Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 76(†) Mittelstr. 40 / Städtisches Museum 1574, 1575, 1580

Beschreibung

Steinbalken, Gebälkfries und Brüstungstafeln. Steinhaus mit Staffelgiebel, zweigeschossiges Eckhaus zur Sauerstraße mit zugehörigem Nebengebäude Mittelstr. 42. Die Fassade zur Mittelstraße besteht aus verputztem Bruchstein mit Werksteingliedern aus rötlichem Sandstein. Der dreigeschossige Staffelgiebel ist kielbogig konturiert, seine Giebelstufen bestehen aus mit Fächern gefüllten und mit Kugeln besetzten Staffeln. Kaffgesimse trennen seine Geschosse. Ursprünglich war der Bau seitlich der Mitteldeele in Erd- und Zwischengeschoß und einen Speicherstock darüber aufgeteilt und besaß rechts eine zweigeschossige Auslucht. Diese wurde bei der Neugliederung der Geschoßeinteilung 1899 abgebrochen und zeitweilig in der städtischen Altertümer-Sammlung (Vorläuferin des Städtischen Museums) zwischengelagert. Erst bei der Renovierung am umgestalteten Obergeschoß wurden 1909 die oberen Auslucht-Teile am alten Platz etwas höher als Erker auf fünf modernen Konsolen wieder angefügt. Der heutige Rundbogen in der Fassadenmitte ist auf den originalen Pfosten des ehemaligen Deelentors rekonstruiert. Der über dem Bogenscheitel eingesetzte Steinbalken mit der Bauinschrift A befand sich vor den Umbauten von 1899 und 1909 etwa an derselben Stelle.1) Die Auslucht wurde, wie noch heute der Erker, durch fünf kannelierte Säulen unter verkröpftem Gebälk in eine vierbahnige Front mit einteiligen Schmalseiten gegliedert, der Giebel wiederholt Motive des Hauptgiebels. Der Gebälkfries des zerstörten Erdgeschosses der Auslucht, der sich heute in drei beschädigten Teilen im Städtischen Museum befindet, trägt eine Inschrift (B, Klage).2) Die beiden Seitenstücke sind verloren. Die Erkerbrüstung (früher Auslucht-Obergeschoß) zeigt vier figürliche Flachreliefs: vier geflügelte Sitzfiguren auf Kastenbänken in flachen Rundbogennischen, in der Mitte zwei männliche Schildhalter mit den Wappen der Hausbesitzer, flankiert von den Tugenden Spes links und Fides rechts, jeweils mit Titulus (C, D) in der Nische links auf Sitzhöhe der Figur. Die erhaltenen Inschriften (A–D) sind aus dem Sandstein in eingetieften Schriftfeldern erhaben herausgearbeitet, die in situ befindlichen (A, C, D) in Gold gefaßt. Die Gebälkinschrift B auf hellerem Stein besitzt keine Fassung. Zwei weitere Baudaten, die im späten 19. Jahrhundert an der Fassade (E) und an der Rückseite (F) des Hauses noch vorhanden waren, gingen bei späteren Umgestaltungen verloren.3)

Inschrift B ergänzt nach BKD Lemgo, Inschriften E und F nach BKD Lemgo.

Maße: H. 29–30 cm (Gebälk-Fragmente); B. 110, 56 u. 155 cm (Gebälk-Fragmente); Bu. ca. 6 cm (A, C, D), 5 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

LWL-Denkmalpflege, Landschafts- u. Baukultur in Westfalen [1/8]

  1. A

    H(ENRICH) · D(VVEL) · M(ARGARETHE) · K(ALCKMANN) · M(E) · F(IERI) · F(ECERVNT) · A(NNO) · 15 · 80

  2. B

    [DIT IS D]ER W[ERLT] STAT ·ICH · DO D[I ·] GVT · DV · DOEST · MI · QVAE[T · 4)IC]H · HEVE · DI · VP · DV · WERPEST · MI [· N]EDER ·ICH · ERE · DI · DV · S[C]H[ENDEST MI WEDER]

  3. C

    SPES ·

  4. D

    FIDES

  5. E†

    1574

  6. F†

    1575

Übersetzung:

Heinrich Duvel (und) Margarethe Kalckmann ließen mich errichten im Jahr 1580. (A)

Dies ist der Zustand der Welt: Ich tue dir Gutes, du tust mir Böses. Ich hebe dich auf, du wirfst mich nieder. Ich ehre dich, du bringst mich in Schande. (B)

Die Hoffnung. (C) Der Glaube. (D)

Versmaß: Deutscher Reimvers (B).

Wappen:
Duvel5)Kalckmann6)

Kommentar

Die Kapitalisschriftformen der Inschriften A und B unterscheiden sich deutlich voneinander. Die Inschrift A zeigt keilförmig verbreiterte Schaft- und Balkenenden, A mit gebrochenem Mittelbalken, konisches M mit kurzem Mittelteil, K, dessen Schrägbalken sich nicht berühren, wobei der untere geschwungen ist, eine spitzovale 0. Das Schriftbild der Inschrift B wirkt insgesamt ausgewogen, die verbreiterten Schaft-, Balken- und Bogenenden der Spruchinschrift zeigen Ansätze zur Sporenbildung, spitzes A mit hoch angesetztem Balken, G mit weit nach oben gezogenem geraden unteren Bogenende, breites konisches M mit langem Mittelteil. Die beiden Inschriften stammen möglicherweise nicht von derselben Hand, was jedoch nicht gegen ihre zeitgleiche Entstehung spricht.

Die beiden als Wohn- und Nebenhaus zusammengehörigen Gebäude Mittelstr. 40/42 werden nach den verlorenen Jahreszahlen 1574/75 datiert. Die Inschrift A soll sich nur auf den Anbau der ehemaligen Auslucht beziehen, welche Hermann Wulff zugeschrieben wird.7) Die Plazierung der Bauinschrift über dem zentralen Portal und ihre Formulierung lassen jedoch eher vermuten, daß sie den Gesamtabschluß des Hausbaus mit Fassadengestaltung samt Erker dokumentieren sollte. Bauherren im Jahr 1580 waren der Kaufmann Heinrich Duvel (* um 1542, † 1608) und seine Frau Margarethe Kalckmann, deren Wappen am Erker angebracht sind.8) Bei ihrer Heirat 1572 brachte Margarethe Kalckmann, die in erster Ehe mit Mattheus Kerssenbrock verheiratet war, vier Kinder mit in die Ehe: Ermegardt, Anne, Magdalena und Franz.9) Im selben Jahr 1572 ist in der Tröger Bauerschaft, zu der die Hausstätte an der Mittelstraße (Tröger Bauerschaft 10) gehörte, ein Heinrich Duvel wohnhaft.10) Heinrich Duvel soll 1598 Staelherr (Deche?) des Kaufmannsamts gewesen sein.11) Im Jahr 1585 wurde Margarethe Kalckmann, nach ihrem Ehenamen die Teuffelsche genannt, gemeinsam mit Catharina Culemann der Zauberei bezichtigt und in einem der frühen Lemgoer Hexenprozesse angeklagt. Sie wurde erst nach mehrmonatiger Folterhaft auf Einwirken der Marburger Juristenfakultät entlassen.12) Über ihr weiteres Leben ist wenig bekannt, noch 1603 bewohnte sie mit ihrem Mann das Haus in der Mittelstraße, das damals zwischen Johann Toleckens Haus und der „Kleinen Straße“ (heute Sauerstraße) lag.13)

Anmerkungen

  1. Schacht, Sta Lemgo, Bibl. 517, S. 173.
  2. Inv.Nr. 85/2774 (Lapidarium).
  3. BKD Lemgo (S. 816) verweisen dazu auf Preuß, Alterthümer2, der jedoch (S. 66) nur die Jahreszahl 1574 erwähnt, sowie auf C. Dewitz, der auf einer Zeichnung der vier Brüstungsreliefs (LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, 4 L 107,01) als Datierung v. J. 1574 angibt, wobei unklar ist, ob er dabei das Haus oder den Erker meint.
  4. Vgl. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 5, Sp. 159, Nr. 45.
  5. Wappen Duvel (Hausmarke BKD Lemgo, S. 975, Nr. 45).
  6. Wappen Kalckmann (Hausmarke BKD Lemgo, S. 975, Nr. 46).
  7. BKD Lemgo, S. 816.
  8. BKD Lemgo, S. 816. Sta Lemgo, Plögersche Sammlung (Düvel); A 7844 (Prozeßakten: Franz Kerssenbrock contra Heinrich Düvel, 1595–1603).
  9. Sta Lemgo, Plögersche Sammlung (Düvel); A 7488 (Prozeßakten: Franz Kerssenbrock contra Heinrich Düvel, 21. Juli 1572).
  10. Bürgerbuch, Nr. 1412. Ein Heinrich Duvel ist 1579 auch in der Rampendal-Bauerschaft belegt, ebd., Nr. 1114 u. 1550.
  11. BKD Lemgo, S. 816, ohne Erläuterung und Quellenangabe. 1558 trat Heinrich Duvel als Nachfolger seines Vaters Johannes in das Lemgoer Kaufmannsamt ein; vgl. Matrikel des Kaufmannsamtes, Nr. 564.
  12. Vgl. dazu (allerdings ohne weitere Angaben zur Person der Angeklagten Margarethe Kalckmann): Christine Meier, Die Anfänge der Hexenprozesse in Lemgo. In: Hexenverfolgung und Regionalgeschichte. Die Grafschaft Lippe im Vergleich, hg. v. Gisela Wilbertz, Gerd Schwerhoff u. Jürgen Scheffler, Bielefeld 1984 (Studien zur Regionalgeschichte Bd. 4; Beiträge zur Geschichte der Stadt Lemgo Bd. 4), S. 83–106, hier S. 96–99.
  13. Sta Lemgo, Plögersche Sammlung (Düvel); A 7488 (Prozeßakten: Franz Kerssenbrock contra Heinrich Düvel, 4. Januar 1603). Zwischen Margarethes Sohn Franz aus erster Ehe, dessen Vater Mattheus Kerssenbrock vermutlich mit der in Lemgo ansässigen Adelsfamilie verwandt war, und seinem Stiefvater Heinrich Duvel kam es ab 1595 zu einem mehrjährigen Erbstreit. Auch Franz wohnte mit seiner Ehefrau in der Mittelstraße zwischen Bürgermeister Nevelin Tilhenn im Osten (Mittelstr. 22, vgl. Nr. 120) und Arndt Eckholtz im Westen.

Nachweise

  1. BKD Lemgo, S. 816 (E, F), S. 817 (A), S. 818 (B, C, D).
  2. Hausinschriften in Lemgo. In: Lemgoer Sonntagsblatt 1880, Nr. 5, 31. Oktober (B).
  3. Dewitz(?), Zeichnung, dat. 1880, LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, 4 L 12 (B unvollständig). Dewitz, Zeichnungen, dat. 1882, LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, 4 L 107,02 u. 107,03 (C, D). -Fotografie, um 1890, WAfD Münster (Foto Ohle Lemgo) (B, C, D).
  4. Meier, Hausinschriften, S. 15f. (B). -Wehrhan, Hausinschriften, S. 53 (B).
  5. Schacht, Sta Lemgo, Bibl. 517, S. 173 (A).
  6. Sauerländer, Alte Hausinschriften (A).
  7. Sauerländer, Hausinschriften, S. 32 (B).
  8. Rädeker, Häuser, S. 68 (A, B).

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 76(†) (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0007608.