Inschriftenkatalog: Landkreis Weissenfels

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 62: Weißenfels (Landkreis) (2005)

Nr. 95 Kistritz, Kirche um 1510/15

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Geschnitztes und gemaltes Altarretabel mit bemalter Predella, darauf die Evangelisten1) in halbfigürlicher Darstellung, einander paarweise zugewandt. Ihre Namen in schwarzer Farbe auf weißen, kunstvoll verschlungenen Spruchbändern, die die freien Flächen zwischen und über ihnen ausfüllen. Bei drei der Evangelisten ihre Symbole; der vierte Evangelist, Matthäus, mit Engelsflügeln in hellem Gewand. Im Mittelschrein des Retabels die Schnitzfiguren der Maria mit Kind und die Märtyrer Stephanus und Laurentius (?); auf den Flügelinnenseiten je sechs geschnitzte Heiligenfiguren in zwei Registern (zwölf der vierzehn Nothelfer). Auf den bemalten Außenseiten der Flügel Johannes der Täufer und der hl. Nikolaus jeweils vor Landschaftshintergrund. Außerdem noch drei geschnitzte Gesprengefiguren und Reste des Gesprenges erhalten. Das gesamte Retabel 1963 restauriert.2)

Maße: H.: 175 cm; B.: 291,5 cm; Bu.: 2–3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/4]

  1. · s(anctvs) · lvcas · // · s(anctvs) · mathevs · // · s(anctvs) · marcvs · // · s(anctvs) · Johannes ·

Kommentar

Der J-Versal hat einen geschwungenen, schwellenden Schaft und Balken. Die Bögen des runden s weisen keine Brechung, aber eine Schwellung auf. Zierstriche sind zu einem dem s überschriebenen schrägrechten Strich zusammengezogen. Über dem v steht ein Häkchen. Als Worttrenner dienen Quadrangel; Kürzungszeichen fehlen.

Die Figuren des Mittelschreins haben einen länglichen Gesichtsumriss mit scharf umrissenem harten Kinn sowie fein modellierte und differenzierte Gesichtszüge mit mandelförmigen, leicht schrägliegenden Augen. Der asketische Habitus von Stephanus und Laurentius charakterisiert sie wohl als Märtyrer. Kränze aus üppigen Haarbüscheln umschließen ihre Häupter. Vor allem die Kopftypen rücken die Figuren des Mittelschreins in die Nähe des zwischen 1500 und 1520 in Obersachsen tätigen Monogrammisten HW (= Hans Witten?),3) der seit etwa 1510 seinen Skulpturen diese charakteristische Haarform gab. Die Gewandgestaltung ist im Gegensatz zu den bedeutenderen Altarretabeln des Monogrammisten HW in Ehrenfriedersdorf (um bzw. nach 1507) und Borna (1511/12) zwar vereinfacht und schematisiert, weist aber dennoch charakteristische Falten- und Gewandsaumformen auf (z. B. den zickzackförmig gebrochenen Faltenlauf des Mantels auf den Oberschenkeln der Gottesmutter). Am Kistritzer Retabel hat der Hauptmeister selbst wohl kaum mehr getan, als die Figuren des Mittelschreins anzulegen und die Köpfe auszuarbeiten.4) Im Vergleich mit anderen Hauptwerken sind gerade die Hände der Figuren des Mittelschreins recht plump gemacht. Auch die Schnitzarbeiten für die Flügel des Retabels wurden wohl der Werkstatt überlassen, wie es auch für den Bornaer Altar vermutet wird.5) Sie weisen zwar einzelne Stilmerkmale des Monogrammisten HW auf, sind aber weit weniger kunstvoll als die Figuren des Mittelschreins, denen ein verhaltener S-Schwung einen höfisch-eleganten Ausdruck verleiht.

Datiert wurde das Altarretabel in Kistritz nach dem ersten Auftreten der charakteristischen Haarbüschelung um 1510 und einer Verschmälerung des Gesichtsumrisses, wie es bei einigen der folgenden Werke des Monogrammisten HW beobachtet wurde.6)

Anmerkungen

  1. Mitnichten die Kirchenväter, wie bei Sommer 1869, S. 405 und BKD Prov. Sachsen 3, S. 30 f.
  2. Denkmale 1983, S. 499.
  3. Hünicken/von der Osten 1936, S. 75–87; Thieme/Becker 38, 1947, S. 131–133; LdK 7, 1994, S. 818 f. Grundlegend zum Werk des Monogrammisten HW: Hentschel 1938. Dessen Identität mit dem Bildschnitzer Hans Witten ist umstritten (vgl. Stuhr 1985).
  4. Hentschel (1938, S. 140) vermutet sogar, daß das Retabel nicht vom Monogrammisten HW selbst, sondern nur von einem an dessen Werk geschulten Bildschnitzer gefertigt worden ist.
  5. Hentschel 1938, S. 86; Fründt 1975, S. 51; Stuhr 1985, S. 50 f.
  6. Hentschel 1938, S. 78; Stuhr 1985, S. 53.
Addenda & Corrigenda (Stand: 26. März 2014):

Wie jüngste Forschungen ergaben, stand das Altarwerk ursprünglich im Naumburger Dom und ist erst 1693 nach Kistritz geschenkt worden. Seit 2006 ist es als Leihgabe im sogenannten Domschatzgewölbe des Naumburger Domes ausgestellt; s. Der Naumburger Domschatz. Sakrale Kostbarkeiten im Domschatzgewölbe, hg. von Holger Kunde (Kleine Schriften der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz 3), Petersberg 2006, S. 121–125, Nr. I.17 (Mathias Köhler).

Zitierhinweis:
DI 62, Weißenfels (Landkreis), Nr. 95 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di062l001k0009507.