Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 78 Orpingstr. 6 1575

Beschreibung

Ständer- und Schwellbalken. Das Fachwerkgiebelgeschoß war bis zum Jahr 1912 Bestandteil des giebelständigen Vorgängerbaus (vgl. dazu a. Nr. 163), bei der Errichtung des bestehenden Gebäudes wurde es wiederum als erstes Giebelgeschoß in die moderne Straßenfront integriert.1) Das erhaltene, sechs Gefache breite Giebelgeschoß zeigt reiche Schnitzereien an Balken, Ständern und Brüstungstafeln, durchlaufendes Flechtband trennt die vierachsige Fensterzone von der Brüstung. In deren eingetieften Feldern links und rechts des Mittelständers einander zugewandt zwei schreitende Löwen. Diese waren vor 1912 beide um ein Gefach nach links versetzt und rahmten damit den Wappenschild am nächsten Ständer.2) Über dem Wappen mit Initialen (A) im Schild befindet sich am selben Ständer in der Fensterzone ein Schild mit der Jahreszahl B darin. Drei der fünf Ständer zwischen den Fenstern zeigen figürliche Darstellungen, von links nach rechts: Eva mit Apfel, die Eherne Schlange, Moses mit Stab. Zwischen Eva und der Ehernen Schlange als zweiter von links der Ständer mit der Jahreszahl B. Am letzten Ständer rechts eine Pflanze in einer Vase. Den oberen Abschluß des Giebelgeschosses bildet ein flacher Fächerfries an den Kopfriegeln, deren Hölzer nach 1912 vertauscht und unvollständig zusammengesetzt wurden. Die untere Giebelschwelle trägt eine erbauliche Sentenz (C) und eine Bauinschrift (D). Inschrift C begann aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich auf der oberen Giebelschwelle. Die obere Schwelle war einer Aufnahme des alten Zustands nach um 1900 bereits erneuert. Alle Inschriften in eingetieftem Schriftfeld erhaben geschnitzt; 1978 neu gefaßt, in Grau (A) und Gold (B) auf Grau, in Gold auf Blau (C, D).

Maße: Bu. ca. 8 cm.

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

LWL-Denkmalpflege, Landschafts- u. Baukultur in Westfalen [1/6]

  1. A

    W(ilhelm) // K(lodt)

  2. B

    1575

  3. C

    [ – – – ] DE ANa) · GELOVEN · NICHT · VORLAREN · WERDEN · SVNDER · DAT · EWIGE · LEV(EN)T · HEBN · IOHANES · AM · 3 · 3)

  4. D

    DVT · HVS · HEFT · GEBWET · CORT · KLOTb) · TEGLER · TO LEMGEc)

Übersetzung:

... die an (ihn) glauben, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben. Johannes 3. (C)

Dieses Haus hat Cordt Klodt, Ziegler zu Lemgo, gebaut. (D)

Wappen:
Klodt4)

Kommentar

Die Kapitalis der Inschriften C und D kennzeichnen die folgenden Buchstabenformen, die teilweise Formen der frühhumanistischen Kapitalis aufnehmen: A mit beidseitig überstehendem Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken, B mit einander nicht berührenden Bögen, D mit über den Schaft hinausgehenden Bogenenden, rundes F in S-Form durchschnitten von linksschrägem Mittelbalken, Mittelbalken des H nach unten ausgebuchtet, durchgängig retrogrades N, spitzovales O, R mit flach geschwungener Cauda, breites S, verschränktes W. K im Wappen (A) mit geschwungenem oberen Schrägbalken, im Namen KLOT (D) ähnlich einem R, wobei der obere Schrägbalken zum Schaft zurückgebogen ist und diesen überschneidet.5) Einige Buchstaben wie E, N, V, T zeigen keilförmig verbreiterte Schaftenden. Die Worttrenner in Inschrift C und D in Form großer konturierter Rauten.

Die unvollständige Ornamentik und Ikonographie der erhaltenen Zierschnitzereien lassen hierin die Reste eines ehemals umfangreicheren Bildprogramms vermuten, das ein ursprünglich breiteres Giebeldreieck voraussetzt.6) Ein Rekonstruktionsvorschlag sieht für das erste Giebelgeschoß eine Breite von acht Gefachen vor. Baujahr, Wappen und Löwenpaar bildeten sicherlich die Mittelachse. Moses und die Eherne Schlange gehörten wahrscheinlich in heutiger Anordnung zusammen; als Gegenstück zur Darstellung der Eva fehlt eine Darstellung Adams mit dem Baum der Erkenntnis. Das Bibelzitat an der Giebelschwelle (C) erinnert an den Opfertod Christi zur Erlösung der Menschen (Jh 3,16) und knüpft die geläufige typologische Verbindung zwischen der Erhöhung der Ehernen Schlange und der Erhöhung Christi am Kreuz (Jh 3,14f.).

Der inschriftlich genannte Bauherr Cordt Klodt, Ziegler aus Wiedenbrück, betrieb seit 1565 die städtische Ziegelei vor dem Langenbrücker Tor nahe bei seinem Wohnhaus.7) Cordt Klodt hatte eine Tochter und vier Söhne, Heinrich, Hermann, Cordt und Wilhelm. Nach seinem Tod im Jahr 1591 blieb die Ziegelei offenbar in der Familie.8)

Die zum Wappen gehörigen Initialen (A) dürften auf den Sohn Wilhelm Klodt, gleichfalls Zieglermeister, zu beziehen sein.9) Dieser ist 1583 als Lemgoer Bürger belegt, in den Jahren 1585 bis 1587 geriet er durch Verwicklung in einen Hexenprozeß zeitweilig in Haft.10) Aus den Prozeßakten geht hervor, daß jener Wilhelm Klodt 1586 bereits 20 Jahre in Lemgo wohnte und mit einer Witwe, Dorothea Ruter, verheiratet war. Vermutlich anläßlich ihres Todes im Jahr 1607 ließ Wilhelm Klodt seiner Frau und deren früherer, an der Pest verstorbener Familie ein Epitaph an der Klosterkirche in Fischbeck errichten.11) Für die Baugeschichte des Hauses Orpingstr. 6 um 1575 ist somit nicht nur Cordt Klodt d. Ä., sondern auch sein Sohn Wilhelm zu berücksichtigen, dessen Initialen im Wappen nicht nur am Ständer des Giebels mit der Jahreszahl 1575 kombiniert sind, sondern auch auf einem Kamin des Hauses mit der Jahreszahl 1571 (vgl. Nr. 74). Da Wilhelm Klodt seinen Vater überlebte,12) könnte er als nächster Hausbesitzer auch den Umbau von 1606 vorgenommen haben (vgl. Nr. 163).

Textkritischer Apparat

  1. Zu erwarten wäre DE AN EN. EN Rädeker, DEN Sauerländer. Auf der Fotografie (um 1900) ist die Stelle durch die Auslucht verdeckt. Es ist nicht auszuschließen, daß der Beginn der Inschrift falsch restauriert wurde.
  2. O kleiner und in L eingestellt.
  3. Der Schwellbalken endete im alten Bauzustand (um 1900) knapp hinter TO mit nicht entzifferbaren Buchstabenresten. Vermutlich wurde bei der Wiederverwendung das letzte Wort ergänzt.

Anmerkungen

  1. Vgl. BKD Lemgo, S. 891–893, Abb. 1085 (Giebelgeschoß um 1900). Das ursprüngliche giebelständige Fachwerkhaus von 1575 wurde bereits 1606 umgebaut (vgl. Nr. 163) und um 1800 weitgehend erneuert. Zeichnungen und Fotografien des 19. Jahrhunderts zeigen den Ziergiebel deshalb schon vor dem Abbruch des alten Hauses 1912 in verstümmeltem Zustand.
  2. Die übrige Brüstung seitlich der beiden Löwenfelder bedecken große Fächerrosetten, von denen die beiden äußeren angeschnitten sind; in den Zwickeln und unten am Mittelständer Pflanzenornamentik.
  3. Jh 3,16 in einer niederdeutschen Version der Bibel, vgl. z. B. sog. Bugenhagen-Bibel (Lübeck 1533): Also hefft Godt de werlt gelevet / dat he synen enigen so(e)ne gaff / up dath alle de an en lo(e)ven / nicht vorlaren werden / sunder dath ewige le(e)vent hebben. Vgl. auch Nr. 47, 68.
  4. Wappen Klodt (Hausmarke BKD Lemgo, S. 975, Nr. 55).
  5. Gleichartige K-Form zeigte die Initiale auf dem Kaminsturz des Hauses (Fotografie Ernst Rottmann, vgl. Nr. 74).
  6. BKD Lemgo, S. 892. Ausgehend von der rekonstruierten Giebelbreite mit acht Gefachen vermutet man ein viergeschossiges Giebeldreieck, dessen Fachwerkbestandteile auch in den oberen Geschossen mit Schnitzereien verziert gewesen sein werden.
  7. Dazu Kaspar, Bauen, S. 52. Sta Lemgo, Plögersche Sammlung (Kloedt); A 2782 (27. Januar 1565).
  8. Dazu Näheres bei Kaspar, Bauen, S. 52.
  9. Schacht, Sta Lemgo, Bibl. 517, S. 175. Zur Person: Sta Lemgo, Plögersche Sammlung (Kloedt).
  10. Bürgerbuch, Nr. 1434. Zum Prozeß: Sta Lemgo, Nachlaß Hoppe, Nr. 8, 13, 14, 15 (Transkription von A 3613, 3614, 3675, 3676). Unter den 1585 auftretenden Supplikanten zugunsten des Beklagten Wilhelm Klodt sind sein Vater Cordt und sein Bruder Johann; vgl. Nachlaß Hoppe, Nr. 8, S. 13–15.
  11. Beschreibung und Wiedergabe der Inschriften des Epitaphs: Sabine Wehking u. Christine Wulf, Die Inschriften des Stifts Fischbeck bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. In: Ja muz ich sunder riuwe sin. Festschrift für Karl Stackmann zum 15. Februar 1990. Göttingen 1990, S. 51–82, hier Nr. 20, S. 70.
  12. Wilhelm Klodt, der mit Anna Blome verheiratet war, verstarb vor dem 20. April 1626, vgl. Sta Lemgo, Plögersche Sammlung (Kloedt).

Nachweise

  1. Fotografie, um 1900, WAfD Münster (Foto Ohle Lemgo), Teilansicht vom Giebel: C teilweise verdeckt.
  2. Hausinschriften in Lemgo. In: Lemgoer Sonntagsblatt 1880, Nr. 6, 7. November (C weitgehend verdeckt).
  3. Dewitz, Zeichnung, dat. 1882, LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, 4 L 107,1 (Giebelgeschoß, rechte Hälfte: A, B).
  4. Sauerländer, Alte Hausinschriften (C, fehlerhaft).
  5. Rädeker, Häuser, S. 67 (B, C).
  6. BKD Lemgo, S. 891f. mit Abb. 1085.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 78 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0007804.