Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 97 Breite Str. 57 1582

Beschreibung

Fenstergewände und Brüstungstafeln. Steinhaus mit Staffelgiebel, zweigeschossiges Eckhaus zur Reinertstraße. Die heutige Fassade mit Staffelgiebel ist das Ergebnis mehrfacher Umgestaltungen. Um 1913, als die gesamte Giebelfront abgebrochen und in freier Rekonstruktion neu errichtet wurde, hat man einige Spolien vom Ursprungsbau wiederverwendet, darunter auch inschriftentragende Werksteinelemente aus rötlichem Sandstein.1) Im Obergeschoß des rechten Fassadendrittels befindet sich ein dreibahniges Pfostenfenster, dessen mit Beschlagwerk dekoriertes Gewände am Sturz auf drei Felder verteilt den Namen des Bauherrn und ein Datum trägt (A). Der Sturz war um 1900 über dem Deelenoberlicht angebracht. Der Erker links über dem Schaufenster ist das Obergeschoß einer ehemaligen Auslucht. Seine Brüstung ist durch Beschlagwerklisenen gegliedert. Die vier Rollwerkkartuschen der Frontplatten sind in falscher Anordnung (2/4/3/1) angebracht.2) Die beiden ursprünglich mittleren Kartuschen (2 u. 3) zeigten Hausmarken oder Wappen, die möglicherweise gezielt entfernt wurden. Die beiden anderen Kartuschen (1 u. 4) tragen eine Sentenz (B). Der erste Teil der Inschrift, heute im vierten Brüstungsfeld von links, ist noch teilweise lesbar, während die Fortsetzung im zweiten Brüstungsfeld von links bis auf spärliche Reste zerstört ist. Beide Inschriften sind auf eingetieftem Grund erhaben ausgeführt und in Gold (A) und Beige (B) auf Braun gefaßt.

Inschrift B ergänzt nach Fotografie.

Maße: Bu. ca. 8 cm (A), ca. 4 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

LWL-Denkmalpflege, Landschafts- u. Baukultur in Westfalen [1/5]

  1. A

    BERENT // KRVWEL // A(NNO) · D(OMINI) · 15 · 82 ·

  2. B

    C[... OF]Fa) / ORN[ANDA] E[ST] / DIGN[ITA]S DO[..]b) / NON [EX]DOMOc) / DIG[NIT]AS TO/TA [QVAE]REND[A] // [...]S[...] DOMO /[ – – – ] d) 3)

Übersetzung:

Cicero, De officiis: Die Würde soll durch das Haus gehoben werden, aber vollständige Würde ist nicht aus dem Haus zu gewinnen ... (B)

Wappen:
[fehlen]

Kommentar

Berendt Kruwel war ein Sohn des Lemgoer Bürgermeisters Hermann Kruwel († 1582), der das Haus Breite Str. 19 (vgl. Nr. 73) errichten ließ. Auch das 1582 datierte Wohnhaus des Sohnes gehörte zu den Lemgoer Bürgerhäusern des späten 16. Jahrhunderts, die durch eine aufwendige Steinfassade den gehobenen Status ihrer Bauherren dokumentierten.4) Die Erkerbrüstung trug wahrscheinlich die Hausmarken der Eheleute, die das Haus 1582 erbauten. Für 1587 und 1595 ist Gertrud von Hottope gen. Bartram als Berendt Kruwels Ehefrau nachzuweisen. 1586 zahlte er das Einkömmlingsgeld für seine ‚Hausfrau‘, die allerdings nicht mit Gertrud von Hottope identisch sein muß. Über Berendt Kruwels Biographie ist wenig bekannt. Seit 1567 Mitglied im Kaufmannsamt, gehörte er 1590 als Kämmerer zum Ratskollegium und plante im Mai 1600 offenbar, seinen Wohnsitz zeitweilig zu verlegen.5)

Die beiden fragmentarisch lesbaren Inschriftkartuschen des Erkers bilden eine Einheit, sie zitieren aus Cicero, De officiis: Ornanda enim est dignitas domo, non ex domo tota quaerenda, nec domo dominus, sed domino domus honestanda est. In vorgeblicher Bescheidenheit erinnert der Bauherr daran, daß ein stattliches Haus, wie er es sich errichtete, zwar sein Ansehen unterstreiche, aber erst die Würde des Hausherrn dem Haus Glanz verleihe.

Textkritischer Apparat

  1. CIV OF BKD Lemgo. Angabe von Autor und Werktitel CICERO DE oder IN OFFICIIS, Buchstabenbestand und Kürzungsform sind nicht mehr rekonstruierbar.
  2. DOMV BKD Lemgo.
  3. Die innerhalb des Wortes feststellbare Lücke DO MO resultiert wohl aus dem Bemühen, die Textzeilen gleichmäßig zu füllen.
  4. Sicher erkennbar sind Spuren von vier weiteren Inschriftzeilen; die Reste erlauben zwar keine Rekonstruktion der Inschrift im genauen Wortlaut, aber eine sichere Bestätigung des identifizierten Zitats.

Anmerkungen

  1. Vgl. BKD Lemgo, S. 674–676, Abb. 774 u. 775 (Zustand der Fassade um 1900, 1980).
  2. BKD Lemgo, S. 677. Die beiden seitlichen Brüstungsplatten zieren Masken.
  3. Zitat nach Cicero, De officiis, 1,139. Hg. v. Carl Atzert (M. Tulli Ciceronis scripta quae mansuerunt omnia, Fasc. 48), Leipzig 41963, S. 48.
  4. Die mittels älterer Fotografien und Baubefunden rekonstruierbare Fassade ergibt eine unterhalb des Giebels weitgehend in Fenster aufgelöste, reich ornamentierte Straßenfront ähnlich dem ‚Hexenbürgermeisterhaus‘ Breite Str. 19 (dat. 1571), Kramerstr. 5 (dat. 1576), Mittelstr. 13 (dat. 1591). Darüber wird ein Speicherstock und ein steiler Giebel vermutet. Vgl. BKD Lemgo, S. 676 mit Abb. 776.
  5. Matrikel des Krameramtes, Nr. 582. Bürgerbuch, Nr. 1658 u. 10232. Sta Lemgo, Plögersche Sammlung (Kruwel).

Nachweise

  1. Fotografie, dat. 1936, WAfD Münster (B).
  2. Nachlaß Schacht, Sta Lemgo, Nr. 6 (A).
  3. Sauerländer, Alte Hausinschriften (A).
  4. Rädeker, Häuser, S. 69 (A).
  5. BKD Lemgo, S. 677 (A, B nur erster Teil bis QVAERENDA).

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 97 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0009705.