Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 59: Lemgo (2004)
Nr. 139 Mittelstr. 36 4. V. 16. Jh.
Beschreibung
Ständerbalken. Zweigeschossiges giebelständiges Steinhaus mit Fachwerkgiebel. Die Fassade zur Mittelstraße ist durch Modernisierungen des 20. Jahrhunderts verändert. Das über Stichbalken vorkragende Giebeldreieck dadurch nurmehr zweigeschossig mit Krüppelwalm. 1974/75 erfolgte der Umbau des Erdgeschosses und die Neufassung des 1925 nachgearbeiteten und teilerneuerten Schnitzwerks am unteren Giebelgeschoß.1) Das acht Gefache breite Geschoß zeigt über der reich mit Rankenornament beschnitzten Schwelle sechs Brüstungsbretter mit Fächerrosetten, in den beiden äußeren Feldern angekettete Löwen. An den sieben Ständern über Palmettensockeln Figuren, die die fünf bereits in der Antike bekannten Planeten und die Gottheiten Sonne und Mond verkörpern. Von links nach rechts: Jupiter, Merkur, Saturn, Sonne, Venus, Mars und Mond. Die Einzelfiguren stehen unter Rundbögen und sind durch Tituli (A–G) in vertieften Feldern über den Figuren bezeichnet. Die Buchstaben erhaben und in Gold auf Blau gefaßt.
Maße: H. 166–170 cm; B. 34,5–39 cm; Bu. 8,0–10,5 cm.2)
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
IVPITER
- B
MERC(VRIVS)
- C
SATVRN(VS)
- D
· SOL ·
- E
VENVS
- F
MARS
- G
LVNA
Anmerkungen
- BKD Lemgo, S. 809. Das obere Giebelgeschoß ist bis auf die moderne Jahreszahl 1576 am Fuß des Mittelständers schmucklos. Die Jahreszahl ist in den BKD Lemgo noch nicht erwähnt. Die letzte Restaurierung war 1986 abgeschlossen; vgl. LH 9, 1986, S. 9 (o. Verf.).
- Maße der Ständerabgüsse im WRM Schloß Brake (Keller, Raum 4, Inv.Nr. S 22/89).
- Zur Baugeschichte: BKD Lemgo, S. 809–814, bes. S. 809, mit Zuschreibung an Georg Crosmann. Kaspar, Bauen, S. 318–324, bes. S. 318f. Kaspars Beschreibung der baugeschichtlichen Befunde im Inneren deutet eher auf eine allmähliche Umgestaltung des Gebäudes seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hin.
- Gaul, Zierschnitzereien, S. 77f., zu Ornamentik und Vorkommen des Themas als Hausschmuck.
- Beispiele mit weiterführenden Literaturhinweisen in DI 45 (Stadt Goslar), Nr. 75.
- Vgl. hierzu DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 364.
- Kat. Renaissance, Bd. 1, Nr. 371. Dort auch zum vielleicht ehemals umfangreicheren Bildprogramm.
Nachweise
- Pahmeier/Süvern, ILL Lemgo, TB 21–26.
- BKD Lemgo, S. 811f. mit Abb. 972–974.
- Hansen/Kreft, Fachwerk, Abb. 50–57.
Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 139 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0013902.
Kommentar
Kennzeichnend für die Kapitalis sind hier: A mit gebrochenem Mittelbalken, flachbogiges C, konisches M sowohl mit kurzem als auch mit langem Mittelteil sowie retrogrades N neben normalem kapitalen N.
Die Errichtung des sogenannten ‚Planetenhauses‘ Mittelstr. 36, bei der ältere Gebäudeteile mit einbezogen wurden, wird aus kunsthistorischer Sicht auf die Jahre 1590–95 datiert. Als Baumeister gilt Georg Crosmann.3) Die Zierschnitzereien werden stilkritisch um 1590–92 eingeordnet.4) Es ist allerdings fraglich, ob sich eine derart präzise Datierung ohne andere Anhaltspunkte treffen läßt. Das Bildprogramm ist eines der seltenen Beispiele figürlicher Darstellung an Lemgoer Häusern. In Niedersachsen sind jedoch noch etliche Häuser des 16. Jahrhunderts mit umfangreichem figürlichen Bildschmuck erhalten.5) Auch das in der Renaissancezeit beliebte Thema der Planeten in Kombination mit Sonne und Mond ist hier mehrfach belegt.6) Der Lemgoer Bildzyklus folgt ikonographisch in der zeitgenössischen Druckgraphik geläufigen Bildtypen, ohne daß bislang eine bestimmte Vorlage ermittelt werden konnte.7)
Der Bauherr des Hauses Mittelstr. 36 ist in den Lemgoer Archivalien nicht nachweisbar. Im Jahr 1612 gehörte das Haus den Eheleuten Conrad Plette und Anna von der Wipper, wie das ehemals in die Deele gehörige steinerne Kamingewände mit ihren Wappen bezeugt (vgl. Nr. 177).