Inschriftenkatalog: Lüneburger Klöster

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 76: Lüneburger Klöster (2009)

Nr. 16 Kloster Wienhausen 2. V. 14. Jh.

Beschreibung

Zwei Fragmente des Tristan-Teppichs II.1) Wollstickerei auf Leinen. Die Fragmente sind im Textilmuseum ausgestellt. Sie waren früher zusammengenäht und wurden bei einer Restaurierung 1938 getrennt. Auf drei übereinander angeordneten und durch Inschriftenbänder getrennten Bildstreifen Szenen aus dem Tristanepos, zwischen beiden Fragmenten fehlen pro Reihe jeweils nur Teile einer Szene. Fragment I, 1. Reihe: Morold fordert Zins von König Marke, Spruchband mit Inschrift A; Tristan fährt mit dem Schiff nach Irland zum Kampf gegen Morold. 2. Reihe: König Markes Traum; Tristans Kampf mit dem Drachen. 3. Reihe: Isolde und Brangäne finden Tristan; Ritt zur Burg. Fragment II, 1. Reihe: Tristans Reiterkampf gegen Morold; Tristan erschlägt Morold. 2. Reihe: Tristan schneidet dem Drachen die Zunge heraus; drei männliche Figuren. 3. Reihe: Isolde entdeckt die Scharte in Tristans Schwert; Tristan wird gebadet; Vorweisen der Drachenzunge. Die drei Bänder mit der fragmentarisch erhaltenen Inschrift B verlaufen jeweils über den szenischen Darstellungen beider Fragmente, am linken Rand ist kein Textverlust anzunehmen, wohl aber zwischen beiden Fragmenten und am rechten Rand von Fragment II. Die Buchstaben der Inschriften A und B sind abwechselnd in Rot und Grün auf weißem Grund ausgeführt.

Maße: H.: 136 cm; B.: 84 cm (Fragment I). H.: 138 cm; B.: 77 cm (Fragment II). Bu.: 3 cm (A), 3–3,5 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Kloster Wienhausen [1/3]

  1. A

    TINT MIME HEREN

  2. B

    REX · MARCHIS TRISTRA[ – – – ] · MARROLF TRISTRA[ – – – ] / MARKIS REX TRISTRAM [ – – – ]ISTRAM SARPANT MA[ – – – ] / TRISTAM ISALDE BRANa)[ – – – ]AMb) · DV · HEFT · GHE·SCLAEN M[ – – – ]c)

Übersetzung:

Gib meinem Herrn Zins. (A)

Du hast (Morold) erschlagen. (B)

Kommentar

Zur Ergänzung der ausgefallenen Szenen und zum Inhalt der Darstellungen vgl. ausführlich Fouquet und Kohwagner-Nikolai.2) Anders als auf dem Teppich Tristan I (Nr. 5) sind die Buchstaben hier im Farbwechsel in einer sorgfältig gestalteten gotischen Majuskel mit breiten und teilweise keilförmig verbreiterten Buchstabenbestandteilen ausgeführt, A zumeist trapezförmig mit breitem Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken, die Hasten zum Deckbalken hin spitz zulaufend, die I mit beidseitigen Nodi. Durch die in die Szenen eingefügten floralen Elemente wirken die Darstellungen aufwendiger und gefälliger als die eher einfach gestalteten Szenen des Teppichs Tristan I. Der Text der durchgehenden Inschrift B ist dagegen sehr viel einfacher gehalten, indem – abgesehen von der auf die darunter befindliche Szene bezogenen wörtlichen Rede am Ende des erhaltenen zweiten Teils – nur die Namen der Protagonisten stereotyp wiederholt werden. Die von Kohwagner-Nikolai konstatierte Mischung von Latein und Deutsch in dieser Inschrift ist ein wenig zu hoch gegriffen, denn sie besteht lediglich in dem Attribut REX für König Marke. Die aus dem Lateinischen bzw. Französischen stammende Bezeichnung des Drachen als SARPANT anstelle von WORM (vgl. Tristan III, Nr. 21) dürfte im Zusammenhang mit der Tristangeschichte im Mittelniederdeutschen ebenso geläufig gewesen sein wie im Mittelhochdeutschen.3) Die aufwendigere Buchstabengestaltung mit Farbwechsel, die floralen Elemente und die Trennung der Szenen durch sehr schmale Türmchen rückt Tristan II näher an den Teppich Tristan III sowie den Braunschweiger Salomon-Teppich und den Braunschweiger Parzival-Teppich, die allgemein auf das dritte Viertel des 14. Jahrhunderts datiert werden, als an den auf das erste Viertel des 14. Jahrhunderts datierten Teppich Tristan I. Im Vergleich zu Tristan II zeigen die drei jüngeren Teppiche jedoch in der Bekleidung vor allem der dargestellten Männer eine jüngere Stufe der Mode, die kniekurzen Röcke und lang herabhängenden Ärmel, die um die Mitte des 14. Jahrhunderts modern wurden. Da sich diese modischen Merkmale auf dem Teppich Tristan II noch nicht finden, wird er hier auf das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts datiert.

Textkritischer Apparat

  1. Nur noch die linke Haste des N erhalten.
  2. Nur noch die rechte Schräghaste des A erhalten.
  3. Von dem M noch die linke Haste erhalten, wohl zu MARROLF zu ergänzen.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. WIEN Ha 2.
  2. Fouquet, Tristantradition, S. 31–33. Kohwagner-Nikolai, Bildstickereien, Nr. 2, S. 192–195.
  3. Vgl. Lexer, Handwörterbuch, Bd. 2, Sp. 891 mit zahlreichen Belegen.

Nachweise

  1. Schütte, Bildteppiche, Bd. 1, S. 9 u. Tafel 6.
  2. Maier, Kunstdenkmale Wienhausen, S. 154 u. Abb. 201.
  3. Fouquet, Tristantradition, S. 32.
  4. Wilhelm, Bildteppiche, S. 19 u. Abb. S. 16f.
  5. Kohwagner-Nikolai, Bildstickereien, Nr. 2, S. 193.

Zitierhinweis:
DI 76, Lüneburger Klöster, Nr. 16 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di076g013k0001603.