Inschriftenkatalog: Lüneburger Klöster
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 76: Lüneburger Klöster (2009)
Nr. 5 Kloster Wienhausen 1. V. 14. Jh.
Beschreibung
Tristan-Teppich I.1) Wollstickerei auf Leinen. Der Teppich ist im Textilmuseum ausgestellt. Seine obere und untere Kante sind beschnitten. In wechselnder Folge drei waagerechte Bildstreifen mit Figurenszenen und vier schmalere Streifen mit Wappenschilden2) unter Arkadenbögen sowie dazwischen sechs schmale Bänder mit einer über den ganzen Teppich laufenden, mit schwarzem Faden gestickten Inschrift. Abgesehen von einzelnen, unregelmäßig gesetzten Wort- bzw. Satztrennern in Kreuz- oder Kreisform verläuft die Inschrift weitgehend ohne Spationierungen. Die Bildstreifen zeigen teilweise durch Türmchen voneinander getrennte Szenen aus dem Tristanroman. 1. Reihe: Tristan erbittet von König Marke die Einwilligung zum Kampf gegen Morold; Tristan zieht ohne Einwilligung zum Kampf aus; Tristan setzt in einem Kahn auf eine Insel über; Tristans Reiterkampf gegen Morold; Tristans Fußkampf gegen Morold; Tristan kehrt in einem Kahn zurück; Tristan reitet zum Palast zurück. 2. Reihe: Tristan berichtet von seiner Verwundung; Tristan läßt sich in einem Nachen aussetzen; Tristan als Spielmann verkleidet vor der Burg des Königs von Irland; Tristan wird auf die Burg geholt; Isolde heilt Tristans Wunden; Tristans Rückkehr nach Cornwall; Tristan erzählt Marke von Isolde. 3. Reihe: Tristan wird in seinem Schiff vom Sturm an die irische Küste verschlagen; Tristans Kampf gegen den Drachen; Tristan schneidet dem getöteten Drachen die Zunge heraus; Tristan wird von Isolde gefunden; er wird auf die Burg gebracht; er wird gebadet; Isolde entdeckt die Scharte an Tristans Schwert; der betrügerische Truchseß erscheint mit dem Haupt des Drachens vor dem König und wirbt um Isolde; Überfahrt Tristans und Isoldes nach Irland und Liebestrank.
Maße: H.: 233 cm; B.: 404 cm; Bu.: 2,5 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel.
TRISTRAM · DE BAT DEN KONINC · DAT HE MOOTE STRIDEN · VVEDER MOROLDE DE KONINC SPRAC · EC VVILLE · DE LEVERE · /GHEVEN · MIN KONINCRIKE HALF · TRISTRAM · DE KERDE SEC VMME · VNDE SETTE VPPE DAT PERT · VNDE STRIDDE /AN DES KONIGES DANC · DO QVAM HE VOR DEN KONINC · VNDE CLACHEDE DAT HE VERVVNDET VVARE · DO QVAM VRV · /BRANGIELE · VNDE VRV ISALDE · LECHEDEN ENE IN EN SCIPP VNDE VORDEN ENE TO DER STAT · DAR ME ENE SALVEN SCOLDE /DO STEC HE VT EME SCEPE · DO STVNT HE VNDE VEDELEDE · DO QVAM VRV BRANIELE VNDE TOCH ENE VP DE BORCH · /DO STOT VRV BRANIELE · VNDE HEL ENE VRV ISALDE SALVEDE ENE · DO BADDE SE ENE VRV ISALDE HELT DAT SVERT · BANIELEa) DVOCH / ENE
Übersetzung:
Tristan bat den König, gegen Morold kämpfen zu dürfen. Der König sprach: Ich will dir lieber die Hälfte meines Königreichs geben. Tristan wandte sich um und setzte sich auf das Pferd und kämpfte ohne Einwilligung des Königs. Da kam er vor den König und klagte darüber, daß er verwundet wäre. Da kam Frau Brangäne und Frau Isolde, legten ihn in ein Schiff und führten ihn zu dem Ort, wo man ihn salben sollte. Da stieg er aus dem Schiff. Da stand er und fiedelte. Da kam Frau Brangäne und zog ihn auf die Burg. Da stand Frau Brangäne und heilte ihn, Frau Isolde salbte ihn. Da badete sie ihn. Frau Isolde hielt das Schwert. Brangäne wusch ihn.
Textkritischer Apparat
- R ausgelassen.
Anmerkungen
- Inv. Nr. WIEN Ha 1.
- Zur möglichen Identifizierung der Wappen vgl. Schütte, Bildteppiche, Bd. 1, S. 4f., Appuhn/Grubenbecher, Wienhausen, S. 50, Fouquet, Tristantradition, S. 139–144 u. Kohwagner-Nikolai, Bildstickereien, S. 198f. Skepsis im Hinblick auf die Identifizierung der Wappen bleibt angebracht angesichts von Vorschlägen wie Bosnien, Monteini, Rügen, Portugal und Griechenland, die im Wechsel mit Wappen wie Wernigerode, Bruchhausen oder Öttingen stehen sollen. Die von den obengenannten Autoren konstatierte ‚falsche‘ Verwendung von Farben zeigt schon, wie unsicher solche Zuweisungen sind. Daß sich für jedes hier verwendete Wappenmotiv (z. B. Balken, Pfähle, Andreaskreuz, Löwe oder Greif) eine Deutung finden läßt, ist bei der Vielzahl der allein bei Siebmacher-Hefner verzeichneten Wappen selbstverständlich. Auch daß auf dem Teppich an erster Stelle der Reichsadler steht und Wappenmotive der großen Herrscherfamilien wie Braunschweig, Lüneburg oder Bayern ausgewählt wurden, ist naheliegend, deutet jedoch nicht auf ein planvolles Wappenprogramm hin, sondern vielmehr darauf, daß bekannte Wappenmotive zum ornamentalen Schmuck des Teppichs und zu Repräsentationszwecken aufgegriffen wurden.
- Kohwagner-Nikolai, Bildstickereien, Nr. 3, S. 198, datiert den Teppich auf die Zeit um 1330, da ihrer Ansicht nach Szenen des Tristan-Teppichs I ihre Vorbilder in der Wandmalerei des Nonnenchors haben.
- Hierzu und zum Verhältnis des Textes zur Darstellung ausführlich Fouquet, Tristantradition, S. 129–138.
- Fouquet, Tristantradition, passim, mit ausführlichen Angaben zur älteren Literatur.
Nachweise
- Mithoff, Kloster Wienhausen, S. 9 u. Tafel VI (Zeichnung).
- Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 281.
- Schütte, Bildteppiche, Bd. 1, S. 6 (unvollständig) u. Tafel 1–5.
- Appuhn/Grubenbecher, Wienhausen, S. 50 u. Abb. Tafel 46/47.
- Maier, Kunstdenkmale Wienhausen, S. 154 u. Abb. 200.
- Wilhelm, Bildteppiche, S. 15, Abb. S. 8/9 u. 16f.
- Fouquet, Tristantradition, S. 125.
- Kohwagner-Nikolai, Bildstickereien, Nr. 3, S. 200.
Zitierhinweis:
DI 76, Lüneburger Klöster, Nr. 5 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di076g013k0000500.
Kommentar
Die Ausführung der gotischen Majuskel in dünner Fadenstärke und unregelmäßig gearbeiteten Buchstaben unterscheidet diesen Teppich deutlich von den anderen Textilien im Klosterstich mit gotischer Majuskel. Sie zeigen alle sehr viel mehr Sorgfalt in der Gestaltung der einzelnen Buchstaben und breiter ausgeführte Buchstabenbestandteile, die mehr Möglichkeiten für Zierformen bieten. Ein weiterer gravierender Unterschied ist die durchgehende Verwendung eines schwarzen Fadens für die Buchstaben, während alle anderen Teppiche (vgl. Nr. 16 Tristan II, Nr. 21 Tristan III, Nr. 23 Propheten, Nr. 45 Jagd-Teppich, der Braunschweiger Salomon-Teppich – DI 35, Nr. 43, der Braunschweiger Gawan-Teppich – DI 35, Nr. 65) mit Ausnahme der Ebstorfer Moses-Laken (Nr. 9) einen Farbwechsel von Buchstabe zu Buchstabe aufweisen, die Inschriften in gotischer Minuskel der späteren Teppiche (Nr. 39 Heilsspiegel, Nr. 78 Anna, Nr. 79 Elisabeth) einen Farbwechsel zwischen den Wörtern. Die vergleichsweise einfache Ausführung der Inschrift, die in der Literatur bisher zwar vermerkt, aber ohne Konsequenz für die Datierung der Teppiche geblieben ist, läßt darauf schließen, daß Tristan I früher entstanden ist als die Teppiche mit Buchstaben-Farbwechsel und sorgfältiger gestalteten Buchstaben. Daher ist er hier als einziger der Wienhäuser Teppiche in Übereinstimmung mit den Datierungen von Schütte, Wilhelm und Fouquet auf das erste Viertel des 14. Jahrhunderts datiert,3) die Teppiche mit Farbwechsel dagegen später. Da Tristan I die zu dieser Zeit schon voll ausgeprägte Spätform der gotischen Majuskel mit abgeschlossenem C und E sowie Buchstabenvarianten zeigt, die im weiteren 14. Jahrhundert im Gebrauch bleibt, können die Buchstabenformen nicht zur genaueren Datierung herangezogen werden. Der von Kohwagner-Nikolai konstatierte Bruch in der Ausführung der Inschrift, wonach die sechste Zeile in geringerer Buchstabenhöhe und enger von einer anderen Hand ausgeführt sein soll, ist nicht nachvollziehbar, lediglich zum Ende der letzten Zeile hin sind die Buchstaben aus Platzgründen etwas enger gestickt, und der Schluß ist über die Zeile gesetzt. Dieses in Inschriften häufig zu beobachtende Phänomen der unzureichenden Platzaufteilung korrespondiert mit der Tatsache, daß die Beischriften zum Bildgeschehen zunächst noch sehr raumgreifend in Haupt- und Nebensätzen formuliert sind und zum Schluß hin in knappen – oft mit do eingeleiteten Hauptsätzen – enden, ohne daß die letzten dargestellten Szenen noch berücksichtigt werden konnten. In der zweiten Szene der zweiten Reihe weicht die Inschrift von der Darstellung ab, indem sie Isolde und Brangäne statt der dargestellten Marke und Kurwenal nennt.4) Die von verschiedenen Autoren unternommene Suche nach einer konkreten literarischen Vorlage für die Gestaltung des Teppichs blieb ergebnislos. Fouquet hat überzeugend nachgewiesen, daß in den dargestellten Szenen besonders die im Zusammenhang der Tristangeschichte tradierten Märchenmotive in den Vordergrund gestellt sind und daß dem Konzept des Teppichs eine mündliche Tradierung zugrundeliegt.5)