Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Landkreises Weilheim-Schongau

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 84: Lkr. Weilheim-Schongau (2012)

Nr. 82 Schongau, Stadtpfarrkirche Mariae Himmelfahrt 1503?/nach 19111)

Beschreibung

Figurale Grabplatte für den Spitalkaplan Hans Pierling. Innen, Südseite, westliche Seitenkapelle, Westwand. Ursprünglicher Standort unbekannt, 1895 außen an der Nordseite. Sandstein. Die Platte zeigt einen Priester im Meßgewand, in seiner linken Hand ein Kelch, die rechte Hand segnend darauf weisend. Der Kopf mit Birett auf einem großen Kissen. In den beiden unteren Ecken zwei zur Mitte hin geneigte Wappenschilde (Tartschen). Umlaufende Inschrift (I). In der Mitte zwei Minuskelbuchstaben, möglicherweise die Initialen eines Handwerkers oder Restaurators (II). Die Platte wird in Kdm (1895) als „sehr verwittert“ bezeichnet. Der heutige Zustand ist auf eine Restaurierung im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zurückzuführen, bei der die Oberfläche, besonders die Schrift, überarbeitet und die Platte an den heutigen Standort verbracht wurde1).

Maße: H. 192 cm, B. 96,5 cm, Bu. 5,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/5]

  1. I.

    annoa) · dominia) · tausentb) · und / · funfhundert · und · iii · den · neunten · maerz · ist · gestorb/en · der · ersam priester · her · / hans pierling · caplonc) · i(n) · de(m) · spitald) · altar · S · erasmi · de(m) · got · g(n)abe) ·

  2. II.

    d k

Wappen:
unbekannt2), unbekannt3).

Kommentar

Die Grabplatte für Hans Pierling präsentiert sich dem heutigen Betrachter in der Form einer wesentlichen Überarbeitung vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Kern des Grabmales ist eine typische figurale Grabplatte des 15. / beginnenden 16. Jahrhunderts mit Darstellung des Verstorbenen in ganzer Figur und Umschrift in Gotischer Minuskel.

Die Figur, die besonders bei den Gewandfalten und beim Kissen eine geglättete Oberfläche zeigt, wurde mutmaßlich im Bereich des Kopfes (Gesicht, Haare, Birett) und anderen Stellen nachgearbeitet. So hat das Kaselkreuz heute die Form eines lateinischen Kreuzes mit gerade auf Höhe der Brust verlaufendem Querbalken, während eine Kasel der ursprünglichen Entstehungszeit einen über die Schultern laufenden Querbalken erwarten ließe, die Endfransen des Manipels sind als kleine Perlenreihen gearbeitet und stehen damit im Widerspruch zu den eher verschliffenen Form des Gewandes. Ungewöhnlich erscheint ebenso, daß der Verstorbene mit geschlossenen Augen dargestellt ist4). Der scharfkantigen Oberfläche nach zu schließen wurden auch die Wappen nachgebessert.

Bei der Schrift ist aufgrund der einheitlichen Oberfläche davon auszugehen, daß hier der gesamte Rahmen mit Umschrift abgeschliffen und neu bearbeitet wurde. Der Schriftgrund ist aufgerauht, was bei Originalplatten so gut wie nie auftritt.

Die Gotische Minuskel ist mit atypischen Merkmalen durchsetzt, die die Hand des Restaurators verraten. Es besteht ein großer Unterschied zwischen den beiden ausladenden Worttrennern in der oberen Schmalseite und den eher zurückhaltenden Quadrangeln im restlichen Text. Die Kürzungsstriche sind nicht als Balken, sondern in Form einer leicht geschwungenen, relativ dünnen Linie ausgeführt und weichen sogar i-Punkten aus (vgl. spital – Kürzung unklar). Es treten grundlegende Varianten beim t-Balken auf: neben einer Form, bei der der Balken nur nach rechts verläuft und der obere Abschnitt des Schaftes schräg endet (eher im ersten Teil der Inschrift) gibt es eine Variante, bei der der Balken den Schaft eindeutig durchschneidet (z.B. spital). Unterschiede ergeben sich auch bei der Gestaltung des oberen Bogens des doppelstöckigen a: während an manchen Stellen der Bogen oben gebrochen und der linke Teil fett ist, scheint an anderen Stellen der Bogen als geschwungener Haarstrich direkt am Schaft anzusetzen (z.B. altar). Nicht unmöglich, aber doch ungewöhnlich wirkt auch die Durchgestaltung der Bögen bei p und besonders bei g: der p-Bogen ist hier meist weniger gestreckt und erreicht nur gut die halbe Höhe des Mittellängenbereiches. Eine Ausnahme ist das p bei spital. g findet sich in der für die Zeit um 1503 avantgardistisch wirkenden Form, bei der Schaft und senkrechter Teil des oberen Bogens den zu einem Balken gewordenen Teil des oberen Bogens – der für gewöhnlich mit der oberen Grenze des Mittellängenbereiches abschließt – durchschneiden. Trotz der Verwendung einer Form, die eigentlich in die Oberlänge strebt, ist der gesamte Buchstabe – einschließlich des unteren Bogens – in das Band des Mittellängenbereiches gepreßt. Weitere Ungereimtheiten ergeben sich bei den Brechungen der Bögen bei e, n und u. Der obere Bogenabschnitt des e ist nicht direkt abgeknickt, sondern es besteht eine kurze Verbindungslinie zwischen senkrechtem und abgeknicktem Teil (vgl. bes. tausent, den). Ähnliche Beobachtungen lassen sich bei n und u machen. Auch hier treten derartige Verbindungslinien auf (vgl. bes. tausent, und, neunten). Aus dem Rahmen fallen die drei i der Einerstelle der Jahresangabe. Die auf den Mittellängenbereich konzentrierten Schäfte sind an den Enden nicht gebrochen, sondern werden mit diagonal angesetzten Deckstrichen abgeschlossen.

Auch Formular und Orthographie geben zu denken: die Form maerz erscheint äußerst ungewöhnlich. Merkwürdig ist sowohl die Wahl des Epithetons ersam, es wird i.d.R. für Angehörige des Bürgertums verwendet, als auch die Bezeichnung priester, die inschriftlich in der Zeit um Fünfzehnhundert in Altbayern nur selten belegt ist. Da die Platte vor der Restaurierung bereits abgewittert gewesen sein soll, ist nicht auszuschließen, daß nicht mehr der genaue Wortlaut der Inschrift rekonstruiert werden konnte. Das Grabmal trägt heute die Jahreszahl 1503, während Kdm noch 1509 angibt. Die Lesung in Kdm basiert möglicherweise auf einem ursprünglichen Wortlaut ... fünfhundert und in dem neunten [iar], den vielleicht der Restaurator nicht mehr verstanden und daher falsch ergänzt hat (in zu iii, vgl. auch Wortform maerz, wie oben beschrieben). Der Referent für Restaurierung, Prof. Haggenmiller (1911), setzte das Stück hingegen „ca. 1510“ an1). Die genaue ursprüngliche Datierung ist also unsicher.

Die Initialen d k, die prominent in der Mitte des Sockels angebracht wurden, weisen vermutlich auf den Restaurator des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts hin. Signaturen aus der Zeit um 1500 befinden sich für gewöhnlich nur auf hochstehenden Arbeiten für Auftraggeber von gewissem Rang. Erst im fortgeschrittenen 16. / 17. Jahrhundert werden auch einfachere Arbeiten mit den Initialen des Bildhauers versehen (vgl. z.B. Nr. 279). Daß in diesem Fall das Format einer figuralen Grabplatte für einen Kaplan, also ein Mitglied der niederen Geistlichkeit, gewählt wurde, erscheint ebenso ungewöhnlich4). Es könnte hier aber vielleicht die Familie des Verstorbenen Einfluss genommen haben.

Hans Pierling stammte aus einer alteingesessenen Schongauer Familie. Es finden sich im Urbar der Stadtpfarrkirche Mariae Himmelfahrt aus dem Jahre 1445 / 1458 etliche Nennungen, z.B. eines Ratsherrn Konrad Pierling, eines Cuntz, Erhart und Herrmann Pierling, eines Kirchenpropstes Johann Pierling und seiner Ehefrau Dorothea, die zumindest der Zeit nach, die Eltern des Kaplans Hans Pierling gewesen sein könnten. Über den Kaplan Hans Pierling selbst sind keine Nachrichten überliefert5).

Textkritischer Apparat

  1. Nach anno und domini paragraphen-ähnliche Worttrenner.
  2. Nach tausent sind die Worttrenner einfache Quadrangel.
  3. Sic!
  4. Darüber Kürzungsstrich, Auflösung unklar.
  5. Sic! b verkleinert im Eck über dem unteren Bogen von a von anno.

Anmerkungen

  1. Vgl. Kdm OBB II (Schongau) 596, hier mit Jahreszahl 1509; zur geplanten Restaurierung vgl. Notiz zum Akt Schongau Stadtpfarrkirche vom 12. August 1911 von Prof. Haggenmiller, dem damaligen Referenten für Restaurierung: „... An der Nordseite ist der Stein eines Geistlichen in ganzer Figur, ca. 1510 (Lechsandstein), der ebenfalls abwittert. (Ein Schriftteil wäre nachzumeißeln nach altem Reste). Beide Steine sollten im Innern der Kirche platziert und auf putzstärke eingelassen werden. (Anbringung: Ostseite der letzten Strebepfeiler).“ Sowohl der heutige Standort wie auch der jetzige Zustand sprechen dafür, daß diese Planung – wohl in den Folgejahren – durchgeführt worden ist. Für den Hinweis auf die Notiz Prof. Haggenmillers gilt herzlicher Dank Herrn Dr. Markus Hundemer, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, München.
  2. Das Wappenbild zeigt heute einen einen unten gerade abgeschlossenen halbellipsoiden Körper („umgekehrtes Weinglas ohne Stil“). Das ursprüngliche Wappenbild war zum Zeitpunkt der Restaurierung vermutlich erloschen oder bis zur Unkenntlichkeit abgewittert.
  3. Das Wappenbild zeigt heute einen Vierkopfschaft auf der der Basis eines auf der Spitze stehenden gleichschenkligen Dreiecks (Vielleicht Handwerkszeichen des Restaurators?). Das ursprüngliche Wappenbild war zum Zeitpunkt der Restaurierung vermutlich erloschen oder bis zur Unkenntlichkeit abgewittert.
  4. Für Einschätzungen zur Beurteilung der Platte (Darstellung mit geschlossenen Augen, Künstlersignatur, Relation Format der Platte – Auftraggeber) sei an dieser Stelle Herrn Dr. Volker Liedke, Brannenburg, gedankt.
  5. Schmidbauer, Epitaphien 336.

Nachweise

  1. Kdm OBB II (Schongau) 596; Schmidbauer/Blaschke, Epitaphien 101; DiB I,23 (Weilheim-Schongau) 416 (mit Abb.); Schmidbauer, Epitaphien 335.

Zitierhinweis:
DI 84, Lkr. Weilheim-Schongau, Nr. 82 (Manfred Merk), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di084m015k0008206.