Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 119 St. Marien 1592

Beschreibung

Teile einer Taufanlage, bestehend aus Taufstein und hölzernem Deckel sowie den zwei steinernen Pfosten des ehemaligen Taufgitters. Rötlicher Sandstein und farbig gefaßtes Holz. Die Taufe stand früher im ersten Langhausjoch neben dem Vierpaßpfeiler, an dem der schwenkbare Arm der Deckelhalterung angebracht war,1) sie wurde 1966 in den Südchor versetzt. Die Farbfassung des Deckels wurde 1966 erneuert.2) Die Pfosten des Taufgitters stehen heute ebenfalls im Südchor am Übergang vom Chor zum Langhaus. Das steinerne Taufbecken ruht auf einer steinernen Säule, vor die zwei vollplastisch gestaltete Pelikane mit ihren Jungen gesetzt sind. Außen um die Säule herum vier Figuren der Tugenden Caritas, Fides, Patientia und Spes mit ihren Attributen. An der Beckenwandung vier Reliefs, die die Evangelisten mit ihren Symbolen zeigen. Jeder der Evangelisten ist schreibend dargestellt, im Lucas-Relief hält der Engel ein Tintenfaß, im Johannesrelief trägt der Adler möglicherweise ebenfalls Schreibzubehör im Schnabel. Die Reliefs werden durch leicht vorspringende, mit Masken besetzte Felder voneinander getrennt. In einer unter den Reliefs umlaufenden vertieften Zeile die zugehörigen Tituli (A). Über den Reliefs ein Perlband, eine Zahnschnittleiste und ein Wulstring mit Blattornament, unterbrochen von vier weit vorragenden, den oberen Rand umgreifenden Bögen, die mit Engelsköpfen besetzt sind.

Der Randstreifen des achtseitigen Holzdeckels ist im Wechsel mit plastischen Engelsköpfen und Blütenornamenten in langen Feldern verziert, über dem Randstreifen ist der Taufdeckel in Form einer achtseitigen Kuppel eingezogen, davor außen eine durchbrochene achtseitige Einfassung, darüber auf einem geradwandigen achtseitigen Aufbau der in drei Zeilen über sieben Seiten verlaufende Taufbefehl B. Den oberen Abschluß bilden acht gedrechselte Stege, die zur Mitte des mehrfach eingezogenen und ausgebuchteten Knaufs zusammenlaufen. Die ehemals den oberen Abschluß bildende Christusfigur fehlt heute.3)

Die beiden Pfosten des ehemaligen Taufgitters zeigen im Relief die Darstellung der Szene Christus und die Kinder. Auf der Vorderseite des einen Pfostens eine Mutter mit zwei Kindern, auf dem anderen Pfosten Christus mit zwei Kindern. Die bildlichen Darstellungen beziehen sich auf die Zitate aus dem sog. Kinder-Evangelium, die jeweils in einer Rollwerkkartusche in der Sockelzone angebracht sind (C, D), erhaben gehauen in vertieftem Feld. Auf dem ersten Pfosten oben im Rahmen befindet sich die Angabe der Bibelstelle. Über den Reliefs je ein Diamantquader mit einem eingehauenen Stifternamen (E, F) zu dem darüber vor einer Scheibe befindlichen Wappenschild im Relief. Über die Rückseite der Scheiben auf beiden Pfosten verläuft in vertieften Feldern die erhaben gehauene Jahreszahl (G), auf dem zweiten Pfosten unter den Ziffern ein eingehauener Wappenschild mit der Marke des Bildhauers Georg Crosmann.4)

Maße: H. 205 cm; Dm. 90 cm (Becken mit Aufsatz). H. 128 cm; B. 28 cm (Pfosten). Bu. 2,2 cm (A), 3,4 cm (B), 2,1 cm (C, D) u. 1,7 cm (C, D letzte Zeile), 1,1 cm (E), 0,9 cm (F), 7 cm (G).

Schriftart(en): Kapitalis (A, B, E–G), Fraktur mit Kapitalis (C), Fraktur (D).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/14]

  1. A

    S · MATTHEVS · // S · MARCVS · // S · LVCAS · // S · IOHANNES ·

  2. B

    GEHET HIN IN ALLE WELT . LEHRET ALLE HEIDEN . VND TEVFFET SIE . IM NAMEN DES / VATERS . VND DES SONS . VND DES HEILIGEN GEISTES5) . WER DA GLEVBET VND GETAV/FFT WIRD . DER WIRD SELIG . WER ABER NICHT GLEVBET . DER WIRD VERDAMPT6)

  3. C

    MAR · 10 / Vnd sie brach/ten kindlin zu / im , das er sie / anrurete die Ju(n)/ger aber fuhren / die an . etc .a)7)

  4. D

    Lasset die kind/lin zu mir kom/men vnd wehretb) / ine(n) nicht de(n) solcherb) / ist das reich Gotts7)

  5. E

    ILSABE DERE(N)DAL

  6. F

    ERNST VON DER WIPPER

  7. G

    AN(N)O // 1592

Wappen:
Wipper8)Derental9)

Kommentar

Die Inschrift A ist in einer sehr sorgfältig gehauenen Kapitalis mit teilweise weit ausgezogenen Sporen gehauen. Auffällig ist das E mit weit nach rechts über den Buchstaben hinausreichendem unteren Balken, das tendenziell auch in der in Holz ausgeführten Inschrift B vorkommt, aber aus Platzgründen dort nicht ganz so breit ist. Die Inschrift B zeigt ebenfalls Sporen an den Buchstabenenden, E und F mit stark verkürztem Mittelbalken, gerades M mit kurzem Mittelteil, leicht spitzovales O, R mit geschwungener, spitz ausgezogener Cauda, S mit ausgeprägten Sporen, verschränktes W. Bei den Inschriften C und D handelt es sich um eine im Lemgoer Inschriftenbestand selten anzutreffende Fraktur in Stein; h mit nach links unter die Zeile ausgezogenem Bogen, spitzovales o, ebenso d mit geschwungener Haste, k mit verkürztem unteren und zur Haste zurückgebogenem oberen Schrägbalken, Schaft-s mit spitz unter die Zeile ausgezogenem Schwellschaft.

Die Lesung der Verse aus dem Markus-Evangelium, die an den beiden Pfosten als Inschrift ausgeführt sind, bildet schon nach Luthers Taufbüchlein einen festen Bestandteil der protestantischen Taufzeremonie.10) Die Bibelstelle diente als Hauptargument bei der Verteidigung der Kindertaufe in der Auseinandersetzung mit den Wiedertäufern.11) Sowohl in St. Marien als auch in St. Nikolai (vgl. Nr. 128) waren die Bibelverse quasi als Begrüßung der Täuflinge am Eingang zur Taufanlage angebracht.

Ernst von der Wipper (Wippermann) wurde um 1500 als Sohn des Lemgoer Bürgermeisters Hermann von der Wipper geboren. Ilsabe Derental war die Tochter des Dietrich Derental aus Höxter. Sie heiratete 1526 den Lemgoer Bürger Gottschalk Cothmann, der bereits 1529 starb. Ostern 1532 heiratete sie in zweiter Ehe Ernst von der Wipper, der in den Jahren von 1532 bis 1576 als Bürgermeister in Lemgo amtierte. Die Lebensdaten des Ehepaars gehen aus Prozeßakten hervor, die im Rahmen eines Erbstreits zwischen den Kindern Ilsabe Derentals aus erster und aus zweiter Ehe angelegt wurden.12) Da der Prozeß im Jahr 1593 geführt wurde, ist anzunehmen, daß Ilsabe Derental kurz zuvor, möglicherweise im Jahr der Aufstellung der Taufe 1592, gestorben war. Ernst von der Wipper war bereits um 1590 verstorben. Beide Eheleute erreichten ein sehr hohes Alter. Bei der Taufe handelte es sich möglicherweise um eine von beiden Eheleuten testamentarisch festgelegte Stiftung, oder die Witwe gab die Taufe kurz nach dem Tod ihres Ehemanns bei dem Bildhauer Georg Crosmann in Auftrag, der durch seine an dem einen Pfosten angebrachte Marke als Bildhauer nachgewiesen ist.

Textkritischer Apparat

  1. Die letzte Zeile aus Platzgründen auf dem Rahmen in eingehauenen Buchstaben.
  2. Der letzte Buchstabe aus Platzgründen auf dem Rahmen.

Anmerkungen

  1. Vgl. BKD Lemgo, Abb. 311, S. 292, Fotografie von 1935.
  2. BKD Lemgo, S. 293.
  3. Vgl. BKD Lemgo, S. 292, Abb. 311 u. 312.
  4. BKD Lemgo, S. 248, Abb. 222, Nr. 68 u. Abb. 51. Auf der Taufe von St. Nikolai kommt das Zeichen Crosmanns in Kombination mit seinem Namen vor, so daß es eindeutig identifiziert werden kann (vgl. Nr. 128).
  5. Taufbefehl nach Mt 28,19.
  6. Mk 16,16.
  7. Mk 10,13f.
  8. Wappen Wipper (Balken begleitet von 3 Stechringen, 2:1).
  9. Wappen Derental (gespalten, rechts halber Flug mit einer Rose belegt, links ein Balken).
  10. Das Taufbüchlein aufs Neue zugerichtet (1526), in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe) 19, Weimar 1897 (unveränderter Abdruck Graz 1964), S. 540. Zur Wirkung des Taufbüchleins vgl. J. Beckmann, Art. „Taufe V.“, in: Religion in Geschichte und Gegenwart 6, Tübingen 31962, Sp. 652.
  11. Vgl. Ulrike Mathies, Die protestantischen Taufbecken Niedersachsens von der Reformation bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Regensburg 1998, S. 33–37.
  12. Ausgewertet in Schepper, Wippermann, passim.

Nachweise

  1. BKD Lemgo, S. 292ff. (B, E–G) mit Abb. 312–316.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 119 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0011908.