Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 50 Echternstr. 6/8 1560

Beschreibung

Wappenstein und Schwellbalken. Zweigeschossiges traufenständiges Haus, Fachwerk auf steinernem Unterbau. Die südseitige Straßenfront besitzt, vermutlich seit der Unterteilung des Gebäudes in zwei eigenständige Haushälften um 1860, zwei Eingänge.1) In der östlichen Fassadenhälfte (Nr. 6) ist rechts vom Oberlicht der Tür ein viereckiger Stein mit einem Wappenrelief eingemauert. Über dem Wappen des Hausbesitzers ist zwischen seinen Initialen eine Jahreszahl eingehauen (A).2) Die lange Schwelle des Obergeschosses trägt in der linken Hälfte die Inschrift B (eine Aufforderung zum Gebet), rechts der Fassadenmitte ein Wappen und das Datum C. Die übrige Balkenfläche füllen vegetabile und figürliche Motive. Die Eckständer tragen jeweils das gleiche Wappenpaar. Die Inschriften B und C sind in eingetieften Schriftfeldern erhaben ausgeführt, sie wurden 1971/72 restauriert und in Gold gefaßt.3) An der Rückseite des Hauses Echternstr. 6 sind zwei Fragmente eingemauert, die vom Neuen Ratsstubenerker stammen und dort heute durch eine Kopie ersetzt sind (vgl. Nr. 108).

Maße: H. 46 cm; B. 38 cm (Wappenstein); Bu. 7–8 cm (A), ca. 12 cm (B), ca. 15 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis (A, C); Mischschrift aus gotischer Minuskel und Fraktur mit Versalien (B).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/4]

  1. A

    C(hristoph) 1560 D(onop)

  2. B

    Rop Godt in allen noden an ·He wert gewislick bi di stan ·He helpt jdermana) uth siner noet ·De allem sinen willen doet ·4)Wol vp Godt vortrvwet ·Desuluige reht wol buwet ·5)

  3. C

    · ANNO 1560 · AM DAGE GALLJ6)

Übersetzung:

Ruf Gott in allen Nöten an, er wird gewißlich bei dir stehen. Er hilft jedermann aus seiner Not, der in allem seinem Willen folgt. Wer auf Gott vertraut, derjenige baut wirklich gut. (B)

Versmaß: Deutscher Reimvers (B).

Wappen:
Donop7)
Donop7)
Donop7)Amelunxen8)
Donop7)Amelunxen8)

Kommentar

Für beide Baudaten ist die Kapitalis gewählt: auf dem Wappenstein (A) flachbogiges C, auf dem Schwellbalken (C) A mit gebrochenem Mittelbalken und beidseitig überstehendem Deckbalken, offenes kapitales D, konisches M mit kurzem Mittelteil, N mit ausgebuchtetem Schrägbalken als Merkmale der frühhumanistischen Kapitalis. Auffallend sind ferner als Variante das unziale D (in A), L mit sehr kurzem Balken, J mit i-Punkt (in C). Am Schwellbalken (C) sind die beiden Anfangs-A durch ihre Größe und ebenso wie die beiden Ziffern 1 und 5 durch Verzierungen in Form von doppelten Schlingen an den unteren Schaft- und Bogenenden hervorgehoben. Innerhalb der Inschrift B markieren Versalien die Versanfänge; neben den schlichten Kapitalisformen von R und H finden sich auch unziales H, dessen oberes Schaftende zu einem Bogen geschlossen ist und offenes kapitales D, dessen Schaft und Bogen unten eine Schlaufe bilden. Die Buchstaben u und v in Inschrift B sind durch Diakritika bezeichnet. Worttrenner in Form konturierter Quadrangeln.

In der Inschrift B sind zwei Texte miteinander kombiniert, die Gottvertrauen ausdrücken: Dem als Hausinschrift seit dem frühen 16. Jahrhundert geläufigen Spruch Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut9), der seit 1572 als Beginn eines Kirchenliedes belegt ist (vgl. Nr. 174), ist eine der vierzeiligen Strophen des evangelischen Kirchenliedes Allein auf Gott setz dein Vertrauen, auf Menschen Hilf’ sollst du nicht bauen vorangestellt, welches als alphabetisches Spruchlied in 24 Strophen christliches Leben und Handeln vergegenwärtigt.10) Die 1560 datierte Lemgoer Hausinschrift, der die 17. Liedstrophe zugrundeliegt, ist überlieferungsgeschichtlich interessant, weil sie die ursprünglichere niederdeutsche Fassung des Liedes bietet und auch älter ist als dessen bislang zitierte Drucke von 1597 und 1612.

Der lippische Landdrost Christoph von Donop d. Ä. soll die Hofstätte an der Echternstraße 6/8 im Jahr 1558 von Idel Schwarz gekauft haben.11) Angehörige der alten westfälischen Adelsfamilie von Donop sind bereits 1280 als Lemgoer Rittergeschlecht erwähnt und besaßen in der Grafschaft Lippe seit dem 15. Jahrhundert zahlreiche Lehen.12) Christoph von Donop d. Ä. (* 1503 Borkhausen, † 3. März 1562 Vahrenholz oder Lemgo) genoß als Geheimer Rat und Landdrost das besondere Vertrauen des Grafen Bernhard VIII. zur Lippe, begegnet wiederholt als Berater des Landesherrn in weltlichen und geistlichen Angelegenheiten und war sein Mitstreiter bei der Einführung der Reformation. Er war Pfandinhaber an den beiden herrschaftlichen Meiereien Vahrenholz und Brake und erweiterte seinen ererbten Familienbesitz in Blomberg und Borkhausen um zusätzliche Erwerbungen wie den Lemgoer Hof Echternstr. 6/8.13) Am bestehenden Gebäude erscheint sein Wappen an beiden Obergeschoß-Eckständern zusammen mit demjenigen seiner zweiten Ehefrau Ilsabe von Amelunxen sowie noch zweimal einzeln im Zusammenhang der Baudaten an Eingang und Schwelle.14) Christoph von Donop ließ den Adelshof im Jahr 1560 wohl neu errichten; für 1719 ist eine Wiederinstandsetzung am Türsturz von Haus Nr. 8 dokumentiert.15) Die damaligen Eigentümer, die Eheleute Johann Gottschalk Clausing und Anna Aemilia Ilsabe Stücke (Stuken), nahmen einen Umbau unter Wiederverwendung alter Bauteile, darunter auch der beschriftete Originalbalken von 1560, vor.16) Der Bautyp des Donopschen Hofes von 1560, das langgestreckte Traufenhaus mit rechtsseitiger Toreinfahrt und Fachwerk-Obergeschoß auf massivem Unterbau, wurde maßgebend für die später in Lemgo entstandenen Adelshöfe Papenstr. 22 (Nr. 54) und Mittelstr. 128/130 (Nr. 60).

Textkritischer Apparat

  1. Sic!

Anmerkungen

  1. Zur Besitz- und Baugeschichte: BKD Lemgo, S. 593. Fritz Waldeyer, Der Donopsche Hof an der Echternstraße. Ein Adelshof aus Lemgos Frühzeit. In: LH 26, 1984, S. 16f., u. 27, 1984, S. 25f.
  2. Eine weitere, 1719 datierte Inschrift befindet sich am Türsturz von Nr. 8: I(OHANN) G(OTTSCHALK) CLAU/SING / I(URIS) U(TRIUSQUE) D(OCTOR) ET A(NNA) AE(MILIA) I(LSABE) S(TUKEN) HAS PA/TERNAS AEDES REPARAR/UNT ANNO 1719.
  3. BDK Lemgo, S. 593.
  4. Wackernagel, Kirchenlied, Bd. 5, Nr. 516 u. 730. Näheres dazu s. Anm. 10. Grundlage der Inschrift ist Nr. 730,17 Roep Godt in allen no(e)den an, / he wert gewißlick dy bystahn: / He helpt einem ydern vth der Nodt / de men na synem willen doht.
  5. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 2, Sp. 90, Nr. 2200.
  6. 16. Oktober.
  7. Wappen Donop vgl. Spießen, Wappenbuch, Bd. 1, S. 41; Bd. 2, Tafel 100.
  8. Wappen Amelunxen vgl. ebd., Bd. 1, S. 4 u. Tafel 6.
  9. Zur Verbreitung als Hausinschrift im lippischen Raum: Süvern, Torbögen, S. 22f.; Meier-Böke, Hausinschriften, S. 40; Weerth, Hausinschriften, S. 37 u. 45. – Älteste Hausinschriftenbelege für den Spruch Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut sind nach Widera (Hausinschriften, S. 271) zwei 1505 und 1519 datierte Inschriften in der Gemeinde Bödexen bei Höxter. Vgl. a. Nr. 174, Anm. 2.
  10. Wackernagel, Kirchenlied, Bd. 5, bietet zwei sprachlich verschiedene Versionen des Liedes: Nr. 516 nach dem Greifswalder Gesangbuch von 1597 auf Hochdeutsch mit niederdeutschen Einsprengseln, Titel: Das Gülden ABC. darin gar künstlich begriffen, was einem Menschen zu einem Erbarn Gottseligen Wandel und Leben zuwissen no(e)tig sei?. Nr. 730, die ursprüngliche Form von Nr. 516, zitiert nach einem Druck von 1612, bezeichnet Twe nye Christlike Leeder, Dat erste geno(e)met Dat Gülden Abc, Darinne gar künstlick begrepen, wat einem Minschen tho einem Erbarn vnde Godtsaligen Wandel vnde Leuende tho wethende van no(e)den ys. Die Verfasserfrage ist unklar: Wackernagel zitiert Nr. 516 unter den Werken des Musikers und Komponisten Nikolaus Rost/Rosth (* um 1542 Weimar, † 1622 Kosma bei Altenburg); zu Person und Werk: DBE, Bd. 8, S. 408; RISM, Bd. A/I,7, R 2772–2779. Laut Fischer, Kirchenlieder-Lexicon, Bd. 1, S. 32f., erscheint das ursprüngliche niederdeutsche Lied (Wackernagel Nr. 730) in den ältesten Drucken anonym; seit Mitte des 17. Jahrhunderts wird es dem lutherischen Theologen und Dichter Barthold Ringwald (* 1532 Frankfurt/Oder, † 1599 Langenfeld/Neumark) zugeschrieben, der weit verbreitete geistliche Lieder verfaßte; zu Person und Werk: Fischer, Kirchenlieder-Lexicon, Bd. 1, S. 465f.; DBE, Bd. 8, S. 318f. – In Lippe ist das Lied in der hochdeutschen Fassung im später in Lemgo gedruckten Gesangbuch nachweisbar; vgl. Neuvermehrtes nach der Ordnung des Heidelbergischen Katechismi eingerichtetes Gesangbuch mit einigen nöthigen Veränderungen und einem vollständigen Sachregister. Lemgo 1810 (Sta Lemgo, Y 1884), Nr. 248, unter der Überschrift Christliche Lebens-Regel.
  11. Waldeyer (wie Anm. 1), S. 16, u. BKD Lemgo, S. 593. Beide mit Verweis auf Preuß, Alterthümer1, S. 61 (ohne Quellenangabe).
  12. Vgl. Waldeyer (wie Anm. 1), S. 16, u. LR NF, 10. September 1280. Zur Familiengeschichte vgl. Henkel, Donop, passim.
  13. Zur Biographie Christophs von Donop d. Ä.: Friedrich Henkel, Aus dem Leben Christophs von Donop. In: Blätter für lippische Heimatkunde 1, 1900, S. 11–13. Ders., Donop, 1902, S. 5–6 u. S. 14–15. Grundlage ist ein Aufsatz des Wilhelm Gottlieb Levin von Donop im Westfälischen historisch-geographischen National-Kalender von 1804.
  14. Aus dieser zweiten Ehe mit Ilsabe von Amelunxen stammten auch die beiden Söhne Moritz (1542/43–1585), dessen Epitaph in St. Nikolai erhalten ist, und Christoph d. M. (1539–1609), der einen Lebensbericht hinterließ. Vgl. Nr. 104.
  15. Vgl. Anm. 2. – Am östlichen Schwellenende wurde im 20. Jahrhundert historisierend eine weitere Bauinschrift hinzugefügt: Erbaut von Christoph von Donop, Drost unter Simon VI., und seiner Ehe-Frau Ilsabe von Amelunxen.
  16. BKD Lemgo, S. 593–595. Waldeyer (wie Anm. 1) spricht sogar von einem Neubau im Jahr 1719.

Nachweise

  1. Zeichnung, undat., LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, 4 L 131 (A).
  2. Sauerländer, Alte Hausinschriften (B, C). -Sauerländer, Hausinschriften, S. 32 (B, C).
  3. Rädeker, Häuser, S. 66.
  4. Pahmeier/Süvern, ILL Lemgo, TB 21–2ff. -Süvern, Torbögen, S. 21 u. 23.
  5. Meier, Geschichte, S. 90 (B).
  6. BKD Lemgo, S. 594 mit Abb. 678.
  7. Fritz Waldeyer, Der Donopsche Hof an der Echternstraße. Ein Adelshof aus Lemgos Frühzeit. In: LH 26, 1984, S. 17.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 50 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0005006.