Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 55 Mittelstr. 39 1564

Beschreibung

Schwell- und Rähmbalken. Dreigeschossiges traufenständiges Fachwerkhaus, die nur drei Gefache breite Front zur Mittelstraße ist im Erdgeschoß modernisiert. Das erste Obergeschoß und die Traufe kragen über mit Tauband verzierten Knaggen vor, das zweite Obergeschoß über Stichbalken. Inschriften befinden sich auf dem Schwellbalken des zweiten Obergeschosses (A) und darunter am Rähm (B, jeweils eine Belehrung) sowie am Schwellbalken des ersten Obergeschosses (C, Seligpreisung). Die zum Nikolaikirchplatz gewandte Rückseite des Hauses trägt auf dem Schwellbalken des vorkragenden zweiten Obergeschosses die erbauliche Sentenz D, deren letztes Wort auf dem Balkenkopf rechts darunter ausgeführt ist. Sämtliche Inschriften sind in vertiefter Zeile erhaben geschnitzt und in Gold auf Rot gefaßt.

Maße: Bu. ca. 10 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/2]

  1. A

    WOL · SINT · DE · SICK · SVLVEN · VORRADEN ·DAT · SINT · DE · DAR · SVNDIGEN · VP · GADES · GNADE ·M · D · LXIIIIa)

  2. B

    WOL · SINT · DE · LEVESTEN · FRVNDE · VSES · HEREN ·DE · SICK · VAN · DEN · SVNDEN · THO · DER · BOTE · BEKEREN ·

  3. C

    SALICH · SINT · DE · EINES · REINEN · HERTEN · SINT · WENTE · SE · WERDEN · GODT · SEN · SALICH · SINT · DE · FRETEM(AKERS)b) 1)

  4. D

    DE · FRVCHTE · DES · HEREN · IS · EIN · BORNE · DES · LEVENDES · DATH · MEN · VOR · MIDE · DE · STRICKE · DES / DODES2)

Übersetzung:

Wer sind die, die sich selbst verraten? Das sind diejenigen, die da sündigen in Bezug auf Gottes Gnade. (A)

Wer sind die liebsten Freunde unseres Herrn? Diejenigen, die sich von den Sünden zu der Buße bekehren. (B)

Selig sind die, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott sehen. Selig sind die Friedensstifter. (C)

Die Furcht des Herrn ist ein Quell des Lebens, auf daß man die Stricke des Todes meide. (D)

Versmaß: Deutscher Reimvers (B), gereimte Prosa (A).

Kommentar

Die Kapitalis der Inschriften A–C zeigt A mit beidseitig überstehendem Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken, E mit drei gleichlangen Balken oder etwas längerem unteren Balken, M mit senkrechten Schäften und auf die Grundlinie herabgezogenem Mittelteil, die Cauda des R und die Schrägbalken des K gerade und stark verkürzt, spitzovales O, verschränktes W. Die Balken- und Schaftenden der Buchstaben sind keilförmig verbreitert. Davon unterscheidet sich die Inschrift auf der Rückseite des Hauses (D) in folgenden Merkmalen: die Cauda des R und die Schrägbalken des K verlaufen gerade bis zur Grund- und Oberlinie, A ohne Deckbalken und Brechung des Mittelbalkens, runderes O, geringere Verbreiterung der Schaft- und Balkenenden. Möglicherweise waren hier verschiedene Zimmerleute tätig. Das Schriftbild der Inschriften A–C ähnelt auffallend einer Inschrift auf einem Balken, der als Einzelstück in St. Marien erhalten ist (vgl. Nr. 57).

Der Inschrifteninhalt ist für Hausinschriften außergewöhnlich anspruchsvoll. Die Frage-Antwort-Struktur innerhalb der Inschriften A und B und die Beziehung zwischen den beiden auch räumlich eng zusammengehörenden Inschriften, von denen die eine die falsche, die andere die richtige Lebensweise darstellt, sind ebenso bemerkenswert wie die sonst eher im Kontext kirchlicher Ausstattungsstücke vorkommenden Seligpreisungen in Inschrift C. Das Inschriftenprogramm läßt auf einen theologisch gebildeten Bauherrn schließen, dessen Identität jedoch nicht geklärt werden konnte.

Textkritischer Apparat

  1. Weerth, Hausinschriften, S. 36, u. Wehrhan, Hausinschriften, S. 52, geben die Inschriften ohne die Jahreszahl in Inschrift A wieder, datieren das Haus aber ohne Angabe von Gründen auf das Jahr 1553.
  2. SALICH SINT DE FREDEMAKERS WENTE SE WERDEN GADES KYNDER HETEN. So in: Lippische Blätter für Heimatkunde 1957, Nr. 1, S. 4. Ob die Seligpreisung dort nur nach dem Bibeltext ergänzt wurde oder der Wiedergabe die Kenntnis eines heute verlorenen Teils der Inschrift auf dem Rähm unter dem Schwellbalken zugrundelag, läßt sich nicht feststellen (BKD Lemgo, S. 816: letzteres).

Anmerkungen

  1. Mt 5,8f. in einer niederdeutschen Version der Bibel, vgl. z. B. sog. Bugenhagen-Bibel (Lübeck 1533): Salich synt / de eynes reinen herten synt / wente se werden Godt se(e)n. Salich synt de fredemakers / wente se werden Gades kynder heten.
  2. Spr 14,27 in einer niederdeutschen Version der Bibel, vgl. z. B. sog. Bugenhagen-Bibel (Lübeck 1533): De fruchte des Heren ys ein borne des le(e)vendes / dat menn vormyde de strycke des dodes.

Nachweise

  1. Schacht, Sta Lemgo, Bibl. 517, S. 174 (A, C).
  2. Weerth, Hausinschriften, S. 36.
  3. Wehrhan, Hausinschriften, S. 52.
  4. Sauerländer, Alte Hausinschriften.
  5. Sauerländer, Hausinschriften, S. 31.
  6. Rädeker, Häuser, S. 66f.
  7. Biblische Inschriften an Lemgoer Fachwerkhäusern. In: Lippische Blätter für Heimatkunde 1957, Nr. 1, S. 4.
  8. Pahmeier/Süvern, ILL Lemgo, TB 21–27.
  9. Kat. Confessio, Kat. Nr. 72, S. 85 (A–C).
  10. BKD Lemgo, S. 816, Abb. 968, S. 809.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 55 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0005506.