Inschriftenkatalog: Landkreis Weissenfels

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 62: Weißenfels (Landkreis) (2005)

Nr. 86 Untergreißlau, St. Georgii 1507

Beschreibung

Glocke mit Schlagton gis’- 1/16 von etwa 550 kg Gewicht aus der Kirche St. Cyriaci in Obergreißlau.1) Die Ecken des Mittelöhrs sind als Grate ausgezogen und als Kreuze auf die Platte gelegt. Auf der Haube zwei Stege. An der Schulter, zwischen zwei Stegpaaren der Name Mariens, der Anfang eines Gebets und eine Jahresangabe aus erhabenen Buchstaben; am unteren Stegpaar sechs einzelne Weinblätter. Den Anfang der Inschrift bezeichnet ein Kruzifixus (H.: 6,5 cm); innerhalb der Inschrift befinden sich ein Wappen (H.: 7 cm) und der Abdruck eines Pilgerzeichens (H.: 4,7 cm). Die Arme des Kruzifixus sind leicht emporgezogen, das Kreuz fehlt. Das Pilgerzeichen besteht aus einem Gehäuse mit krabbenbesetztem Giebel, das Maria mit Kind und zu ihren Füßen zwei separierte Felder mit zwei Wappenschilden (?) umschließt.2) Die Wappenbilder und eine darunter liegende Schriftzeile sind nicht identifizierbar bzw. lesbar. Am Wolm zwei Stege.

Maße: H.: 74 cm; D.: 97,3 cm; Bu.: 4,7–5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Franz Jäger) [1/3]

  1. maria O rex gloriea) ann(o) mo d viib)

Übersetzung:

Maria. O König der Herrlichkeit. Im Jahre 1507.

Wappen:
Stadt Halle3)

Kommentar

Die Buchstaben haben eine stark schwankende Größe bei ungleichmäßiger Stellung auf der Schriftzeile. Einzelne Buchstaben über- oder unterschreiten deutlich die angegebenen Maße. Die Schaftenden von i, m und n sind meist mit Quadrangel abgeschlossen, seltener umbrochen. Die Wortabstände sind groß.

Der Gießer der Glocke, der sogenannte Hallische Gießer, ist nach der Stadt Halle benannt, deren Wappen in verschiedenen Variationen die meisten seiner Glocken ziert. Seit Beginn der systematischen Erfassung seiner Glocken ist aber umstritten, welche Bedeutung das Wappen hat. Gustav Schönermark sieht es als Meisterzeichen des Gießers an; für Gustav Sommer hingegen bedeutet es nur, daß die Glocken in Halle gegossen worden sind.4) Obgleich eine zusammenhängende Untersuchung des erhaltenen Werkes noch aussteht, lassen sich nach Durchsicht verschiedenartiger Glockenverzeichnisse und Denkmalinventare, die den Südosten des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt abdecken und in die südlich angrenzenden Gebiete des Freistaates Thüringen hinübergreifen,5) die Glocken doch als Schöpfungen einer Werkstatt beschreiben. Eine umfassendere Literaturauswertung wurde nicht erwogen, weil sich auch dann kein schärferes Bild vom Schaffen des Gießers zeichnen ließe, als es mit der hier herangezogenen Literatur möglich ist – zumal die Glocken zum einen in unterschiedlicher Weise und zum anderen oft nicht detailliert genug beschrieben und mitunter nur aufgrund eines Merkmals dem Hallischen Gießer zugewiesen wurden. Größere Sicherheit in der Beschreibung des Oeuvres ist nur durch eine flächendeckende Autopsie zu gewinnen. Deshalb stehen alle Untersuchungsergebnisse unter einem Vorbehalt, auch wegen der Kriegsverluste an Glocken, die in vielen Fällen eine Überprüfung der Zuschreibung unmöglich machen.

Die Glocken des sogenannten Hallischen Gießers, der wohl aus Halle stammte, haben in einem großen Gebiet rings um Halle Verbreitung gefunden, das im Süden nur wenig über Naumburg hinausreicht. In den meisten größeren Städten südlich von Halle (Naumburg, Zeitz, Weißenfels) und merkwürdigerweise auch in Halle selbst sind keine Glocken der Werkstatt überliefert oder bezeugt. Die zugeschriebenen, fast durchgängig datierten Glocken entstanden zwischen 1475 und 1526, wobei die lange Schaffenszeit und eine auffällige Überlieferungslücke zwischen 1489 und 1500 nahelegt, die Schaffensperioden mindestens zweier Gießer zu unterscheiden. Zur ersten Schaffensperiode gehören sieben Glocken von 1475, 1477, 1483–85 und 1489; zur zweiten gehören vierunddreißig Glocken, die die Werkstatt des Hallischen Gießers in den Jahren zwischen 1500 und 1522 (ausgenommen die Jahre 1505, 1510, 1514 und 1520) durchgängig belegen. Im Bearbeitungsgebiet haben sich nur Glokken der mutmaßlichen zweiten Schaffensphase erhalten, der als jüngste noch eine auf 1526 datierte Glocke in Radewell (Ortsteil von Halle) zuzurechnen ist.

Die Glocken des Hallischen Gießers sind – soweit feststellbar – bis auf eine Inschriftzeile unter der Schulter und Stege am Wolm schmuckarm. Außer dem Wappen finden sich auf der Schriftzeile und auf der Flanke kleinere Medaillons und Reliefs. Dabei ziert keines der figürlichen Reliefs wie etwa das Pilgerzeichen auf der Glocke in Untergreißlau die Mehrzahl oder auch nur eine größere Zahl der Glocken, sondern immer nur einige wenige, so daß nur eine stets wechselnde Kombination der Merkmale auf eine gemeinsame Herkunft hinweist. Die Verbindung zwischen beiden Schaffensphasen besteht in nur einem einzigen Buchstaben von signifikanter Form (s. u.), einem Weinblatt als Ornament, den (im Bearbeitungsgebiet nicht nachweisbaren) Bildern Gottvaters (?)6) und Marias, einem Bischofsbild und dem Hallischen Stadtwappen, das sich auf den Glocken der älteren Schaffensphase allerdings nur zweimal findet. Das Weinblatt (in der Literatur irrtümlicherweise oft als Weintraube bezeichnet) ziert fast alle Glocken des Hallischen Gießers; es ist in der Regel sechs-, sieben- oder achtmal in großen Abständen unter der Inschriftzeile angebracht. Die figürlichen Reliefs wurden hingegen nur zeitweilig und relativ selten verwendet. Der Kruzifixus findet sich nur in der jüngeren Schaffensphase, das hier beschriebene Pilgerzeichen nur zwischen 1503 und 15077) und ein Medaillon mit dem Schweißtuch Christi erst seit 1515.8)

Die Glockeninschriften der älteren Schaffensphase sind im Verhältnis zur Gesamtzahl der erhaltenen Glocken vielfältiger als die der jüngeren. Seit 1500 überwiegen schlichte Inschriften, bestehend aus Nomina sacra, Heiligennamen oder kurzen Heiligenanrufungen, spätestens seit 1509 auch in deutscher Sprache. Die verwendeten Buchstabenformen, gotische Minuskel mit wenigen Versalien, sind einerseits weitgehend schmucklos und andererseits so vielgestaltig, daß sich keine Merkmale benennen lassen, die die Glockeninschriften des Hallischen Gießers unverwechselbar auszeichnen. Auch innerhalb einer Inschrift kann ein Buchstabe mit mehreren Formen vertreten sein. Ein markanter Versal, ein O (H.: 5,5 cm), ist zugleich der einzige Buchstabe, der mit Sicherheit über die ganze Schaffenszeit der Werkstatt verwendet wurde. Seine breite Strichführung beschreibt innen einen kreisrunden Kontur, gibt dem Buchstaben aber einen mandelförmigen Umriß mit einem Zierpunkt am oberen Scheitel. Allen Inschriften gemeinsam sind das zumeist sehr flache Buchstabenrelief, die unregelmäßige Buchstabengröße bei überwiegend breiter Strichstärke und eine schwankende Höhenstellung der Buchstaben auf der Schriftzeile. Drei Glocken, die mehrere Merkmale der Werkstatt auf sich vereinen und deshalb zu den gesicherten Werken des Hallischen Gießers zählen, weisen außerdem ein Monogramm auf, das aus den verschränkten und bekrönten Buchstaben G und W besteht.9) Der Monogrammist GW ist von Heinrich Bergner als Georg Wolgast, Vater oder Großvater eines zu Anfang des 17. Jh. in Halle tätigen Gießers gleichen Namens dargestellt worden.10) Ohne an diesem Namen festhalten zu wollen, denn die Initialen könnten zufällig übereinstimmen, gibt dieses Monogramm sicherlich einen Hinweis auf die Identität des Gießers. Eine vom Hallischen Gießer zu Georg Wolgast führende Werkstatttradition war bislang nicht feststellbar.

Auf den Namen der Gottesmutter folgen die ersten Worte eines Gebets, das als Glockeninschrift weiteste Verbreitung gefunden hatte.11)

Textkritischer Apparat

  1. glorie] Danach das Wappen.
  2. mo d vii] Möglicherweise handelt es sich bei mo um eine starke Kontraktionskürzung (ohne Kürzungszeichen), die als m(illesim)o aufzulösen ist. Nach der Jahreszahl das Pilgerzeichen. do m d vii Sommer 1869, BKD Prov. Sachsen 3, Fritze.

Anmerkungen

  1. Notiz im Kirchenarchiv Untergreißlau. Zum Kirchenpatrozinium vgl. Naumann 1936, S. 19.
  2. Abbildungen bei Liebeskind 1904/1905, S. 119 und (schematisiert) bei Schröder 1933, S. 57 und Schröder 1938, S. 51.
  3. Siebmacher I, 4, Taf. 110. Hier achtstrahlige Sterne.
  4. BKD Prov. Sachsen 3, S. 16, 26, 62, 84; BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 601, 615.
  5. DI 6 (Naumburg 1), 7 (Naumburg 2), 9 (Naumburg 3), 11 (Merseburg), 33 (Stadt Jena), 39 (Lkr. Jena); BKD Prov. Sachsen 1, 3, 8, 9, 24, 26, 27, BKD Prov. Sachsen NF 1, BKD Thüringen 2 und Schubart 1896.
  6. Die Identifizierung eines auf der Glocke in Dornstedt bei Querfurt (1506) entdeckten Bildes (freundliche Mitteilung von Dr. Ilas Bartusch, Heidelberg) mit den auf Glocken von 1475 und 1477 befindlichen, bei Schubart 1896, S. 142, 520 abgebildeten Reliefs, ist noch unsicher.
  7. BKD Prov. Sachsen 8, S. 227 (Schlettau 1506); BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 575 (Schwertz 1503); Schilling 1988, S. 328, 343; Abb. 182, 461. Nach Mitteilung von Dr. Ilas Bartusch wohl auch auf der Glocke in Dornstedt (vgl. Anm. 6).
  8. Vgl. Nr. 97.
  9. Vgl. Nr. 97, Fotografien im Glockenarchiv des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt, Halle, (Delitzsch in Sachsen, 1516; s. a. BKD Prov. Sachsen 16, S. 53) und DI 9 (Naumburg 3), Nr. 416 (Abtlöbnitz 1517).
  10. BKD Prov. Sachsen 26, S. 237; Thieme/Becker 36, 1947, S. 226.
  11. Vgl. Nr. 9.

Nachweise

  1. Büttner, Teil 1, S. 338.
  2. Heydenreich 1840, S. 350.
  3. Sommer 1869, S. 414.
  4. BKD Prov. Sachsen 3, S. 16.
  5. Fritze 1912, S. 57.
  6. Trübenbach 1928, S. 46.

Zitierhinweis:
DI 62, Weißenfels (Landkreis), Nr. 86 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di062l001k0008600.