Inschriftenkatalog: Landkreis Weissenfels

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 62: Weißenfels (Landkreis) (2005)

Nr. 186 Großkorbetha, St. Martini 1593

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Glocke von 27 Zentner Gewicht,1) partiell korrodiert. Die Außenseite der Kronenbügel von kräftigen Taustäben eingefaßt und mit bärtigen Masken und Beschlagwerk dekoriert. Auf der Haube ein Stegpaar; an der Schulter eine zweizeilige Inschrift mit Funktionsangabe und Gießervermerk als Glockenrede sowie Namen und Jahreszahl (A), eingefaßt von drei Stegpaaren und zwei breiten Rankenfriesen. Der obere Rankenfries mit Masken und springenden Tieren (Hirsche, Hunde) 4 cm breit, der untere, Blüten einschließende 5 cm breit. Auf der Flanke ein Kruzifix mit unbeschriftetem Kreuztitulus und der Taube des Heiligen Geistes (H.: 33,5 cm). Darüber der hebräische Gottesname (B). Drei Stege am Wolm und zwei Stegpaare am äußeren Rand; zwischen letzteren Namen (C). Der nicht lesbare Anfang der Inschrift unter dem Kruzifix plaziert. Nach dem fünften und dem siebenten Wort (bzw. Namen) je ein Medaillon (D.: 2,5 cm), dessen Motiv nicht deutlich erkennbar ist. Sämtliche Buchstaben erhaben. Der äußere Rand unter C nochmals abgestuft.

Maße: H. (m. Kr.): ca. 120 cm; D.: 127 cm; Bu.: 2–2,4 cm (A, C), 4 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis, hebräische Schriftzeichen.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. A

    IN GROSSEN KORBETHAWa) HANG ICH ·MEINEN KLANCKb) GEBE ICH ·ALLEN CHRISTEN RVFF ICH ·MELCHIOR VND GRONIMVSc) MOERINCKd) GOSSEN MICH ·IN ERFFVRTe) / M(AGISTER) · GEORGE LISTENIVSSVPERINTENDENTENS ZV WISSENFELS · M(AGISTER) · IOHANNTRYLLER AMBTSVOGT · ALEXANDER MEVSEL PFARHER · ANNO · M · D · XCIII

  2. B

    יְהוָה

  3. C

    [- - -]f) PETER HARDTMAN · THOMAS LANGKROGK ALTARLVTEg) BLASIVS LANGKROGKh) · BLASIVS IHAN · IOHAN · CIRIACVS ·GARSTEWITZ GEVETTERN ·

Übersetzung:

B Jahwe

Versmaß: Deutsche Reimverse (Zeile 1 bis 4 in A).

Kommentar

Die Inschriften weisen durchgängig altertümliche Schriftmerkmale auf: A mit geknicktem Balken; Ausbuchtungen am Balken des H und am Schrägbalken von N und Z. Die obere Schräghaste des K ist nach außen gebogen, die untere wie die Cauda des R geschwungen. Das leicht nach rechts geneigte M hat einen bis zur Mittellinie reichenden Mittelteil und geneigte Hasten. Haar- und Schattenstriche wurden bestenfalls andeutungsweise differenziert. Sämtliche Balken- und Bogenendungen sind keilförmig verbreitert. In Inschrift A stehen punktförmige Worttrenner auf der Mittellinie. Die erste Zeile von A beschließt ein kopfstehendes Lilienornament, am Ende der zweiten Zeile finden sich drei aufrechte bzw. nach rechts gestürzte Lilienornamente. Dasselbe Ornament dient als Worttrenner in Inschrift C; unmittelbar vor und nach dem dritten Namen stehen außerdem Medaillons mit Kreuz. Dasselbe Lilienornament und wohl auch dieselben Rankenfriese wurden für die 1596 gegossene Glocke in Unternessa verwendet;2) dieselben Schriftformen tauchen an allen Glocken der Mörings im Bearbeitungsgebiet bis 1602 auf und scheinen überhaupt bis dahin die gebräuchliche Schriftform der Werkstatt gewesen zu sein.3)

Die Verwendung altertümlicher Schriftformen geht möglicherweise auf eine noch nicht erfaßte Werkstatttradition zurück, die in der Jahrhundertmitte oder gar in der ersten Jahrhunderthälfte begonnen haben könnte. Auf eine lange Gießertradition verweist auch ein Madonnenrelief, das einem Kupferstich Albrecht Dürers nachgebildet und noch an mehreren Glocken der Mörings zwischen 1596 und 1600 angebracht wurde.4) Während sich aber auf den im letzten Viertel des 16. Jh. gegossenen Glocken altertümlicher und zeitgemäßer Zierat vermischten, wurden strengere, klassischere Schriftformen erst zwischen 1602 und 1605 von der Möring-Werkstatt eingeführt.5)

Melchior Möring war offensichtlich der bedeutendste Meister der erstmals 1566 faßbaren und noch 1633 tätigen Erfurter Bronzegießerei gewesen. Allein zehn der im Bearbeitungsgebiet nachgewiesenen vierzehn Glocken der Werkstatt nennen ihn allein als Gießer. Er ist früher und weitaus häufiger nachweisbar als sein mutmaßlicher Bruder Hieronymus.6) Die Glocke in Großkorbetha scheint die älteste erhaltene zu sein, die sie gemeinsam zeichneten. Melchior kam in Erfurt zu beachtlichem Wohlstand und verlegte dennoch in den dreißiger Jahren des 17. Jh. die Gießerei in die gräflichschwarzburgische Residenzstadt Rudolstadt. Hieronymus, der ebenfalls in Rudolstadt tätig geworden war, starb 1636 und wurde in Erfurt beigesetzt. Das Todesjahr und der Begräbnisort Melchiors sind unbekannt.7) Außer Glocken goß die Werkstatt auch Teile für Grabplatten und Epitaphien sowie Geschütze. Aufträge ergingen aus Thüringen, aus dem heutigen Sachsen-Anhalt und aus Franken.8) Zwei weitere, 1617 für Großkorbetha gegossene Glocken der Mörings sind bereits 1731 und 1830 umgegossen worden.9) Der Glockenspruch in Inschrift A ist einer der am häufigsten verwendeten der Möring-Werkstatt.

Georg Lysthenius (1532–1596) war von 1587 bis zu seinem Tode Superintendent in Weißenfels.10) Magister Johann Tryller stammte aus Eisfeld (Südthüringen), wurde 1562 in Jena und 1563 in Wittenberg immatrikuliert, stand von 1587 bis 1596 dem Amt Weißenfels vor und erwarb dort nach Beendigung seiner Amtszeit 1596 das Bürgerrecht.11) Alexander Meusel, auch Musculus genannt, kam aus Auerbach (Vogtland?), wurde 1562 in Leipzig immatrikuliert und wirkte als Pfarrer in Großkorbetha von 1565 bis 1611.12) Über die Altarleute und die GEVETTERN ist nichts bekannt. Die Nennung regionaler Amtsträger in einer Glockeninschrift ist ungewöhnlich.

Textkritischer Apparat

  1. KORBETHAW] Korbetha BKD Prov. Sachsen 3.
  2. KLANCK] Klang BKD Prov. Sachsen 3.
  3. GRONIMVS] Sic! Für Hieronymus. Geronimus BKD Prov. Sachsen 3.
  4. MOERINCK] Möhringk BKD Prov. Sachsen 3.
  5. ERFFVRT] Erfurdt BKD Prov. Sachsen 3.
  6. [- - -] Hebräische Schriftzeichen, die sich wegen relativ starker Korrosion und eingeschränkter Zugänglichkeit – sie werden vom Ständer des Glockenjochs verdeckt – weder bestimmen noch fotografieren, abreiben oder abformen ließen.
  7. ALTARLVTE] Danach ein Medaillon.
  8. LANGKROGK] Danach ein Medaillon.

Anmerkungen

  1. Heydenreich 1840, S. 234.
  2. Vgl. Nr. 193.
  3. Vgl. Nr. 192, 193, 211 und DI 6 (Naumburg 1), 7 (Naumburg 2), 39 (Lkr. Jena).
  4. Schilling 1988, S. 233, 336. Es handelt sich um eine Maria im Strahlenkranz, um 1498/1500 gestochen (Knappe 1964, Nr. 27; Hütt 1971, S. 1883).
  5. Vgl. Nr. 217 und die Abzeichnung auf S. LII.
  6. Dasselbe Bild ergibt sich auch bei einer Zusammenstellung der Möring-Glocken, die in Thüringen erhalten und bei Dehio, Thüringen 1998 verzeichnet sind und die im Landkreis Haßberge in Bayern für das deutsche Inschriftenwerk erfaßt wurden (DI 17, Haßberge).
  7. Obwohl allein im Freistaat Thüringen mindestens 36 Glocken der Gießerfamilie Möring erhalten sind (Dehio, Thüringen 1998), fehlt bis heute eine wissenschaftlich fundierte Gesamtdarstellung ihres Schaffens. Zusammenfassende Bemerkungen zu den Glocken der Mörings, die im wesentlichen auf den Angaben der Denkmalinventare beruhen, finden sich bei: Otte 1884, S. 203; Bergner 1899, S. 148; Bergner 1900, S. 226 f.; Walter 1913, S. 822 f.; Thieme/Becker 25, 1931, S. 1. Der angeblich früheste Nachweis zweier Glocken Hans Mörings aus dem Jahre 1526 wurde schon von Heinrich Bergner in Zweifel gezogen (vgl. DI 9, Naumburg 3, Nr. 424, 425). Die eng mit Rudolstadt verbundene späte Schaffenszeit von Melchior und Hieronymus Möring beschäftigt besonders Berthold Rein (1934, S. 167-169). Weitere biographische Fakten ermittelte Augustin Jungwirth (1940, S. 11–14, 45 f.).
  8. Vgl. DI 6 (Naumburg 1), Nr. 129; DI 17 (Haßberge); DI 39 (Lkr. Jena), Nr. 213; Schmidt 1987, S. 201–207; Bornschein 1997, S. 33.
  9. Heydenreich 1840, S. 235.
  10. Zur Biographie des Georg Lysthenius vgl. Nr. 194.
  11. Matrikel Jena, S. 337; Matrikel Wittenberg 2, S. 53; Bürgerbuch, S. 13. Bei Thielitz, Amtshauptleute, o. S. wird er als Sohn des Dresdner Landrentmeisters Caspar Tryller bezeichnet, was vermutlich auf einer Verwechslung beruht. Ein „Joh(annes) Triller Dresden(sis)“ erwarb 1591 in Leipzig den Magistergrad (Matrikel Leipzig 4, S. 473). Nach Sturm 1846, S. 218 wirkte Tryller nur bis 1595 als Amtsvogt zu Weißenfels. Vgl. a. Nr. 187.
  12. Matrikel Leipzig 4, S. 292; Dietmann 3, 1754, S. 1014; Heydenreich 1840, S. 239.

Nachweise

  1. Dietmann 3, 1754, S. 1012 (nur A und – unvollständig – C in einer zeitgenössischen Gepflogenheiten angepaßten Schreibweise).
  2. Heydenreich 1840, S. 234 f. (nur A und – unvollständig – C in einer zeitgenössischen Gepflogenheiten angepaßten Schreibweise).
  3. BKD Prov. Sachsen 3, S. 7 (nur die erste Zeile von A).
  4. Großkorbetha 1981, o. S. (nur A und C nach Heydenreich).
Addenda & Corrigenda (Stand: 21. Mai 2014):

Kommentar Georg Lysthenius (1531–1596) war von 1587 bis zu seinem Tode Superintendent in Weißenfels.

Zitierhinweis:
DI 62, Weißenfels (Landkreis), Nr. 186 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di062l001k0018605.