Inschriftenkatalog: Lüneburger Klöster

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 76: Lüneburger Klöster (2009)

Nr. 9 Kloster Ebstorf 2. V. 14. Jh.

Beschreibung

Fünf Teile von ursprünglich wohl drei Banklaken mit Szenen aus der Mosesvita.1) Leinen mit Wollstickerei. Im Tresorraum aufbewahrt. Alle Teile sind in einen mittleren Streifen und schmalere Randstreifen oben und unten unterteilt, im mittleren Streifen durch verschiedenfarbigen Hintergrund getrennte Bildfelder, in den Randstreifen der Teile 1 und 2 Greifen- und Drachenpaare sowie Wappenschilde2), in den Randstreifen des Teils 3 Tierpaare und Blüten, in den Randstreifen der Teile 4 und 5 Tiermotive aus dem Physiologus. Teil 1 und 2: Verhandlungen mit dem Pharao und Plagen, Randstreifen und Mittelstreifen oben und unten getrennt durch Schriftbänder, die in den Mittelstreifen hineingeführt sind und von den dargestellten Personen gehalten werden. Zugleich grenzen die Schriftbänder die Szenen voneinander ab. Teil 3: Durchzug durch das Rote Meer, Rand- und Mittelstreifen oben und unten durch ein durchlaufendes Schriftband getrennt. Teil 4 und 5: Quellwunder und Eherne Schlange, Rand und Mittelstreifen oben durch Schriftbänder getrennt, die wie in den Teilen 1 und 2 in den Mittelstreifen hineingeführt sind, unten zwischen Mittel- und Randstreifen ein durchlaufender Treppenfries. Die ursprüngliche Farbe der Inschriften ist zu einer Sandfarbe verblasst, so daß sich die Buchstaben kaum von den naturweißen Schriftbändern abheben.

Teilstück 1: Links der Randstreifen erhalten, im ersten Bildfeld links eine Hirtenszene, rechts Moses vor dem brennenden Dornbusch, ihm zugeordnet das Schriftband A im Bildfeld, Gottvater im brennenden Dornbusch deutet auf das an der linken Kante im Randstreifen beginnende Schriftband B1 über der Szene, das im Dornbusch ausläuft, die Inschrift setzt sich auf dem die Szene nach rechts abschließenden Schriftband B2 fort. Das unterhalb des Mittelstreifens verlaufende Schriftband C beginnt ebenfalls im linken Randstreifen und läuft in der zweiten Szene aus, die Moses und Aaron im Gespräch mit dem Pharao zeigt. Moses und Aaron, bezeichnet durch Tituli auf dem Schriftband D über der Szene, weisen auf das in der Szene beginnende Schriftband E, dessen Text oben über dem Mittelstreifen mit der rechten Kante des Teilstücks 1 abbricht.

Teilstück 2: Die linke Szene nur zur Hälfte erhalten, sie schloß an das Gespräch mit dem Pharao an und zeigt die Froschplage, der thronende Pharao hält das Ende des Schriftbands F, das unter der Darstellung des thronenden Pharao der voraufgegangenen Szene beginnt und an der rechten Kante des Teilstücks 1 unterbrochen ist. Oben über der Szene das Schriftband G, dessen Beginn fehlt und dessen Ende diese von der nachfolgenden Szene trennt. Unter der Szene beginnt mit der Schnittkante das Schriftband H, dessen Ende in der folgenden Szene – wieder Moses und Aaron vor dem Pharao – von dem thronenden Pharao gehalten wird, Moses und Aaron wiederum durch Tituli auf dem Schriftband I über der Szene bezeichnet. Aaron hält den Beginn des Schriftbands J, das sich über der Szene fortsetzt und dessen Ende diese von dem folgenden Bildfeld trennt. Unter dem Thron des Pharao beginnt das Spruchband K, dessen Ende in der folgenden Szene von dem thronenden Pharao gehalten wird. Gezeigt sind wieder – durch Tituli auf dem Schriftband L über der Szene bezeichnet – Moses und Aaron im Dialog mit dem Pharao sowie die Verwandlung des Wassers in Blut. Aaron hält den Beginn des Schriftbands M, das sich über der Szene fortsetzt und dessen Ende diese von dem folgenden, nur in einem schmalen Stück erhaltenen Bildfeld trennt. Unter dem Thron des Pharao beginnt die Inschrift N, deren Ende nicht erhalten ist. Oben über dem fragmentarisch erhaltenen letzten Bildfeld das nach den ersten Buchstaben abgeschnittene Schriftband O.

Teilstück 3: Das kurze Teilstück zeigt den Untergang der Ägypter im Roten Meer, links drei Reiter, von denen einer ins Meer stürzt, rechts daneben auf dem Kopf stehend zwei untergegangene Wagen von Fischen umgeben. Auf dem Schriftband darüber die Inschrift P, auf dem Schriftband darunter die Inschrift Q.

Teilstück 4 und 5: zwischen beiden nur eine schmale Fehlstelle, links vier Männer mit Judenhüten, rechts davon schlägt Moses Wasser aus dem Felsen, darüber das Schriftband R, dessen Ende diese Szene von dem auf dem Teilstück 5 folgenden Bildfeld mit der Darstellung der Ehernen Schlange abtrennt. Links oben auf dem Schriftband über diesem Bildfeld der auf den darunter dargestellten Moses bezogene Titulus S, Moses hält den Beginn des Schriftbands T, das oben über der Szene weiterläuft und mit der Schnittkante abbricht.

Maße: H.: ca. 73 cm; B.: 378 cm (Teil 1 u. 2), 143 cm (Teil 3), 191,5 cm (Teil 4 u. 5); Bu.: 2,5–3 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Kloster Ebstorf [1/6]

  1. A

    VADAM . ET . VIDEBO . VISIONE(M) . HANC 3)

  2. B1

    MOYSES . SOLVE . CALCIAME(N)TV(M) . DE . PED/IBVS .

  3. B2

    T[VI]Sa) [..]C(VS) . IN . / QVO . STAS . TERRA . S(ANCTA EST) 4)

  4. C

    QVIS . EST . DOMINVS . AVDIAM . VOCE(M) . EIVS . ET . DIMITTAM . ISR(AE)L . NESCIO . / DOMINVM 5)

  5. D

    + MOYSES . AARON .

  6. E

    HEC . / DICIT . D(OMI)N(V)S [ – – – ] 6)

  7. F

    + ORATEb) D(OMI)NV[ – – – ] A ME 7)

  8. G

    [ – – – ]TVE . MICHI . QVA(N)D/O . DEP(RE)CER . PRO . TE + 8)

  9. H

    + EGO . DIMITTA(M) . VOS . VT . SACRIF/ICETIS . D(OMI)NO . 9)

  10. I

    + MOYSES . AARON . +

  11. J

    DIMITT/E . POPVLVM VT . / SACRIFICET . D(OMI)NO . + 10)

  12. K

    + ITE . SACRIFICATE . D(OMI)NO . DEO . V(EST)RO . / IN TERRA . HACc) 11)

  13. L

    + MOYSES . AARON . +

  14. M

    NO[LI]a) . VL/TRA . FALLERE . V/T . NO(N) DIMITTAS P(O)P(V)L(V)M . 12)

  15. N

    + VSQVEQVO . PACIEMVR . HOC [ – – – ] 13)

  16. O

    + SER[ – – – ] 14)

  17. P

    [ – – – ] . + OPERVIT . EOS . MARE . SVBMERSI . SV(N)T . QVASI . PLVMBVM . IN . AQVIS . VEHE[ – – – ] 15)

  18. Q

    [ – – – ] ET . PERSEQVAR . FILIOS . ISRAHEL . 16) + + FORSITAN . NON . ERANT . SE[ – – – ] 17)

  19. R

    [ – – – C]ORAM . TE . SVPER . PETRAM . OREB . ET [ – – – ] EA . AQ/VA . VT . P(O)P(V)L(V)S . BIBAT . 18)

  20. S

    MOYSES .

  21. T

    O ISR(AE)L . / VIDEBIS . VITAM . TVAM . PER[D]E[.]T[ – – – ] 19)

Übersetzung:

Ich will gehen und werde diese Erscheinung sehen. (A)

Moses, löse das Schuhwerk von deinen Füßen, der Ort, an dem du stehst, ist heilige Erde. (B)

Wer ist der Herr? Soll ich auf seine Stimme hören und (das Volk) Israel entlassen? Ich kenne den Herrn nicht. (C)

Dieses sagt der Herr ... . (E)

Bittet den Herrn, (daß er die Frösche) von mir (nehme). (F)

Bestimme mir, wann ich für dich bitten soll. (G)

Ich lasse euch ziehen, damit ihr dem Herrn opfert. (H)

Lasse das Volk ziehen, damit es dem Herrn opfert. (J)

Geht, opfert dem Herrn, eurem Gott, in diesem Land. (K)

Täusche nicht weiterhin, indem du das Volk nicht entläßt. (M)

Wie lange sollen wir dieses (Ärgernis) erdulden? (N)

Das Meer begrub sie. Sie gingen unter wie Blei im gewaltigen Wasser. (P)

... und ich werde die Kinder Israels verfolgen. Vielleicht gab es keine Gräber (in Ägypten). (Q)

... dir gegenüber auf dem Felsen Oreb und (aus) diesem (wird) Wasser (herausfließen), damit das Volk trinken kann. (R)

O Israel, du wirst dein Leben sehen ... . (T)

Kommentar

Eine einigermaßen genaue Datierung der Moses-Laken erweist sich als schwierig, weil sie unter den Textilien der Klöster eine Sonderstellung einnehmen. Sie sind hier auf das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts datiert, weil die Kleidung der dargestellten Personen am ehesten der auf dem Teppich Tristan II (Nr. 16) ähnelt, allerdings zeigt das Gewand des Moses – aber nur dieses – lang herabfallende pelzgefütterte Ärmel, die eine Entstehung um die Jahrhundertmitte wahrscheinlich machen könnten. Anhand der Ausführung der Buchstaben läßt sich diese Datierung weder bestätigen noch widerlegen. Die Buchstaben der gotischen Majuskel sind hier nicht im Farbwechsel gestickt und zeigen nur wenige keilförmig verbreiterte Hasten und kaum Bogenschwellungen, sondern zumeist eine gleichbleibende Stichstärke. Auffällig ist, daß das E hier überwiegend in kapitaler Form vorkommt, während in den gotischen Majuskeln der Wienhäuser Teppiche durchgängig unziales E verwendet wird. Auch die sonst auf den Textilien übliche Verzierung des I mit einem Nodus fehlt hier. Inhaltlich unterscheiden sich die Inschriften dieser Banklaken von den Inschriften der Textilien in Wienhausen dadurch, daß es sich hier mit Ausnahme der wenigen Tituli und der oberen Inschrift auf Teil 3 um Spruchbänder handelt, die in wörtlichen Bibelzitaten die direkte Rede der dargestellten Personen wiedergeben. Diese Dialogstruktur ähnelt den Inschriften der Wandmalereien im Wienhäuser Nonnenchor. Auch die Anordung auf langen in die Szenen ragenden und diese zugleich trennenden Schriftbändern kommt sonst auf den hier behandelten Textilien nicht vor. Auf den Teilstücken 1 und 2 sind die Dialoge so angeordnet, daß die Worte des Moses oben bzw. seitlich, die des Pharaos jeweils unten stehen. Im ersten Teil der Inschrift Q ist der erzählende Bibeltext in wörtliche Rede des Pharaos umgewandelt.

Textkritischer Apparat

  1. Die Buchstaben in Klammern nur noch andeutungsweise zu erkennen.
  2. Von dem R nur der obere Teil erhalten.
  3. Der Abschlußstrich des C irrtümlich als Bogen gestickt, an den oben und unten Sporen angesetzt sind.

Anmerkungen

  1. EBS Ha 4 u. WM XXII, 26 (Dauerleihgabe des Museums August Kestner Hannover, ehem. Welfenmuseum).
  2. Zu den möglichen Identifizierungen einiger Wappen vgl. Kohwagner-Nikolai, Bildstickereien, Nr. 23, S. 280. Zu den Wappen auf den spätmittelalterlichen Textilien vgl. Nr. 5, Anm. 2.
  3. Ex. 3,3.
  4. Ex. 3,5. Die Lücke zu [LO]C(VS) zu ergänzen.
  5. Ex. 5,2.
  6. Ex. 5,1.
  7. Ex. 8,8, zu ergänzen zu: orate Dominum ut auferat ranas a me oder in Umstellung des Bibeltextes a populo meo et a me.
  8. Ex. 8,9, das erste Wort zu ergänzen zu [CONSTI]TVE.
  9. Ex. 8,28.
  10. Nach Ex. 7,10.
  11. Ex. 8,25.
  12. Ex. 8,29.
  13. Ex. 10,7, zu ergänzen scandalum.
  14. Möglicherweise Ex. 9,30: servi tui necdum timeatis Dominum Deum.
  15. Ex. 15,10, das letzte Wort zu ergänzen zu VEHE[MENTIBVS].
  16. Nach Ex. 14,8.
  17. Ex. 14,10, zu ergänzen zu sepulchra in Aegypto.
  18. Ex. 17,6, der Anfang der Inschrift zu ergänzen zu: en ego stabo coram, nach et zu ergänzen: exibit ex.
  19. Als einzige Inschrift nicht als Bibelzitat oder Paraphrase nachweisbar, die Lesung der letzten Buchstaben als PER DEO T ‚durch Gott erhalten‘ bei Kohwagner-Nikolai, würde zwar zur Rettung des Volkes vor den Schlangen passen, läßt sich aber nicht mit dem Umstand vereinbaren, daß per mit dem Akkusativ steht. Hinter dem T noch ein Teil einer Schräghaste, eventuell eines A. Der Bibeltext enthält keine Rede des Moses an sein Volk im Zusammenhang mit der Ehernen Schlange.

Nachweise

  1. Kohwagner-Nikolai, Bildstickereien, Nr. 23, S. 279f. mit Abb.
  2. Schütte, Bildteppiche, Bd. 2, S. 33f. u. Tafel 21 (Wiedergabe der Inschriften in Minuskeln ohne Kennzeichnung der Kürzungen).
  3. Grönwoldt, Textilien, Nr. 57, S. 87 (P, Q).

Zitierhinweis:
DI 76, Lüneburger Klöster, Nr. 9 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di076g013k0000905.