Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 87 St. Nikolai 1578

Beschreibung

Epitaph Franz d. J. von Kerssenbrock. Sandstein, farbig gefaßt, die heutige Fassung von 1923.1) Das auf dem Boden stehende Epitaph bildet heute an seinem ursprünglichen Aufstellungsort an der Ostwand im Südchor den hinteren Abschluß der Taufanlage, die 1861 hierher versetzt wurde. Das Epitaph besteht aus einer reich dekorierten Architekturrahmung mit Roll- und Beschlagwerkornamentik, die eine Ädikula mit zweigeschossigem Giebel auf freistehenden korinthischen Säulen umgibt. Die Säulen stehen auf Voluten, die die seitliche Begrenzung einer querrechteckigen Tafel mit der Inschrift A darauf bilden. Die aus der Perspektive des Verstorbenen formulierte Inschrift verbindet eine Grabbezeugung mit einem Totenlob und einer Mahnung an die Hinterbliebenen. Darüber im Mittelteil ein Relief mit der nahezu vollplastischen Figur des Verstorbenen in Rüstung vor dem Kreuz auf dem Hügel Golgatha kniend, am Kreuz der Titulus B, Helm und Handschuhe liegen am Fuße des Golgathahügels. Am Gebälk über dem Relief die Inschrift C (Bekenntnis des Auferstehungsglaubens). Darüber in der Mitte eine Darstellung des Heiligen Geistes in Gestalt der Taube, im Giebel eine Darstellung Gottvaters zwischen Engeln im Relief, außen am Giebel lehnen links und rechts Figuren der Tugenden Fides und Caritas, oben in der von Rollwerk umgebenen Bekrönung im Relief Spes. Am Sockel des Epitaphs Rollwerk, darin Totenkopf und Stundenglas. Auf den äußeren Rahmenleisten je acht Vollwappen mit Beischriften (D), die elterlichen Wappen sind durch Beischriften in kleinen, auf den Rahmenleisten stehenden Giebeln, die übrigen Wappen auf darunterstehenden Schriftbändern bezeichnet. Alle Inschriften sind erhaben ausgeführt und in Grau (A, C), Gold auf Weiß (B) und Grau auf Weiß (D) gefaßt.

Maße: H. 510 cm; B. 285 cm; Bu. 2,2–3,0 cm (A, C), 2,3 cm (B), 2–3,3 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/5]

  1. A

    HIC MEA FRANCISCVS POST FATA QVIESCO , CELEBRI /· NATVS CARSBRVCHICAE , SANGVINE GENTIS EQVES · /NOBILIS ET VETERI SVM STIRPIS ORIGINE CLARVS , /· NOBILIOR VERA SED PIETATE VOCOR . /MENTE , DEVM COLVI PVRA , COMMVNIA IVVI /COMMODA , SVDAVIT CAETERA VITA MEIS . /NEC TAMEN , HINC OPERVM , MEMINI , LAETORVE BONORV(M) · /VT MINVS INDE MISER MEREAR ESSE REVM /NIL CONSCIRE SIBI NVLLA PALLESCERE CVLPA /SOLIVS EST CHRISTI GLORIA NON HOMINVM . //SOLA FIDES HOMINES , IESV CRVX SOLA TVETVR /MENS HANC DVM SPECTAT , PALLET ANHELA NIHIL · /HOC DVCE IAM MORTIS TORMENTA TENACIA VICI /PARTE MEI CELOS ET MELIORE COLO · /AT PATRIAS VOS ITE VIAS MEA , VISCERA NATI /PRIMA DEVS VOBIS , CVRA SECVNDA PARENS · /TERTIA PRIVATIS POTIOR RES PVBLICA REBVS , /ORDINIS HIC VOBIS FINIS EQVESTRIS ERIT ·

  2. B

    I(ESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDAEORVM) 2)

  3. C

    IOB XIX CAP /ET SCIO , QVOD VIVAT MEVS IPSE REDEMPTOR IESVSINDVAR HIS SVRGE(N)S VISCERIBVSQVE MEIS 3)

  4. D
    KASSEN·BROCK4) ALTEN5)  
    WEIGE6) MARENHOLT7)  
    MOLLENBECH8) BVSCK9)  
    KLENCKEN10) ALVENSLEVE11)  
    DEEN12) MANDELSLO13) 
    BARSSEN14) GVSTEDE15)  
    BVSCHE16) KLENKEN10)  
    BRA17) BVLOW18) 

Übersetzung:

Hier ruhe ich, Franz, nach meinem Tode, ein Ritter geboren aus dem Blut des berühmten Kerssenbrockschen Geschlechts. Ich bin edel durch die Herkunft aus einer adligen und alten Familie, edler aber werde ich durch meine aufrichtige Frömmigkeit genannt. Mit reinem Geist habe ich Gott verehrt, das Gemeinwohl gefördert, das übrige Leben war den Bemühungen um die Meinigen gewidmet. Und doch bin ich mir deswegen nicht etwa meiner guten Werke bewußt und freue mich ihrer, so daß ich Armseliger deswegen verdiente, in einem geringeren Maße ein schuldiger Sünder zu sein. Nichts auf dem Gewissen zu haben, sich wegen keiner Schuld fürchten zu müssen, das ist allein Christi Ruhm, nicht der der Menschen. Allein der Glaube, das Kreuz Jesu allein schützt die Menschen. Solange die lechzende Seele dieses anschaut, hat sie nichts zu fürchten. Unter seiner Führung habe ich jetzt die hartnäckigen Qualen des Todes besiegt und wohne mit meinem besseren Teil im Himmel. Aber geht auch ihr die Wege eures Vaters, ihr Kinder von meinem Fleisch. Eure erste Sorge sei Gott, die zweite eure Mutter, die dritte – wichtiger als Privatangelegenheiten – das Gemeinwesen, dies soll das Ziel eures ritterlichen Standes sein. (A)

Und ich weiß, daß mein Erlöser Jesus selbst lebt, und auferstehend werde ich mit diesem meinem Fleisch umgeben werden. (C)

Versmaß: Elegische Distichen (A, C).

Kommentar

Die Inschriften sind in einer Kapitalis ausgeführt, die einzelne Elemente der frühhumanistischen Kapitalis wie oben offenes D und spitzovales O aufweist. Durch keilförmige Verbreiterungen von Hasten und Balken entsteht ebenso ein unruhiges Schriftbild wie durch die fehlende Spationierung zwischen den Wörtern und die vergrößerte Ausführung einiger Anfangsbuchstaben. Konisches M sehr breit mit kurzem Mittelteil, N mit dünn ausgeführter Schräghaste. In Inschrift A werden Quadrangeln unregelmäßig als Verstrenner verwendet. Die Schrift weist auffällige Parallelen zu der des Epitaphs für Moritz Piderit auf (1576, vgl. Nr. 83).

Franz von Kerssenbrock d. J. wurde 1530/31 als Sohn des Franz von Kerssenbrock und der Ermgard von Alten geboren. Verheiratet war er seit 1567 mit Anna von Canstein, einer Tochter des Raban von Canstein und der Margarethe von Wrede. Das Ehepaar bewohnte den Adelssitz der Familie Papenstr. 24 in Lemgo (vgl. Nr. 62). Franz von Kerssenbrock d. J. war ein überzeugter Protestant, was sich auch in der von lutherischem Gedankengut geprägten Inschrift A ausdrückt, in der die Werkgerechtigkeit verworfen und der Kreuzestod Christi in den Mittelpunkt gestellt wird. Testamentarisch vermachte Franz von Kerssenbrock den Armen der Stadt Lemgo 1000 Taler.19) Nach seinem Tod am 15. Mai 1576 wurde bei dem Bildhauer Hermann Wulff das Epitaph in Auftrag gegeben, das dieser am 22. April 1578 in St. Nikolai aufstellte.20) Das Epitaph ist nicht wie üblich für das Ehepaar oder die Familie des Verstorbenen bestimmt, sondern ausschließlich für diesen allein, was neben der figürlichen Darstellung auch die sechzehnteilige Ahnenprobe belegt. Die Witwe Anna von Canstein ließ seit 1577 das Schloß Barntrup errichten. Sie starb im Jahr 1591. Für den 1569/70 geborenen Sohn Raban, den Erben des Schlosses Barntrup, ist ebenfalls ein Epitaph in St. Nikolai erhalten (vgl. Nr. 181).

Anmerkungen

  1. BKD Lemgo, S. 217.
  2. Io 19,19.
  3. Vgl. Iob 19,25.
  4. Wappen Kerssenbrock vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 9, S. 10 u. Tafel 10.
  5. Wappen Alten vgl. ebd., S. 2 u. Tafel 2.
  6. Wappen Weyhe vgl. ebd., S. 18 u. Tafel 19.
  7. Wappen Mahrenholtz vgl. ebd., S. 12 u. Tafel 13.
  8. Wappen Möllenbeck vgl. Spießen, Wappenbuch, Bd. 1, S. 90; Bd. 2, Tafel 219 (Möllenbeck I).
  9. Wappen Bussche zu Gesmold vgl. ebd., Bd. 1, S. 25 u. Tafel 58.
  10. Wappen Klencke vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 2, S. 6 u. Tafel 4.
  11. Wappen Alvensleben vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 7, S. 1 u. Tafel 1.
  12. Wappen Dehm vgl. Spießen, Wappenbuch, Bd. 1, S. 38 u. Tafel 85.
  13. Wappen Mandelsloh vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2, S. 253 u. Tafel 303.
  14. Wappen Barsen vgl. Spießen, Wappenbuch, Bd. 1, S. 7 u. Tafel 19.
  15. Wappen Gustedt vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 9, S. 21 u. Tafel 23.
  16. Wappen Bussche vgl. Spießen, Wappenbuch, Bd. 1, S. 25 u. Tafel 58.
  17. Wappen Bra (neun Blätter 3:4:2).
  18. Wappen Bülow vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 11, Teil 2, S. 15 u. Tafel 14.
  19. Die biographischen Angaben nach Stöwer, Kerssenbrock, S. 172f.
  20. Gaul, Schloß Brake, S. 42.

Nachweise

  1. Dewitz, Zeichnung, dat. 1880, LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, 4 L 36 (D).
  2. Dreves, Geschichte, S. 334 (A, C).
  3. Stöwer, Denkmäler, S. 79f. (A, C).
  4. BKD Lemgo, S. 217ff. (A, D) mit Abb. 181.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 87 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0008703.