Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 59: Lemgo (2004)
Nr. 2 St. Marien / Städtisches Museum nach 1387
Beschreibung
Tumbenfragmente vom Grab der Gemahlin des Edelherrn Otto zur Lippe, Ermgard von der Mark. Sandstein. Die Tumba wurde im Jahr 1820 abgebrochen, die Figuren sind seither an der Ostwand des Südchors aufgestellt. Die männliche Figur mit Vollbart trägt unter einem von Tasseln gehaltenen Mantel ein bis zu den Oberschenkeln reichendes enganliegendes Wams mit einem Gürtel in der Taille. Das Schwert und die rechte Hand, die das Schwert hielt, sind nicht erhalten. Die linke Hand steckt in einem gepanzerten Handschuh, zur Rüstung gehören auch Beinschienen und Sporen an den glatten, vorne abgestumpften Schuhen. Die weibliche Figur trägt einen Kruseler als Kopfbedeckung, einen Mantel und darunter ein im oberen Teil eng anliegendes Kleid, dessen weitgeschnittener Rock in weiche Falten fällt. Vor der Brust eine große Mantelschließe, darin die plastisch gehauenen Initialen des Paares (A) unter einer Krone. In der rechten Hand hält die Frauenfigur einen Rosenkranz. Zu Füßen des Mannes ein Löwe, dem später offenbar ein heute zerstörter Wappenschild angefügt wurde, zu Füßen der Frau ein Adler mit zwei Wappenschilden. Von der ehemals um den Tumbendeckel umlaufenden, eingehauenen Inschrift (Grabbezeugung, B) sind nur noch Fragmente erhalten, die sich jedoch aufgrund der kopialen Überlieferung ergänzen lassen. Allerdings waren Teile der Inschrift bereits im 18. Jahrhundert zerstört, so daß Grupen den letzten Teil der Inschrift nur unvollständig wiedergeben konnte. Zwei 1965 bei Ausschachtungsarbeiten gefundene Fragmente sind heute unter den beiden Figuren eingemauert, ein drittes, stark verwittertes Fragment gehört zum Bestand des Städtischen Museums.1) Die Tumbenfiguren sind mit zahlreichen Graffiti bedeckt (vgl. Nr. 34). Die Anbringung dieser Graffiti läßt darauf schließen, daß entgegen der heutigen Aufstellung die Figur der Ermgard ursprünglich rechts neben der Figur ihres Gemahls auf dem Tumbendeckel lag.2)
Inschrift B ergänzt nach Grupen.
Maße: Bu. 5,2 cm (A), 7,5 cm (B).
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
- A
o(tto) e(rmgard)
- B
[hic iacet ermgard de m]arka · vxor [quo(n)da(m) d(omi)ni otto(n)is d(e) lipp]ia · otto f[ili(vs) eorv(m) qvo(n)da(m) ep(i)sc(opvs) i(n) co]lo(n)ia · et · he(n)ri[c(vs) qvo(n)da(m) ep(iscopvs) t . s . i . m . r . – – – i . a .]a)
Übersetzung:
Hier liegt Ermgard von der Mark, einst Gemahlin des Herrn Otto zur Lippe, deren Sohn Otto, einst Bischof in Köln, und Heinrich, einst Bischof ... (B)
Lippe3) | Mark4) |
Textkritischer Apparat
- Die Lücke so bei Grupen, der angibt, daß das Ende der Inschrift stark zerstört war.
Anmerkungen
- Inv.Nr. 85/2676. BKD Lemgo, S. 309f.
- Vgl. Hans Fuhrmann, Ritzinschriften auf den Grabfiguren Ottos zur Lippe und Ermgards von der Mark in der Lemgoer Kirche St. Marien. Ein epigraphischer Befund und seine Folgerungen. In: Architektur, Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland 4, 1994, S. 123–135, hier S. 127f.
- Wappen Lippe (Lippische Rose), vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 46 u. Tafel 102.
- Wappen Mark vgl. ebd., Bd. 1, Abt. 1, Teil 3, S. 34ff. u. Tafel 48.
- Piderit, Edelherren, S. 74–79.
- BKD Lemgo, S. 242 u. 244.
- Gaul, Grabfiguren, S. 12. BKD Lemgo, S. 310.
- Vgl. u. a. DI 35 (Stadt Braunschweig 1), Nr. 57, 1379; DI 47 (Landkreis Böblingen), Nr. 38, nach 1388; DI 49 (Stadt Darmstadt, Landkreise Darmstadt-Dieburg und Groß-Gerau), Nr. 12, 1383.
- Vgl. hier LR Nr. 1052, 1078, 1344, 1358. Vgl. a. die Belege in: Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter. Bd. 8, 9 u. Registerband 12,2, hg. v. Norbert Andernach, Düsseldorf 1981–2001, hier bes. Registerband 12,2, S. 268.
- Vgl. Wilhelm Kohl, Das Domstift St. Paulus in Münster, Berlin 1982 (Germania Sacra Bd. 17,2, Bistum Münster Bd. 4,2), S. 173f. Wilhelm Dräger, Das Mindener Domkapitel und seine Domherren im Mittelalter. In: Mindener Jahrbuch 8, 1936, S. 1–119, hier S. 54.
- In den LR Nr. 1072 ist noch vermerkt, daß hier Ermgard von der Mark, ihr Sohn Otto zur Lippe und ihr Schwager Heinrich zur Lippe beigesetzt waren. Nach Annibal Nullaeus, Illustrium et generosum comitum Lippiensium genealogica, Lemgo 1586, Bd. 1, S. 20, Nr. 91, wäre darüber hinaus auch noch Ermgards Gemahl Otto hier bestattet worden. Schon angesichts der um etwa 50 Jahre auseinander liegenden Sterbedaten der vier Personen ist dies sehr unwahrscheinlich.
- Die Angabe bei Gabriele Böhm, Mittelalterliche figürliche Grabmäler in Westfalen. Münster 1994, S. 167, Ermgard sei in der Inschrift vor Otto genannt, geht am Sachverhalt vorbei, da Otto hier lediglich als Ehemann erwähnt ist.
- Gaul, Grabfiguren, S. 11.
- BKD Lemgo, S. 242. Gaul, Grabfiguren, S. 19f.
- Vgl. LR NF, 23. Dezember 1358: Danach bekundeten die Priorin und der Konvent von St. Marien, daß sie den Neustädter Rat gebeten hätten, die Sorge für den Bau der Marienkirche für die nächsten 12 Jahre zu übernehmen. Die Urkunde muß aber nicht den Beginn der Bauarbeiten von St. Marien markieren. Denkbar wäre auch, daß die Bitte des Konvents während der bereits laufenden Bauarbeiten ausgesprochen wurde.
- BKD Lemgo, S. 244.
- Vgl. Gaul, Grabfiguren, S. 21.
- Böhm (wie Anm. 12), S. 167.
Nachweise
- Christian Ulrich Grupen, Origines Germaniae. Bd. 3, Lemgo 1768, S. 242, Anm.
- Gaul, Grabfiguren, S. 7 u. 21 (nach Grupen).
- BKD Lemgo, S. 310 mit Abb. 338 (nach Grupen).
- Gabriele Böhm, Mittelalterliche figürliche Grabmäler in Westfalen. Münster 1994, S. 162 (nach Grupen).
Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 2 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0000207.
Kommentar
Der Edelherr Otto zur Lippe, Sohn Simons I., war seit 1322 mit Ermgard von der Mark verheiratet. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1344 übernahm er die Regentschaft, schloß jedoch noch im selben Jahr mit seinem Bruder Bernhard, der zunächst eine geistliche Karriere einschlagen wollte, diese Absicht dann aber revidierte, einen Teilungsvertrag, demzufolge Otto die eine Hälfte des Landes mit Lemgo erhielt, Bernhard die andere Hälfte mit Lippstadt und Rheda. Daß der Teilungsvertrag die Lippische Landesherrschaft spaltete und nach dem Tod Ottos im Jahr 1360 und Bernhards, der keine Kinder hinterließ, im Jahr 1365 zu Auseinandersetzungen um die Erbfolge führte, brachte Otto – zumindest in der Bewertung späterer Historiker – den Ruf eines schwachen Herrschers ein, ungeachtet der Tatsache, daß seine Regierungszeit für das Land Lippe weitgehend friedlich verlief.5) Ermgard von der Mark starb kurz nach ihrem Ehemann im Jahr 1361. Das Grabdenkmal wurde aber erst längere Zeit nach ihrem Tod angefertigt, da in der Inschrift bereits ihr Sohn Otto († 1387/88) als verstorben genannt ist. Die späte Anfertigung läßt sich vermutlich durch die Baumaßnahmen am Chor von St. Marien erklären, die kunstgeschichtlich auf die 50er bis 70er Jahre des 14. Jahrhunderts datiert werden.6) Da bei diesen Umbauten die Südmauer des Chorquadrats abgebrochen wurde, kann man annehmen, daß die Errichtung des Grabdenkmals erst nach Beendigung aller Baumaßnahmen für sinnvoll erachtet wurde.
Während die beiden Tumbenfiguren und damit auch die Inschrift A kunstgeschichtlich auf die Zeit um 1380 datiert werden, geht man für den Tumbendeckel mit der Umschrift in einer mit dünnen Zierstrichen versehenen gotischen Minuskel aufgrund der Schriftform bisher von einer Entstehung im 15. Jahrhundert aus.7) Aufgrund der wenigen erhaltenen Fragmente ist das Buchstabenmaterial nicht allzu groß, zumal das eine Fragment stark verwittert ist. Dennoch stellt neben den dünnen Zierstrichen vor allem das v mit leicht linksschräger linker Haste ein charakteristisches Element dar. Ein Vergleich mit anderen Inschriften in gotischer Minuskel zeigt, daß diese Art des v in Schriften aus der Zeit um 1380 öfter anzutreffen ist,8) während die Inschriften des 15. Jahrhunderts durchgängig v mit parallelen Hasten aufweisen. Die feinen Zierstriche können nicht als Kennzeichen einer Schrift des 15. Jahrhunderts bewertet werden, da sie in den Inschriften aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts bereits in voller Ausprägung vorhanden sind. Daher gibt es aus epigraphischer Sicht keinerlei Grund, die Inschrift später anzusetzen als die Tumbenfiguren. Vielmehr spricht ein Vergleich mit anderen Inschriften in gotischer Minuskel eher für eine Einordung in die Zeit um 1380.
Das für eine spätere Entstehung der Inschrift angeführte Argument, die Inschrift sei inhaltlich fehlerhaft, ist ebenfalls zu überprüfen. Der inschriftlich genannte Sohn des Ehepaars, Otto zur Lippe, war nicht Bischof, sondern Dompropst und Chorbischof in Köln. In diesen Funktionen ist er etwa seit dem Tod seiner Eltern 1360/61 bis zum September 1387 in den Urkunden nachweisbar; sein Todesdatum liegt vor dem 19. Mai 1388.9) Da er in der Inschrift als verstorben genannt ist, stellt das mit der kunsthistorischen Einordnung der Tumbenfiguren korrespondierende Jahr 1387 den Terminus post quem für die Entstehung der Tumbenplatte dar. Heinrich zur Lippe wird als der Bruder des Edelherrn Otto und Schwager Ermgards identifiziert. Der in der Inschriftenüberlieferung bei Grupen ebenfalls als Bischof Bezeichnete ist in Minden ab 1305 als Domherr und von 1322 bis 1333 als Dompropst nachweisbar, außerdem fungierte er seit 1316 in Münster als Domherr, seit 1319 als Scholaster. Sein Tod fällt in die Zeit zwischen 1333 und 1338.10) Wenig berücksichtigt hat man bei der Bewertung der falschen Angaben zu den beiden Kanonikern den Umstand, daß die Inschrift lediglich in einer kopialen Überlieferung vorliegt und zur Zeit ihrer Aufzeichnung im 18. Jahrhundert bereits teilweise zerstört war. Es ist somit keineswegs gesichert, daß Grupen die Inschrift tatsächlich zuverlässig wiedergegeben hat. Möglich wäre beispielsweise, daß er in dem mit vielen Kürzungen versehenen Text irrtümlich episcopus anstelle von canonicus oder im Fall Ottos choriepiscopus gelesen hat. Die inhaltlichen Fehler müssen somit nicht auf das Original zurückgehen.
Eine andere Frage, die das Grabdenkmal aufwirft, betrifft dessen Bestimmung. In den neueren Publikationen gilt es als Tumba für den Edelherrn Otto zur Lippe und seine Gemahlin Ermgard.11) Auffällig ist vor allem, daß die beiden Wappen zu Füßen der Ehefrau angebracht sind, während sich zu Füßen des Mannes ursprünglich nur eine Löwenfigur befand. Hinzu kommt, daß sich die Inschrift lediglich auf die Ehefrau sowie auf einen Sohn des Ehepaars und möglicherweise auf den Bruder des Ehemanns bezieht. Dies könnte jedoch auf den Zufall der Überlieferung zurückzuführen sein, da Grupen keine Angaben über den Umfang des zerstörten Inschriftenteils macht und die stark mit Kürzungen versehene überlieferte Inschrift nicht so viel Platz in Anspruch nahm, daß nicht auch noch eine Grabbezeugung für den Ehemann auf dem Tumbendeckel Platz gefunden hätte.12) Zumindest durch die Anbringung der Wappen ist die Figur Ermgards jedoch in den Mittelpunkt des Grabdenkmals gerückt. Dies durch mangelndes Ansehen ihres Gemahls zu erklären, wie Gaul es tut,13) ist abwegig und mittelalterlichem Denken fremd. Vielmehr scheint die Anordnung der Wappen Lippe und Mark – ebenso wie die Inschrift, wenn sie denn einigermaßen vollständig überliefert wäre – darauf hinzudeuten, daß die Tumba lediglich für Ermgard von der Mark bestimmt war. Auffallend ist auch, daß die Spange der Ermgard mit den Initialen des Ehepaars versehen ist, obwohl auch die Tasseln, die den Mantel Ottos zusammenhalten, Platz für die Anbringung von dessen Initiale geboten hätten. Auch dies rückt die Figur der Ermgard in den Mittelpunkt, so daß zu fragen ist, ob das Grabdenkmal tatsächlich auch für Otto bestimmt war.
Aus der bei Grupen überlieferten Inschrift, der Anbringung der beiden Grabfiguren auf dem Tumbendeckel und den großen Baumaßnahmen in St. Marien im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts hat man geschlossen, daß Otto zur Lippe die Marienkirche in Lemgo zur Grablege seiner Familie ausbauen ließ, nachdem durch die Landesteilung die bisherige Grablege der Edelherren in der Klosterkirche Marienfeld dem Herrschaftsbereich seines Bruders Bernhard zugefallen war.14) Auch wenn dies der Plan war, so wäre es durchaus möglich, daß Otto gar nicht in St. Marien beigesetzt worden ist, weil die möglicherweise erst 1359 begonnenen Bauarbeiten15) in der Kirche zum Zeitpunkt seines Todes 1360 noch in vollem Gange waren. Dies würde allerdings mit einiger Wahrscheinlichkeit auch für seine nur ein Jahr später verstorbene Gemahlin gelten. Gegen eine solche Annahme sprechen allerdings die beiden 1965 entdeckten Gräber in der Mitte des Chorquadrats – jedenfalls wenn man davon ausgeht, daß es sich dabei um die Gräber für Otto und Ermgard handelt. Die zentrale Lage läßt eindeutig auf eine Stiftergrablege schließen. Nun lagen die Gräber jedoch unterhalb des alten Fußbodenniveaus, das noch vor den Baumaßnahmen zur Errichtung des Südchores um etwa einen halben Meter angehoben wurde. Die Fundamente des Südchores weisen dementsprechend eine deutlich geringere Tiefe auf als die älteren Fundamente.16) Die Bauperiode, in der der Südchor und der Ostturm errichtet wurden, wird jedoch anhand der Wappen am Ostturm, die eindeutig auf Otto zur Lippe zu beziehen sind,17) auf die Zeit unmittelbar vor seinem Tod 1360 datiert. Das hätte jedoch zur Konsequenz, daß das Fußbodenniveau beim Tode Ottos bereits angehoben war und daß die 1965 freigelegten Gräber nicht diejenigen Ottos und seiner Gemahlin Ermgard sein könnten. Über die zu der Tumba gehörige Grablege wäre demnach nichts bekannt.
Zu fragen ist auch, was es mit der inschriftlichen Erwähnung Heinrichs und Ottos zur Lippe auf sich hat. Die Möglichkeit, daß der inschriftlich genannte Sohn Otto und der Schwager Heinrich testamentarisch die Errichtung eines Grabdenkmals für Ermgard von der Mark verfügten, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil Heinrich nur bis zum Jahr 1333 nachweisbar ist, während der Kölner Dompropst Otto zur Lippe erst 1387/88 starb. Da der Name Otto – wohl ebenso wie der kopial überlieferte Name Heinrich – im Nominativ erscheint, ist nicht davon auszugehen, daß die beiden nur erwähnt wurden, um die vornehme Verwandtschaft zu betonen, wie Böhm annimmt.18) Im Fall eines Landesherrn und seiner Gemahlin dürfte sich dies ohnehin erübrigen. Aus welchem Grund die beiden Kanoniker, die vermutlich in ihren Domkirchen beigesetzt wurden, hier genannt sind, muß offenbleiben. Gewisse Zweifel bleiben angesichts der fragmentarischen Überlieferung auch, ob es sich bei dem inschriftlich erwähnten Heinrich tatsächlich um den Bruder des Edelherrn Otto gehandelt hat, und nicht um eine ganz andere Person, deren Name und Titel zur Zeit Grupens schon bis zur Unkenntlichkeit zerstört waren.