Inschriftenkatalog: Landkreis Weissenfels

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 62: Weißenfels (Landkreis) (2005)

Nr. 200† Weißenfels, Klosterkirche † 3. Drittel 16. Jh. (?)

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Pergament mit Gedächtnisinschrift und Autorvermerk (?), in der Kirche unter der um 1300 entstandenen, den Markgrafen von Landsberg, Friedrich Tuta, darstellenden Holzskulptur angebracht. Um 1700 schon stark beschädigt,1) zu einem unbekannten Zeitpunkt verlorengegangen. Obwohl im engeren Sinne keine Inschrift,2) wird der Text hier doch ediert, weil er an einen bestimmten Ort und ein bestimmtes Objekt gebunden und zur dauerhaften öffentlichen Ausstellung gedacht war. Er weist damit einige jener typischen Eigenschaften auf, die Inschriften von anderen Schriftzeugnissen unterscheiden.

Nach Akte im Stadtarchiv Weißenfels.3)

  1. Qualis in hac statua generosa videtur imago,FRIDRICUSa) vivo corpore talis erat.Quem tulit ex Helena Didrichusb) coniuge natumMarchio, ab Heinrico Caesare patre satus.Illius imperio latis Landsbergia campisParuit, (et)c) celso Misnia natad) polo,Inferiorque fovens veterem Lusatia gentemVandalico dantem jam sua verba sono.Et quamvis genitor bello fortissimus herosPromeruit laudes Martis honore suas:Attamen hinc major FRIDERICO gloria partae) est,Quod mitis placidae pacis amore fuit.Quodque Pius studuit populis servare futuris,Caelitus exhibitum relligionisf) opus.Hoc ideo templum, coniunctaque moenia ClaustriSumptibus in nostra condidit urbe suis.Ante quidem sacrae fundamina jecerat aedis,Qua stant NICOLAI parvula Fana parens.Sed postquam interno flagravit concita belloMisnia sanguineis praeda petita viris.Non etiam Claustro tum vis inimicae pepercit,Virgineique gregis gratia nulla fuit.Ergo intra muros magno molimine natusTranstulit afflictae diruta tecta domus.Ut sacrae turbae munitius esset asylum,Votaque sic summo redderet ista DEO.Tandem cum justae vixisset tempora vitaeExanimes adijt,g) morte solutus, avos.h)Et prope maternum sunt condita membra sepulchrumMaxima, qua medium respicit ara chorum.Summe DEUS, flectis qui solus pectora RegumArbitrio, ut fiant organa grata tuo.Instilla similem vetaei) pietatis amorem,Principibus quos nunc secula nostra ferunt.Ante alios moderare DUCES, semperque gubernaHos qui Saxoniae tradita frenaj) tenent.Ut tua conservent constanter dogmata verbi.Justitiam falsi pectore (et)c) ore fidem.Atque hos virtutum splendor majoribus aequet,Et superent Atavos in pietate suos.Obijtk) MARCHIO FRIDERICUS circa / annum Christi M. CCC. IIII. M(agister) P(eter)l) Hornm) f(ecit)

Übersetzung:

Wie in dieser Skulptur das edle Abbild erscheint, so beschaffen war Friedrich bei lebendigem Leibe. Diesen brachte Markgraf Dietrich, gezeugt von seinem Vater, dem Kaiser Heinrich, mit der Gemahlin Helena hervor. Dessen Herrschaft beugte sich Landsberg in seinen weiten Gefilden und das aus dem erhabenen Himmel geborene Meißen sowie die Niederlausitz, die Herberge eines alten Volkes, das seine Worte schon mit wildem Klang hervorbringt. Aber wie sehr auch der Vater – ein überaus tapferer Held im Kriege – sein Lob durch die Ehre des Mars verdiente: so ist doch Friedrich daraufhin größerer Ruhm zuteil geworden, weil er von der Liebe zum milden und sanftmütigen Frieden durchdrungen war und weil der Fromme danach strebte, den vom Himmel offenbarten Glauben künftigen Völkern zu bewahren. Deshalb hat er diese Kirche und die angefügte Klostermauer in unserer Stadt durch eigene Aufwendungen gegründet. Zuvor hatte freilich der Vater die Fundamente des Gotteshauses da gelegt, wo das kleine Heiligtum des Nikolaus steht. Nachdem aber das aufgebrachte Meißen – von blutsverwandten Männern als Beute erstrebt – im Bürgerkrieg entbrannt war, die feindliche Macht damals auch nicht das Kloster verschonte, und es keine Gnade für die jungfräuliche Herde gegeben hatte, versetzte also der Sohn die abgerissenen Gebäudezüge des beschädigten (Gottes-)Hauses unter großen Anstrengungen in die Stadtmauer hinein, damit die gottgeweihte Schar eine befestigtere Heimstatt habe. Und so löste er dem höchsten Gott seine Gelübde ein. Als er schließlich die Frist seines gerechten Lebens hinter sich gebracht hatte, schloß er sich, durch den Tod erlöst, seinen entseelten Vorfahren an. Aber seine Gebeine sind nah am mütterlichen Grab, wo der Hochaltar auf die Mitte des Chores verweist, begraben worden. Höchster Gott, der du allein die Herzen der Könige lenkst, so daß sie nach deinem Willen zu gefälligen Werkzeugen werden, flöße den Fürsten, die unsere Welt derzeit hervorbringt, eine ähnliche Liebe zur alten Frömmigkeit ein. Vor anderen mäßige und leite immer die Fürsten, die die überantworteten Zügel für Sachsen halten, damit sie beständig deine Gebote, Gerechtigkeit gegenüber dem falschen Wort sowie den Glauben im Herzen und Mund bewahren. Und möge der Glanz der Tugenden diese ihren Vorfahren ebenbürtig machen und mögen sie ihre Ahnen an Frömmigkeit noch übertreffen. Markgraf Friedrich starb um das Jahr Christi 1304. Magister Peter Horn hat es verfaßt.

Versmaß: Elegische Distichen (Zeile 1 bis 40).

Kommentar

Die Punkte am Zeilenende sind mitunter auf die Zeilenmitte gesetzt. In der letzten Zeile stehen Punkte auf der Mittellinie als Kürzungszeichen. Die Zeichensetzung der Kopisten weicht deutlich voneinander ab.

Friedrich Tuta (1269–1291) war der einzige Sohn Markgraf Dietrichs von Landsberg und Helenas von Brandenburg. Nach dem Tod seines Vaters 1285 trat er das Erbe der Mark Landsberg an, die sein Großvater, Heinrich der Erlauchte, schon zu Lebzeiten seinem Sohn, Dietrich dem Weisen, als Erbteil übertragen hatte. Unter Heinrich hatte der wettinische Herrschaftsbereich seine bis dahin größte Ausdehnung erlangt. Heinrich – und nicht Dietrich, wie die Inschrift vermuten läßt – herrschte über die Marken Landsberg, Meißen und Niederlausitz.4) Trotz der Bedeutung Heinrichs für die mitteldeutsche Landes- und deutsche Reichsgeschichte ist seine Titulierung als Caesar, Kaiser, eine panegyrische Übertreibung. Doch trägt auch die Würdigung Dietrichs als Kriegsheld und Friedrich Tutas als Friedensheld topischen Charakter, denn es hat sich weder der Vater durch besonderes Kriegsgeschick, noch der Sohn durch besondere Friedfertigkeit ausgezeichnet. Obwohl noch jung an Jahren, gelang es Friedrich Tuta mit diplomatischem und militärischem Können, einen erheblichen Teil der Hinterlassenschaft seines 1288 verstorbenen Großvaters den Miterben abzunehmen und mit der Markgrafschaft Meißen belehnt zu werden.5)

Die Umstände der Gründung und Verlegung des Weißenfelser Klarissenklosters sind in vorliegender Inschrift ziemlich genau wiedergegeben. Das Kloster war von Dietrich 1284 an der vorstädtischen Nikolaikirche gegründet, von Friedrich Tuta gefördert und wegen seiner ungeschützten Lage 1301 in die ummauerte Stadt verlegt worden. Es ist aber nicht zweifelsfrei überliefert, daß die Verlegung und die Erwerbung oder Übereignung des innerstädtischen Grundstücks von Friedrich veranlaßt worden sei.6)

Der jung verstorbene Friedrich Tuta, der schon im 14. Jh. als „fundator“, Stifter, gewürdigt wurde, war zuerst in der Nikolaikirche bestattet worden, wie es ihm als Stifter zukam. Nach dem Tod seiner Mutter 1304 wurden seine Gebeine exhumiert und im Chor der neuen Klosterkirche an der Seite seiner Mutter beigesetzt.7) Das Jahr der Umbettung wird hier irrtümlich als Todesjahr tradiert.

Die Grabstätte Friedrich Tutas war vermutlich tumbenartig erhöht und mit der noch heute erhaltenen Holzskulptur als Liegefigur geschmückt.8) Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde die Schnitzplastik aufgenommen und an der Wand angebracht. Wahrscheinlich ging damit eine Vereinfachung (Einebnung?) der Grabanlage einher, so daß ihre genaue Lage in Vergessenheit geriet und erst durch Grabungen, die die letzte Äbtissin Margaretha von Watzdorf 1561 veranlaßt hatte, ermittelt werden mußte.9)

Die neuerliche Beisetzung der Gebeine Friedrich Tutas und die neuerliche Auszeichnung seines Grabes durch einen „Leichenstein“ könnten Anlaß für die Anfertigung der Inschrift gegeben haben. Sie böten einen terminus post quem für die Datierung der Inschrift. Wann aber innerhalb der folgenden drei bis vier Jahrzehnte, die zugleich die Hauptschaffenszeit des Autors der Inschrift, des Schulrektors und Ratsverwandten Magister Peter Horn waren,10) der Text entstand, läßt sich nicht mit letzter Gewißheit sagen. Peter Horn war von 1566 (oder 1567) bis 1576 Rektor der Stadtschule von Weißenfels und könnte in dieser Funktion den Auftrag erhalten haben, die vorliegende Gedächtnisinschrift zu verfassen – wenn es sich nicht gar um eine Stiftung seiner selbst handelte. Der Autorvermerk im Manuskript wurde zwar nachträglich hinzugesetzt, doch kann an der Urheberschaft Peter Horns kein Zweifel bestehen. Als Verfasser (und Stifter?) der Inschrift wird er vom Kopisten Johann Vulpius und einem anderen Autor des 18. Jh. bezeugt.11) Da der Autorvermerk aber bei Vulpius nicht in vorliegender Form überliefert ist, bleibt offen, ob er tatsächlich Teil der Inschrift war.

Die der Edition zugrundeliegende Handschrift, die außer zwei weiteren Inschriften historische Notizen mit Literaturverweisen enthält, ist, eine einheitliche Entstehung vorausgesetzt, anhand der zitierten und Ende des 16. bzw. Anfang des 17. Jh. erschienenen Werke in das erste oder zweite Jahrzehnt des 17. Jh. zu datieren.12)

Textkritischer Apparat

  1. FRIDRICUS] Sic! Wohl dem Versmaß angepaßt.
  2. Didrichus] Sic! Wohl dem Versmaß angepaßt.
  3. et] In Akte et-Ligatur.
  4. nata] nota Vulpius.
  5. parta] partia Vulpius.
  6. relligionis] Sic!
  7. adijt] i und j auch als γ mit zwei überschriebenen Punkten lesbar.
  8. avos] avus Vulpius.
  9. vetae] Für veteris.
  10. frena] strena Vulpius.
  11. Obijt] i und j auch als γ mit zwei überschriebenen Punkten lesbar.
  12. Magister Peter] Beide Initialen in Nexus litterarum geschrieben.
  13. Horn] Danach ein Punkt auf der Mittellinie (Kürzungszeichen?).

Anmerkungen

  1. Vulpius, Teil 3, 1, S. 15.
  2. Vgl. Kloos 1992, S. 2.
  3. Die letzten drei Zeilen sind von Zeile zu Zeile zunehmend nach rechts eingerückt; die letzte ist außerdem durch einen größeren Zeilenabstand abgesetzt. Die Textgestaltung der Abschrift erlaubt aber keine Rückschlüsse auf die Textgestaltung am Original. Die Übersetzung besorgte dankenswerterweise Dr. Ilas Bartusch, Heidelberg.
  4. Das alte Volk, das in der Niederlausitz beheimatet war und seine Worte mit wildem Klang hervorbrachte, waren die Sorben.
  5. Zur Geschichte der Landsberger Linie des Hauses Wettin vgl. Einleitung, S. XVII f., XXIV f.
  6. Zur Geschichte des Klarissenklosters vgl. Einleitung, S. XVI und Nr. 9.
  7. Opel 1867, S. 400–402.
  8. Die Rückseite der um 1300 entstandenen Figur ist ausgehöhlt und abgeflacht, so daß sie wie vergleichbare Schnitzplastiken derselben Zeit als Tumbenfigur gedient haben kann. Da die Figur einen Wappenschild hält und Wappenbild und Tingierung erkennbar sind (auf Gold ein schwarzer Löwe), ist die Identifizierung des Dargestellten als Markgraf von Meißen, mithin Friedrich Tuta, der als einziger Markgraf in der Weißenfelser Klosterkirche beigesetzt wurde, gesichert. Dazu vgl. Bach 1970 und Brandl 2001.
  9. Margaretha von Watzdorf 1863, S. 122 f.
  10. Zu Peter Horn vgl. Nr. 213.
  11. Vulpius, Teil 3, 1, S. 15: „so M. P. H. soll gemacht haben.“ Eindeutiger: Rüdiger 1724, S. 330 (Anm. x): „Allwo ihm nur M. Peter Horn, Bürgermeister daselbst, ein Epitaphium gemacht.“
  12. Zu diesem Aktenfaszikel vgl. Einleitung, S. XLII f.

Nachweise

  1. Stadtarchiv Weißenfels AI 3744, fol. 39 v.
  2. Vulpius, Teil 3, 1, S. 15 f. (die letzte Zeile paraphrasiert).
Addenda & Corrigenda (Stand: 21. Mai 2014):

Übersetzung:

[…] Diesen brachte Markgraf Dietrich, gezeugt von seinem Vater, dem Caesar Heinrich, mit der Gemahlin Helena hervor. […].

(Kürzung d. Red.)

Zitierhinweis:
DI 62, Weißenfels (Landkreis), Nr. 200† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di062l001k0020000.