Inschriftenkatalog: Lüneburger Klöster

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 76: Lüneburger Klöster (2009)

Nr. 21 Kloster Wienhausen 3. V. 14. Jh.

Beschreibung

Tristan-Teppich III.1) Wollstickerei auf Leinen. Auf dem im Textilmuseum ausgestellten Teppich sind in vier Bildstreifen Szenen aus dem Tristanepos dargestellt, die rechte untere Ecke wurde bei einer Restaurierung 1927 ergänzt. Auf der Randbordüre oben und unten Rankenwerk mit Drachen. Reihe 1: König Markes Schwalbentraum und Zinsforderung, Markes Auftrag an Tristan, Tristans Ausritt, Überfahrt nach Irland, Kampf der Pferde, Kampf Tristans mit Morold, Herausschneiden der Drachenzunge, der vom Kampf erschöpfte Tristan. Reihe 2: Der betrügerische Truchseß trennt den Drachenkopf ab, Vorweisung des Drachenkopfes durch den Truchseß und der Drachenzunge durch Tristan, Badeszene, Überfahrt nach Cornwall und Liebestrank, Markes und Isoldes Hochzeitsmahl, Hochzeitsnacht. Reihe 3: Brangäne und die gedungenen Mörder, Tristans und Isoldes Liebesnacht und Entdeckung durch Marke, Belauschung des Liebespaares im Garten durch Marke, Überfahrt Tristans nach Arundele, Tristans Vermählung mit Isolde Weißhand, Hochzeitsmahl, Musikanten. Reihe 4: Hochzeitsnacht, Ausritt Isoldes, Tristan, Isolde und Brangäne, Isoldes Überfahrt, in der ergänzten unteren Ecke anstelle der ursprünglichen Darstellung des Liebestods eine Wiederholung des vom Kampf erschöpften Tristan aus der ersten Reihe. Die Bildstreifen sind durch drei schmale Leisten mit einer durchlaufenden Inschrift getrennt, am Ende der dritten Leiste anstelle des ausgefallenen Textes eine Restaurierungsinschrift von 1927.2) Die Buchstaben der ersten Zeile und der ersten beiden Drittel der dritten Zeile im rot/gelben Farbwechsel, die Buchstaben der zweiten Zeile und des letzten Drittels der dritten Zeile im rot/grünen Farbwechsel.

Maße: H.: 248 cm; B.: 386 cm; Bu.: 3–4 cm (Zeile 1 u. 3), 5 cm (Zeile 2).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Kloster Wienhausen [1/3]

  1. KONICH MARKIS · SANDE VT ZINEN OM NA DER IVNENVROWEN · DE HEDE ALZO · DAN HAR · ALZO / [..S.A]HELEa) VORDE[N] IN DAT PALAS HE VOR OVER DE ZE DO SLOEH HE DOT MORHOLTE [I]Z[A]L[D]Eb) / BROER DO SLOCH HE DEN WORM VN SCNET OME DE TVGNENc) VT DE RODE RIDDERd) [ – – – ]

Übersetzung:

König Marke sandte seinen Neffen nach der Jungfrau aus, die solches Haar hätte, wie es die Schwalben in den Palas3) gebracht hatten. Er fuhr über das Meer. Da erschlug er Morolt, Isoldes Bruder. Da erschlug er den Drachen und schnitt ihm die Zunge heraus. Der rote Ritter ... .

Kommentar

Zur Konzeption der dargestellten Szenen ausführlich Fouquet.4) Die Datierung des Teppichs beruht im wesentlichen auf der im Vergleich zu Tristan II (Nr. 16) veränderten Darstellung der Gewänder besonders der männlichen Protagonisten, die hier die um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Mode kommenden kurzen Röcke und weit herabhängenden Ärmel tragen. Die Buchstabengestaltung als voll ausgebildete gotische Majuskel mit Farbwechsel kann keine näheren Aufschlüsse zur Datierung geben. Die auffällig andere Ausführung der Buchstaben in der zweiten Zeile in größeren und unproportionierter erscheinenden Buchstaben im Vergleich zur oberen und unteren Zeile ergibt sich aus dem Umstand, daß dieser Teil der Inschrift über der horizontalen Naht liegt und erst nach dem Zusammenfügen der Teilstücke ausgeführt wurde.5) Daß im letzten Drittel der letzten Zeile innerhalb des Wortes TVGNEN ein unmotiviert erscheinender Wechsel von rot/gelb zu rot/grün vollzogen wurde, der sich in der später ausgeführten zweiten Zeile fortsetzt, wäre möglicherweise durch den ganz einfachen Umstand zu erklären, daß gerade keine gelb eingefärbte Wolle mehr zur Hand war. Die Buchstaben weisen durchgängig einen sehr dünnen Abschlußstrich von C und E auf, trapezförmiges A mit unten umgebogener linker Haste, I immer mit beidseitigem Nodus. Diese Merkmale finden sich in derselben Form auch auf dem Salomon-Teppich und dem Parzival-Teppich in Braunschweig6), die dort durchgängig gestickten manierierten T mit beidseitigem Nodus an der Haste weist Tristan III hingegen nicht auf. Sehr reizvoll ist der Farbwechsel innerhalb des verschränkten W in IVNENVROWEN und WORM, der sich so auch auf dem Braunschweiger Salomon-Teppich und dem Propheten-Teppich (Nr. 23) findet.

Auffallend ist bei dem Tristan-Teppich III, daß auch hier wie schon bei Tristan I kein direkter Text-/Bildbezug durchgehalten ist. Ähnlich wie auf dem Teppich Tristan I beginnt die Inschrift mit weitschweifiger Erläuterung der ersten Szenen und endet in deutlich knapperen Sätzen mit der Kommentierung der linken Szene in der zweiten Bildreihe. Da hier in den Bildszenen – anders als auf Tristan I – die komplette Handlung bis zum Liebestod illustriert ist, gibt die Inschrift nur eine Einführung in die Geschichte.

Textkritischer Apparat

  1. Bisher Lesung HELC in der gesamten Überlieferung und die wenig befriedigende Konjektur (DE S)WELC. Dies läßt sich jedoch nicht mit dem Befund vereinbaren. Die Fehlstelle ist vielmehr zu [DE] S[W]AHELE zu ergänzen. Der Befund: Die ersten beiden Buchstaben sind vollständig ausgefallen, Reste des in grün gestickten S sind noch erhalten, deutlich erkennbar der gegenläufige Bogen der Buchstabenmitte; das W vollständig ausgefallen; das A ist noch als hellere Kontur im Unterstoff zu erkennen; HEL noch vorhanden; bei dem letzten Buchstaben muß es sich um ein E handeln, da die C und E mit einem auffallend dünnen Abschlußstrich geschlossen sind und die E der zweiten Zeile einen besonders breiten Mittelbalken aufweisen, daher kann es sich bei den roten Fadenresten in der Mitte rechts nur um den Balken des E handeln.
  2. Von dem in Rot ausgeführten A wohl noch ein Teil des Balkens erhalten, das D noch in Umrissen zu erkennen.
  3. Kohwagner-Nikolai liest hier TVCHEN. Der vierte Buchstabe ist jedoch kein H, das hier immer mit in der Schaftmitte waagerecht angesetztem Bogen ausgeführt ist, sondern eindeutig ein rundes N mit etwas tief angesetztem Bogen. Die Lesung von Schütte als tucnen kommt deshalb nicht in Betracht, weil der dritte Buchstabe nicht den Abschlußstrich des C wie in dem voraufgegangenen SCNET zeigt, sondern ein deutlich nach rechts über den unteren Bogen hinausgeführtes oberes Bogenende des G.
  4. Nach RIDDER folgt noch ein A, das nicht zur folgenden Inschrift von 1927 gehört, aber nach der Abbildung bei Schütte im alten Zustand nicht vorhanden war, da das Teilstück direkt hinter dem R abgeschnitten war.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. WIEN Ha 3.
  2. ERGAENZT 1927.
  3. Hier vermutlich nicht ‚Palast‘, wie Fouquet und Kohwagner-Nikolai übersetzen, sondern im Sinn von ,Schlafgemach‘, vgl. Lexer, Handwörterbuch, Bd. 2, Sp. 197.
  4. Fouquet, Tristantradition, S. 33–45.
  5. Vgl. Kohwagner-Nikolai, Bildstickereien, S. 60.
  6. Vgl. DI 35 (Stadt Braunschweig 1), Nr. 43 u. Abb. 30, Nr. 65 u. Abb. 31. Zur Verwandtschaft der drei Teppiche ausführlich Fouquet, Tristantradition, S. 33, u. Kohwagner-Nikolai, Bildstickereien, S. 210f.

Nachweise

  1. Schütte, Bildteppiche, Bd. 1, S. 11 u. Tafel 7–9, 25 u. 26.
  2. Maier, Kunstdenkmale Wienhausen, S. 155 u. Abb. 202.
  3. Ricklefs, Bildteppiche, S. 66.
  4. Fouquet, Tristantradition, S. 134.
  5. Wilhelm, Bildteppiche, S. 22 u. Abb. S. 20f.
  6. Kohwagner-Nikolai, Bildstickereien, Nr. 4, S. 208.

Zitierhinweis:
DI 76, Lüneburger Klöster, Nr. 21 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di076g013k0002104.