Inschriftenkatalog: Lüneburger Klöster

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 76: Lüneburger Klöster (2009)

Nr. 221 Kloster Lüne um 1634

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Gemälde.1) Leinwand in Holzrahmen. Das Gemälde, das auf dem Nonnenchor hängt, zeigt die Vision der Dorothea von Meding, der im Jahr 1562 zusammen mit dem übrigen Konvent ein Kruzifix im Himmel über dem Kloster erschien. Dargestellt sind die Konventualinnen im Klostergarten, darüber im Himmel ein liegendes Kruzifix, am Kreuz der Titulus A. Unter der Darstellung auf weißem Grund oben die Inschrift B in schwarzen Buchstaben, die Überschrift, der Name der Domina und die Jahreszahl in Rot hervorgehoben, darunter in drei Spalten nebeneinander die Inschrift C, die Zeilen sind versweise voneinander abgesetzt.

Maße: H.: 128,5 cm; B.: 94 cm; Bu.: 0,8 cm (A), 1,8–1 cm (B), 1 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis (A), Fraktur mit Kapitalis (B, C).

Kloster Lüne [1/3]

  1. A

    I(ESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDAEORVM) · 2)

  2. B

    Ein Trost Bild / Deß gecreutzigten Jesu Christi daß die Ehrw(ürdige) Edle viel ehr vnd Tugendreiche Jungfer Dorothea von Meding DOMINA / des Closters LVNAE nebenst etlichen anderen Jungfern im Jahre 1562 · an PHILIPPI IACOBI tage3) des abendß nach sechsen, eben wie eß / hie gemahlet geshen hat in den Wulcken,

  3. C

    O Jesu Christ, O edleß Bild von gnade reich, von hulffe mild, Jch habs ia nicht Verdienet gar daß du am tag WALPVRGIS3) klar, Dich sehen lassn in Wulcken schon vntr einer scharffen dornen kron, Genagelt fest anß Creutzes stam alß das vnschuldig Gottes lam, Das mit dem rosinfarben blut die Welt erlöst auß hellen glut, Sag mir O mein Herz Jesu Christwenß meiner Seel nicht schedlich ist,Worvmb hastu zur abend stundgezeiget mir dein heilig Wund //Jch dencke zwar eß ist geschendaß iederman solt klerlich sehn,Weil Gott LVTHERI wort vnd redauch wolte geben dieser stettDu wolst die lehre fru vnd spat auß breiten weit mit klugen rahtDaß Pabsthumb aber sturzen gar,mit seiner falschen listign lahr, Daß denckt mein hertz in einfalt feinlaß dirß Jesu gefellig sein,Jrr ich, laß michs entgelten nichtwen ich nun kom fur dein gerichtO Jesu einigr hertzenß trostder du mich hast mit blut erlöst //Wie sol ich immer dancken dirdaß du dich hast gezeigett mir,Noch teglich zeigest offenbahrdurchs wort vnd SACRAMENTEN klarLaß doch mein hertz in aller notviel freude findn an deinen todt,Dein todt helff mir, wen ich nicht kanauff erden hulffe treffen an,Jch weiß kein raht O Jesu Christwo du mir nicht behulfflich bist,So hilff mir nun, gib trost vnd rahtO Jesu Christe fru vnd spat!

Kommentar

Es ist zu vermuten, daß das Gemälde trotz der in der Inschrift C in der 1. Person von sich sprechenden Domina erst nach dem Tod der Dorothea von Meding (vgl. Nr. 140) im Jahr 1634 angefertigt wurde. Die durchgehend hochdeutsche Sprache der Inschriften spricht für eine Entstehung im 17. Jahrhundert, der Duktus der Inschrift C für eine Entstehung frühestens im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts, eher in der zweiten Hälfte. Im Vergleich zu anderen in der Zeit um 1650 entstandenen Gemälden im Nonnenchor und im Vorraum (Nr. 251, 290, 292) erscheint dieses Gemälde jedoch älter. Möglicherweise ist dies aber nur durch den Qualitätsunterschied bedingt, da das Bild der Vision deutlich qualitätvoller ist als die Gemälde der beiden Gestühlsprogramme.

Den in Bild und Text geschilderten Vorgang um die spätere Domina kommentiert Müller so: Sie kam bereits mit ihrem eilften Lebensjahre in dieses Kloster, und ihre Jugendzeit wird durch eine besondere Erscheinung merkwürdig. Als sie nemlich im Kloster Schulkind war, Anno 1562, erblickte sie den ersten Mey abends 6 Uhr ein schwebendes Crucifix in den Wolken. Sogleich ruft sie alle im Spinnhause oder in der gemeinschaftlichen Spinnstube versammleten Jungfrauen, – die sich gerade an diesem Tage, wie es in einer gereimeten Beschreibung heißt, hatten zur Ader gelahn, heraus, die es denn auch gesehen haben. Wahrscheinlich ist es irgendeine Lufterscheinung gewesen, bey welcher Klosternonnen natürlich ein Kreuz zuerst sich deuteten. Denn, da aus vielen noch vorhandenen Briefen der Domina Meding erhellet, daß sie eine vernünftige, rechtschaffene Person gewesen, gleichwohl in spätern Jahren im Glauben an diese Erscheinung geblieben, so ist es gewiß kein Betrug, sondern nur ein in den damaligen Zeiten sehr verzeihlicher Irrtum gewesen. Inzwischen ist jenes angebliche Zeichen als erklärter Wille Gottes zur Annahme der Reformation hierselbst angesehen, und vielleicht politisch dazu genutzt worden.4) Auffallend ist, daß die Kreuzeserscheinung der Dorothea von Meding in der von dem Lüner Pastor Friedrich Leseberg (vgl. Nr. 223) verfaßten, ausufernd langen Leichenpredigt für die Domina nicht erwähnt ist.5) Der Grund dafür könnte darin liegen, daß dem protestantischen Pastor die Wundererzählung zu katholisch angehaucht schien. Dagegen wird 1685 in der Leichenpredigt für Margaretha Elisabeth von Harling (vgl. Nr. 309) ausdrücklich auf dieses Ereignis Bezug genommen.6) Möglich wäre auch, daß die Geschichte erst einige Zeit nach dem Tod der Domina verbreitet wurde.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. LÜN Cb 45.
  2. Io. 19,19.
  3. 1. Mai.
  4. Müller, Fräuleinkloster Lüne, S. 626f.
  5. SUB Göttingen, 4° N. IV. 3.
  6. Leichenpredigt Maria Elisabeth von Harling, SUB Göttingen, 4° N. I. 8.
Addenda & Corrigenda (Stand: 26. September 2022):

Die Datierung des Gemäldes ist aufgrund neuer Erkenntnisse zu korrigieren und in die Zeit um 1623 zu setzen. Denn den im Zusammenhang mit der Kreuzeserscheinung in verschiedenen Quellen beiläufig erwähnten Bericht über den Vorgang, der sich unter den handschriftlichen Quellen nicht finden ließ, entdeckte Katharina Talkner7) bei ihren Forschungen unter den Bibliotheksbeständen des Klosters Lüne: es handelt sich um die 1623 bei Andreas Michaelsen in Lüneburg gedruckte Warhafftige Beschreibung Eines Wunderbaren Gnaden-Gesichtes am Himmel / Uber daß Erbare / in Gott Andechtiges JungfrawenCloster Lüne für Lüneburg. Auf Andechtigem sattem Bericht und Christlicher Beliebung / der Wollwirdigen Edlen Sieherin / DOROTHEAE von Meding / Vieljärigen ernantes Closters DOMINAE, die der Lüneburger Schulrektor Paul Blocius verfaßt hat. Das 266 Verse umfassende Gedicht von Blocius entstand somit zu Lebzeiten und ganz sicher im Einverständnis, wenn nicht sogar auf Veranlassung der 1634 verstorbenen Domina. Es hat den Anschein, als habe sich Dorothea von Meding als über Siebzigjährige auf ihre Jugendzeit zurückbesonnen und ein lange zurückliegendes Ereignis aus ihrer Biographie als Ausgangspunkt für Meditation und Andacht genommen, die deutlich über ihre eigene Person hinausgehen sollten.

Die naheliegende Vermutung, die Verse unter dem Gemälde seien dem Gedicht des Blocius entnommen, bestätigt sich nicht. Beide Gedichte verbindet, daß sie in Ich-Form formuliert sind und dasselbe Ereignis zum Gegenstand haben. Das gedruckte Gedicht spricht jedoch mehr im Namen des ganzen Konvents – hier ist öfter von wir und uns die Rede –, und auch das von Blocius an das Ende seiner Verse gestellte Gebet ist in der ersten Person Plural formuliert. Eine inhaltliche Übereinstimmung gibt es in beiden Gedichten in der Bezugnahme auf die im Kloster durchgeführte Reformation, deren Richtigkeit durch die Kreuzeserscheinung bestätigt wird. Darauf beschränken sich aber die Gemeinsamkeiten der beiden Texte.

Eine verblüffende Übereinstimmung gibt es zwischen Gemälde und Druck in ganz anderer Hinsicht: nach einer Einleitung, die biblische Wunder und Erscheinungen aufführt, beschreibt Blocius in Person der Dorothea von Meding in 74 Versen die Kreuzeserscheinung und zugleich das Gemälde bis ins Detail. Dies ist hier am Beispiel des Kruzifixes zu demonstrieren, indem die Verse des Drucks auszugsweise zitiert werden:

  1. Am Creutz hing ein lang Mans Person / Gerade / wolgestalt / sehr schon. / ... Das Haupt zur Rechten Seit geneigt / War nicht gehengt / wie mans sonst zeigt. / Gantz vberall sehr weiß vnd bleich / Wie sonst ist ein verstorben Leich. Auffm Heupt war ein groß Dorne Kron / Die sah man lange Zacken han / Derer ein ging gleich hindurch mit Recht auff das rechter Augen Glid. Sein Angesicht / ich sagen thar / Fast lenger alse runder war. Sein Haer gescheitelt / und lenglich / Biß auff die Achsel seuberlich. Etwas erhoben oben auß / Als ob es wer ein wenig krauß / ... Der Bart gleich als gespalten war / Bräunlich / nicht vberlang das Haer. Etwas spitzig an beidem End / Zierlich waren seine Arm vnd Hend.8)

Die literarische Qualität der Verse läßt sehr zu wünschen übrig, aber die exakte Übereinstimmung zwischen dem Gemälde und den Blocius-Versen, die sich an sämtlichen 76 Versen demonstrieren ließe, wird im Vergleich zwischen Kruzifix und Text hinreichend deutlich. Damit ist auch erwiesen, daß das Gemälde und der gedruckter Text in zeitlich engem Zusammenhang stehen müssen und zwar derart, daß zunächst das Gemälde angefertigt wurde, das dann von Blocius in seinem Gedicht bis ins kleinste Detail beschrieben wurde. Blocius bediente sich dabei des Genres der Bildmeditation oder Ekphrasis, das sich in allen Literaturepochen finden läßt. Der umgekehrte Vorgang, daß das Gemälde nach den Blocius-Versen angefertigt worden wäre, dürfte vor allem auch angesichts der mangelnden Qualität des Gedichts auszuschließen sein. Denkbar wäre jedoch, daß beides zusammen konzipiert wurde, auch wenn die gedruckten Verse keinerlei Übereinstimmung mit den Versen unter dem Gemälde aufweisen. Die Inschrift des Gemäldes soll hier auszugsweise wiedergegeben werden, um den Qualitätsunterschied zu den Blocius-Versen zu verdeutlichen.

Da es auffällt, daß viele der erbaulichen Inschriften des Bestands im Kloster Lüne zu lokalisieren sind, liegt die Vermutung nahe, daß Dorothea von Meding gegen Ende ihrer Amtszeit darum bemüht war, im Lüner Konvent Andacht und Frömmigkeit zu intensivieren. Unterstützt wurde sie dabei offensichtlich von Paul Blocius, der seine Version des Ereignisses – nicht wie bei den Lüneburger Schulrektoren dieser Zeit sonst üblich in Latein – sondern ganz gezielt und vermutlich von der Initiatorin so verfügt – in deutscher Sprache verfaßte. Mit der Drucklegung der Verse zielten Domina und Schulrektor offensichtlich auf ein breiteres Publikum.

Daß hier lange Zeit nach Durchführung der Reformation bewußt eine Vision in den Mittelpunkt von Andacht und Meditation gestellt wird, knüpft zwar an mittelalterliche Traditionen in den Lüneburger Klöstern an, die auch Dorothea von Meding in den zahlreichen Erscheinungsdarstellungen z. B. auf den Teppichen vor Augen gehabt haben dürfte. Ganz unproblematisch war die Vision der Domina in protestantischer Zeit jedoch nicht. Das zeigen die im ersten Teil des Blocius-Gedichts zur Legitimation des Folgenden aufgezählten biblischen Erscheinungen mit theologisch fundierten Bibelstellennachweisen am Rande9) und die Betonung des Umstands, daß die Vision nicht nur auf Dorothea persönlich bezogen war, sondern vom ganzen Konvent miterlebt wurde.10) Biblische Parallelen bemüht auch der Lüner Pastor Friedrich Leseberg, der den Vorgang in der von ihm verfaßten Leichenpredigt für die Domina folgendermaßen schildert: Davon hat sich dis Gesicht begeben/ Jch muß es erzehlen/ vnd lasse einem jedern sein judicium. Sie sagte/ daß sie den gecreutzigten JESUM in Wolcken gesehen hatte/ vnd hat auch solches Bild/ wie sie es gesehen abmahlen lassen. Manchem ist solches ein seltzames zu hören/ vnd hat ein wunderliches judicium davon/ Jch stell alles dahin an seinen Ort. Sie blib dabey beständliglich/ sie hätte es gesehen/ vnd ich gläube nimmer/ daß sie bey den Wunden JEsu Christi/ die sie allezeit geliebet/ eine einige Vnwarheit solte berichtet haben. Jst doch solches wol ehe geschehen. Stephanus sahe Jesum in den Wolcken zur rechten Hand Gottes ... .11)

Aus der Erkenntnis, daß der gedruckte Wunderbericht und das Gemälde in ihrer Entstehung eng zusammenhängen müssen, könnte man mit aller Vorsicht folgern, daß die Lüner Domina Dorothea von Meding gegen Ende ihres Lebens in Rückbesinnung auf ein Ereignis ihrer Jugendzeit die Ziele zeitgenössischer Autoren wie Johann Arnd und Johann Gerhard aufgriff, um in ihrem Bereich und mit ihren Mitteln Frömmigkeit und Andacht zu stärken, und daß sie damit in ihrem Kloster einer Reform der Reformation den Weg bahnte, die in den Lüner Inschriften der Folgezeit sehr deutlich zum Ausdruck kommt. Gestützt wird diese Vermutung dadurch, daß sich in der Bibliothek des Klosters Lüne noch heute Andachtsbücher finden, die einen Besitzvermerk der Dorothea von Meding tragen.

Anmerkungen

  1. 7.Mein herzlicher Dank gilt Katharina Talkner (Hannover) für den Hinweis und für die freundliche Überlassung ihres Fundes zur weiteren Auswertung für meine Zwecke.
  2. 8.Paul Blocius, Warhafftige Beschreibung Eines Wunderbaren Gnaden-Gesichtes am Himmel / Uber daß Erbare / in Gott Andechtiges JungfrawenCloster Lüne für Lüneburg. Auf Andechtigem sattem Bericht und Christlicher Beliebung / der Wollwirdigen Edlen Sieherin / DOROTHEAE von Meding / Vieljärigen ernantes Closters DOMINAE. Lüneburg 1623, S. 6f.
  3. 9.Blocius (wie Anm. 2), S. 1–4.
  4. 10.Blocius (wie Anm. 2), S. 5.
  5. 11.SUB Göttingen, 4° N. IV. 3. Friedrich Leseberg, Christliches Grabmahl ... . Lüneburg 1634, fol. R iiJ v. Auch den Hinweis auf die Erwähnung der Kreuzeserscheinung in der Leichenpredigt Lesebergs verdanke ich Katharina Talkner.

Zitierhinweis:
DI 76, Lüneburger Klöster, Nr. 221 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di076g013k0022104.