr//eas · (con)fri(n)ga(m) · 19)

  39. XII F

    d(avi)d · // Si desce(n)dero · at infernu(m) · ades 20)

  40. XIII A

    · Cristus · confregit · i(n)·fernu(m) · [et · liberauit · suos · ]

  41. XIII B

    [ · Domin(us) · abraham · de · vr · chaldeo liberauit · ]

  42. XIII C

    [Moises · eduxit · filios · israel · ex · aegypto · ]

  43. XIII F

    [et vitam aeternam · ] n)

  44. XIV A

    · Jonas · fuit · i(n) ve(n)tre · ceti · t(ri)b(us) · dieb(us) · dei(n)de 21)

  45. XIV B1

    · Cristus · media · nocte · a morte · surrexcit

  46. XIV B2

    ihes(us) · cristu(s)

  47. XIV C

    · lapide(m) · q(uem) · rep(ro)baueru(n)t · edificantes · hic · f(a)c(t)us · i(n) · cap(ut) · a(n)guli ·

  48. XIV D

    · Sampson · media · nocte · a so(m)pno · surrexit

  49. XIV E

    · Mirabilia · op(er)a · // · tua · et · a(n)i(m)a · mea · (co)gnoscet · ni(mi)s 22)

  50. XV A

    · Jacob · vidit · scalam · celos · tange(n)tem ·

  51. XV B

    · veritas ·

  52. XV C

    · helyas · c(ur)ru · igneo · t(ra)nslat(us) · est · in · parad[isum]

  53. XV D1

    · (christ)uso) · in·ventemp) · ovem · portat ·

  54. XV D2

    Jhsus · crist(us)

Übersetzung:

Sei gegrüßt, Maria, Gnadenreiche, der Herr (ist) mit dir. (I A1)

Siehe, (ich bin) die Magd des Herrn. Es geschehe mir nach deinem Wort in Frieden Amen. (I A2)

Maria bringt Jesus im Tempel dar. (IV A)

Christus wird im Jordan getauft. (V A1)

Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich (Wohlgefallen habe). (V A2)

Die Juden zogen mit der Bundeslade durch das Meer. (V C)

Jesus wird trügerisch geküßt, verraten und gebunden. (VI A)

Bruder, warum bist du zornig, und warum ist dein Gesicht verstellt? (VI C)

Samson streckte tausend Männer nieder mit der Kinnbacke (eines Esels). (VI D)

Jesus wird umhüllt, bespuckt, verhöhnt. (VII A)

Jesaia: Er hat keine Gestalt noch Schönheit. (VII E)

Jesaia: Wir sahen ihn verachtet und etc. (VII F)

Jesus wird an die Säule gebunden und gegeißelt. (VIII A)

Hiob wird gegeißelt durch den Hohn seiner Frau. (VIII B1)

Lobpreise Gott und stirb. (VIII B2)

David: Auf meinem Rücken haben die Sünder gearbeitet. (VIII E)

Jesaia: Ich habe meinen Leib denen geboten, die mich schlagen, und meine Wangen. (VIII F)

Jesus trägt das Kreuz, an dem er getötet werden soll. (IX A)

Ein Mann pflanzte einen Weinberg und setzte einen Zaun darum. (IX B)

Zwei Männer tragen eine Traube aus dem Land der Verheißung Judäa. (IX C)

Isaak trägt das Holz, auf dem er geopfert werden soll. (IX D)

David: In Frieden ist der Ort gemacht. (IX E)

Jesaia: Durch seine Verwundung sind wir geheilt. (IX F)

Der am Kreuz hängende Jesus gab seinen Geist auf. (X A2)

Der König Kodros bietet sich an, für die Stadt Athen zu sterben. (X B)

König Nebukadnezar sieht einen großen Baum. (X D)

David: Sie haben meine Knochen gezählt. (X F)

Jesus wird begraben, und Maria klagte über der Leiche ihres Sohnes. (XI A)

Joseph wird von seinen Brüdern in den Brunnen geworfen. (XI B)

Jonas wird ins Meer geworfen und von einem Wal verschlungen. (XI C)

Jakob, wie er das Kleid seines Sohnes sieht. (XI D)

Jesaia: Unter die Ungerechten ist er gezählt worden. (XI E)

Jeremia: Er hielt denen, die ihn schlugen, die Wange hin. (XI F)

Dies ist die Hölle oder der Verdammungsort der Väter oder der Schoß Abrahams. (XII A)

Habakuk bringt Daniel das Essen in die Grube der Löwen. (XII B)

Der Engel des Herrn erfrischt die drei Jünglinge im Ofen. (XII D)

Ich werde eherne Türen zerbrechen und eiserne Riegel sprengen. (XII E)

David: Wenn ich in die Hölle hinabsteige, bist du da. (XII F)

Christus sprengte die Hölle auf und rettete die Seinen. (XIII A)

Der Herr befreit Abraham aus dem Chaldäischen Ur. (XIII B)

Moses führte die Kinder Israel aus Ägypten. (XIII C)

Und das ewige Leben. (XIII F)

Jonas war drei Tage lang im Bauch des Wals, dann ... . (XIV A)

Christus stand um Mitternacht vom Tode auf. (XIV B1)

Der Stein, den die Werkleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. (XIV C)

Samson stand um Mitternacht vom Schlaf auf. (XIV D)

Deine wunderbaren Werke wird auch meine Seele gänzlich erkennen. (XIV E)

Jakob sah die Leiter, die in den Himmel führte. (XV A)

Die Wahrheit. (XV B)

Elias wurde auf einem feurigen Wagen in das Paradies gebracht. (XV C)

Christus trägt das gefundene Lamm. (XV D1)

Kommentar

Die Glasmalereien im Kreuzgang des Klosters Ebstorf gehören zu den bedeutenden mittelalterlichen Programmen, in denen die Heilsgeschichte in Bild und Text anschaulich gemacht wird und dem Betrachter die typologischen Verbindungen zwischen Altem und Neuem Bund vor Augen geführt werden. Zu den Bezügen des Bildprogramms zum Speculum Humanae Salvationis und zur Biblia pauperum sowie zur Datierung ausführlich Becksmann/Korn,23) zum Bildprogramm vgl. den Wienhäuser Heilsspiegel-Teppich Nr. 39. Die Beischriften, die das Bildgeschehen erläutern, finden sich so schon in den Handschriften des Speculum Humanae Salvationis. Die szenische Typologie des Heilsspiegels, der dem Antitypus jeweils drei Typen des Alten Bundes gegenüberstellt, ist hier mit der textlichen Typologie der Biblia pauperum in den Prophetenzitaten kombiniert. Allerdings finden sich nur sechs der erhaltenen zwölf Prophetenzitate in der Biblia pauperum (VII E/F, VIII E, IX E, X F, XII E), die anderen sechs lassen sich dort nicht nachweisen,24) die Biblia Pauperum diente daher offensichtlich nur als Anregung zur Erweiterung dieses Programms, nicht jedoch als unmittelbare Vorlage.

Becksmann/Korn wie auch Siart25) sehen in dem Ebstorfer Zyklus eine eigenständige Konzeption, bei der bewußt Szenen des feststehenden, in der Langfassung aus 42 Kapiteln, in der Kurzfassung aus 34 Kapiteln bestehenden Kanons des Heilsspiegels weggelassen wurden, damit die Darstellung in die Fenster von zwei Kreuzgangseiten paßte. Angesichts der Tatsache, daß zu den ausgelassenen Kapiteln zentrale Motive wie die Versuchung Christi, das Letzte Abendmahl, die Kreuzannagelung, die Ausgießung des Heiligen Geistes und das Jüngste Gericht gehören, ist allerdings zu fragen, ob es sich bei den fünfzehn Fenstern nicht doch nur noch um etwa die Hälfte eines ursprünglich kompletten Heilsspiegelprogramms handelt. Denn das Speculum Humanae Salvationis weist keinen in den Handschriften variierenden Kapitelbestand auf, sondern einen festen Kanon von 42 bzw. 34 Kapiteln, in denen in zwei Eingangskapiteln der Verlust des Heils durch den Sündenfall geschildert wird und in den übrigen 40 bzw. 32 Kapiteln die Wiedergewinnung des Heils durch Christus unter Mitwirkung von Maria. Daß sich dieser Kapitelbestand nicht beliebig variieren ließ, ohne dabei die Grundaussage des Werks zu verfälschen, zeigen die zahlreichen lateinischen und deutschen Handschriften mit gleichbleibendem Bestand in der Lang- und Kurzfassung.26)

Geht man bei den heute überlieferten Fenstern von einem kompletten Bildprogramm aus, so ist es auffällig, daß drei Kapitel des Heilsspiegels – die Gefangennahme, die Dornenkrönung und die Kreuzabnahme – nicht als Antitypus dargestellt sind, sondern nur mit einem Typus in den Szenen des Judaskusses, der Geißelung und der Grablegung vertreten sind, die Gefangennahme auch mit den zugehörigen Prophetenzitaten der Biblia pauperum. Becksmann/Korn haben dies als eine bewußte Zusammenziehung der Szenen aus Platzgründen im Hinblick auf die von ihnen zugrundegelegten zwei Kreuzgangflügel gedeutet. Eine solche Zusammenfassung ist jedoch angesichts eines ohnehin schon stark verkürzten Programms wenig sinnvoll, da man dann auch noch drei weitere Szenen hätte auslassen können. Geht man nun einmal davon aus, daß sich das Bildprogramm ursprünglich auf alle vier Kreuzgangflügel erstreckte, daß der 1727/28 neu errichtete Nordflügel ursprünglich zehn Fenster hatte, wie es der älteste Grundrißplan des Klosters von 1718 zeigt,27) und daß die Darstellung des Klosterplans mit je einem Zugang zum Innenhof im Westen, Osten und Süden die ursprüngliche Situation wiedergibt, so kommt man auf eine Gesamtzahl von 32 Fenstern. Stellt man nun dagegen, daß die Kurzversion des Heilsspiegels ohne die zwei Kapitel der Vorgeschichte bis zum Sündenfall und zur Sintflut 32 Kapitel umfaßt, so hätten die Fenster exakt Platz für eine kapitelweise Darstellung geboten.

Diese Übereinstimmung der Kapitelzahl mit den baulichen Gegebenheiten ist nicht das einzige Indiz, das auf eine Ausführung des kompletten Programms hindeutet. Erhärtet wird diese Annahme noch durch eine Quelle, wonach bei einem Unwetter im Jahr 1522 ... alle unse vinstere de wy hebben in choro in dormitorio in duobus porticis in refectorio in domo laboris et ceterisque domibus de in dat norden vnd westen gan syn al thoslagen vnd nicht eyn hel gebleven.28) Die Angabe duobus porticis bezieht sich eindeutig auf zwei Seiten des Kreuzgangs, den mit den Fenstern nach Norden gehenden Südflügel und den mit den Fenstern nach Westen gehenden Ostflügel, und damit auf etwa die Hälfte des Bildprogramms in den Fenstern. Man kann wohl davon ausgehen, daß nicht eyn hel gebleven eine leichte Übertreibung darstellte und im Hinblick auf die Kreuzgangfenster möglicherweise zu einem Teil auch nur den Verlust einzelner zu einem Fenster gehörender Scheiben meinte. Setzt man die Existenz von ursprünglich 32 Fenstern voraus, würden die Verluste durch das Unwetter jedoch erklären, warum die ersten und letzten Heilsspiegelkapitel komplett fehlen und heute nur noch fünfzehn Fenster ganz oder teilweise erhalten sind. Das Fehlen von vier aufeinanderfolgenden Fenstern am Beginn und von fünf aufeinanderfolgenden Fenstern am Ende der 32teiligen Szenenfolge erscheint plausibel, wenn man den Beginn des Bildprogramms links oder rechts des Zugangs zum Innenhof im Ost- oder Südflügel annimmt und das Ende der Bildfolge entsprechend auf der anderen Seite des betreffenden Kreuzgangflügels, der durch den Sturm am meisten in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Verglasung des zweiten beschädigten Flügels wäre dann zumindest teilweise erhalten geblieben, beispielsweise bei Beginn und Ende des Bildprogramms im Südflügel von den sieben Fenstern des Ostflügels die drei Fenster XI bis XIII.

Die heutigen Fenster XIV und XV (Auferstehung und Himmelfahrt) weichen derartig in der Konzeption von den anderen Fenstern ab, daß dies nicht nur mit einem Glasmaler der jüngeren Generation in derselben Werkstatt zu erklären ist, wie Becksmann/Korn meinen. Der Umstand, daß der Antitypus hier in das hochrechteckige Feld unten gesetzt ist, stellt einen deutlichen Bruch dar, der sich in den ornamentierten Rahmenleisten und in der dem linken Rahmenteil folgenden Anordnung der Inschriften – statt wie in den anderen Fenstern auf der Leiste unter der Darstellung – fortsetzt. Ein solcher Bruch in der Ausführung eines Bildprogramms, das einem so strengen Konzept unterworfen war, ist eigentlich nur zu einer Zeit denkbar, als die mittelalterliche Denkform der Typologie schon aufgeweicht war. Es ist daher wahrscheinlich, daß man erst nach der Zerstörung der Fenster mit der Auferstehung und der Himmelfahrt im Jahr 1522 zwei neue Scheibenprogramme dieser beiden zentralen Kapitel des Heilsspiegels unter Anlehnung an die alten Darstellungsformen in Auftrag gab, um den nun auf ein rein christologisches Programm in zwei Kreuzgangflügeln reduzierten Zyklus zu komplettieren. Daß dabei die wohl großenteils zerstörten Szenen der Marienvita am Beginn des Bildprogramms wegfielen, könnte dem neuen, zeitgemäßeren Konzept entgegengekommen sein. Die Verkürzung des nur noch in Teilen erhaltenen Programms, das vermutlich auch durch nicht überlieferte Beschädigungen vor oder nach 1522 reduziert wurde, auf fünfzehn Fenster könnte aber auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt sein, etwa beim Neubau des Nordflügels 1727/28. Daß sich keine oder nur geringe und nicht aussagekräftige Fragmente29) der anderen Fenster erhalten haben, wäre mit dem langen Zeitraum von fast 500 Jahren hinreichend zu erklären.

Textkritischer Apparat

  1. caine Becksmann/Korn.
  2. Tironisches et.
  3. Die in Klammern gesetzten Buchstaben sind jeweils nur fragmentarisch erhalten.
  4. et novissi[mum] viror(um) virum Becksmann/Korn in Ergänzung des Bibeltextes. Das Schriftband bietet aber nicht ausreichend Platz für so viele Buchstaben.
  5. Statt suae.
  6. Statt morere.
  7. Statt qua.
  8. Statt sep(em).
  9. Statt iuda.
  10. Die mittleren Buchstaben durch den Kopf des Propheten ‚verdeckt‘.
  11. Statt arborem.
  12. Statt lacum.
  13. Zu erwarten wäre hier gemäß dem Bibeltext contrivi.
  14. Vermutlich frei ergänzt ohne Rückgriff auf eine Vorlage.
  15. xpus.
  16. Korrekt wäre inventam.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. EBS Fa 7–9, 11–21.
  2. Becksmann/Korn, Glasmalereien, S. 30.
  3. Liturgischer Text nach Lc. 1,28.
  4. Lc. 1,38.
  5. Mt. 3,17 u. Mc. 1,11, zu ergänzen conplacui.
  6. Nach Gn. 4,6: quare maestus es et cur concidit facies tua.
  7. Is. 53,2.
  8. Nach Is. 53,2f.: et vidimus eum et non erat aspectus et desideravimus eum despectum et novissimum virorum virum dolorum et scientem infirmitatem.
  9. Iob 2,9.
  10. Ps. (G) 128,3.
  11. Is. 50,6.
  12. Nach Mt. 21,33: homo erat pater familias qui plantavit vineam et sepem circumdedit ei.
  13. Ps. (G) 75,3.
  14. Is. 53,5.
  15. Io. 19,19.
  16. Ps. (G) 21,18.
  17. Nach Is. 53,12: et cum sceleratis reputatus est; Mc. 15,28: et cum iniquis reputatus est.
  18. Lam. 3,30.
  19. Nach Ps. (G) 106,16: quia contrivit portas aereas et vectes ferreos confregit.
  20. Ps. (G) 138,8.
  21. Nach Ion. 2,1: et erat Iona in ventre piscis tribus diebus et tribus noctis.
  22. Ps. (G) 138,14.
  23. Becksmann/Korn, Glasmalereien, S. 29–74, mit weiteren Literaturangaben S. 29.
  24. Vgl. die Verzeichnisse der Prophetenzitate bei Hans Engelhardt, Der theologische Gehalt der Biblia pauperum. Straßburg 1927 (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 243), Tabelle IV u. S. 136–140.
  25. Olaf Siart, Heilsspiegel und Liturgie. In: Gebaute Klausur, Funktion und Architektur mittelalterlicher Klosterräume, hg. v. Renate Oldermann. Bielefeld 2008 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, Bd. 52), S. 219–234. Siart begründet die Verkürzung des Programms dadurch, daß er Bezüge zur Totenliturgie und dem im Inneren des Kreuzgangs gelegenen Friedhof herstellt.
  26. Vgl. die Verzeichnisse bei J. Lutz u. P. Perdrizet, Speculum Humanae Salvationis, Kritische Ausgabe. Bd. 1, Leipzig 1907. Sowie die Ergänzungen von Edgar Breitenbach, Speculum Humanae Salvationis, Eine typengeschichtliche Untersuchung. Straßburg 1930 (Studien zu deutschen Kunstgeschichte 272). Vgl. a. den der Kurzfassung des Speculum entsprechenden Wienhäuser Teppich Nr. 39.
  27. Gedr. in: Kloster Ebstorf, S. 212.
  28. Zit. nach Becksmann/Korn, Glasmalereien, S. 258, Reg. 7, die voraussetzen, daß sich der Fensterzyklus auf den beiden unzerstörten Seiten des Kreuzgangs befunden habe. Der von Becksmann/Korn erwähnte Anbau einer ‚Brunnenkapelle‘ mit dem von Matthias von dem Knesebeck 1480 gestifteten Lavatorium (vgl. Nr. 53) ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, da er ohne Rücksicht auf das Fensterprogramm im Kreuzgang erfolgt sein kann.
  29. Vgl. Becksmann/Korn, S. 75 u. Abb. 257–261.

Nachweise

  1. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 67f.
  2. Becksmann/Korn, Glasmalereien, S. 40–73, Farbtafel VI u. VII u. Taf. 10–23.

Zitierhinweis:
DI 76, Lüneburger Klöster, Nr. 27 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di076g013k0002706.