Die Inschriften des Landkreises Weissenfels

4. Die Quellen der nichtoriginalen Überlieferung

Abschriftlich überlieferte Inschriften finden sich in verschiedenen Archivalien, insbesondere in Orts- und Kreischroniken und Inventaren aller Art, und in historisch-topographischen Druckschriften. Zur kopialen Überlieferung gehören aber auch Fotografien der Inschriftenträger und Abreibungen, die zumeist von Glockeninschriften angefertigt wurden. Bei einem Anteil von 41% an der Gesamtüberlieferung ist die herausragende Bedeutung der kopialen Überlieferung evident. Sie ist auch ein wertvolles Hilfsmittel, um fragmentierte Inschriften ergänzen können.

Die erste (kleine) Inschriftensammlung des Bearbeitungsgebietes findet sich auf zwei ineinandergelegten, in einen umfangreichen Faszikel eingebundenen paginierten Bögen (fol. 38–41), deren erste Blätter (fol. 38 f.) in lateinischer Sprache von ein und derselben Hand beidseitig beschrieben wurden.226) Auf der ersten Seite steht ein kurzer Text zur Gründung der Stadt Weißenfels mit Erwähnung der bis 1554 in Weißenfels residierenden Mitglieder des wettinischen Hauses (fol. 38r). Auf beiden Rändern dieser Seite sind Buchtitel notiert, die der Autor exzerpiert hat. Die Erstauflagen dieser Titel [Druckseite XLIII] sind, soweit es sich feststellen läßt, zwischen 1581 und 1609 (bzw. 1618) erschienen.227) Daraus läßt sich mit Vorsicht schließen, das dieser Text und sicherlich auch alle übrigen Texte dieses kleinen Manuskripts im ersten oder zweiten Jahrzehnt des 17. Jh. verfaßt worden ist. Die übrigen Texte handeln von der Gründung des Klosters und den bis 1575 im Kloster lebenden wettinischen Fürstinnen (fol. 38v). Daran anschließend werden auf derselben Seite zwei Inschriften wiedergegeben (Nr. 2, 8) und auf der folgenden Seite eine Abzeichnung der aus der Klosterkirche stammenden, Friedrich Tuta darstellenden und noch heute fragmentarisch erhaltenen Schnitzfigur (fol. 39r). Umseitig (fol. 39v) steht die Abschrift einer weiteren Inschrift (Nr. 200). Offensichtlich hat der gelehrte Autor versucht, alle erreichbaren Informationen über Leben und Wirken der Wettiner in Weißenfels zusammenzutragen. Zwei der drei, allesamt verlorenen Inschriften sind hier erstmals überliefert; die dritte ist sogar nur in diesem Manuskript bezeugt (Nr. 2). Ihre Authentizität wird durch die Parallelüberlieferung der anderen beiden indirekt bestätigt.

Die übrigen Aktenstücke des Faszikels stehen nicht in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem besprochenen Manuskript. Vor den beiden Bögen (fol. 38–41) sind mehrere, die 1570 verstorbene letzte Äbtissin des Klosters, Margarethe von Watzdorf, betreffende Schriftstücke, danach einige die Klostergebäude betreffende Akten aus dem späten 16. und dem frühen 17. Jh. eingebunden. Die Datierung dieser Schriftstücke steht der zeitlichen Ansetzung des Manuskripts zumindest nicht entgegen.

Größere Inschriftensammlungen erstellten an der Wende vom 17. zum 18. Jh. der Lehrer Johann Vulpius aus Großkorbetha (gestorben 1714)228) und der Superintendent Johann Christian Büttner aus Weißenfels (1655–1719)229) als Teil ihrer Chroniken des Amtes Weißenfels. Sie umfassen im wesentlichen Bau-, Glocken- und Grabinschriften. Eine der beiden, etwa gleichzeitig entstandenen Chroniken ist nicht nur in Kenntnis der anderen geschrieben, sondern sogar teilweise abgeschrieben worden. Welche von beiden, ist nicht sicher zu sagen, doch soll nach allgemein vorherrschender Auffassung das etwas umfangreichere Manuskript Vulpius' die Vorlage für die Büttnersche Chronik gewesen sein. Beide Chroniken sind leider nur fragmentarisch überliefert; es fehlt in beiden ausgerechnet der Teil, in dem die Grabstätten bedeutender Weißenfelser Persönlichkeiten vorgestellt werden sollten.

Für die epigraphische Überlieferung der Stadt Lützen war die 1761 abgeschlossene Stadtchronik des Adam Siegmund Bürger ergiebig.230) Sie enthält außer Abschriften von Inschriften auch mehrere Abzeichnungen von Inschriftenträgern. Die übrigen hier verwendeten Archivalien tradieren nur einzelne Inschriften und haben im Kontext der gesamten kopialen Überlieferung nicht den Stellenwert wie die Chroniken.

Die im 18. und 19. Jh. erschienenen historisch-topographischen Übersichtswerke zur Kirchen-, Territorial- und Kunstgeschichte berücksichtigen zwar die epigraphische Überlieferung als eine historische Quellengattung, bemühen sich aber noch nicht, die Inschriften systematisch und flächendeckend zu erfassen. Dabei rezipieren die das Amt Weißenfels betreffenden Arbeiten die Chroniken Vulpius' und Büttners, wie sich am Beispiel der 1796 bzw. 1840 erschienenen Werke von Georg Ernst Otto und Gustav Heydenreich231) gut aufzeigen läßt. So geben z. B. Büttner, Otto und Heydenreich von den Inschriften des Weißenfelser Schulportals (Nr. 139) dieselben Auszüge wieder, obwohl das Portal jederzeit zugänglich und alle Inschriften gut lesbar waren (und sind). Alle drei Autoren zitieren die guterhaltene Bauinschrift der Kirche in Hohenmölsen (Nr. 185) mit denselben freien Ergänzungen und brechen das Zitat an derselben Stelle ab. Heydenreich „verliest“ wie Büttner die Jahreszahl der jüngsten Glocke in Untergreißlau und gibt sie wie Büttner in arabischen statt römischen Ziffern wieder (Nr. 110).

[Druckseite XLIV]

Die etwa gleichzeitig entstandenen Werke von Karl Gottlob Dietmann (1752–1763)232) und Adam Siegmund Bürger sind offenbar unabhängig voneinander verfaßt worden, obwohl Dietmann über die Lützener Kirchengeschichte auffällig gut informiert ist und gerade Lützener Inschriften – allerdings nicht durchweg dieselben wie Bürger – in großer Zahl wiedergibt. Die Inschriftentexte werden von den älteren Autoren (Bürger, Büttner, Dietmann, Vulpius) wie von den jüngeren (Otto, Heydenreich) oft auch verkürzt oder in zeitgenössischer Schreibweise wiedergegeben. Der Abgleich mit den Originalen hat aber gezeigt, daß ihre Abschriften i. d. R. weitgehend dem originalen Text entsprechen.

Den ersten Versuch einer systematischen und flächendeckenden Inschriftenerfassung machte der Zeitzer Bauinspektor Gustav Sommer, der auf privaten „archäologischen Wanderungen“ sehr viele Inschriften im ländlichen Raum erfaßte und von 1867 bis 1874 veröffentlichte.233) Diese Publikationen mögen Sommer für die Inventarisierung der Bau- und Kunstdenkmale im Süden der preußischen Provinz Sachsen empfohlen haben. Er veröffentlichte zuerst das Inventar des Kreises Weißenfels, mit dem also die systematische Denkmalsinventarisation im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt begann.234) Dabei nutzte Sommer die Gelegenheit, einige seiner früheren Inschriftenlesungen zu korrigieren oder zu vervollständigen. Sein Inventar und die anderen, bei der Bearbeitung des heutigen Landkreises Weißenfels zu berücksichtigenden Inventare stellen die mit Abstand wichtigste Quelle abschriftlicher Überlieferung dar, auch wenn Sommer und die Bearbeiter der anderen Kreise, Johannes Burkhardt, Otto Küstermann (Kreis Merseburg) und Heinrich Bergner (Kreis Querfurt),235) Glockeninschriften zum Nachteil anderer Inschriften bevorzugt gesammelt haben. So haben sie z. B. viele, zu ihrer Zeit noch erhaltene und lesbare Bau- und Grabinschriften übergangen, die heute unlesbar geworden oder gänzlich verschwunden sind. Doch bleibt es ihr Verdienst, die Inschriftentexte vieler, nach der Inventarisation vernichteter Glocken bewahrt zu haben. Vielfach publizierten sie auch Abzeichnungen der Inschriften oder versuchten, die Schriftformen durch geeignete Drucktypen wiederzugeben.

Außer den Archivalien und historisch-topographischen Übersichtswerken überliefern vor allem monographische Arbeiten größere Inschriftenbestände, so z. B. die Beschreibungen der Weißenfelser Marienkirche von Johann David Schieferdecker 1703 und Ottomar Lorenz 1903236) oder die glockenkundlichen Arbeiten von Heinrich Otte 1858, Heinrich Bergner 1900 und Paul Liebeskind 1904/ 1905 und 1905.237) Das Glockenbuch Karl Walters von 1913, das hunderte von mittelalterlichen und neuzeitlichen Glockeninschriften enthält, bietet zwar viele Vergleichsbeispiele, stützt sich aber im wesentlichen auf die bekannten glockenkundlichen Publikationen und die Denkmalinventare.238)

Einzelne Inschriften finden sich wiederholt in regional- und heimatkundlichen Abhandlungen des 19. und 20. Jh., deren Zuverlässigkeit jedoch stets geprüft werden muß. Die Autoren geben die Inschrifttexte oft nur nach den bekannten Übersichtswerken wieder, übernehmen deren Fehler oder schreiben gar neue in die Texte hinein. Daneben enthält diese Literatur aber auch manche singuläre epigraphische Überlieferung und, was meist sogar wichtiger ist, die näheren Umstände der Überlieferung [Druckseite XLV] oder des Verlustes des Inschriftenträgers. Historische und genealogische Werke mit wissenschaftlichem Anspruch wie Carl Peter Lepsius 1854/55 oder Richard von Mansberg 1903–1908 überliefern gelegentlich Text und Bild von Inschriftträgern, vorzugsweise von Grabmälern, als illustrative Beilagen.239)

Zitationshinweis:

DI 62, Landkreis Weißenfels, Einleitung, 4. Die Quellen der nichtoriginalen Überlieferung (Franz Jäger), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di062l001e009.

  1. Stadtarchiv Weißenfels A I 3744. »
  2. Das sind: Zacharias Rivandrus, Dueringische Chronica, Frankfurt (Main) 1581; Petrus Albinus, Newe meysnische Land Chronica, Dresden 1590; Matthaeus Dresserus, Millenarius sextus isagoges historicae, Leipzig 1591; Philippus Camerarius, Operae horarum subcisivarum, centuria I–III, 1601, 1602, 1618; Georgius Fabricius, Saxoniae illustratae libri novem, Leipzig 1607; Laurentius Peccensteinius, Theatrum saxonicum, Leipzig 1608. »
  3. Johann Vulpius, Weißenfelsische Ansehnlichkeit, Stadt- und Land-Chronicon, Ms. (3 Teile in einem Band), Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden, Handschriftenabteilung, MSCR K 103 a. »
  4. Johann Christian Büttner, Chronik der Stadt Weißenfels und der der angrenzenden Länder, Ms. (2 Teile in einem Band), Stadtarchiv Weißenfels, W/Ch 17. »
  5. Adam Siegmund Bürger, Sammlung historischer Nachrichten von der im Stifte Merseburg gelegenen weltbekannten Stadt Lützen, Ms. (3 Teile in 3 Bänden), Kirchenarchiv Lützen, o. Sign. »
  6. Georg Ernst Otto, Geschichte und Topographie der Stadt und des Amtes Weißenfels in Sachsen, Weißenfels 1796; Gustav Heinrich Heydenreich, Kirchen- und Schulchronik der Stadt und Ephorie Weißenfels seit 1539, Weißenfels 1840. »
  7. Karl Gottlob Dietmann, Die gesamte der ungeänderten Augspurgischen Konfeßion zugethane Priesterschaft in dem Churfürstenthum Sachsen, 5 Bände, Dresden/Leipzig 1752–1755, 1763. »
  8. Gustav Sommer, Archäologische Wanderungen in den Königlich Preussischen Landräthlichen Kreisen Zeitz, Weissenfels und Merseburg. In: Neue Mittheilungen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen 11, 1867, S. 289–334; 12, 1869, S. 126–149, 386–420; 13, 1874, S. 111–128. »
  9. Gustav Sommer, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Weissenfels (= Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 3), Halle 1880. »
  10. Johannes Burkhardt/Otto Küstermann, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Merseburg (= Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 8), Halle 1883; Heinrich Bergner, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Querfurt (= Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen 27), Halle 1909. »
  11. Johann David Schieferdecker, Erneuertes Gedächtnis des Weissenfelsischen Zions oder Eigentliche Beschreibung der Pfarr-Kirche zu unser Lieben-Frauen in Weissenfels, Weißenfels 1703; Ottomar Lorenz, Die Stadtkirche zu Weißenfels, Weißenfels 1903. »
  12. Heinrich Otte, Mittelalterliche Glocken im Stift Merseburg. In: Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst 2, 1858, S. 36 f.; Heinrich Bergner, Zur Glockenkunde Thüringens. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde Kahla und Roda 5, 1900, S. 128–230, Taf. I–XIII; Paul Liebeskind, Pilger- und Wallfahrtszeichen auf Glocken. In: Die Denkmalpflege 6, 1904, S. 53–55; 7, 1905, S. 117–120, 125–128; Paul Liebeskind, Die Glocken des Neustädter Kreises. Ein Beitrag zur Glockenkunde. In: Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Altertumskunde, NF 1, Supplementheft 1905. »
  13. Karl Walter, Glockenkunde, Regensburg 1913. »
  14. Carl Peter Lepsius, Kleine Schriften, 3 Bände, Magdeburg 1854/55; Richard Freiherr von Mansberg, Erbarmannschaft wettinischer Lande, 4 Bände, Dresden 1903–1905, 1908. »