Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Landkreises Weilheim-Schongau

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 84: Lkr. Weilheim-Schongau (2012)

Nr. 2† Wessobrunn, Klosterkirche St. Petrus (abgegangen) nach 1180

Beschreibung

Lobgedicht für Wulfhildis, die Schwester Welfs VI., Ehefrau des Grafen von Bregenz und Nonne in Wessobrunn. Angeblich in der Sakristei, 1512 offenbar bereits nicht mehr vorhanden1). Nähere Informationen zum Aussehen unbekannt, tatsächliche inschriftliche Ausführung nicht gesichert.

Text nach Clm 22112.

  1. In nichil orbe vago. raperis terrena propagoVita tibi brevis est. condicio gravis est.In limum linus. in terram terra redimus.Hoc ad summa redit. quod deus inde dedit.Si bene nosse voles. iacet hic altorfia proles.Wulfhildis veterum. ducea) genus procerum.Mater honestatis. sua reddit debita fatisb).Tam re quam specie. femina iusticie.Que sit Welfonis. veteris germana leonis.Amita saxonici. sit ducis et norici.Et quod adhuc potius. matertera cesaris huius.Has reliquas dotes. hecc) numerare potes.Tantus apex humilis. fueras soror huius ovilis.Non tibi sed nobis. optima mater abisd) Que iam concivis. iustorum mortua vivis.Sit tibi vera quies. et nocte sinee) dies.Celsior ipse polo. de quo sunt omnia solo.Sum cui stat fixum. natura semper id ipsum.Colla superba teris. modicos extollere querisf).

Übersetzung:

Du wirst vom unsteten Laufe der Welt ins Nichts gerissen, irdisches Geschlecht. Dein Leben ist kurz, dein Los ist schwierig. Als Lehm werden wir wieder Lehm, als Erde wieder Erde. Nur das kehrt in den Himmel zurück, was Gott von dort gegeben hat. Wenn du es genau wirst wissen wollen: Hier liegt eine Nachkommin von Altdorf. Wulfhildis, der süße Sproß eines alten Adelsgeschlechtes. Als Mutter von Ehrbarkeit erfüllte sie dem Schicksal ihre Schuldigkeit. Sowohl durch die Tat als auch durch ihre Art war sie eine Frau von Gerechtigkeit. Sie war eine Schwester des älteren Welf, eine Tante väterlicherseits des Löwen, des Herzogs von Sachsen und Bayern, und, was noch mehr bedeutet, eine Tante mütterlicherseits des gegenwärtigen Kaisers. Ihre übrigen Gaben kann man gar nicht aufzählen. Du warst eine so große Zierde und doch auch eine so demütige Schwester dieses Klosters. Nicht Dir, sondern uns stirbst Du als hervorragende Mutter, die Du als Tote schon unter den Gerechten lebst, mögest Du wahre Ruhe haben und einen Tag ohne Nacht! Erhabener als der Himmel, von dem allein alles kommt, dem das ‚Ich bin’ seinem Wesen nach unveränderlich, immer es selbst bleibt: Stolze Nacken beugst Du und Bescheidene suchst Du zu erheben.

Versmaß: Distichen (Vers 1–16), leoninisch gereimt, leoninische Hexameter (17–19).

Kommentar

Der Text ist in diversen Handschriften des Wessobrunner Mönchs Stephan Leopolder und in von seinen Werken abhängigen Handschriften überliefert. In den meisten Fällen sind die Verse nur mit einer kurzen Überschrift versehen, die den Text als Epitaphium der Wulfhildis bezeichnen. Ellinger schrieb den Text dem Dichtermönch Ludwig zu. Er spricht als erster von einer Grabinschrift, es kann daher nicht als sicher gelten, daß der Text tatsächlich inschriftlich ausgeführt war2). Der durch Leopolder überlieferte angebliche „Standort“, die Sakristei, spricht nicht für eine Grabinschrift, höchstens für eine Gedenkinschrift.

Wulfhildis war die Tochter Herzog Heinrichs des Schwarzen, des Herzogs von Bayern und Sachsen, und seiner Gemahlin Wulfhild. Sie war damit eine Schwester Heinrichs des Stolzen und eine Tante von dessen Sohn, Heinrich dem Löwen.

Sie war jedoch auch eine Schwester von Judith, der ersten Gemahlin Herzogs Friedrich II., des Einäugigen, von Schwaben und damit auch eine Tante von Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Wulfhildis war mit Rudolf, dem Grafen von Bregenz verheiratet. Nach dessen Tod zog sie zu ihrem Bruder Welf VI., Herzog von Bayern, der in Schongau residierte. Angezogen vom Ruhm Walthos, der von 1129 bis 1157 Abt von Wessobrunn war3), trat sie in den damals dort bestehenden Frauenkonvent ein und führte ein heiligmäßiges Leben. Sie veranlaßte ihren Bruder zu großen Geschenken an das Kloster Wessobrunn und stiftete Frieden bei Zwistigkeiten zwischen ihrem Bruder und ihrem Verwandten Otto, Bischof von Freising. Sie starb am 8. Mai 11804). Ihrer wird im Wessobrunner Nekrolog gedacht5). Wulfhildis soll in Wessobrunn wie eine Selige verehrt worden sein, was sich jedoch in unmittelbaren Quellen nicht niedergeschlagen hat6).

Die besondere Verehrung Wulfhilds in Wessobrunn mag vielleicht auch mit der Rolle der Welfen für das Kloster in dieser Zeit zusammenhängen. Die Welfen waren Vögte des Klosters, auch wenn sie für die direkte Ausübung einen Untervogt einsetzten7). Darüber hinaus verfolgte besonders Wulfhilds Bruder, Welf VI., verstärkt Interessen im bayerisch-schwäbischen Grenzgebiet, wozu beispielsweise die Förderung des Klosters Wessobrunn zu zählen ist8). Er übergab dem Kloster das Gut Köpfing für das Seelenheil seiner Schwester9). Diese Tradition ist in einigen der kopialen Handschriften zusammen mit dem Lobgedicht überliefert10).

Textkritischer Apparat

  1. Möglicherweise Verlesung, lies vermutlich Dulce; dulce Clm 27160.
  2. vatis Clm 1211.
  3. nec, darüber als Alternative hec übergeschrieben Clm 1927, Clm 1211, BHStA KL Wessobrunn Nr. 3a; nec Clm 27160.
  4. Über abis als Alternative obis übergeschrieben; obis, darüber als Alternative abis übergeschrieben Clm 1927, Clm 1211, BHStA KL Wessobrunn Nr. 3a.
  5. Über nocte b und über sine a als Korrektur der Wortreihenfolge.
  6. Es folgt in roter Farbe (wohl als Erläuterung) Obiit religiosa et devota Wulfhild Ducissa Aput S. Petrum in Wezzinzprunn. VIIIo. Idus maii Clm 1927; Obiit Religiosa et deo deuota Wulfhilda Ducissa monialis Wessinsprunnensis octauo Idus Maii Clm 1211.

Anmerkungen

  1. Stephan Leopolder erwähnt in einer seiner Handschriften, die auf 1512 datiert ist, daß sich das von ihm überlieferte Lobgedicht (scripta) früher in der Sakristei von St. Petrus befunden habe und er nicht wisse, bei welcher Gelegenheit es verloren ging. Leider geht aus seiner Aufzeichnung nicht hervor, ob es sich um eine inschriftliche oder handschriftliche Überlieferung handelte und woher er seinen Text bezog, vgl. Clm 22112 fol. 154v.
  2. Vgl. Andrian-Werburg, Wessobrunn 544. Zu Ludwig und seinem Werk vgl. Ruf, Bibliothekskataloge 172. Die Handschrift Ellinger konnte nicht eingesehen werden; sie gilt als verschollen.
  3. Andrian-Werburg, Wessobrunn 377–379.
  4. Höppl, Traditionen Nr. 40; Andrian-Werburg, Wessobrunn 543f., auch Historia Welforum, ediert in MGH Scriptores 21, 463 und bei Becher, Quellen 54 (dort als Tochter Herzog Heinrichs und seiner Ehefrau Wulfhild mit ihren Geschwistern und als Ehefrau des Grafen Rudolfs von Bregenz belegt).
  5. MGH Necrologia 1, 46.
  6. BBKL 15, Sp. 1550; Andrian-Werburg, Wessobrunn 543. Wulfhildis wird weder in der mutmaßlichen Grabinschrift (siehe oben), noch im Nekrolog (MGH Necrologia 1, 46), noch in den kopialen Überlieferungen des beginnenden 16. Jahrhunderts als Selige oder Heilige bezeichnet. Auch in der Historia Welforum (vgl. MGH Scriptores 21, 463; Becher, Quellen 54) wird sie nicht als solche erwähnt.
  7. Höppl, Traditionen 139*–142*; kurz auch HAB Altbayern I, 22/23 (Rauhenlechsberg), 28f.
  8. Schneidmüller, Welfen 194ff.
  9. Höppl, Traditionen Nr. 40; Köpfing, südwestlich von Peiting.
  10. BHStA KL Wessobrunn Nr. 3a (Fotoband 45) p. 61, Clm 1211 fol. 248r und Clm 1927 p. 88f.

Nachweise

  1. BHStA KL Wessobrunn Nr. 3a (Fotoband 45) p. 61; Clm 1211 fol. 248r; Clm 1927 p. 88f.; Clm 22112 fol. 154v; Clm 27160 fol. 34r; Leutner, Historia 177–178; Andrian-Werburg, Wessobrunn 543f.

Zitierhinweis:
DI 84, Lkr. Weilheim-Schongau, Nr. 2† (Manfred Merk), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di084m015k0000208.