Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 47 Mittelstr. 56 1556

Beschreibung

Zweigeschossiges Steinhaus mit Staffelgiebel. Die Schaufront zur Mittelstraße und zum angrenzenden Marktplatz, an der westlichen Traufenseite der zugehörige Kammeranbau. Fassade aus verputztem Bruchstein mit Werksteingliederung aus hellem Sandstein, Farbfassung modern, bei der Restaurierung 1991 erneuert. Größerer Umbau 1898 mit neuer Geschoßaufteilung im unteren Bereich. Die ursprüngliche Unterteilung in Erd- und Zwischengeschoß beidseitig der Mitteldeele und das Oberlicht über dem Torbogen wurden aufgegeben, das Erdgeschoß erhöht, im darüberliegenden Speichergeschoß die Fenster nach unten vergrößert und der zugehörige Wasserschlag entsprechend herabgesetzt. Dabei wurden im unteren Fassadenteil auch die Inschriften tragenden Werksteine versetzt. Der viergeschossige, durch Kaffgesimse gegliederte Giebel blieb davon jedoch unberührt.1) Seinen Umriß kennzeichnen gegenläufige Konkav- und Konvexbögen, die über den senkrechten Staffelansätzen hochkant stehende Fächerrosetten umschließen. Der Kielbogen der Giebelspitze trägt an den unteren Enden je eine Wappenscheibe, darin links die Lippische Rose, rechts eine Hausmarke. Das spitzbogige, gestäbte Deelentorgewände, 1958 bis auf den inschrifttragenden Scheitelstein abgebrochen, wurde 1974 rekonstruiert. Auf dem querformatigen Schlußstein aus gelbem Sandstein steht das Baudatum (A) zwischen zwei Wappenschilden. Zwei weitere Wappenbilder befinden sich an den Kragsteinen unterhalb des Giebels: links die Lippische Rose, rechts der Waldecker Stern. Am Erdgeschoß verläuft die Inschrift B (Gotteslob) unterhalb des Wasserschlags über die gesamte Fassadenbreite. Auch hier bilden Wappen die Abschlüsse: links die Lippische Rose, rechts Ravensberg. Über dem Mittelfenster des Obergeschosses ist seit 1898 ein Steinbalken eingesetzt, welcher ehemals am Zwischengeschoß unter den beiden Fenstern rechts angebracht war. Dieser trägt die Inschrift C (Mahnung), gerahmt von floralen Medaillons. Sämtliche Inschriften sind auf eingetieftem Grund erhaben ausgeführt, in Gold auf Blau gefaßt, Wappen und Ornamente im Flachrelief gearbeitet.

Maße: Bu. 6 cm (A), 12 cm (B), 9 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Fraktur-Zierelementen und Versalien (A, B), Kapitalis (C).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/9]

  1. A

    Anno · d(omi)ni · 1 · 5 · 56

  2. B

    Jn · godes · hand · sta · ick · De · also · de · werlt · geleuet · Dat · he · sine(n) · enige(n) · sone gegeuen · Vp · dat · alle · de · an · e(n)ne · geloue(n) · nicht · verlore(n) · werde(n) · Su(n)der · dat · Ewige · leue(n) · hebbe(n) ·2) Des · si · ome · lof · ere · vnd · danck · Jn · ewicheit · Ame(n)

  3. C

    AGITE · POENITE(N)CIA(M) · ET · CREDITE · EVA(N)GELIO ·3)QVIESCITE · AGERE · PERVERSE · DI(S)CITE · BENEFACERE4)

Übersetzung:

In Gottes Hand stehe ich. Der die Welt so geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn gegeben hat, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren sein werden, sondern das ewige Leben haben. Darum sei ihm Lob, Ehre und Dank in Ewigkeit, Amen. (B)

Tut Buße und glaubt an das Evangelium. Hört auf, Böses zu tun. Lernt, Gutes zu tun. (C)

Wappen:
Lippe oder Lemgo5)Koch6)
Koch6)Corvey7)
Lippe oder Lemgo5)Waldeck8)
Lippe oder Lemgo5)Ravensberg9)

Kommentar

Innerhalb der gotischen Minuskel (A, B) sind die Satzanfänge durch Versalien hervorgehoben: rundes A mit rechtsschrägem Mittelbalken und unter die Grundlinie reichendem linken Schaft; J mit Schwellschaft und Verzierungen an Deckbalken und Unterlänge; kapitales D und V nur bis zur Mittellinie reichend; zweibogiges E, dessen kleinerer oberer Bogen eckig gebrochene Form hat und in den unteren Bogen eingesetzt ist; S-Versal durch gespaltene, weit ausgezogene Sporen zur 8-Form verschlungen. Die Minuskelbuchstaben weisen an den Ober- und Unterlängen gespaltene Schaftenden auf, deren geschwungene Linien sich einrollen – so auch bei s – oder Schlaufen und gegenläufige Knotenformen bilden. Noch aufwendigere Flechtbandornamente schmücken innerhalb des Baudatums (A) dessen als rundes A gestalteten Anfangsbuchstaben und parallel dazu auf der anderen Seite über dem Torbogenscheitel die zweite 5 der Jahreszahl. Der Buchstabe A und die Ziffer 5 sind am unteren Ende des linken Schafts bzw. am Bogenende durch einen Nodus abgeschlossen, aus dem sich jeweils ein verschlungenes Ornament entwickelt.

Kennzeichnend für die in hohen schmalen Buchstaben ausgeführte Kapitalis der Inschrift C sind: E mit gleichkurzen Balken, R mit kleinem Bogen und langer gewölbter Cauda, A mit kleinem gebrochenen Mittelbalken und beidseitig überstehendem Deckbalken, N mit deutlich dünnerem Schrägschaft, Q mit geschwungener Cauda, die wie der einseitig eingerollte Deckbalken beim ersten A den Anfang des jeweiligen Bibelzitats auszeichnet; eines der S mit Nodus am Mittelteil.

Der Wappenschmuck der Fassade verweist auf die Herkunft und die gesellschaftliche Stellung des Bauherrn Johann Koch. Dieser war ein Sohn des ravensbergischen Rentmeisters zum Sparrenberge, Gerhard Koch, amtierte von 1557 bis 1583 als Lemgoer Bürgermeister und war auch politischer Berater des Grafen Simon VI. zur Lippe.10) Er starb am 19. September 1583.11) Verheiratet war Johann Koch mit Anna Corvey, der Schwester des Ratsherrn und Sieglers Hermann Corvey, dem das Nachbarhaus Mittelstr. 58 (Nr. 48) gehörte.12) Ein Haus mit ähnlicher Fassade wie das Kochsche Haus Mittelstr. 56 stand bis 1945 in Paderborn am Kettlerplatz 69/Marienplatz 11. Dieses wurde 1557/58 für Cordt Koch errichtet, der zwischen 1546 und 1582 als Paderborner Bürgermeister belegt ist und vielleicht ein näherer Verwandter des Lemgoer Johann Koch war. Beide Häuser werden deshalb demselben Baumeister, möglicherweise Ludolf Crosmann, zugeschrieben.13)

Anmerkungen

  1. BKD Lemgo, S. 833–837, Abb. 1004/5 (Fassade vor 1898, 1980). Einzelberichte 1985–91, S. 771f.
  2. Nach Off 7,12 in einer niederdeutschen Version der Bibel, vgl. z. B. sog. Bugenhagen-Bibel (Lübeck 1533): Also hefft Godt de werlt gelevet / dat he synen enigen so(e)ne gaff / up dath alle de an en lo(e)ven / nicht vorlaren werden / sunder dath ewige le(e)vent hebben.
  3. Mc 1,15.
  4. Is 1,16f.
  5. Lippische Rose, vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 46 u. Tafel 102.
  6. Wappen Koch (Hausmarke BKD Lemgo, S. 975, Nr. 24).
  7. Wappen Corvey (Ei im Henkelkorb).
  8. Wappen Waldeck vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 3, 2. Reihe, S. 72 u. Tafel 119.
  9. Wappen Ravensberg vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 3, S. 29 u. Tafel 41.
  10. Die am Giebelfuß als Pendants angebrachten Wappenbilder, die Lippische Rose und der Waldecker Stern, beziehen sich nach BKD Lemgo, S. 836, auf die Eltern Simons VI., das 1556 regierende Grafenpaar Bernhard VIII. zur Lippe († 1563) und seine Ehefrau Katharina von Waldeck-Eisenberg († 1583). Graf Bernhard VIII. zur Lippe regierte von 1536/48 bis 1563. Katharina von Waldeck-Eisenberg war eine Tochter des Grafen Philipp III. von Waldeck aus der Eisenberger Linie; vgl. Detlev Schwennicke, Europäische Stammtafeln, Bd. I.3, Frankfurt/M. 2000, Taf. 328 u. 336.
  11. BKD Lemgo, S. 833. 1563 ist der Bürgermeister Johann Koch in der Tröger Bauerschaft (Mittelstr. 56 = Tröger Bauerschaft 4) wohnhaft belegt; Bürgerbuch, Nr. 1291 u. 10177. Im Jahr 1543 trat ein gleichnamiger Bürger in das Lemgoer Kaufmannsamt ein und bezahlte 1545 auch die Aufnahme seines Sohnes; Matrikel des Kaufmannsamtes, Nr. 498 u. 509.
  12. Laut BKD Lemgo, S. 833 u. 838. Vgl. a. Sta Lemgo, Plögersche Sammlung (Koch, Korvey).
  13. BKD Lemgo, S. 833. Das Paderborner Haus trug eine 1557/58 datierte Bauinschrift und vier Wappen, außer denjenigen der Erbauer auch die Wappen der Stadt Paderborn und der Grafschaft Ravensberg; vgl. Paul Michels, Paderborner Inschriften, Wappen und Hausmarken. Paderborn 1957, S. 148f.

Nachweise

  1. Zeiß, Zeichnung, dat. 1863, LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, 4 L 102.
  2. Hausinschriften in Lemgo. In: Lemgoer Sonntagsblatt 1880, Nr. 5, 31. Oktober (B, C).
  3. Preuß, Alterthümer2, S. 64.
  4. Wehrhan, Hausinschriften, S. 52 (B).
  5. Sauerländer, Alte Hausinschriften (B, C).
  6. Sauerländer, Hausinschriften, S. 31 (B, C).
  7. Rädeker, Häuser, S. 66 (B, C).
  8. BKD Lemgo, S. 835ff. mit Abb. 1004/5.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 47 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0004705.