Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 59: Lemgo (2004)
Nr. 121 Mittelstr. 24 1593
Beschreibung
Schwellbalken. Dreigeschossiges giebelständiges Haus, Fachwerk auf steinernem Unterbau, über der Tordurchfahrt als Nebenhaus zu Mittelstr. 26 (vgl. Nr. 36) errichtet. Erdgeschoß und erstes Obergeschoß mit Erker massiv, zweites Obergeschoß und Giebeldreieck aus Fachwerk über Stichbalken vorkragend mit sehr umfangreichem Schnitzwerk, 1950 freigelegt und restauriert.1) Die Schwelle des zweiten Obergeschosses trägt, jeweils durch einen Punkt voneinander getrennt, zwei Wahlsprüche (A, B) und ein Datum (C). Die fünffeldrige Brüstung darüber zeigt heraldische und figürliche Darstellungen in Medaillons umgeben von Rollwerk: um einen geflügelten Engelskopf in der Mitte sind links und rechts die Wappenbilder des Bauherrenpaares sowie ihre Bildnisbüsten angeordnet.2) An der Giebelschwelle, deren mittlerer Balkenteil erneuert ist, steht der unvollständig erhaltene Spruch D. Die fünf Felder der Giebelbrüstung sind unterschiedlich gestaltet. Die drei mittleren sind mit Rollwerk gefüllt, das in der Mitte eine fünfblättrige Rose rahmt, die beiden Außenfelder der Brüstung zeigen ebenso wie die Giebelspitze symbolische Tierdarstellungen (vgl. Kommentar). Auch die Füllhölzer, Riegel, Rähmbalken und Ständer sind mit reichen Schnitzereien – überwiegend in Form von Blattranken – versehen, oben auf den Ständern über den Rankenornamenten Masken, auf den Füllhölzern teilweise Tierköpfe und Masken. Die Inschriften sind in zeilenhoch eingetieftem Schriftfeld erhaben ausgeführt und in Gold auf Rot gefaßt.
Maße: Bu. ca. 7 cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
VNVSQVISQ(VE) PRO SE ET DEVS PRO NOBIS OMNIBVS ·3)
- B
SI DEVS PRO NOBIS QVIS CONTRA NOS ·4)
- C
ANNO D(OMI)NI · 1593 ·
- D
WAS GOTTLOSZa) IST SICH HART VERBINDEN THV[TVND WILL VNS]b) BRINGEN VMB LEIBc) VND GVTGOTT DIESE BALDd) STVRTENe) / THVTf) · 5)
Übersetzung:
Ein jeder für sich und Gott für uns alle. (A)
Wenn Gott für uns ist, wer (kann dann) gegen uns (sein)? (B)
Im Jahr des Herrn 1593. (C)
Was gottlos ist, verbindet sich fest und will uns um Leib und Gut bringen. Diese wird Gott bald stürzen. (D)
Versmaß: Gereimte Prosa (D).
Wippermann6) | Briel7) |
Textkritischer Apparat
- Das zweite O in L eingestellt.
- Ergänzung nach BKD Lemgo.
- E klein in L eingestellt.
- D klein in L eingestellt.
- Das zweite T aus Platzgründen kleiner.
- Das letzte Wort aus Platzgründen kleiner unter das vorhergehende gesetzt.
Anmerkungen
- Vgl. BKD Lemgo, S. 791 u. 800f.
- Die grob vereinfachten Profilbüsten zeigen einen Mann und eine Frau in zeitgenössischer Tracht. Die Wappenbilder befinden sich zwar nicht im Schild, sondern in hochovalen Rahmen, haben aber eindeutig Wappenfunktion. Das an der linken Traufenseite folgende Brüstungsbrett zeigt Löwe und Greif beiderseits eines Baumes, die darüber angebrachte moderne Inschrift dokumentiert die Restaurierung des Schnitzwerks 1950; vgl. BKD Lemgo, S. 800f.
- Der Spruch ist auch im Deutschen geläufig; vgl. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 2, Sp. 1009, Nr. 17; Bd. 4, Sp. 529, Nr. 3.
- Rm 8,31. Nachweis als Devise: Dielitz, Wahl- und Denksprüche, S. 297.
- Vgl. Spr 12,7: Die Gottlosen werden umbgestürtzt und nicht mehr sein / Aber das haus der Gerechten bleibt stehen.
- Wappen Wippermann (mit sechsstrahligem Stern belegter Balken, begleitet von 3 Stechringen, 2:1).
- Wappen Briel (von einem Pfeil schräglinks durchbohrtes Herz).
- Vgl. Nr. 165, Anm. 5.
- Andere Identifizierungsvorschläge der Vögel: BKD Lemgo, S. 801, rechts Papagei?. Gaul, Zierschnitzereien, S. 81f., Pelikan und Phönix.
- Hinweise auf die mögliche Symbolik der Tiere auch in den BKD Lemgo, S. 801.
- Vgl. RDK, Bd. 1, Sp. 202–206, 1442–1449 (Affe, Bär). Henkel/Schöne, Emblemata, Bd. 1, Sp. 432 (Affe sieht sich im Spiegel). Guy de Tervarent, Attributs et symboles dans l‘art profane, Genf21997, S. 343f. (Bär). LexMA, Bd. 9, Sp. 78f. (Wiedehopf). Meyers Enzyklopädisches Lexikon (9. völlig neubearb. Aufl.), Bd. 25, S. 328 (Wiedehopf).
- RDK, Bd. 1, Sp. 172–179, u. LCI, Bd. 1, Sp. 70–76 (Adler), hier Sp. 73–75; Bd. 2, Sp. 221–225 (Hase). Der Adler ist in der christlichen Symbolik überwiegend positiv besetzt; hier könnte die Krone als Indiz für Eitelkeit und Hoffart zu verstehen sein.
- LCI, Bd. 3, Sp. 112–119.
Nachweise
- Rädeker, Häuser, S. 70.
- Pahmeier/Süvern, ILL Lemgo, TB 21–25.
- Kat. Confessio, Nr. 72, S. 85.
- Hansen/Kreft, Fachwerk, S. 291f., Abb. 49.
- BKD Lemgo, S. 800f.
Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 121 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0012109.
Kommentar
Die reichen Zierschnitzereien am Torhaus Mittelstr. 24 gehören zu den qualitätvollsten in Lemgo. Sie entstanden im Auftrag der Eheleute Jobst Wippermann und Catharina von Briel, deren Wappenbilder in Verbindung mit zwei Bildnisbüsten die Brüstung des Obergeschosses zieren. Die beiden lateinischen Wahlsprüche an der darunterliegenden Schwelle (A, B) hatten dieselben Eigentümer bereits 1591 für ihren Deelenkamin im Haupthaus Mittelstr. 26 gewählt (vgl. Nr. 115). Der kämpferische Tenor dieser Sprüche ist in Anbetracht der seit 1587 wachsenden politisch-konfessionellen Spannungen zwischen der lutherischen Bürgerschaft und ihrem kalvinistisch-reformierten Landesherrn als persönliches Bekenntnis der Hausbesitzer zum Luthertum zu werten.8) Die Inschrift D an der Torhaus-Fassade von 1593 drückt das Vertrauen auf Gottes Unterstützung gegen die Gottlosen aus.
Bemerkenswert sind auch die Tierdarstellungen am Giebel. Die Brüstung zeigt zwei Vögel, links einen schwarzen, gekrönten Adler mit spitzem geöffneten Schnabel, in der Darstellungsweise an heraldische Adlerbilder erinnernd, und rechts einen gedrungenen, langschnäbligen Vogel mit Federschopf und Krallenfüßen, wahrscheinlich ein Wiedehopf.9) Aus der Giebelspitze blickt ein Löwenkopf, darunter sitzen einander gegenüber links ein in den Spiegel schauender Affe mit Füllhorn und Früchten, rechts ein Bär, der einen Leckerbissen frißt, mit einem Hasen im Hintergrund. Die Symbolik der einzelnen Tiere ist vielfältig und durch die vereinfachten Darstellungen nur sehr allgemein zu bestimmen.10) Der Kontext der religiösen Inschriften spricht dafür, daß sie noch in der Tradition der christlichen Tiersymbolik des Mittelalters zu verstehen sind. Vermutlich verkörpern sie bestimmte menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen und stehen als Sinnbilder für verschiedene Formen der ‚Gottlosigkeit‘. Zweifelsfreie Vertreter sind der Affe für blinde Eigenliebe und Vanitas sowie der Bär für Gefräßigkeit und Luxuria, als unrein gilt der Wiedehopf, der im Aberglauben auch mit Zauberei verbunden wurde.11) Adler, Hase und Löwe können zwar auch positive Bedeutungen haben, im negativen Sinne steht der Adler jedoch für Hochmut und der Hase für Unkeuschheit, Furchtsamkeit, Inconstantia oder allgemein den schwachen Christen.12) Der Löwe in der Giebelspitze mag hier allgemein apotropäische Bedeutung haben und somit auf die Überwindung des Bösen durch das Gute, d. h. den rechten Glauben, verweisen.13)