Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 10(†) St. Nikolai um 1430

Beschreibung

Wandmalerei mit Beischriften im Südchor. An der Ost- und Südwand wurden 1863 zwei sich überlagernde Bildausstattungen verschiedener Entstehungszeit aufgedeckt. An der Ostwand oberhalb von zwei älteren Wandbildern mit vier Aposteln (vgl. Nr. 6) die Reste eines jüngeren Apostel-Credo-Zyklus, dessen deutlich größere Figuren die älteren Darstellungen überragen. Diese jüngere, heute vierteilige Bilderfolge erstreckt sich seitlich der beiden Chorfenster über die Ost- und Südwand. Allerdings sind die Fragmente der jüngeren Fassung an der Ostwand seit der Restaurierung 1963 oberhalb der beiden älteren Apostel-Bilder überstrichen und nur in deren unterem Bereich stellenweise noch schwach erkennbar.1) Der sichtbare Bildbestand des Apostel-Credo-Zyklus mit zugeordneten Propheten ist teilweise in schlechtem Erhaltungszustand, die zugehörigen Inschriften sind weitgehend verloren. Die ikonographische Beschreibung und die Wiedergabe der Inschriftentexte stützen sich deshalb in erster Linie auf ältere Fotografien von 1936 und 1957 sowie auf Gerlachs Beschreibung aus den 1930er Jahren.2)

Die vier Wandgemälde zeigen große Standfiguren unter hohen Turmbaldachinen, an der Ostwand heute verdeckt links als Einzelfigur Christus, gefolgt von sechs Aposteln mit ihren Attributen in Zweiergruppen: an der Ostwand rechts Petrus und Andreas, heute verdeckt; an der Südwand links Jakobus d. Ä. und Johannes; an der Südwand rechts Bartholomäus und Thomas. Den Apostelpaaren sind in der in Felder unterteilten Sockelzone je sechs alttestamentliche Propheten und Könige in Halbfigur zugeordnet.3) Sämtliche Figuren mit langen Spruchbändern, die bei Christus (A) und den sechs Aposteln (B–F) jeweils bogenförmig über die Köpfe geschwungen die Nimben rahmen; das Spruchband des Thomas war schon 1936 vollständig zerstört. Es dürfte, wie die übrigen Schriftbänder der Apostel, einen Satz des Apostolischen Glaubensbekenntnisses getragen haben. Die Schriftbänder der achtzehn Propheten und alttestamentlichen Personen mit Zitaten aus den entsprechenden Büchern des Alten Testaments sind von deren Feldern aus weit in die Bildfelder der Apostel hineingeführt. Die Sockelbilder werden von links nach rechts folgendermaßen durchgezählt: Ostwand rechts Nr. 1–6 (unter den Aposteln Petrus und Andreas), Südwand links Nr. 7-12 (unter den Aposteln Jakobus d. Ä. und Johannes) und rechts Nr. 13–18 (unter den Aposteln Bartholomäus und Thomas). Teilweise erhalten sind die folgenden Schriftbänder: an der Ostwand rechts (Nr. 5) ein David zugeordnetes Schriftband (G); an der Südwand links (Nr. 7) ein Jesaia zugeordnetes Schriftband (H), (Nr. 8) ein Baruch zugeordnetes Schriftband (I), (Nr. 9) einer nicht identifizierbaren Figur zugeordnetes Schriftband (J), (Nr. 10) einer nicht identifizierbaren Figur zugeordnetes Schriftband (K), (Nr. 11) ein David zugeordnetes Schriftband (L), (Nr. 12) ein Daniel zugeordnetes Schriftband (M); an der Südwand rechts (Nr. 13) ein dem Propheten Hosea zugeordnetes Schriftband (N), (Nr. 14) einer nicht identifizierbaren Figur zugeordnetes Schriftband (O), (Nr. 15) ein vermutlich dem Propheten Sophonias zugeordnetes Schriftband (P), (Nr. 16) ein dem Propheten Amos zugeordnetes Schriftband (Q).

Auf den Rahmen der Darstellungen mit den alttestamentlichen Personen sind Tituli angebracht, die nur in Einzelfällen lesbar sind oder waren, darunter auf dem unteren Rahmen auf die Apostel bezogene Tituli. Die lesbaren Tituli der alttestamentlichen Figuren: Nr. 2 – R, Nr. 5 – S, Nr. 6 – T, Nr. 8 – U, Nr. 10 – V, Nr. 11 – W, Nr. 12 – X, Nr. 16 – Y. Von den Aposteltituli sind oder waren bis auf den Titulus des Thomas alle ganz oder teilweise erhalten (Z–DD).

Inschrift A nach Fotografie von 1936; B und I nach Gerlach; C, H, J, L, M, U–W, Z–BB nach Fotografie von 1957, E, G, K, CC ergänzt nach Fotografie von 1957, F nach Fotografie von 1936 und ergänzt nach Gerlach, N–Q und Y nach Fotografie von 1936.

Maße: Bu. 4,5 cm (D–F), 2,5 cm (G–Q), 3 cm (R–Y), 6 cm (Z–DD).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/17]

  1. A(†)

    vos qui secuti estis me sedebitis super [ – – – ] tribus [.....] 4)

  2. B(†)

    [ – – – ] pa[ – – – ] creatorem celi [ – – – ] a) 5)

  3. C(†)

    [......] ihesum · [........] · filiu(m) · eius · unicu(m) · dominu(m) · nostrum 6)

  4. D

    qui conceptus · (est) · de [s]piritu sancto · natus · ex maria · virgine ·

  5. E

    pas[sus · sub] poncio · pi[lato] · crucifixus · mortuus ·

  6. F

    et · sepultus [descendit ad inferos tercia]

  7. G

    [d(omi)n(u)s] · dixit · [ad [ – – – ] genui · te] 7)

  8. H†

    ecce · [..........]piet · (et) · pa(r)iet · fili[ – – – ] 8)

  9. I†

    [......] in terris [ – – – ] conversatus [...] b) 9)

  10. J†

    [ – – – ]e · usq(ue) · ad · [ – – – ]assio(nem)[ – – – ] 10)

  11. K

    [ – – – ]oriem(ur) 11)

  12. L

    [........] · manus · meas · (et) · pedes · meos et · dinumeraveru(n)t · o(mn)ia · ossa · mea 12)

  13. M

    [ – – – ] · lxx · [ – – – ] 13)

  14. N

    [ – – – ] · mors(us) [....] 14)

  15. O

    [........] · (et) · res[..]rex[ – – – ]as[ – – – ] 15)

  16. P

    in diec) resurre[ctionis] · [.....] · [ – – – ] 16)

  17. Q

    ecce [ – – – ] 17)

  18. R

    salmon

  19. S

    david

  20. T

    abacuk

  21. U†

    baruch

  22. V†

    [......]as

  23. W†

    david

  24. X

    daniel

  25. Y

    am[os]

  26. Z†

    [s.p]etrus

  27. AA†

    [s and]reas

  28. BB†

    [s] iacobus

  29. CC

    [s · ioh]annes ·

  30. DD

    s · bartholomeus · d)

Übersetzung:

Ihr, die ihr mir gefolgt seid, werdet [auf zwölf Thronen] sitzen [und die zwölf] Stämme [Israels richten]. (A)

[Ich glaube an Gott, den Vater, den allmächtigen] Schöpfer des Himmels [und der Erde], (B)

und an Jesus [Christus], seinen einzigen Sohn, unseren Herrn, (C)

der empfangen ist vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, (D)

gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben (E)

und begraben, hinabgestiegen zur Hölle, am dritten (Tag) ... (F)

Der Herr sprach zu [mir, mein Sohn bist du, heute] habe ich dich gezeugt. (G)

Siehe, [die Jungfrau] wird empfangen und einen Sohn gebären ... (H)

[Danach erschien er] auf der Erde [und] wandelte [unter den Menschen]. (I)

Sie haben meine Hände und Füße [durchbohrt], und sie haben alle meine Knochen gezählt. (L)

... siebzig ... (M)

...Biß ... (N)

Am Tag der Auferstehung ... (P)

Siehe ... (Q)

Kommentar

Die Worttrenner sind – soweit dies noch erkennbar ist – in vielen Fällen als konturierte Rauten gemalt.

Unter den Apostel-Propheten-Programmen nimmt die Lemgoer Wandmalerei insofern eine Sonderstellung ein, als hier nicht wie sonst üblich jeweils einem Apostel und einem Satz des Credo ein Prophet oder König mit einem entsprechenden Satz zugeordnet ist, sondern jeweils drei Sätze des Alten Testaments auf einen Credosatz bezogen sind. Wernicke, der die Lemgoer Wandmalerei nicht kannte, verzeichnet hierfür keine Parallele.18) Der Umstand, daß hier nur sechs Apostel mit der ersten Hälfte des Credo erscheinen, deutet darauf hin, daß sich das Bildprogramm an anderer Stelle in der Kirche fortsetzte. Hierfür käme wohl nur das südliche Seitenschiff oder der Nordchor in Frage. Gegen eine entsprechende Ausmalung des Nordchors spricht allerdings, daß dann die Sätze 7–12 des Glaubensbekenntnisses links und die Sätze 1–6 rechts von einem im Mittelschiff stehenden Betrachter angeordnet gewesen wären. Die Datierung der Wandmalerei folgt der stilkritischen Einordnung bei Kluge und in den BKD Lemgo.19)

Textkritischer Apparat

  1. Die von Gerlach gelesenen Buchstaben lassen sich auf einer Fotografie von 1957 nicht verifizieren, die nur ein sehr kurzes Schriftband mit Buchstabenresten erkennen läßt.
  2. Die von Gerlach gelesenen Bruchstücke lassen sich in den Resten, die die Fotografie von 1957 zeigt, nicht sicher wiedererkennen.
  3. Auf die folgt ein größeres Spatium. Es läßt sich nicht feststellen, ob hier Text ausgefallen ist oder nur einer der großen rautenförmigen Worttrenner stand. Das Bibelzitat erfordert hier keinen weiteren Text.
  4. Der Name ist nur noch schemenhaft zu erkennen.

Anmerkungen

  1. Einzelberichte 1962–66, S. 349f. BKD Lemgo, S. 192f.
  2. Fotografien, dat. 1936 u. 1957, WAfD Münster. Gerlach, Denkwürdigkeiten, S. 6f.
  3. An der Ostwand rechts sind wegen der Restaurierung zugunsten des älteren Apostel-Bildes nur noch einzelne Sockelfiguren schemenhaft zu erkennen. An der Südwand sind sie stellenweise durch Weihekreuze verdeckt.
  4. Nach Mt 19,28. Zu ergänzen zu: Vos qui secuti estis me sedebitis super sedes duodecim iudicantes duodecim tribus israel.
  5. Es handelt sich um den Satz des Apostolischen Glaubensbekenntnisses: Credo in deum patrem omnipotentem creatorem coeli et terrae.
  6. Sinngemäß zu ergänzen zu: Et in Jesum Christum filium eius unicum Dominum nostrum.
  7. Ps 2,7: dominus dixit ad me filius meus es tu ego hodie genui te.
  8. Is 7,14: ecce virgo concipiet et pariet filium et vocabitur nomen eius emanuel.
  9. Bar 3,38: haec in terris visus est et cum hominibus conversatus est.
  10. Der Befund erlaubt keine Identifizierung mit einer Bibelstelle. Eine Überprüfung sämtlicher Belege für usque ad in der Vulgata-Konkordanz blieb ergebnislos.
  11. Der Befund erlaubt keine Identifizierung mit einer Bibelstelle, obwohl als letztes Wort lediglich gloriemur oder moriemur in Betracht kommt.
  12. Ps (G) 21,17f.: foderunt manus meas ...
  13. Dn 9,24. Dort: septuaginta ebdomades adbreviatae sunt super populum tuum, es ist jedoch ungewiß, ob das Bibelzitat in der Inschrift entsprechend ausgeführt war. Gerlach, Denkwürdigkeiten, S. 7, vermutete hier Dan 9,26 und glaubte einige entsprechende Worte lesen zu können, die sich jedoch mit dem Befund der Fotografie von 1957 nicht vereinbaren lassen.
  14. Os 13,14: de morte redimam eos ero mors tua o mors ero morsus tuus. Trotz des geringen Befundes kann die Bibelstelle eindeutig identifiziert werden, da sie nahezu ausnahmslos in Kombination mit dem fünften Satz des Glaubensbekenntnisses vorkommt. Vgl. Wernicke, Glaubensbekenntnis, S. 158f.
  15. Die erhaltenen Fragmente lassen sich mit keinem Bibelzitat des Alten Testaments in Einklang bringen.
  16. So 3,8: in die resurrectionis meae in futurum.
  17. Am 9,13: ecce dies veniunt dixit Dominus. Trotz des geringen Befundes kann die Bibelstelle mit einiger Wahrscheinlichkeit identifiziert werden, weil der Titulus des Propheten (Y) auf der Fotografie teilweise noch lesbar ist und derselbe Satz auch in anderen Apostel-Propheten-Programmen vorkommt. Vgl. Wernicke, Glaubensbekenntnis, S. 158f.
  18. Wernicke, Glaubensbekenntnis, passim. Auch Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 4,1, S. 134–146, verzeichnet für die bildliche Umsetzung des Credo keinen solchen Fall. Kluge, Wandmalerei, S. 126, verzeichnet ein Programm in Stromberg, in dem jedem Apostel zwei Propheten zugeordnet sind.
  19. Kluge, Wandmalerei, S. 164. BKD Lemgo, S. 192.

Nachweise

  1. Fotografien, dat. 1936 u. 1957, WAfD Münster.
  2. Gerlach, Denkwürdigkeiten, S. 6f. (A–I, L, normalisierte Fassung).
  3. BKD Lemgo, S. 193 (A–F).

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 10(†) (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0001008.