Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Landkreises Weilheim-Schongau

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 84: Lkr. Weilheim-Schongau (2012)

Nr. 41 München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Alte Pinakothek um 1455

Beschreibung

Bildbeischriften auf den Tafeln des Pollinger Kreuzretabels. Inv. Nr. 1369 (linke Tafel) und 1368 (rechte Tafel). Dauerausstellung. Ursprünglich am Kreuzaltar der Augustinerchorherrenstiftskirche Hl. Kreuz, Polling, am linken Pfeiler der östlichen Kapelle des nördlichen Seitenschiffs1), als Teil des Schreines für das Pollinger Kreuz. Vermutlich bereits 1626 nach der Verbringung des Kreuzes zum Hochaltar aus der Kirche entfernt, wahrscheinlich in die Wohnung des Abtes verbracht2). 1804 – nach der Säkularisation des Klosters – in der Gemäldegalerie des Schlosses Schleißheim, 1924 in der Alten Pinakothek, dann zu unbekanntem Zeitpunkt in das Bayerische Nationalmuseum überstellt, von dort 1979 in das Depot der Alten Pinakothek, anschließend in die Dauerausstellung. 1804 wurden die Tafeln für die Aufstellung in Schleißheim aus dem Retabel gelöst und an den oberen Kanten durch die Abnahme des eselsrückenförmigen Abschlusses beschnitten. 1934/35 wurden die Tafeln gespalten3). Die Tafeln sind oben jeweils zur Mitte hin auf Höhe der Tafelhälfte um 33 cm verkürzt, um Platz für die Einfügung des Kreuzes zu schaffen. Tempera auf Tannenholz. Die Tafeln zeigen je zwei übereinander angeordnete Bilder. Linke Tafel oben: Herzog Tassilo reitet zur Jagd. Er wird von drei Knappen begleitet. Unter dem vom Herzog gerittenen Schimmel befindet sich ein Spruchband (I); rechte Tafel oben: eine Hirschkuh, von einem Jäger mit drei Hunden verfolgt, scharrt aus dem Boden das Ende eines Kreuzes. Ein Spruchband am unteren rechten Bildrand (II) erläutert die Szene; linke Tafel unten: Herzog Tassilo mit einem Bischof und dessen Gefolge kommt, um das Kreuz zu erheben. Die Inschrift in einem aufgeschlagenen Buch in der rechten unteren Ecke des Bildes erläutert wiederum die Szene (III); rechte Tafel unten: Kreuz wird von zwei Knechten ausgegraben und vom Bischof geweiht. Neben dem Kreuz liegt auf dem Erdboden ein kleines Täfelchen mit einer Erläuterung (IV). Rechts der Herzog mit Kirchenmodell und Spruchband (V).

Maße: H. 219 cm bzw. 186 cm, B. 87,5 cm, Bu. 1,3–1,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

© bpk | Bayerische Staatsgemäldesammlungen [1/2]

  1. I.

    Daa) reit Tessilo an dasb) gayt / Ain her von Bayren

  2. II.

    Tessilo hat daz bilt geiagt daz ist / gefloch(en) pis an die stat die yeczvnt polli(n)g / hayst da hat es geschart vn(d) hat weder / levt vn(d) hvntc) gefloche(n) da hat man ein / gegrab(en) vn(d) gefv(n)d(en)trev crewcz der ains in d(er) tafel stet

  3. III.

    da pringt / tessilo den / pyschoff / vnd bil / died) // crewz / erheben

  4. IV.

    Da erhebt / man die / drew crewcz

  5. V.

    Da man die crewcz erhebt hat da / gelobet Tessilo ain klosster ze / stifften in den er(n) Salvatoris vn(d) / dez heilig(en) crewcz das sol haisen / polling · a(nno) · d(omini) · 7 · 40

Kommentar

Die Zuschreibung des Kreuzretabels an den Meister der Pollinger Tafeln wurde 1906 von Karl Freund vorgenommen und ist in der Forschung seither weitgehend akzeptiert4). Während Freund die Werkstatt des Malers in Weilheim vermutete, wird heute meist München als Entstehungsort angenommen. Zeitlich brachte man die Entstehung der Tafeln mit dem 700jährigen Klosterjubiläum (Erwähnung der Klostergründung 740, vgl. Inschrift V) in Zusammenhang und datierte sie daher um 1440. Hoffmann weist diese Frühdatierung aufgrund der stilistischen Fortschritte und des reicheren Vorlagenrepertoires im Vergleich mit dem Pollinger Retabel von 1444 (vgl. Nr. 34) zurück. Sie postuliert aufgrund der eigenwilligen Umsetzung der künstlerischen Strömungen, die in den 1450er Jahren in Süddeutschland wirksam wurden, eine Datierung um 14555).

Die Inschriften auf diesem Retabel haben – im Unterschied zu dem vom selben Meister stammenden Pollinger Retabel (Nr. 34) – Informationsmitteilungsfunktion. Daher bewegt sich die verwendete Gotische Minuskel auf einem weniger hohen Niveau und lässt sich daher kaum mit der kurzen Textpassage des Englischen Grußes auf dem älteren Pollinger Altar vergleichen. Konkret manifestiert sich der Unterschied bei g, dessen oberer gebrochener Bogen bei der Verkündigungstafel unten in einem Quadrangel endet, der den Bogen unten offen lässt. Der Schaft ist leicht durchgebogen und reicht unter die Grundlinie. Der untere Bogen ist waagrecht nach links abgeknickt, wird jedoch durch eine feine Haarlinie mit dem oberen Bogen und dem Schaft verbunden. Eine derartige Stilisierung findet sich bei den Beischriften zu den Szenen der Auffindung der Pollinger Kreuze nicht. Die wesentlich umfangreicheren Inschriften hier weisen weniger Zierstriche und ‑elemente auf. Der Bandcharakter wird durch relativ häufige Kürzungsstriche und ausgeprägtere Ober- und Unterlängen relativiert. Die Buchstaben sind zwar gebrochen und in Schäfte aufgegliedert. Die saubere Strenge, die der Schrift bei der Verkündigung einen eleganten Zug verleiht, fehlt hier jedoch.

Zur Schrift vgl. auch Einleitungskapitel XLIV.

Textkritischer Apparat

  1. D in roter Farbe.
  2. s verkleinert an den oberen Teil des a angehängt.
  3. n verstümmelt, ähnelt einem a.
  4. Rest der Zeile frei; danach Wechsel von linker auf rechte Buchseite.

Anmerkungen

  1. Vgl. Hoffmann, Meister Pollinger Tafeln 232. Standort durch eine Urkunde im BHStA KU Polling Nr. 1420 März 23, F. 29) und ein Votivbild in der Pollinger Kirche belegt.
  2. Johann Georg von Dillis vermerkte in seiner Liste der Pollinger Kunstwerke, die im Zuge der Säkularisation nach München verbracht werden sollten, jedenfalls als Standort die Wohnung des Abtes. Vgl. Hoffmann, Meister Pollinger Tafeln 232.
  3. Die inschriftenlosen Außenseiten des Kreuzaltars (Werktagsseite) mit der Darstellung der Auffindung des Kreuzes Christi durch die Hl. Helena wurden auf anderes Holz aufgezogen und parkettiert. Sie befinden sich im Depot der Alten Pinakothek. Vgl. Hoffmann, Meister Pollinger Tafeln 233.
  4. Freund, Wand- und Tafelmalerei 23. Vgl. auch Nr. 34.
  5. Vgl. Hoffmann, Meister Pollinger Tafeln zusammenfassend 234ff., dort auch zur Zuschreibungsdiskussion und zur älteren Literatur.

Nachweise

  1. Töpsl, Succincta Informatio 9; Kurzer Bericht 47f.; Liedke, Münchner Tafelmalerei 2, 67–72, Abb. 48–51, 56; Goldberg, Pollinger Kreuzaltar 1795f.; Biller, Pollinger Heimat-Lexikon 715–717 (mit Abb.); DiB I,23 (Weilheim-Schongau) LXXXIII (Abb.) und 283; Hofmann, Meister Pollinger Tafeln 130–181, 231–234, Abb. 12.

Zitierhinweis:
DI 84, Lkr. Weilheim-Schongau, Nr. 41 (Manfred Merk), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di084m015k0004105.