Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Landkreises Weilheim-Schongau

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 84: Lkr. Weilheim-Schongau (2012)

Nr. 34 München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Alte Pinakothek/Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum 1444

Beschreibung

Bildbeischriften auf zwei der vier Tafeln des sog. Pollinger Retabels. Zwei getrennte Tafelbilder. Bayerische Staatsgemäldesammlungen Inv. Nr. 6247 (Verkündigung), Inv. Nr. 6248 (Darbringung im Tempel) zwei weitere Tafelbilder, die zu dem Retabel gehörten (Inv. Nr. 4565 (Geburt), Inv. Nr. 1360 (Anbetung der Könige) tragen keine Inschriften. Verkündigung und Anbetung der Könige in der Alten Pinakothek, Geburt und Darbringung im Tempel als Leihgabe im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (dort Inv. Nr. 1637 (Geburt) und 1057 (Darbringung)). Ursprünglich in der Augustinerchorherrenstiftskirche Hl. Kreuz in Polling. Außenseiten eines Retabels, vermutlich des Marienaltars, der sich am Ende des nördlichen Seitenschiffs befand. Vermutlich schon 1623 gegen neue Gemälde ausgetauscht1). 1804 im Zuge der Säkularisation in die Gemäldegalerie von Schloß Schleißheim verbracht. 1836 verblieb die Anbetung der Könige in Schleißheim, die anderen Tafeln kamen nach Aschaffenburg und Augsburg, 1909/11 wieder nach Schleißheim. 1920/27 kamen Verkündigung und Geburt in die Alte Pinakothek, Anbetung der Könige und Darbringung als Leihgabe in das Germanische Nationalmuseum, 1963 werden Geburt und Anbetung entsprechend der mutmaßlichen Rekonstruktion der Flügel ausgetauscht. Öl und Tempera auf Fichtenholz. An der Rückseite Spuren von der Anbringung flachgeschnitzter Heiligenfiguren2). Verkündigungstafel: Blick durch einen Bogen in einen Raum mit Kreuzgewölbe. An der Bogenstirn, an Nägeln aufgehängt, rechts und links je eine Tartsche, daneben Jahreszahl (I), durch die Bogenwölbung geteilt. Im Raum, in dem rechts Maria an einem Betpult kniet, links vor ihr der kniende Engel, in dessen Hand ein Spruchband, das sich in Richtung Mariens schwingt (II). Das unter einem Wandbord angebrachte Zettelchen zeigt eine nur angedeutete, nicht lesbare Beschriftung. Tafel Darbringung des Kindes im Tempel: Unter einem Bogen, der sich in einen Tempelraum öffnet, Maria und Simeon vor einem Altar, Maria reicht Simeon das Kind. Im Hintergrund Josef mit den Opfertauben. Auf dem Altar sind sowohl zwei Tafeln als auch der Saum des Altartuchs mit hebräischen Buchstaben geschmückt, die keinen sinnvollen Textzusammenhang ergeben3). Am Rand des Altartisches Inschrift in goldenen hebräischen Buchstaben. Simeon ist durch seinen Namen auf dem Tuch, das sein Haupthaar verhüllt, gekennzeichnet (III). Außerdem befinden sich am Ärmelsaum des rechten Arms Buchstaben (IV). In den Zwickeln des Tafelbildes sind Propheten mit Schriftbändern angebracht, deren Inhalte jedoch nicht lesbar sind.

Maße: H. 129 cm, B. 86 cm, Bu. 8,5 cm (I), 2 cm (II), 1,5 cm (IV, V).

Schriftart(en): Arabische Ziffern (I), Gotische Minuskel (II), Kapitalis (III, IV).

© bpk | Bayerische Staatsgemäldesammlungen [1/1]

Verkündigungstafel:

  1. I.

    · 14//44a) ·

  2. II.

    aueb) · gr(a)cia · pc)

Darbringungstafel:

  1. III.

    · SIMIAN

  2. IV.

    PRDISCd)

    Bibel- und Schriftstellerzitat(e): Lc 1,28. (II)

 
Wappen:
Braunschweig, Bayern.

Kommentar

Die Tafeln gelten seit der Zusammenstellung der Werke durch Freund im Jahre 19064) als das zentrale Werk des Meisters der Pollinger Tafeln. Die Datierung auf der Verkündigungstafel – eine in der Malerei dargestellte vertiefte Steininschrift – ist original und bedingt die zeitlich-stilistische Einordnung der weiteren diesem Meister zugeschriebenen Arbeiten. Die Werkstatt dieses Meisters wird heute in München vermutet.

Bei den Inschriften auf diesem Retabel – anders als bei den Inschriften auf dem Kreuzretabel (Nr. 41) – überwiegt der Auszeichnungscharakter über dem Informationsgehalt. Daher bewegen sich die Schriften auf relativ hohem Niveau. Auf der Tafel der Darstellung im Tempel finden sich neben Kapitalis auch hebräische Schriftzeichen, die reine Zierfunktion haben. Von den zwei lateinischen Schriftpassagen teilt die auf dem Kopftuch den Namen des Dargestellten, SIMIAN, mit. Die Buchstaben auf dem Ärmelsaum hingegen ergeben ebenso keinen sinnvollen Text. Die Ausgestaltung der Buchstaben erhält ihren Dekorcharakter durch sehr harmonische Schriftproportionen und durch die goldene Farbe der Schrift. Zur Schrift vgl. auch Einleitungskapitel XLIV.

Die Schriftpassage auf der Tafel der Verkündigung umfaßt den Englischen Gruß in Gotischer Minuskel. Hier ist die Schrift in roter Farbe auf einem Schriftband angeordnet. Ihr Ziercharakter wird besonders durch aufwendig gestaltete Worttrenner betont. Die Buchstaben sind streng in den Bandcharakter der Gotischen Minuskel eingepasst. Zierstriche an Quadrangeln und an (gebrochenen) Bogenenden runden den dekorativen Eindruck ab.

Das Retabel war eine Stiftung des bayerischen Herzogspaares Albrecht III. von Bayern-München und Anna von Braunschweig-Grubenhagen. Diskussionen löste die Frage aus, warum auf der Verkündigungstafel das Wappen Annas an der vornehmeren, heraldisch rechten Seite angebracht ist. Liedke identifizierte anhand dieser Konstellation Anna als die Hauptstifterin des Retabels, Hoffmann weist jedoch auf Parallelen bei der Wappenanbringung in der Fürstenreihe des Alten Hofes zu München hin und vermutet einen wesentlichen Anteil Alberts an der Stiftung5).

Textkritischer Apparat

  1. Jahreszahl auf die beiden Bogenzwickel verteilt.
  2. Vor dem Text zwei Ornamente.
  3. Ergänze zu plena.
  4. Nach C folgt ein weiterer mit C ligierter Buchstabe. Sinn der Buchstabenfolge nicht klar.

Anmerkungen

  1. Zur Provenienzgeschichte vgl. Hoffmann, Meister Pollinger Tafeln 228.
  2. Liedke, Münchner Tafelmalerei 2, 58.
  3. Für die Analyse der hebräischen Schriftzeichen sei Herrn Prof. Dr. Martin Arneth, LMU München herzlich gedankt. Hoffmann, Meister Pollinger Tafeln 232, Anm. 632 behauptete unter Berufung auf Georgine Bán-Volkmar, bei dem Text auf dem Altartuchsaum würde es sich um ein Zitat aus Ex 3,5 handeln, diese Aussage wird jedoch durch den Buchstabenbefund nicht gestützt.
  4. Freund, Wand- und Tafelmalerei 23, er wies die Tafeln einem Weilheimer Maler zu und behandelte sie daher nicht näher.
  5. Vgl. Liedke, Münchner Tafelmalerei 2, 58; Hoffmann, Meister Pollinger Tafeln 119ff. 230.

Nachweise

  1. Liedke, Münchner Tafelmalerei 2, 58–66; Biller, Pollinger Heimat-Lexikon 682–686; DiB I,23 (Weilheim-Schongau) 283; Hofmann, Meister der Pollinger Tafeln .

Zitierhinweis:
DI 84, Lkr. Weilheim-Schongau, Nr. 34 (Manfred Merk), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di084m015k0003400.