Inschriftenkatalog: Landkreis Weissenfels
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 62: Weißenfels (Landkreis) (2005)
Nr. 62 Gröben, Kirche (1490?)
Beschreibung
Glocke aus Wildschütz (Burgenlandkreis) mit gestufter Haube. An der Schulter Gebet und Weiheinschrift, von zwei Stegen eingefaßt. Die Buchstaben erhaben. Am unteren Steg ein Fries aus genasten Rundbögen, die in Lilien enden. Auf der Flanke, unterhalb der ersten Worte der Inschrift das Relief eines Bischofs (H.: 8,5 cm), der auf einem Drachen steht, mit der linken Hand dem Drachen das Pedum ins Maul stößt und die rechte Hand zum Segensgestus erhoben hat. Unter dem fünften Wort ein Medaillon (D.: 3,5 cm), dessen Darstellung (Sitzfigur?) und mutmaßliche Umschrift wegen starker Korrosion nicht mehr beschreibbar sind. Am Wolm zwei Stege; abgestufter äußerer Rand.
Maße: H.: 59,5 cm; D.: 79 cm; Bu.: 2 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal.
Oa) rex glorie veni cvm pace in der ere s(an)cteb) ieorg
Übersetzung:
O König der Herrlichkeit, komme mit Frieden. (...)
Textkritischer Apparat
- O] Buchstabenhöhe ebenfalls 2 cm.
- sancte] Ein Vokativ?
Anmerkungen
- Vgl. dazu Nr. 9.
- Poettgen 1997/98, S. 89–93.
- BKD Prov. Sachsen 3, S. 85.
- Dietmann 3, 1754, S. 1094.
- Zur Glocke in Mutschau vgl. Nr. 88.
Nachweise
- Sommer 1867, S. 333.
- BKD Prov. Sachsen 3, S. 85.
Zitierhinweis:
DI 62, Weißenfels (Landkreis), Nr. 62 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di062l001k0006200.
Kommentar
Der Versal weist einen geraden Innenkontur und schwellende, spitz ausgezogene Bögen auf. Die Gemeinen bleiben schmucklos. Bemerkenswert ist die Ausbildung des unteren g-Bogens, der am unteren Ende des oberen Bogens anzusetzen scheint, während das untere Schaftende nach rechts umbricht. Das x besteht aus einem linken Schrägschaft mit umbrochenen Enden und einem zweifach abgewinkelten rechten Schrägschaft, dessen Enden ebenfalls umbrochen sind. Die Wortabstände sind regelmäßig; nur der Abstand zwischen Ende und Anfang der Inschrift ist größer. Das Schriftfeld ist mehr als doppelt so hoch wie die Buchstaben.
Neben der Widmung an den hl. Georg enthält die Glockeninschrift das sehr verbreitete Gebet „o rex gloriae“.1)
Das Bischofsrelief ist wahrscheinlich ein Pilgerzeichen der regionalen Nikolauswallfahrt zu Wersdorf bei Apolda in Thüringen. Charakteristisch ist die Darstellung des heiligen Bischofs auf einem Drachen, meist mit, seltener ohne Spruchband. Die meisten Pilgerzeichen finden sich auf Glocken in der Umgebung von Jena bzw. östlich von Jena. Ein Pilgerzeichen mit Spruchband ziert aber auch eine Glocke in Eisdorf,2) einem Ort, der – südöstlich von Lützen im Freistaat Sachsen liegend – noch weiter entfernt ist von Wersdorf als Wildschütz, der ursprüngliche Standort der Gröbener Glocke. Es ist also mit einer größeren Verbreitung der Pilgerzeichen von Wersdorf zu rechnen, was der Bestimmung des Reliefs in Gröben eine größere Wahrscheinlichkeit gibt.
Auf dem Medaillon sah Gustav Sommer die Figur eines Bischofs, einen „unleserlichen Namen“ und die Jahreszahl 1440.3) Durch die abweichende Lesung 1490 von Karl Gottlob Dietmann4) rückt die Glocke aber in die Nähe einer anderen, 1509 für die in Mutschau gelegene Mutterkirche von Wildschütz gegossene Glocke, mit der sie einige Details wie die Abstufung der Haube gemeinsam hat. Viel bedeutsamer sind aber der mit demselben Model hergestellte Fries und die inschriftlich bezeugte Widmung beider Glocken an den heiligen Georg.5) Trotz der Verwendung unterschiedlicher Schriftformen darf man wohl annehmen, daß beide Glocken von demselben Gießer oder derselben Werkstatt für dieselbe, dem hl. Georg geweihte Kirche geschaffen wurden. Welche der Kirchen in Mutschau und Wildschütz das gewesen war und warum die Glocken auf beide Kirchen verteilt wurden, konnte bislang nicht geklärt werden.