Die Inschriften der Lüneburger Klöster Ebstorf, Isenhagen, Lüne, Medingen, Walsrode, Wienhausen

3. Texttypen und Inschriftenträger

Die Skizzierung der Inschriftenteilbestände für die einzelnen Klöster hat bereits gezeigt, daß die Situation hier alles andere als einheitlich ist und daß jedes Kloster seine Besonderheiten aufzuweisen hat. Eine übergreifende Auswertung des Gesamtbestands ist daher schwierig, zumal hier im Vergleich zu den bisher edierten norddeutschen Beständen wesentliche Gruppen von Inschriften wie Hausinschriften, Bauinschriften oder Inschriften auf Glocken in so geringer Zahl vorkommen, daß sich daraus keine übergeordneten Erkenntnisse ableiten lassen. Möglich ist hier aber eine Auswertung zu den besonders häufig und auf verschiedenen Inschriftenträgern vorkommenden Texttypen ‚Bildbeischrift‘ und ‚erbaulicher Text‘ sowie zu den Grabinschriften und Grabdenkmälern, die mit 117 Nummern die weitaus größte Gruppe unter den Inschriftenträgern darstellen.

3. 1. Grabinschriften34)

Auf eine Terminologie der Grabdenkmäler kann hier verzichtet werden, da diese in den zuvor erschienenen Bänden dieser Reihe immer wieder behandelt worden ist.35) Von den 117 Grabdenkmälern sind 85 ganz oder zumindest teilweise im Original erhalten. Es handelt sich, soweit bekannt, um 66 Grabplatten (zu denen sieben Grabplatten in Lüne aus der Zeit vor 1550 in DI 24 hinzuzurechnen sind), dreißig Epitaphien, sieben Särge, sechs Grabkreuze und drei Grabstelen. Aus dem 14. Jahrhundert liegen lediglich die Inschriften von drei Grabplatten in kopialer Überlieferung vor, aus dem 15. Jahrhundert drei in kopialer Überlieferung und drei im Original, außerdem drei original erhaltene Fragmente. Dichter wird die Überlieferung mit 33 unterschiedlichen Grabdenkmälern im 16. Jahrhundert, der Großteil – darunter sämtliche Grabkreuze und Särge sowie die meisten Epitaphien – stammt aus dem 17. Jahrhundert. Zum weit überwiegenden Teil sind die Grabdenkmäler für Klosterangehörige, zumeist Äbtissinnen, Priorinnen und Dominae sowie Pröpste, in evangelischer Zeit auch für Amtleute, bestimmt.

Unter den wenigen aus vorreformatorischer Zeit erhaltenen Grabplatten und Fragmenten können die Platte für den 1471 verstorbenen Isenhagener Propst Heinrich Gerdener (Nr. 50) und die Platte für die 1513 verstorbene Medinger Äbtissin Margaretha Puffen (Nr. 93) beispielhaft als aufwendiger gestaltete Steine hervorgehoben werden. Die kopiale Überlieferung der Medinger Inschriften und der von Gebhardi dazu gezeichnete Lageplan, in dem auch die Gestaltung der einzelnen Grabplatten angedeutet ist, zeigen, daß der Chorfußboden der alten Medinger Klosterkirche mit Grabplatten – überwiegend für Pröpste – bedeckt war, die ganzfigurige Darstellungen der Verstorbenen trugen. Der Rückschluß ist erlaubt, daß es in den Kirchen der anderen Klöster ähnlich aussah, auch wenn darüber nichts bekannt ist. Allerdings sind die in Lüne – nicht mehr an originaler Stelle – erhaltenen Platten für eine Priorin und fünf Pröpste sehr viel einfacher gestaltet als die Isenhagener und die Medinger Platte.

In den Ecken beider Platten befinden sich Medaillons mit Evangelistensymbolen. Der Propst Heinrich Gerdener ist in Ritzzeichnung mit Kelch unter einem Baldachin dargestellt, ihm zur Seite ein Schriftband, auf dem sich die auf der Rahmenleiste umlaufende Inschrift fortsetzt. Die Äbtissin Margaretha Puffen ist im Relief mit Äbtissinnenstab in einer Nische stehend dargestellt, ebenfalls umgeben von einer Inschrift auf der Rahmenleiste. Während die aus einem knappen Sterbevermerk (Anno domini ... obiit ...) und einer Fürbitte (cuius anima requiescat in pace) bestehende lateinische Inschrift für Gerdener dem Formular der erhaltenen Lüner Grabplatten ebenso entspricht wie den bei Lyßmann und Büttner kopial überlieferten Medinger Grabinschriften für Pröpste und Priorinnen, ist die Inschrift für die Reformäbtissin Margaretha Puffen in zwei elegischen Distichen abgefaßt und stellt damit den Ausnahmefall dar. Inhaltlich entspricht die Versinschrift jedoch – wenn auch etwas verklausuliert – einem Sterbevermerk. Es ist nur noch eine weitere lateinische Versgrabschrift auf einer Tafel aus vorreformatorischer Zeit für die sechs Klöster überliefert (Nr. 24, 1376, Isenhagen), da aber weder der Verstorbene noch die Umstände bekannt sind, unter die die fehlerhaft überlieferte Grabschrift einzuordnen ist, ist deren Bewertung schwierig.

Die nachreformatorischen Grabplatten der Klöster sind eher schlicht in ihrer Gestaltung, die zumeist auf die Anbringung von Inschriften und Wappen beschränkt ist. Figürliche Darstellungen der Verstorbenen kommen hier auf Grabplatten von Konventualinnen gar nicht mehr vor, sondern lediglich noch auf der Grabplatte für Herzog Heinrich den Mittleren aus dem Jahr 1532 (Nr. 115) in Wienhausen, auf drei Kindergrabsteinen von 1596 (Nr. 165, Isenhagen) und 1626 (Nr. 210, Lüne; Nr. 212, Wienhausen), sowie auf einer Grabplatte und einem Fragment an der Gemeindekirche Wienhausen (Nr. 167, 1599; Nr. 173, zweite Hälfte 16. Jahrhundert).

Das älteste im Original erhaltene Epitaph der sechs Klöster befindet sich in Isenhagen und ist für die 1510 verstorbene Äbtissin Barbara Antoni bestimmt (Nr. 92). Die kleine Metalltafel stellt unter den Epitaphien eine Besonderheit dar, ihre Gravuren sind sehr qualitätvoll ausgeführt. Dies gilt sowohl für die Darstellung der vor Maria knienden Äbtissin als auch für die Ausführung des lateinischen Sterbevermerks in einer mit Zierformen versehenen gotischen Minuskel. Weitere Epitaphien für Äbtissinnen bzw. Dominae der Klöster stammen erst aus dem späten 16. und dem 17. Jahrhundert. Dabei handelt es sich um die für die Renaissance- und Barockzeit typischen mehrteiligen Holzepitaphien mit großen Gemälden im Mittelteil. Diese Gemälde stellen in den meisten Fällen biblische Szenen dar, eine Ausnahme bildet das Epitaph der Ebstorfer Domina Lucia von Appel (Nr. 162, 1596?), in dessen Mittelteil die unter dem Kreuz kniende Domina dargestellt ist umgeben von Schrifttafeln mit Bibelzitaten. Außer Lucia von Appel ist nur noch die Ebstorfer Äbtissin Katharina von Appel auf ihrem 1690 angefertigten Epitaph (Nr. 326) in einem Kirchenraum kniend abgebildet. Daß die sonst übliche Darstellung von Verstorbenen auf den Epitaphien der Dominae so selten ist, mag sich daraus erklären, daß es wohl in allen Klöstern Porträts der Damen gab, die oft wie die Epitaphien mit Sterbevermerken versehen wurden und damit deren Funktion übernahmen, wie die zahlreich erhaltenen Lüner Beispiele zeigen (vgl. u. a. Nr. 262, 286, 300). Daher konnte man für den Mittelteil der Epitaphien ein anderes Bildthema wählen. Die Abbildung eines biblischen Motivs an dieser zentralen Stelle sollte natürlich auch die fromme und demütige Haltung der Dominae zum Ausdruck bringen, die ihre eigene Person damit bewußt in den Hintergrund rückten. Relativiert wird dies allerdings zum einen durch die Größe der Epitaphien und zum anderen durch ein Beispiel wie das der Domina Ursula von Badendorf, für die in Isenhagen gleich zwei große Epitaphien gesetzt wurden (Nr. 202 u. 203), eines davon entsprechend [Druckseite 25] ihrer testamentarischen Verfügung auf ihre eigenen Kosten. Auch die auf beiden Epitaphien zu findenden sechzehnteiligen Ahnenproben betonen die vornehme Herkunft und gesellschaftliche Stellung der Domina. Eine solche Ahnenprobe findet sich sonst nur noch auf dem Epitaph der Lucia von Appel in Ebstorf (Nr. 162), das Epitaph für die Isenhagener Domina Bartha Sophia Grote (Nr. 332) trägt eine achtteilige Ahnenprobe.

Neben den Epitaphien für die Dominae gibt es in den Gemeindekirchen der Klöster auch wenige – zum Teil nur fragmentarisch erhaltene – Epitaphien für Verstorbene aus den Klöstern nahestehenden Familien wie für den Amtmann Albert Roefsack und seine Ehefrau Ursula Papendorf in der Lüner Kirche von 1580 (Nr. 134). Das einzige Epitaph in Stein hat sich, wenn auch schwer beschädigt, in der Gemeindekirche in Wienhausen erhalten und ist für Ernst von Langlingen und seine Familie bestimmt (Nr. 201, 1617). Unter den verschiedenen Typen von Grabdenkmälern noch zu erwähnen sind die bereits genannten steinernen Grabkreuze, die sich nur auf dem Ebstorfer Klosterfriedhof finden (Nr. 264, 1660; Nr. 316320, 1688), sowie die wenigen Grabstelen, von denen zwei auf dem Klosterfriedhof in Walsrode stehen (Nr. 197, 1615; Nr. 216, 1631), eine auf dem Klosterfriedhof in Ebstorf (Nr. 271, 1665). Eine gesonderte Gruppe bilden die Särge in der Lüner Gruft (Nr. 220, 261, 285, 302, 310).

Die früheste deutsche Grabinschrift findet sich auf der Grabplatte des Hans von Mahrenholtz in Isenhagen (Nr. 95), die wohl auf das Jahr 1518 zu datieren ist und damit in eine Zeit fällt, in der deutsche Grabinschriften schon überall gebräuchlich sind. In den Grabinschriften der sechs Klöster löst die deutsche Sprache die lateinische erst seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ab, allerdings ist die Überlieferungssituation für die erste Jahrhunderthälfte auch sehr spärlich. Im 17. Jahrhundert überwiegt die Zahl der deutschen Grabinschriften bei weitem, gerade auch auf den Grabdenkmälern für Konventualinnen. Von den 42 Grabdenkmälern aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts tragen lediglich vier noch lateinische Inschriften, von denen eine offenbar eine ältere Inschrift von 1595 wieder aufgreift (Nr. 319, Ebstorf).

Eher die Ausnahme in diesem Bestand bleiben mit insgesamt acht Nummern – darunter die oben erwähnten von 1376 und 1513 – lateinische Versgrabschriften wie die für den Isenhagener Amtmann Balthasar von Eltz aus dem Jahr 1613 (Nr. 192), die aus vier elegischen Distichen besteht. Die Inschrift enthält die typischen Versatzstücke der zeitgenössischen Versgrabschriften wie die Grabbezeugung hoc iacet in tumulo und die Hoffnung auf ein Weiterleben im Himmel mens tenet alta polum. Eine sehr ähnliche Kombination enthält die Versgrabschrift für die Medinger Domina Elisabeth Töbing von 1630 (Nr. 215), die mit der Grabbezeugung Ecce sub hoc saxo beginnt und mit der Auferstehungshoffnung endet Corpus in adventum stat pie Christe tuum. Letzteres ist auch in der Versgrabschrift für den Medinger Pastor Benedikt Witzendorf von 1627 (Nr. 213) zum Ausdruck gebracht mit der Fürbitte Auspice mox Christo corporis ossa tui. Die Grabplatte für den Lüner Amtmann Christian Wineke von 1626 trägt neben einer lateinischen Kurzbiographie mit Sterbevermerk in Prosa ein Distichon, das die Vergänglichkeit des Menschen thematisiert (Nr. 211). Noch seltener als Versgrabschriften in lateinischer Sprache sind Grabschriften in deutschen Reimversen, die sich hier nur auf den Grabplatten der Lüner Amtleute Otto Kempe (Nr. 178, 1604) und Jobst Heinrich Witte (Nr. 331, vor 1695) finden. Die in nachreformatorischer Zeit für die Grabdenkmäler der Konventualinnen aller Klöster besonders übliche Kombination von Inschriften besteht aus einem deutschen Sterbevermerk und einem oder mehreren Bibelzitaten, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch aus Sprüchen frommen Inhalts aus dem Bereich der Erbauungsliteratur.

Die Sterbevermerke für die Dominae sind zum ganz überwiegenden Teil sehr knapp gehalten und weisen Epitheta auf, wie sie sich auch sonst in Grabschriften für Frauen finden. Üblicherweise wird eine Domina als ‚ehrwürdig‘, ‚edel‘ und ‚vieltugendreich‘ – in gewissen Variationen – bezeichnet und mit dem Attribut ‚Jungfer‘ oder ‚Jungfrau‘ versehen, oft ist in dem Sterbevermerk auch die Dauer der Amtszeit angegeben. Die Erwähnung der Herkunft, wie sie in den Sterbevermerken auf den Särgen der Lüner Dominae Dorothea Elisabeth von Meding und Dorothea Maria von Estorff (Nr. 285 u. 302) mit der Nennung beider Eltern enthalten ist, bleibt die Ausnahme. Gelegentlich wird auch erwähnt, daß die Verstorbene das Kloster ‚löblich und wohl regiert‘ oder demselben ‚löblich und wohl vorgestanden‘ habe (vgl. u. a. Nr. 285, 302, 316).

3. 2. Bildbeischriften

Mit Ausnahme von Walsrode gibt es in allen Lüneburger Klöstern Ausstattungsstücke mit großen Inschriftenprogrammen, die dem Texttyp Bildbeischrift zuzuordnen sind. Bei den Inschriftenträgern handelt es sich um sehr unterschiedliche Objekte wie Glas, Textilien, Gestühlsrückwände oder mit Malereien versehene Wände und Gewölbe, die aus der Zeit vom 14. bis zum 17. Jahrhundert stammen. Unabhängig von dem Material, auf dem sie ausgeführt sind, lassen sich die Bildbeischriften in verschiedene Typen unterteilen.

Die einfachste Form der Bildbeischriften sind die Tituli, die die dargestellten biblischen Personen, Heiligen oder allegorischen Figuren namentlich kennzeichnen. Tituli benennen die Heiligenfiguren des ältesten Wandmalereiprogramms dieses Bestands im oberen Wienhäuser Kreuzgang (Nr. 3) ebenso wie die auf einer Weinkanne aus der Zeit vor 1689 dargestellten Tugenden (Nr. 321). Sie finden sich quer durch alle Zeiten und auf Objekten aller Art und bleiben nicht auf die Darstellung von Personen beschränkt, wie es die Ebstorfer Lesepultdecke (Nr. 60) mit der Darstellung des Hortus conclusus zeigt, in dem die auf die jungfräuliche Geburt verweisenden Gegenstände – wie zumeist in Darstellungen dieses Themas – auf Schriftbändern bezeichnet sind.

Tituli finden sich auch zu Darstellungen aus dem weltlichen Bereich, hier auf dem mittleren der drei Wienhäuser Tristan-Teppiche (Tristan II, Nr. 16) auf den die Szenen begleitenden Schriftleisten, in deren Inschriften – abgesehen von einer auf eine Szene bezogenen wörtlichen Rede – nur die dargestellten Protagonisten genannt sind, ohne daß die Handlung kommentiert wird. Diese Beischriften setzen somit die Kenntnis der Geschichte bei dem Betrachter voraus. Anders verhält sich dies bei den Tristan-Teppichen I und III (Nr. 5 u. 21), deren ebenfalls auf Schriftleisten angebrachten Inschriften die dargestellten Szenen kommentieren, indem das Bildgeschehen in komplette Sätze gefaßt ist. Allerdings geht auf beiden Teppichen im Verlauf der Inschriften der direkte Text-/Bildbezug aus Platzgründen verloren: auf dem Teppich Tristan I werden die letzten Szenen nur noch sehr knapp angedeutet, in der Inschrift von Tristan III ist nur der Beginn der Geschichte erzählt. Ein anderes weltliches Thema wird auf dem Wienhäuser Jagd-Teppich (Nr. 45) abgebildet und auf den Schriftleisten kurz bezeichnet DESSE MATHERIE IN DESSEME TEPPEDE DE IS VAN CVNER IACHT und mit einem lehrhaften Spruch zum Thema Jagd kombiniert DAT WILT WE DAT WEL VAN DE MHVT SNELLE HVNDE HAN.

Anders als bei den Darstellungen aus dem weltlichen Bereich, die individuell für das Objekt formulierte Inschriften tragen, stand für die zahlreichen biblischen Darstellungen auf den Ausstattungsgegenständen der Klöster ein großes Repertoire von Texten aus Bibel und Liturgie bereit, aus dem man zitieren konnte, um die Darstellungen zum Sprechen zu bringen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den Bild-/Inschriftenprogrammen, die direkt die Bild-/Textkombination aus der Vorlage einer Handschrift übernehmen wie in den Heilsspiegel-Darstellungen der Fenster des Ebstorfer Kreuzgangs (Nr. 27) und solchen Bild-/Inschriftenprogrammen, die für den speziellen Inschriftenträger konzipiert wurden. Beispielhaft für letztere steht das größte und inhaltlich bedeutendste Bild-/Inschriftenprogramm der Lüneburger Klöster, die Wand- und Gewölbemalereien des Wienhäuser Nonnenchors aus der Zeit um 1335 (Nr. 8). Das Bildprogramm kombiniert biblische Darstellungen des Alten und Neuen Testaments mit der Darstellung von Heiligen zu einem großen heilsgeschichtlichen Kosmos. Bestandteil aller Szenen sind Schriftbänder, die Heiligendarstellungen sind oder waren zusätzlich durch Tituli auf den Rahmenleisten bezeichnet. Da die Schriftbänder in den Heiligenszenen nicht oder nur noch äußerst fragmentarisch erhalten sind, muß sich die Auswertung auf die biblischen Szenen beschränken. Deren Schriftbänder enthalten bis auf ganz wenige Ausnahmen nur wörtliche Rede, die jeweils den Dialogen der entsprechenden Bibelstelle entnommen ist. Damit ist die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Interaktion zwischen den dargestellten Personen konzentriert. In ganz ähnlicher Weise geschieht dies auf den etwa gleichzeitig mit dem Wandmalereiprogramm entstandenen Ebstorfer Moses-Laken (Nr. 9), nur daß hier die langen Schriftbänder durch Positionierung des Anfangs oder Endes nicht nur den in den Szenen dargestellten Personen zugeordnet sind, sondern gleichzeitig die Darstellungen begrenzen und teilen. Die Dialogstruktur der zitierten Bibeltexte ist jedoch die gleiche. Ergänzend treten hier auf den Schriftbändern Tituli zur Bezeichnung der schon durch ihre Kleidung hervorgehobenen Protagonisten Moses und Aaron hinzu, während in den Wienhäuser Wandmalereien keine der biblischen Figuren [Druckseite 27] durch einen Titulus gekennzeichnet ist. Dieselbe Dialogstruktur der Bildbeischriften, die sich in einfacher Form in den Verkündigungsdarstellungen auf zahlreichen weiteren Ausstattungsstücken im Dialog zwischen dem Erzengel Gabriel und Maria findet, ist auch – etwa hundert Jahre später als die beiden eben genannten Beispiele – auf den den dargestellten Personen zugeordneten Schriftbändern in dem Bildzyklus der Christusvita im Inneren des Heiligen Grabes in Wienhausen (Nr. 44, 1448) durchgehalten. Bei diesen Inschriften handelt es sich um Bibelzitate und liturgische Texte.

Kombiniert ist dieser Typ des Bild-/Textprogramms auf dem Heiligen Grab mit einem anderen, der den dargestellten biblischen Personen, Propheten und Kirchenvätern lateinische Texte aus der Osterliturgie auf einem Schriftband zuordnet und sie ihnen damit gleichsam in den Mund legt. Während es sich in diesem Fall bei den Dargestellten nicht um die ‚Autoren‘ der Texte handelt, sind den Propheten auf dem Wienhäuser Propheten-Teppich (Nr. 23, zweites/drittes Viertel 14. Jahrhundert) in den Medaillonumschriften ihre eigenen Texte zugeordnet, in den Händen tragen sie Schriftbänder mit ihren Namen. In gleicher Weise präsentieren die Propheten im Bildprogramm der Ebstorfer Kreuzgangfenster (Nr. 27, um 1400) die von ihnen verfaßten Bibelsprüche auf Schriftbändern dem Betrachter. Hier handelt es sich allerdings, was das übrige Bild-/Textprogramm angeht, um den oben bereits angesprochenen besonderen Fall, daß die Motive und Inschriften nicht beliebig für die Fenster kombiniert sind, sondern das Konzept für Texte und Bilder den Handschriften des Speculum Humanae Salvationis entnommen ist. Dies gilt für die typologische Zuordnung der Darstellungen von jeweils drei Szenen aus dem Alten Testament zu der zentralen Szene aus dem Neuen Testament ebenso wie für die erläuternden Beischriften unter den Szenen. Schriftbänder in den Darstellungen, die dialogische Inschriften enthalten, sind hier die Ausnahme und kommen nur in zwei Szenen vor.

Ebenfalls auf den Heilsspiegel gehen die Darstellungen wie auch ein Teil der Inschriften auf dem größten der Wienhäuser Teppiche (Nr. 39, vor 1433) zurück. Die Beischriften in niederdeutscher Sprache verlaufen auf den Rahmenleisten und zwischen den Bildstreifen, nur die Darstellung von Adam und Eva enthält Tituli auf Schriftbändern, die Darstellung der Verkündigung das Ave gratia auf dem Schriftband des Engels. Die auf den Leisten gestickten Inschriften enthalten in diesem Fall nicht die die biblischen Szenen erläuternden Texte aus dem Heilsspiegel, sondern allgemeine, das Bildprogramm lehrhaft ausdeutende Texte, die in zwei Fällen der deutschen Version der literarischen Vorlage entnommen sind, die anderen Inschriften scheinen speziell für den Teppich und im Hinblick auf dessen didaktische Funktion formuliert worden zu sein. Kennzeichnend dafür ist auch die Wahl der deutschen Sprache. Das letzte große Bild-/Textprogramm aus vorreformatorischer Zeit ist auf dem aus Kloster Medingen stammenden Wichmannsburger Antependium aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts ausgeführt (Nr. 62). Hier finden sich wieder Darstellungen von ‚Autoren‘, die um das Kruzifix angeordnet ihre auf das Kreuz und die Kreuzigung bezogenen lateinischen Texte auf Schriftbändern präsentieren, neben Aposteln und Propheten, denen Texte aus der Liturgie zum selben Thema zugewiesen sind. In den szenischen Darstellungen unten auf dem Antependium ist den dargestellten Figuren auf den Schriftbändern direkte Rede zugeordnet, abwechselnd in niederdeutscher und lateinischer Sprache. Dabei handelt es sich um Texte aus Hymnen, Leisen, Bibel und Liturgie.

Ein ganz anderer Typ der mittelalterlichen Bildbeischriften findet sich in den Lüneburger Klöstern – abgesehen von den Lüner Textilien (vgl. DI 24, Nr. 45, 55, 56, 59) – lediglich auf drei Wienhäuser Teppichen, auf denen Heiligenleben illustriert sind, und auf der Ebstorfer Mauritiusschürze (Nr. 11). Es handelt sich um die von Christine Wulf in ihrer Typologie der Bildbeischriften36) als „deiktische Beischriften“ bezeichneten Texte, die quasi mit einer Zeigehand das Bildgeschehen erläutern, im allgemeinen mit dem Wort „hier“ beginnen und im Präsens formuliert sind. Diese Inschriften können als eine spezielle Untergruppe zu den eingangs behandelten, das Bildgeschehen [Druckseite 28] erläuternden Beischriften gelten. Entsprechende Inschriften in niederdeutscher Sprache finden sich hier auf dem Thomas-, dem Anna- und dem Elisabeth-Teppich (Nr. 28, 78, 79). Was den Informationswert der auf den drei Teppichen ausgeführten Inschriften für den Betrachter betrifft, so ist allerdings festzustellen, daß eine Grundkenntnis der jeweiligen Heiligenlegende vorausgesetzt wird. Ganz besonders gilt dies für den Elisabeth-Teppich, dessen lapidare Bildkommentare wie hir badet se oder hir etet se vat keine über das Bild hinausgehende Information enthalten.

Nicht in die Reihe der genannten großen mittelalterlichen Bild-/Textprogramme einzuordnen sind die fünfzehn Tafeln mit den Darstellungen und Texten zur Medinger Chronik von 1499 (Nr. 58), denn die wohl sehr originalgetreue Wiedergabe bei Lyßmann läßt darauf schließen, daß bei diesem Zyklus das Schwergewicht nicht auf den bildlichen Darstellungen lag, wie in allen anderen Fällen, sondern daß hier die Bilder nur als Illustration zu den die entscheidenden Informationen transportierenden Texten dienten. So illustrieren die Bilder hier auch nur einen Teil dessen, was in den ihnen zugeordneten Inschriften ausgesagt ist.

In den Bildern oder Bildprogrammen aus nachreformatorischer Zeit dienen Tituli weiterhin oft als erklärendes Element, so auf dem Abraham-Teppich aus dem Jahr 1592 aus Kloster Lüne (Nr. 150) zur Kennzeichnung der auf den Rahmenleisten dargestellten Tugenden. Weiterhin werden auch Bibelzitate zur Verifizierung der entsprechenden szenischen Darstellungen hinzugesetzt, an ihre Stelle kann jetzt aber – nur auf die biblische Vorlage verweisend – auch eine knappe Angabe des entsprechenden Bibelbuchs treten.37) Daß in nachreformatorischer Zeit Bezüge im Vergleich zu denen des komplizierten typologisch geprägten mittelalterlichen Bild-/Textsystems im Sinne einer größeren Volkstümlichkeit verflachen, kann vorkommen, muß aber nicht zwingend der Fall sein, wie es sich anhand der großen Bild-/Textprogramme aus den Klöstern Isenhagen und Lüne zeigt. Ausschlaggebend dürfte in jedem Fall auch gewesen sein, wer hinter der Planung des Konzepts stand. Es hat aber im Hinblick auf die Ausstattungsgegenstände beider Klöster zumindest den Anschein, als ob erst seit der Mitte des 17. Jahrhunderts durch die Aufnahme neuer Texte spürbare Lücken geschlossen werden, die sich noch um 1600 bemerkbar machen (vgl. hierzu Kap. 3. 3.). Die schon länger nicht mehr verwendeten Zitate aus den lateinischen liturgischen Texten werden nun abgelöst durch Zitate aus deutschen Kirchenliedern, aus Gebeten oder anderen erbaulichen Texten. Allerdings bedürften diese Beobachtungen an einem vergleichsweise kleinen Bestand noch der Überprüfung auf breiterer Basis.

Ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie sehr das Gespür für typologische Bezüge verloren gehen kann, ohne daß die dadurch entstehende Lücke durch etwas Neues gefüllt würde, bietet das Gestühl im Nonnenchor des Klosters Isenhagen von 1610/11 (Nr. 187). Mit der Kombination von Szenen aus dem Alten und Neuen Testament und mit der Gegenüberstellung von Aposteln und Propheten sind hier zumindest die Grundbedingungen für eine typologische Gegenüberstellung gegeben, allerdings zeigt schon das zahlenmäßige Ungleichgewicht der Darstellungen, daß das System nicht durchgehalten und die Darstellungen weit von den mittelalterlichen Propheten-/Apostelprogrammen entfernt sind. Zwar ist auch hier noch den Propheten ein von ihnen verfaßter Text und den Aposteln ein Satz aus dem von ihnen gesprochenen Glaubensbekenntnis zugewiesen, aber nicht in der strengen Zuordnung von Prophet und Apostel der mittelalterlichen Programme.38) Die über den szenischen Darstellungen des Alten Testaments angebrachten ausdeutenden Sprüche sind zwar nur fragmentarisch erhalten, trotzdem läßt sich erkennen, daß sie auf das Neue Testament verweisen. Allerdings demonstriert die äußerst schlichte Form, daß die ehemaligen typologischen Bezüge verlorengegangen sind. Dasselbe gilt für die zu den szenischen Darstellungen hinzugesetzten Verweise auf Bibelstellen. Diese suggerieren zwar Bezüge, wie sie in den Verweisen der Lutherbibeln vorhanden sind, erweisen sich bei näherer Überprüfung jedoch als beliebig, da 18 der angegebenen 46 Bibelstellen überhaupt keinen Bezug zur dargestellten Szene aufweisen, 12 nur einen sehr losen Bezug und nur 16 den Verweisen der Lutherbibel entsprechen. Eher schlicht sind auch die den Evangelistendarstellungen auf der Lüner Kanzel von 1608 (Nr. 182) zugeordneten [Druckseite 29] lehrhaften Verse formuliert, deren einfacher Inhalt mit den Sprüchen auf der Kanzel in Isenhagen (Nr. 185, 1610 u. 1684?) vergleichbar ist.

Es gibt jedoch auch Gegenbeispiele, allerdings erst aus der Zeit seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, die zeigen, daß durch Übernahme von erbaulichen Texten in die Inschriften neue einheitliche Programme entstehen können. Daß diese Beispiele ausnahmslos aus dem Kloster Lüne stammen, dokumentiert für Lüne speziell eine dort gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges beginnende Wiederbelebung der Frömmigkeit, wie sie wohl auch in den anderen Klöstern stattfand, jedoch nicht anhand von Inschriften zu belegen ist (vgl. a. Kap. 3. 3.). Das herausragendste Beispiel dieser neuen Art von Bild-/Textprogramm, in dem die Texte einen ganz zentralen Platz einnehmen und nicht den Darstellungen untergeordnet sind, zeigt die große Orgel in der Lüner Kirche von 1645 (Nr. 234). Hier sind – außer einer großen Inschriftentafel – sämtliche Friese des architektonisch kompliziert gegliederten Instruments mit Inschriften versehen, bei denen es sich um gezielt ausgesuchte Zitate aus der Bibel, aus Kirchenliedern und liturgischen Texten handelt. Die meisten dieser Inschriften sind nicht direkt an die szenischen Darstellungen der Brüstungsgemälde gekoppelt, aber der gemeinsame Bezug auf ein großes, überschwengliches Gotteslob ist gegeben. Lediglich die den Gemälden zugeordneten Verweise auf die entsprechenden Bibelstellen und der komplette Psalm 103, den David in seinem Buch stehen hat, sind direkt an die Darstellungen gebunden.

Auch wenn die anderen Beispiele aus Kloster Lüne nicht mit der Qualität der Orgelinschriften zu vergleichen sind, sollen sie hier doch Erwähnung finden, um die Reichhaltigkeit der Lüner Bild-/Textprogramme im 17. Jahrhundert zu verdeutlichen. Das Gestühl im Lüner Nonnenchor von 1652 (Nr. 251) weist keinen Text-/Bildbezug mehr auf, wenn man von den wenigen darstellungsbedingten Inschriften in den Bildern absieht. Die über den Fries verlaufenden Inschriften bestehen aus Versen, die Jesus in den Mittelpunkt der Andacht rücken, und aus Psalmenzitaten zur Lobpreisung Gottes. Auf dem Gemälde, das die Kreuzeserscheinung der späteren Domina Dorothea von Meding darstellt (Nr. 221, nach 1634), wird unter der Darstellung in einer kurzen Prosainschrift das Bildgeschehen erläutert, darauf folgen in Ich-Form aus der Perspektive der Dorothea von Meding formulierte meditative deutsche Reimverse, in deren Mitte Christus und die Kreuzesvision stehen. Eng an die Darstellungen der Grablegung im Zentrum und der Ölbergszene sowie der Auferstehung gekoppelt sind die aus Gebeten oder Kirchenliedern stammenden Verse und die Litaneizitate auf dem Altar in der Lüner Barbarakapelle (Nr. 268, 1662). Nicht um ein Bildprogramm, sondern lediglich um ein Gemälde mit einem Inschriftenprogramm handelt es sich bei der Darstellung der Kreuzigung durch die Tugenden im Lüner Nonnenchor aus dem dritten Viertel des 17. Jahrhunderts (Nr. 291). Hier sind die Tugenden durch deutsche Tituli bezeichnet, ihnen zugeordnet sind ihrem Wesen entsprechende Bibelzitate kombiniert mit erbaulichen Texten zum Thema Kreuzigung. Abschließend ist hier noch das Gestühl im Vorraum zum Lüner Nonnenchor wohl aus dem dritten Viertel des 17. Jahrhunderts (Nr. 292) zu erwähnen, das allegorische Darstellungen von nicht namentlich bezeichneten Tugenden kombiniert mit Darstellungen der Klugen Jungfrauen zeigt. Die Tugenden lassen sich erst anhand der sie charakterisierenden Bibelzitate unterhalb der Darstellungen identifizieren, die überwiegend aus dem Neuen Testament stammen, den Klugen Jungfrauen ist der entsprechende Text des Matthäusevangeliums beigegeben.

3. 3. Erbauliche Texte

Der am Schluß des vorhergehenden Kapitels vorgestellte neue Typ von Bildbeischriften führt zu denjenigen Inschriften, die sich unter dem Oberbegriff ‚Erbauliche Texte‘ fassen lassen. Die Ausdehnung der Zeitgrenze dieser Edition auf das Jahr 1700 ermöglicht es, einen Blick auf die Umsetzung dieses für die Erneuerung der protestantischen Frömmigkeit im Laufe des 17. Jahrhunderts zentralen Texttyps in den Inschriften zu werfen, den eine Zeitgrenze beim Jahr 1650 verstellen würde. Christine Wulf hat in ihrer Untersuchung zu den Bildbeischriften gezeigt, daß diese in der Zeit unmittelbar nach der Reformation in lutherischem Kontext auf die Bibel konzentriert sind, d. h. auf Bibelzitate oder auch bloße Stellenangaben zum Bibeltext beschränkt bleiben.39) Naturgemäß waren diese Inschriften sehr viel trockener, unanschaulicher und theoretischer als beispielsweise [Druckseite 30] die als Dialoge in Szene gesetzten Bibeltexte der Wienhäuser Wandmalereien im Nonnenchor. Daß dort, wo trotzdem einmal der Versuch einer Exegese unternommen wurde, diese flach oder gar verfälschend ausfiel, zeigen die oben angesprochenen Verse am Isenhagener Chorgestühl (Nr. 187). Damit läßt sich auch in den Inschriften von der zweiten Hälfte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts ein Phänomen beobachten, das in der Kirchenkritik und in den Reformbestrebungen innerhalb der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts zentraler Gegenstand war und in der Literatur als nachreformatorische Frömmigkeitskrise behandelt ist.40) Dieser Krise versuchte man im Laufe des 17. Jahrhunderts mit einer Flut an Andachts- und Erbauungsliteratur zu begegnen, die ganz bewußt auch zur individuellen Glaubensausübung durch Privatandacht und Meditation hinführen wollte.41) Mittel dazu war nicht nur die Versenkung in Bibeltexte, sondern auch das Singen von Kirchenliedern und das andächtige Memorieren von Gebeten.

Daß es auch in den Lüneburger Klöstern im Verlauf des 17. Jahrhunderts Tendenzen zu einer Erneuerung der Frömmigkeit gab, läßt sich an einschlägiger Erbauungsliteratur in den Klosterbibliotheken zeigen,42) dokumentiert sich aber auch in den Inschriften ganz besonders des Klosters Lüne, das als einziges der sechs Klöster einen besonders reichen Bestand an entsprechenden Inschriftenträgern aus dem 17. Jahrhundert aufzuweisen hat. Die Bildbeischriften, die in diesen Kontext gehören, sind im voraufgegangenen Kapitel bereits angesprochen worden. Darüber hinaus finden sich erbauliche Texte auf den Särgen der Lüner Dominae oder auf reinen Schrifttafeln (Nr. 270 u. 293, Lüne) und in der Ausmalung von Zellen (Nr. 342, 343, Isenhagen). Sie sind in deutscher Sprache verfaßt und bis auf ganz wenige Ausnahmen wie Unseres lieben Heilandes Jesu Christi sehnliche Klage (Nr. 270, Lüne; Nr. 336, Ebstorf) gereimt. Bei den Texten handelt es sich der Art nach vielfach um Bestandteile aus Kirchenliedern und Gebeten, die jedoch oft nicht nachweisbar sind, da die entsprechenden Repertorien bzw. Datenbanken bislang noch fehlen. Bestandteile der Litanei werden immer wieder wörtlich oder in Abwandlungen aufgenommen (u. a. Nr. 266 u. 268, Lüne; Nr. 281, Ebstorf). Gewisse Reimverse wie der Spruch Meinen Tod niemand betrauern soll / Ich leb in Gott und mir ist wohl kommen mehrfach vor (Nr. 220, 285, 302, Lüne) und finden sich in derselben oder leicht abgewandelter Form beispielsweise auch in Leichenpredigten. Daß diese Texte oft leicht variieren, zeigt den täglichen Umgang mit ihnen und läßt auch auf Zitate nach dem Gedächtnis schließen.

Inhaltlich zu unterscheiden ist zwischen den deutlich in der Minderzahl befindlichen unpersönlich formulierten Versen wie Ein keusches Herz ein Bettlein ist / Darein sanft ruhet Jesus Christ (Nr. 343, Zellenbemalung Isenhagen) und den persönlich in Ich- oder Wir-Form formulierten Texten, die trotz ihres versatzstückartigen Charakters die individuelle Andacht und den individuellen Glauben ausdrücken wie die im selben Kontext stehenden Verse Des Herrn Christ fünf Wunden rot / Sein mir Arznei für Sünd und Tod. In ganz besonders persönlicher Form formuliert sind die auf die Kreuzeserscheinung der Dorothea von Meding bezogenen Verse (Nr. 221), in denen die Domina zu Christus spricht. Da der Text wohl erst nach dem Tod der Domina 1634 abgefaßt wurde, möglicherweise auch deutlich später, ist hier zum einen die Kreuzeserscheinung ausgedeutet als göttliche Bestätigung für die Durchführung der Reformation im Kloster, zum anderen aber auch die ganz persönliche Beziehung jeder Konventualin zu Christus in Worte gefaßt in Versen wie O Jesu Christ einigr hertzenß trost / der du mich hast mit blut erlöst / Wie sol ich immer dancken dir / Daß du dich hast gezeigett mir oder Dein todt helff mir, wen ich nicht kan / auff erden hulffe treffen an. Einen persönlichen Bezug zu der Lüner Domina Margaretha Elisabeth von Harling scheinen die Verse Dies ist mein Klosterpflicht / Im Tod laß Jesum nicht / Er ist mein Zuversicht zu haben, möglicherweise als eine Art Devise der Domina, denn sie stehen sowohl auf ihrem Porträt (Nr. 309) als auch auf ihrem Sarg (Nr. 310). Andere in [Druckseite 31] Ich-Form formulierte Inschriften stehen allgemein für die individuelle Andacht wie die mit Sätzen aus der Litanei gekoppelten Verse auf dem Altar in der Lüner Barbarakapelle (Nr. 268, 1662), der ehemaligen Begräbniskapelle der Dominae, Erschein mir in dem Bilde / in meiner todes noth / Wie du am Creutz so milde / Dich hast gebludt zu Todt oder Herr Jesu Christ sei gnädig mir, / Ich falle dir zu Fuße: / Ich klopfe an die Gnadentür, /und tue von Herzen Buße. Daß viele dieser Texte um das Thema Tod und Auferstehung kreisen, erklärt sich durch die Anbringung in der Begräbniskapelle, auf Särgen oder Epitaphien. Die 1662 von der Lüner Domina Dorothea Elisabeth von Meding veranlaßte Ausmalung der Begräbniskapelle mit einem großen Inschriftenprogramm (Nr. 266) – offenbar ohne bildliche Darstellung – bot dem Betrachter ein Kompendium von Bibeltexten, Kirchenväterzitaten und erbaulichen Versen zum Thema Tod und Auferstehung, wie es so komplett einem zeitgenössischen Andachtsbuch entnommen sein könnte.43) Interessant ist, daß hierfür auch auf die Texte der „katholischen“ Kirchenväter Cyprian, Bernhard von Clairvaux, Ambrosius und Augustin zurückgegriffen wurde, wie sie beispielsweise auch von dem wohl verbreitetsten Autor protestantischer Erbauungsliteratur des 17. Jahrhunderts, Johann Gerhard, rezipiert wurden.44) Daß es vergleichbare Zusammenstellungen erbaulicher Inschriftentexte auch zu anderen Themenkreisen geben kann, zeigen die bereits erwähnten Inschriften der Lüner Orgel (Nr. 234), für die vor allem auch Kirchenlieder von Philipp Nicolai und Johann Walter ausgesucht und u. a. mit Bibelzitaten zum Thema Musik und Lobgesang auf Gott kombiniert wurden.

Die an dem vergleichsweise kleinen Inschriftenbestand in den Lüneburger Klöstern ab der Mitte des 17. Jahrhunderts festzumachende Übernahme von Texten aus der Erbauungsliteratur in die Inschriften ist einer der ganz wesentlichen Aspekte dieses Bandes. Die Inschriften gewinnen dadurch nach einer Zeit der Beschränkung auf Bibelzitate neue Inhalte, eine neue Qualität und eine größere Vielfalt. Wichtig wäre es festzustellen, ob dies ein Spezifikum eines geistlich geprägten Inschriftenbestands ist, oder ob sich vergleichbare Tendenzen auch an Ausstattungsstücken städtischer Kirchen oder auf Grabdenkmälern aus dem bürgerlichen Bereich festmachen lassen. Die Bearbeitungsgrenze der DI von 1650 erlaubt vielfach keine Vergleiche. Die bis zum Jahr 1800 bearbeiteten Inschriften der Stadt Helmstedt (DI 61), die stark von der Universität geprägt und vielfach in Latein verfaßt sind, enthalten ebensowenig vergleichbare Texte wie die bis 1671 erfaßten Inschriften der Stadt Braunschweig (DI 56).

Zitationshinweis:

DI 76, Lüneburger Klöster, Einleitung, 3. Texttypen und Inschriftenträger (Sabine Wehking), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di076g013e004.

  1. Der allgemeine Begriff ‚Grabinschrift‘ bezeichnet im Gegensatz zu dem spezielleren Terminus ‚Grabschrift‘, der sich auf den Texttyp bezieht, sämtliche auf Inschriftenträgern aus dem Bereich Begräbnis und Totengedenken angebrachte Texte. Als Grabinschrift können daher auch die in Kap. 3. 3. behandelten erbaulichen Texte verwendet sein. »
  2. Die Terminologie folgt dem im Band DI 36 (Stadt Hannover), S. XXIIIXXIV Dargelegten. Die Grabplatte steht wie die Grabstele oder das Grabkreuz immer in enger Beziehung zum Begräbnisort. Das Epitaph ist dagegen nicht an den Begräbnisplatz gebunden und wird häufig zusätzlich zu dem an das Grab gebundenen Denkmal errichtet. »
  3. Christine Wulf, Bildbeischriften im frömmigkeitsgeschichtlichen Kontext – Funktionswandel von Inschriften auf kirchlichen Ausstattungsstücken vom hohen Mittelalter bis zum 16. Jahrhundert. In: Traditionen, Zäsuren, Umbrüche – Inschriften des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit im historischen Kontext. Beiträge zur 11. Internationalen Fachtagung für Epigraphik vom 9. bis 12. Mai 2007 in Greifswald, hg. v. Christine Magin, Ulrich Schindel u. Christine Wulf. Wiesbaden 2008, S. 37–54, hier S. 44f. »
  4. Vgl. ebd. S. 51f. »
  5. Dazu immer noch maßgeblich E. Wernicke, Die Darstellung des apostolischen Glaubensbekenntnisses in der deutschen Kunst des Mittelalters. In: Christliches Kunstblatt 1887, S. 102–105, 123–126, 135–139, 155–160, 171–175; 1888, S. 10–15; 1889, S. 42–46, 59–64. »
  6. Wulf (wie Anm. 36), S. 52f. »
  7. Vgl. dazu grundlegend und mit weiteren Angaben zur Literatur: Udo Sträter, Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1995 (Beiträge zur historischen Theologie 91). »
  8. Zum Begriff der Erbauungsliteratur allgemein der Artikel ‚Erbauungsliteratur‘ von Ute Mennecke-Haustein in: Evangelisches Kirchenlexikon, hg. v. Erwin Fahlbusch. 3. Aufl. (Neufassung), Bd. 1, Göttingen 1986, Sp. 1058–1065. »
  9. Für das Kloster Walsrode hat Renate Oldermannn dies bereits ausgeführt (Oldermann, Kloster Walsrode, S. 115–123). Zur Zeit in Arbeit ist die Dissertation von Katharina Talkner (Hannover) mit dem Arbeitstitel ‚Liedrepertoire und -überlieferung in den niedersächsischen Frauenklöstern‘, die sich auch mit der Erbauungsliteratur in den Lüneburger Klöstern beschäftigt. »
  10. Ähnliche Zusammenstellungen zu den verschiedenen Lebenssituationen finden sich beispielsweise in: Geistliches Kleinod, das ist: vier Tractätlein ..., zusammengetragen von Johann Gerhard, vermehrt durch Christian Chemnitz. Lüneburg 1670. Darin (S. 267–270) Trostsprüche wider den Tod, eine Zusammenstellung der auch in den Inschriften immer wieder verwendeten auf den Tod und die Auferstehung bezogenen Bibelzitate. »
  11. Vgl. Johann Gerhard, Quinquagintae Meditationes sacrae. 4. Aufl. Jena 1616, Dedicatio [p. 7]. »