Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 149† Rathaus, Ratkammer 2. H. 16. Jh.?

Beschreibung

Inschrifttafel. Die Tafel, deren in zwei Sprachen abgefaßte Mahnung in einer Abschrift aus der Zeit um 1650 überliefert ist, hing in der Ratkammer.1)

Inschrift nach Stadtarchiv Lemgo, A 2063.

  1. Urbis si fueris Rector duodena notabisWer einer Stadt Vorstender istda mercke twolff artickell wißUnum fac populum communem respice fructumThom ersten make dat Volck einGemeinen nut soltu an anseynna)

    Vim des expertis servetur redditus urbisVnnd giff macht den erfahrenStades nut mitt truwen wahrenCresca(n)tb) et in melius tibi sit vicinus amicusVnnd dat mehren tho aller tydtVnnd dynes nabers wes ane nydtAequum protege Jus utc) stantd) dis et egenusDat Rechte Recht bescherme JoDem Armen alß dem Riken do

    Atque statuta tene bona quae sunt mala repelleVnnd dartho halt gute SateAlle quad mitt Sinnen late

    Et dominum terrae cole dicta tene sapientumHebbe leff dynen LandesherenIn dögeden tucht vnnd ehrenDartho holt Jo der Wysen RahttSo wertt dyn nimmer quadtUrbs nam quae caret his raro fulget sine curaWilcher Stadt dußer ein gebrichtDe Schynett sonder Sorgen nicht

Übersetzung:

Lateinischer Text:

Wenn du der Leiter einer Stadt bist, nimm zwölf (Dinge) zur Kenntnis:

Eine das Volk; achte auf den gemeinen Nutzen.

Gib den Erfahrenen Gewalt; man soll die Einkünfte der Stadt bewahren.

Sie sollen (sie soll?)2) zum Besseren wachsen; der Nachbar sei dir ein Freund.

Schütze das unparteiische Recht, damit der Reiche und der Arme gleichgestellt sind.

Und bewahre die guten Statuten, die schlechten weise zurück.

Und ehre den Landesherrn; beherzige die Ratschläge der Weisen.

Denn eine Stadt, die dies entbehrt, leuchtet selten ohne Sorgen.


Deutscher Text:

Wer Vorsteher einer Stadt ist, der beachte zwölf weise Artikel: Zum ersten eine das Volk. Den gemeinen Nutzen sollst du anstreben. Und gib den Erfahrenen Macht, den Nutzen der Stadt treulich zu wahren und den zu mehren allezeit und (der) deines Nachbarn sei ohne Neid. Schütze stets das wahre Recht, dem Armen ebenso wie dem Reichen. Und halte dabei an einer guten Vereinbarung fest, jede schlechte unterlasse mit Verstand. Halte deinen Landesherrn wert in Tugenden, Zucht und Ehre. Dazu beachte stets der Weisen Rat, so wird dir nichts zum Bösen ausschlagen. Eine Stadt, der es an einem dieser (Artikel) gebricht, erscheint nicht ohne Sorge.

Versmaß: Hexameter, meist einsilbig leoninisch gereimt (vgl. den Kommentar), und deutscher Reimvers.

Kommentar

Die Annahme der BKD Lemgo, es habe noch fünf weitere Artikel gegeben, die nicht überliefert sind,3) beruht auf einem Mißverständnis: Nicht jeder Hexameter stellt zusammen mit der deutschen Entsprechung eine Weisung dar, sondern die Hexameter 2–7 enthalten ebenso wie die deutschen Entsprechungen jeweils zwei Weisungen. Damit sind die im ersten Vers angekündigten zwölf Weisungen vollständig, der letzte Vers weist nur noch einmal auf die Bedeutung des Gesagten hin. In den lateinischen Versen ist offensichtlich durchgängig ein leoninischer Reim angestrebt, der in der überlieferten Fassung in zwei Versen (Et dominum... und Urbs nam quae...) fehlt, durch Emendationen jedoch leicht wiederherzustellen ist. Im ersten Fall ergibt er sich durch die Umstellung der Worte dominum terrae: Et terrae dominum cole dicta tene sapientium. Im zweiten Fall ist am Versende der Singular cura durch den Plural curis zu ersetzen, wie dies schon die zeitgenössische deutsche Fassung nahelegt: Urbs nam quae caret his raro fulget sine curis.

Die Inschrift gehört zu einer Reihe von im Rathaus angebrachten Texten (vgl. Nr. 93, 150), in denen die Ratsherren zur Führung eines guten und gerechten Regiments angehalten wurden.

Textkritischer Apparat

  1. an möglicherweise versehentlich doppelt.
  2. Die Pluralform cresca(n)t widerspricht mit der lang gemessenen zweiten Silbe dem Metrum. Vielleicht stand dort ursprünglich crescat (mit kurz gemessener zweiter Silbe), zumal cresca(n)t das einzige mit einer Kürzung überlieferte Wort ist.
  3. et BKD Lemgo. Die Lesung des Wortes ist unsicher.
  4. stant par nach Preuß, fehlt in der handschriftlichen Überlieferung und in den BKD Lemgo. Preuß hat par offenbar aus metrischen und inhaltlichen Gründen ergänzt.

Anmerkungen

  1. Das Papier, auf dem der Text verzeichnet ist, ist nach einer Notiz in der Akte (Sta Lemgo, A 2063) auf 1647 bis 1661 zu datieren.
  2. Vgl. Anm. b).
  3. BKD Lemgo, S. 548.

Nachweise

  1. Sta Lemgo, A 2063.
  2. Preuß, Alterthümer2, S. 53f.
  3. BKD Lemgo, S. 547f.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 149† (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0014909.